Brief an seine Heiligkeit, Papst Benedikt XVI.

Sehr geehrter Herr Dr.Ratzinger, ehrwürdiger Heiliger Vater!

Es bleibt uns nur wenig Zeit, doch keiner spornt uns öffentlich zur Eile an. Keiner gibt uns Rückhalt im einsamen Kampf. Keiner nennt das Kind beim Namen. Manch einer in seinem naïven Gott- und Kirchenvertrauen hofft, der Heilige Vater werde schon zur rechten Zeit die Stimme erheben gegen all die grassierende Gottlosigkeit ringsum, doch was er lesen kann, in seiner Kirchenpost, sind wieder einmal Ausritte eines Lokalbischofs gegen die Abtreibung und ein kältestarrendes Plädoyer für die zivile strafrechtliche Verurteilung abtreibender Mütter. Dabei müßten alle Herren einmal bei sich und ihrem so krank anmutenden Verhältnis zu den ihnen vorenthaltenen Frauen anfangen. Der Klerus hat ein dermaßen gestörtes Verhältnis zu Frauen, es ist zum Weinen. Sie werden es wissen, Herr Dr.Ratzinger. Lassen Sie die Priester schnellstmöglich heiraten, denn sonst wird Ihnen diese Sexualpathologie den Dachstuhl eines Tages wie aus einem notwendig gewordenen Blitzgewitter heraus in Brand setzen! Die Gläubigen hat Ihnen diese Pathologie bereits vertrieben. Aber der Vatikan verharrt in der polemischen Dogmatik, und diese Verknöcherung mutet einfach nur mehr lächerlich, ja geradezu peinlich an. Und die Priester sterben uns vereinsamt weg, an Leukämie, zusammen mit den verschwiegenen Pfarrersköchinnen, denen der Gebärmutterkrebs zu schaffen macht, denn keiner der Obrigen nimmt Notiz, wenn einem der armen Teufel in der Provinz aus lebenslanger Einsamkeit heraus das Herz zu brechen beginnt. Die meisten Ärzte, denen sich ein Geistlicher nach langem Hadern anvertraut, können ein Lied davon singen.

Aber all das ist in dieser unserer Notzeit sekundär geworden. Die Zeit rinnt aus und es ist allerhöchste Zeit, die Feuersirene unter der Kuppel des Petersdoms anzuwerfen. Wir brauchen Daueralarm, Heiliger Vater. Daueralarm. Schauen Sie, selbst sogar ein Tunichtgut wie Roland Emmerich zitiert in seinem 2012-Machwerk den Fall des Obelisken am Petersplatz. Wir wissen, das ist Sensationsheische, aber wir müssen uns dennoch die Frage stellen, warum braucht er den Fall des Vatikans, den Fall der Kirche, ihren Untergang in einer neuen Sintflut? Haben wir den Untergang der Kirche auf dem Tapet oder nicht? Ich sehe nur mehr Atomzertrümmerung, so wie in diesem berühmt-berüchtigten Illuminati-Film von Dan Brown. Die Bodensatzfragen, die bei Dan Brown an „Ort und Stelle“ anschwingen, lohnen, ausformuliert zu werden. Das Gesetz von Materie und Antimaterie. Das Gesetz von Mord und Totschlag. Dan Brown springt nicht zimperlich mit Ihnen um, nicht wahr? Kardinäle, die der Reihe nach vor den Augen der Öffentlichkeit mitten in Rom verheizt werden. Ein Camalengo, der seinen Stiefvater vergiftet. Soweit geht sogar ein Softie wie Dan Brown, der sich keinen Zentimer außerhalb der „political correctness“ seines Heimatlandes wagt. Die Antimaterie.

2006 hatten Sie Stephen Hawking zu Besuch auf Castell Gandolfo. Warum verfassen Sie nicht einmal eine Sonntagsrede auf die Astrophysik und die moderne Kosmologie? Warum verfassen Sie nicht einmal einen Rundbrief an alle Diözesen mit der Bitte um öffentliche Würdigung der astronomischen Phantasie? Lassen Sie doch bitte einmal alle ambitionierten Dechante und Weihbischöfe über Naturreligion und den Buddhismus phantasieren. Strapazieren Sie die Intelligenz der Sonntagsredner mit einem Thema abseits der Dogmatik. Es muß nicht „Christus in Kaschmir“ oder „Christus bei den Mormonen“ sein. Lassen Sie ihre Soldaten das Wort ergreifen zu einem einfachen, unbescholtenen, ehrlichen Thema wie „Was hat der Dalai Lama dem Christen zu sagen?“ Oder „Was haben die Hopis dem Christen zu sagen?“ Oder „Wie stehen wir zum Fünften Gebot?“ Oder „Was heißt das überhaupt: Weltuntergang?“ Oder „Seien wir ehrlich: Wir sind alle müde. Müde des Wartens.“ Oder „Wo ist Christus?“ Oder „Wieso lebt es sich als Atheist sorgloser als als Christ?“ Was ist das überhaupt, ein Atheist?

Verzeihen Sie mir bitte diese polemische Themenauswahl. Es gäbe noch hundert andere. Es muß nicht immer das Evangelium sein. Soviel Freiheit muß sein, auch in den Kirchen, am Sonntag.

Sie sehen doch, Heiliger Vater, Professor Hawking hat soeben sein letztes Buch veröffentlicht. Kommentar: Der Urknall ist eine Gesetzmäßigkeit der Gravitation, er benötigt keinen Schöpfergott. Sie sehen, Hawking hat sich seine Gedankenfreiheit bewahrt, auch wenn er bei Ihnen aß.

Auf der anderen Seite haben wir die Paulus-Exegeten, die dem Gläubigen saures Brot zumuten, das er eigentlich, im Herzen, nicht verdaut und glaubt. Aussagen zum Kolosser-Hymnus wie etwa: "Das All, das nicht eines unter anderen und außer dem sonst nichts geschaffen ist, dieses All ist auf den Sohn hin und in ihm geschaffen und hat in ihm "Sein, Bestand"." Wieviele der Gläubigen glauben das wirklich?, frage ich Sie, Herr Dr.Ratzinger. Dieser Anflug von Größenwahn ist es, der Ihnen die kritischen Neugierigen aus den Kirchen vertreibt. Diese Hypokrisie, die das Weltall für sich vereinnahmt.

Aber der Professor aus Cambridge ist nicht das Thema meines Briefes. Mein Brief ist ein Herzensanliegen. Lassen Sie die Priester schnellstmöglich heiraten, Herr Dr.Ratzinger. Schaffen Sie die Kirchensteuer in Österreich schnellstmöglich ab und hören Sie auf diese Weise auf, vom Judaslohn, den Ihnen Hitler hierzulande für das damalige Stillschweigen 1938 gezahlt hat, auf schamlose Weise bis hin zu Gehaltspfändungen zu profitieren. Hitler ist es bis heute, der Ihren Lakaien auf den universitären, pragmatisierten Lehrstühlen diese an Schindluderei grenzende Narrenfreiheit beschert, die mehr als die Hälfte der Studenten wieder davontreibt, sobald sie deren ungenießbare Krausbirnprodukte allen Ernstes vorgesetzt bekommen.

Gehen Sie endlich weg von der Dogmatik und allen ihr inhärenten haarsträubenden Gedankenkonstrukten. Die Dogmatik wird eines Tages einen finalen Dolchstoß von unbescholtener Hand gegen sich ausgeführt spüren, und der letzte zurechnungsfähige, treue Seilgefährte wird ihnen wegfallen, mit einem halbstummen Stoßseufzer auf den Lippen: "Es lohnt nicht mehr!"

Immer wieder begegnen wir dem Schmerzensmann am Kreuz. Eine im Grunde stupende Entblößung, die als selbstverständlich hingenommen wird. Aber der leidende Christus, den das Kind nicht versteht, ist der wahre Grund für seine Verstörung. Und die Eltern wissen keine Antwort auf die Frage: "Papa, wer ist dieser Mann? Warum hat man ihn getötet? Wieso stirbt man am Kreuz?"

Das Kreuz, so wie es gehandhabt wird, ist tatsächlich ein Übel. Eine einzige Provokation, wie die Zen-Meister sagen. Es müßte immer und überall ein leeres Kreuz sein, in allen Kirchen dieser Welt, – Symbol der Auferstehung. Der Siegreiche mit der Osterfahne in der Armbeuge, das muß und kann nur das neue Symbol der Hoffnung sein, nicht um alles in der Welt ein Kreuz in jeder Variation, mit einem Leidenden in jeder Verkrümmungs-Varation.

Das ist das praktische Grundübel, mit dem wir uns aus kirchlicher Seite wirklich herumschlagen müssen, Heiliger Vater. Die Leute glauben nicht an die Auferstehung, und sie glauben nicht an das Sakrament der Kommunion.

Fangen Sie daher bitte an, ungeschminkt zu reden, – von dem, was wirklich Not tut, und das ist das globale Desaster, die condition humaine schlechthin. Die Resignation vor dem Verderben in all seinen Facetten. Mit Ihrem feigen, massenkonformen, stumpfsinnigen Stillschweigen verbleibt die Kirchenobrigkeit in der Steinzeit, ehrwürdiger Vater. Die Dinge sind so dermaßen im Argen, daß beinahe nur mehr ein umfassender, ungezügelter, wehklagender Aufschrei helfen mag, gegen ein unrühmliches Ende für eine Menschheit, die trotz aller gegenteiligen Errungenschaften moralisch nach wie vor in der Steinzeit, im Mittelalter, im Faschismus herumkrebst, weil sie nicht weiterkommen will und kann. Die Kirche schwimmt wie von vergiftenden Dämonen besessen mit im allgemeinen Strom der Ignoranz, in der Gewohnheit, und sie gefällt sich in himmelschreiender Duckmäusigkeit. Blicken sie doch zu uns nach Südamerika. Politische Duckmäuserei allenthalben. Ein blutleerer Kardinal Cipriani, der Opus-Dei-Politik gegen die Studenten und andere Priester betreibt und dem, wie vielen anderen Kollegen, das Kirchenrecht liebste Lektüre ist. Schaffen Sie das Kirchenrecht ab, Herr Dr.Ratzinger. Wohin wollen Sie mit ihm noch kommen? Wohin, in Gottes Namen? Dem unsäglichen Kurt Krenn aus St.Pölten, in dessen homosexuell durchruchtem Priesterseminar sich ein Zögling das Leben nahm, war es des‘ liebste Lektüre. Aus Mangel an Liebe, die er leider nie genießen durfte, der Arme. Wir brauchen christliche Liebe in der Welt. Das ist eine Titanenaufgabe, ehrwürdiger Vater! Helfen Sie uns mit täglichen aufmunternden Worten, diese Aufgabe jeden Tag auf’s Neue unverdrossen anzugehen. Mischen Sie sich in die Politik ein, realitätsnah und praxisgerecht. Unkonventionell. Ohne Scheu, die Wahrheit auszusprechen. Den politischen Opportunismus jahrelang mitansehen zu müssen, das hat uns die längste Zeit ans Kreuz genagelt, und wir fühlten uns verlassen in der Wüste der alltäglichen Teufeleien ringsum. Thematisieren Sie den Antichrist, ja, thematisieren Sie ihn, vom Balkon des Doms herab. Thematisieren Sie das Böse, und Vielen wird damit ein Mühlstein von den Schultern genommen. Seien Sie sich nicht zu nobel. Fassen Sie Mut und legen Sie die Robe des Kaisers und die roten Lederschuhe, die Sie in Auschwitz trugen, ab. Die Verhältnisse, die auf uns zukommen, werden uns alle bald genug in Asche leben lassen.

In katholischer Verneigung,

Ihr

W.H., Tamshiyacu, Loreto, Peru

Nachtrag am 11.Feber 2013:

Danke für Ihr Lebenswerk, Heiliger Vater, insbesondere für die drei Jesus-Bücher, die mir den Sinn erweitert haben.

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  1. Ansprache von Dechant Johann Zarl am Begräbnis von Msgr. Erich Dangl, Langenhart, am 9.8.2008:

    "Hochwürdigster Herr Weihbischof! Liebe Mitbrüder! Liebe Verwandte und Angehörige unseres Verstorbenen! Frau Elisabeth! Liebe Pfarrgemeinde von Langenhart! Liebe Gasterner! Liebe Trauergemeinde!

    Es war fast eine erlösende Botschaft, als am Herz-Jesu-Freitag, knapp vor Mittag der Anruf kam, Msgr. Dangl sei verstorben. Zu sehr musste er am Ende seines Lebens leiden. Selber sehnte er schon den Tod herbei. Und doch ist ein erfülltes Priesterleben zu Ende gegangen. Ich glaube, dass kann ich mit gutem Gewissen behaupten, auch wenn der letzte Abschnitt seines Lebens ein Leidensweg war.

    „In te domine speravi von confundar in aeternum!“

    „Auf dich o Herr, habe ich vertraut, in Ewigkeit werde ich nicht zuschanden.“ Dies Wort aus dem TE DEUM war sein Leitspruch und er bat mich schon vor längerer Zeit, diesen Spruch auf seine Pate zu schreiben.

    Ich durfte ihm einige Male das Sakrament der Krankensalbung und auch das Bußsakrament spenden. Und jedes Mal hat er gesagt. Gott sei Dank. Ich bin mit Gott und Welt versöhnt. Ich habe allen vergeben und alles Gott in die Hand gelegt. Und ich bitte alle. Sollte ich irgendjemand beleidigt haben oder Schuld auf mich geladen haben. Ich bitte um Verzeihung. So steht es auch in seinem Testament.

    Und es ist mir ein großes Anliegen, liebe Pfarrgemeinde von Langenhart, Euch eine Bitte unseres Verstorbenen ans Herz zu legen. Pfarrer Dangl hat zum Schluss einen schweren Leidensweg gehen müssen. Ich habe schon viel gesehen. Aber noch selten einen so vom Krebs gezeichneten Menschen wie Pfarrer Dangl. Er wollte am Schluss niemand mehr zu sich lassen, um ihn anders in Erinnerung zu behalten. Er hat zu mir gesagt: Ich bin bereit, auch dieses Kreuz zu tragen, wenn es nach den Problemen des letzten Jahres meine Pfarre Langenhart wieder eint, für die ich den Großteil meiner priesterlichen Kräfte aufgebraucht habe. Es ist bitter, am Ende seines Lebens vor so viel Scherben zu stehen. Aber vielleicht kann ich von oben mehr erreichen. Liebe Langenharter! Nehmt euch diese Bitte eures Pfarrers zu Herzen, ohne Wenn und Aber.

    In der Lesung aus dem Philipperbrief haben wir die Worte gehört, die ein wenig sein Lebensmotto angeben: „Christus will ich erkennen und die Macht seiner Auferstehung und die Gemeinschaft mit seinem Leiden;“ Das hat er sein ganzes Priesterleben versucht. „Sein Tod soll mich prägen.“ Wer ihn zum Ende seiner Krankheit noch gesehen hat, der konnte mit eigenen Augen sehen, wie der gekreuzigte Herr sein Leben geprägt hat. So dürfen wir auch für ihn erhoffen, was Paulus in der heutigen Lesung so formuliert hat: „So hoffe ich, auch zur Auferstehung von den Toten zu gelangen.“ Phil.3,10f.) Oder das Johannesevangelium: „Ich habe dich auf der Erde verherrlicht und das Werk zu Ende geführt, das du mir aufgetragen hast.“ Mit allen menschlichen Schwächen und Fehler hat er versucht, Gott zu verherrlichen und das zu Ende zu führen, was Gott ihm aufgetragen hat.

    So schauen wir in dieser Stunde in unseren Gedanken zurück auf das Leben unserer Verstorbenen, Herrn Monsignore Erich Dangl.

    Geboren wurde er am 20. April 1928 in Wiesmaden in der Pfarre Gastern. Nach der Grundschule in seiner Heimat besuchte er die Mittelschule in Horn und Melk, wo er mit Auszeichnung maturierte. Nach dem Theologiestudium in St. Pölten erhielt er am 29. Juni 1953 die Priesterweihe.

    Nach Kaplansposten in Oberndorf, Lunz/See, St. Valentin und Neulengbach, wurde er am 1. Dezember 1960 nach Pfarrer Fröhlich, der 2. Pfarrer in Langenhart in der erst 3 Jahre zuvor gegründeten Pfarre.

    Ein reiches Betätigungsfeld tat sich hier für ihn auf. Es gibt nicht Vieles in der Pfarre, was nicht seine Handschrift trägt.

    Ganz wichtig war ihm die Sorge um die Kirche. Immer wieder legte er selber Hand an und es war keine Seltenheit, dass man ihn mit dem Besen in der Hand in der Kirche an der Arbeit sah.

    Ganz wichtig waren ihm die Ministranten, die er bis zuletzt betreute. Seine Ministrantenlager, verbunden oft mit gewaltigen Wandertouren, werden jedem Ministranten in Erinnerung bleiben.

    Pfarrer Dangl hat sich in der jungen Pfarre bemüht, Strukturen aufzubauen. Von den vielen Runden in der Pfarre, lag ihm besonders die KAB-Runde am Herzen.

    Ganz wichtig war ihm auch die Vorbreitung auf den Empfang der Sakramente. Hier vor allem die Erskommunion- und die Firmvorbereitung.

    Ein großes Herzensanliegen war ihm die Einbindung der jungen Familien. Einige Male hat er mir gesagt: Bei uns werden so viele neue Einfamilien-Häuser gebaut. Ich weiß nicht, wie ich an die besser herankommen kann.

    Sehr getroffen hat ihn der frühe Krebstod seiner Haushälterin Maria Feiertag, die ihm eine große Stütze war.

    Und er hat sich gefreut, dass er in Frau Elisabeth Schubert, die selber mit ihrer Krebserkrankung kämpfen musste, wieder einen Menschen fand, der ihn gerade jetzt im Alter begleitete und ihm in dieser schweren Zeit der Krankheit beistand. Ich darf ihr für die Betreuung, gerade in der letzten Zeit ein herzliches Vergelt´s Gott sagen. Ein Vergelt´s Gott auch seiner Nichte, der Geistlichen Sr. Judith, die ihm immer wieder zur Seite stand.

    Eine besondere Freude für Pfarrer Dangl waren 2 Geistliche Berufe in seiner Zeit. Herbert Weber, der zum Orden der Lazaristen gehört und heute in Istanbul seine Wirkungsstätte hat, er feiert heute mit uns. Und Sr. Himmelbauer von der Gemeinschaft der Seligpreisungen, die heute in Medjugorje wirkt.

    Einen guten Ausgleich zu seiner Arbeit fand Pfarrer Dangl bei seinen geliebten Tarockrunden. Da war er in seinem Element, da kannte er kein Pardon. Nicht einmal mit Bischof Krenn, der auch einmal bei dieser Runde mitspielte.

    Nach 47 Jahren trat Pfarrer Msgr. Dangl am 1. August. 2007 in den dauernden Ruhestand. Für seine Leistungen wurde er 1998 mit dem Titel Konsistorial Rat und 2001 mit dem Titel Monsignore gewürdigt.

    Bis zuletzt hat Msgr. Dangl zelebriert. So lange es ging, in der Kirche und dann in seiner Wohnung. Es war berührend, wenn er mir erzählt hat. „Seit ich in Pension bin, bereite ich mir trotzdem für jeden Sonntag eine Predigt vor, auch wenn ich sie nicht halten kann. Aber ich darf nicht aufhören, sonst verlerne ich es ganz“, sagte er mir. Es zeigt, wie Pfarrer Dangl Seelsorger war mit Leib und Seele.

    Wie oft hat er beim Gottesdienst die Wandlungsworte, nach dem Zeichen des Segen über Brot und Wein, eingeleitet mit den Worten: Er nahm das Brot, brach es, und reichte es seinen Jüngern:

    Und da hat er gelebt, was der Theologe Henry Nouwen einmal so formuliert hat:

    „Wir Priester und Ordensleute sind in unserer Liebe genommen, gesegnet, gebrochen und gegeben. Nehmen, Segnen, Brechen und Geben ist die Dynamik der Seelsorge.“

    Ich möchte das ein wenig verdeutlichen:

    Wir sind genommen. Zu diesem Nehmen sagen wir Berufung. Gott ruft, er fasst uns an, egal, was wir vorweisen können, unabhängig von Herkunft, Fähigkeit oder Begabung. Gott hat auch unseren Verstorbenen genommen, um ihn im Glauben stark zu machen. Aber dieses Genommen-Sein ist immer ein Genommen-Sein zur Nachfolge, zu einer Aufgabe, die Gott uns zugedacht hat. Wann dieses Nehmen seinen Anfang nahm, wissen wir nicht, ob im Elternhaus, ob während der Jahre im Gymnasium, ob während der Kriegszeit. Irgendwann wird er für sich überzeugt gewesen sein: Ich sage „JA“ zu diesem Genommen-Sein durch Gott. Beim Propheten Hosea lesen wir: „Ich traue dich mir an auf ewig.“

    Wir sind gesegnet. Menschen sollen ein Segen sein, nicht ein Fluch, schon gar nicht eine Drohgebärde. In seinem Leben als Priester versuchte Msgr. Dangl ein Segen zu sein für seine Anvertrauten. Auch wenn wir das Schwache und Hilflose in seinem Leben nicht übersehen wollen. Er wurde zum Segen, für unzählige Kinder und Heranwachsende, auch für die Pfarrgemeinde hier in Langenhart. Dieser Segen kann aber nur wirken, wenn der Gesegnete wirklich bereit ist, sich mit den ihm Anbefohlenen zu verbinden, ja zu verwurzeln. Msgr. Dangl war kein Tagelöhner, der kommt und geht, der schnell seine Schuldigkeit verrichtet. Er war da, er gehörte dazu, er brachte sich ein. In dieser Stunde des Abschieds vergessen wir aber auch nicht den Segen, den er – offen und verborgen – gegeben hat: den Kindern, den Eltern, der Pfarrgemeinde. Und ganz besonders nochmals auf seinem Krankenbett. Er hat mir gesagt: Sage es den Leute: Ich erbitte für alle Gottes Segen.

    Wir sind gebrochen. Unzählige Male hat er seiner Pfarrgemeinde beim Gottesdienst das Brot gebrochen. Er hat damit den Menschen Jesus gebracht, der unsere Speise geworden ist, damit wir auf unserem Weg nicht verhungern. Aber diesen Jesus als Brot des Lebens gibt es immer nur als gebrochenes Brot. Jesus hat sich am Kreuz für uns brechen lassen; am Brot-Brechen erkennen ihn die Jünger von Emmaus. Dieses Gebrochen-Sein blieb auch ihm selbst nicht erspart. Das, was er seiner Pfarrgemeinde gepredigt hat, das wurde in seinem Leben harte, bedrängende Wirklichkeit. Die letzten Jahre in seinem Leben waren nicht einfach. Er musste erkennen, wie tief das Kreuz Jesu Christi sich auch mit seinem Leben verbunden hatte.

    (Der Regensburger Domprediger Michael Grünwald hat diese Tatsache in ein erhellendes Bild gekleidet: „Früher oder später kommt im Glauben der Moment, dass wir in ein Rosinenbrot hineinbeißen, und das, was wir für eine Rosine hielten, stellt sich als kleiner Kieselstein heraus.“ In den letzten Jahren mußte unser Verstorbener auf viele solcher Kieselsteine beißen, und aus dem Brot des Lebens, das ihm Christus gegeben hatte, wurde eine mühsame und harte Speise.)

    Wir sind gegeben. Als Christen wissen wir: Alles in dieser Welt ist Geschenk und auch wir sind gegeben und dürfen und können geben. Es gibt in einer Welt, die oft so berechnend ist, viel zu geben: Güte, Verständnis, Vergebung.

    Oder einfach die drei göttlichen Tugenden: Glaube, Hoffnung, Liebe. Wie gern hätte er noch weitergegeben, wie gern hätte er noch weiter von Christus und seiner Botschaft erzählt, wie gern wären seine Hände offen gewesen. Aber da wir nicht die Herren unseres Lebens sind, steht es uns auch nicht zu, die Zeit festzulegen, die uns gegeben ist. Für dieses sein Geben möchten wir alle heute nochmals Dank sagen. Manches von dem, was er gegeben hat, wird weiterwirken, und wenn es nur das einfache Gebet ist, das man als Kind bei ihm gelernt hat und bis heute nicht vergessen hat, und wenn es nur eine gute Erinnerung an einen schön gestalteten Gottesdienst ist.

    Ein persönliches Gespräch mit Pfarrer Dangl hat mich sehr bewegt und ich möchte es ihnen zum Abschluss noch erzählen. Nachdem er im Kirchenblatt die Bilder von den Neupriestern und den Priesterjubilaren gesehen hatte, unter denen auch er heuer mit 55 Priesterjahren abgebildet war, hat er den Gedanken eines Altbischofs, denn er vor kurzem gelesen hatte, auf sein Leben umgelegt und es mir in etwa so gesagt: Ich kann es nur aus der Erinnerung wiedergeben:

    „Jetzt, vor dem Tod bewegt mich das Zeichen der Handauflegung bei der Priesterweihe ganz besonders. Ich habe nun in meiner Krankheit oft meine Hände betrachtet. Wie hilflos bist du eigentlich, wie leer sind eigentlich deine Hände? Hätte ich dieses Zeichen besser verstanden, hätte ich mir in meinem Priesterleben oft viel leichter getan. Ich habe so vieles versucht, in die Hand zu nehmen und war dann enttäuscht, wenn Vieles nicht gelungen und manches in Scherben gegangen ist.

    Die leeren aufgelegten Hände bei der Priesterweihe sagen uns. Nichts haben wir in der Hand. Schau, dass deine Hände offen und leer bleiben. Dann können sie gefüllt sein vom Geist des Herrn, der auf dir ruht. Denn der Herr hat dich gesalbt und gesandt.

    Jetzt in meiner Krankheit spüre ich es so deutlich wie nie zuvor: Nichts haben wir in der Hand. Nichts haben wir im Griff. Alles ist Gnade. Wir brauchen auch als Kirche nichts in Griff zu haben. Wir müssen nur unsere leeren Hände Gott hinhalten, damit er sie füllt mit seinem Geist. Mit leeren Händen geben wir bei der Priesterweihe Gottes Geist weiter. Seit mir das bewusst geworden ist, halte ich jeden Abend Gott meine Pfarrgemeinde, die Diözese, ja die ganze Welt hin und segne sie mit meinen leeren Händen.

    Und jetzt habe ich das Gefühl. So gefüllt und erfüllt waren meine leeren Hände noch nie wie jetzt.“ So weit in etwa seine Worte.

    Meine Bitte jetzt an uns:

    Halten wir in dieser Stunde Gott mit unseren leeren Händen Msgr. Dangl hin, damit er seine leeren Hände füllt mit Auferstehung und Leben. Amen."

  2. Ein erfülltes Priesterleben

    Erich Dangl zum Gedenken

    Erich Dangl war ein Sohn des niederösterreichischen Waldviertels, einer Mittelgebirgs-Region mit Granitboden. So war seine Konstitution und sein Auftreten. Schwer und dem Augenschein nach unerschütterlich. Er kämpfte sich aufrecht durchs Leben, wobei er, obrigkeitsgläubig, immer die Autorität auf seiner Seite hatte. In seinem Fall war es die St.Pöltner Kirchenobrigkeit. Sein Entschluß, Priester zu werden, stand früh fest und wurde danach nie mehr in Frage gestellt. Das alleine schon war an ihm bemerkenswert. Ein Mann, der unverdrossen durchs Leben pflügte. Priester zu sein fiel ihm, allem Augenschein nach, nie schwer. Die Pfarrkirche im Mostviertler Langenhart, einem Ortsteil von St.Valentin, das sich dergestalt den Luxus zweier katholischer Pfarren hielt, war sein Domizil, sein Haus, sein Herrschaftsreich. Die Tatsache, daß ein 10.000-Seelen-Markt über zwei Pfarrkirchen verfügte, war einem strategischen Kalkül des St.Pöltner Bischofssitzes zu verdanken. Nahe Langenhart, das von der Bundesbahn von gleich zwei Linien, der Westbahn und der Ennstalbahn, hermetisch vom Marktkern abgeschnitten wird, befand sich eine der ehemaligen Panzerschmieden der Nazis, das sogenannte Nibelungenwerk, das sich bald nach dem Krieg zu einem Vorzeigebetrieb der Steyr-Werke mit Traktorenfertigung mauserte, natürlich sozialistisch orientiert. Die Zusammensetzung des Gros’ der arbeitenden männlichen Bevölkerung des Marktes St.Valentin (Vöest-Arbeiter, Bundesbahner, Chemie-Arbeiter und die Belegschaft der Steyr-Werke) bildet bis heute eine Hochburg der österreichischen Sozialdemokraten. Sozialisten, die der Kirche ostentativ, ja geradezu militant den Rücken zukehren. Das historische Erbe einer über 900 Jahre alten, dem heiligen Valentin geweihten, denkmalgeschützten Pfarrkirche am Hauptplatz des Marktes, gleichzeitig Dechantssitz, kümmert sie wenig. Der Bauernstand mit seinen Gehöften rund um die ehrwürdige alte Kirche hat seinen schweren Stand so wie die krisengeschüttelte Bürgerpartei.

    Nicht so Erich Dangl. Ein Mann von bulliger Statur. 1,85 groß, gute 100 Kilo schwer. Ein auffälliger Mann, der sich nicht zu verstecken brauchte. Ein Mann, der Zeit seines Lebens richtig war an diesem Platz. Und diesen Platz füllte er mit seinem Credo, doch erst recht, wie ihm nur allzu bald bewußt wurde, mit seiner Vitalität. Pfarrer Dangl war eine identitätsbildende Institution für das Leben in diesem idyllischen Ortsteil im Enns-Donau-Winkel. Er drückte seiner Pfarre, insbesondere der Dorfjugend, seinen Stempel auf, und mochte es, wenn nicht auf andere Art, im Religionsunterricht der Volksschule geschehen. Dort schieden sich früh die Geister. Eines ist sicher: Freund wurde zeitlebens keiner mit ihm. Dazu mangelte es ihm an Humor und Charisma. Er nahm es nicht persönlich. Er war auch nicht stur. Er folgte nur seiner Lehre, die er wie natürliche Nahrung aufgenommen hatte und die ihm dergestalt in Fleisch und Blut übergegangen war. Dabei gab er nie den Dogmatiker ab und wurde auch nie, von niemandem, als solcher gesehen. Er war eine organische Naturerscheinung. Die Bevölkerung arrangierte sich mit ihm. Erst recht die Ministranten, für die er, warum auch immer, eine Zutraulichkeit hegte und denen er ein Refugium schuf. Abenteuerliche Ministrantenlager mit besagten Gewaltmärschen quer durch die Landschaft des Feuerkogels. Ein eigener eingezäunter Fußballplatz mit Metalltoren und schußfestem Maschennetz. Abenteuerliches Räuber-und-Gendarm-Spielen im Ennserwald, verbunden mit Grillwurstgelagen. Aber nie gingen wir mit ihm Baden. Pfarrer Dangl wurde Zeit seines Lebens nie in Badehose gesichtet. Es gab noch andere Schätze in seiner Nähe, derer wir teilhaftig wurden. Das Meßgeld zahlte er in Silberdukaten aus, ein Schilling pro Messe. Bis heute rätsle ich, von wo er die Dukaten her hatte, die alsdann flugs in der Dukatenschatullle der Mutter verschwanden. Und ich gesteh’s, die Dukaten weckten die Gier.

    Die Zeit des Erich Dangl war eine erfüllte Zeit, identitätsbildend für viele. Das Jahr war eingeteilt in seine Hochfeste. Wir wanderten an seiner Seite durchs Jahr, im Mai über die Felder und zu Fronleichnam unter dem Baldachin weihrauchkesselschwenkend durch den sozialistischen Ort. Das sollte nie eine Provokation darstellen. Erich Dangl lag, dem kindlichen Augenschein nach, mit niemandem im Clinch. Er befehligte seine Putzbrigaden und verdingte sich auf dem Kirchengelände als Mädchen für alles. Die, die unleugbar nicht mit ihm klar kamen, weil sie ihm, dem Pfarrer, ein rotes Tuch waren, drifteten von heute auf morgen von ihm weg und kehrten nie mehr zurück, so wie Ernst Reisinger, den viele lange nicht verstanden. Der Ernst wurde später ein Paraderoter, aber seine Gehversuche machte er bei Erich Dangl. Leider: Chemische Unverträglichkeit, ganz und gar zum Staunen kindlicher Augen. Dort fing es an. Erich Dangl gewährte uns Einblick in seine Zerbrechlichkeit. Von da an war er so etwas wie unser rosa Elefant. Womöglich fing damals sein Verhängnis an. Er nahm sich unser Staunen nicht als Lehre. Er konnte es nicht glauben, daß wir ihm die Treue aufkündigten.

    Mit der Pubertät gerieten die Dinge aus dem Ruder. Wir wanderten hinüber zur Jungschar und den Kaplänen, die uns in ihrer Legerheit zuerst verdutzten. Der Kirchturm wurde zu einer rauchgeschwängerten Räuberhöhle, in der strategische Werbemanöver zirkulierten. Die katholische Doktrin hatte ihren Glamour verloren. Pfarrer Dangl wurde zur grauen Eminenz. Die Kritischen unter uns begannen sich vom Sonntagsbesuch zu absentieren. Es ging alles Hand in Hand. Dem Pfarrer war bereits ein Kind geboren, ohne daß unser Verstand darüber laut sinniert hätte. Dort begann sein Leidensweg. Das Leben erlangte Macht über ihn. Erich Dangl durchschritt ab dort mit Sicherheit wie ein Traumwandler das Feuer der Leidenschaften. Und er wollte es nicht wahrhaben. Er fand sich verstrickt.

    Und dort begann es, daß er Bedrohungen in Winkeln roch, von wo nur Hilfe zufluten hätte sollen. Das Leben, die unreflektierten Anfänge seines Priesterlebens holten ihn ein, und dann schlug der Blitz in den Kirchturm ein, und er erschlug Maria Feiertag, seine geliebte Haushälterin, mit der er soeben den gemeinsamen Alterswohnsitz in Neu-Rubring fertiggestellt hatte. Und unser Pfarrer fragte, aber er fragte, wer hätte es ihm verübeln wollen, nicht tief genug, "Warum?". Dort mag es vielleicht gewesen sein, daß ein Engel der anderen Gestalt seinen Fuß im Pfarramt aufsetzte, ein Brandengel, und keiner im Dorf dachte daran, den Brand zu löschen. Das bittere Verhängnis des braven Erich Dangl, die menschliche Unzulänglichkeit, schritt, wie von Thanatos angezogen, mitten ins Verderben. Als die Ärztin seines Vertrauens ihm bereits die Krankheit diagnostiziert hatte, merkte der zum Pfarrjubiläum angereiste Diözesanbischof, selbst ein diplomierter Mediziner, verblendet ob all der Umstände, nichts vom Schatten der wahren Majestät des Lebens. Und Pfarrer Dangl schwieg.

    Und dann kamen die Hyänen aus ihren Verstecken. Sie geiferten um die Wette. Es hatte den Anschein als forderten sie ihr Recht ein. Einen Altlöwen, der im Begriffe stand, alles zu verlieren, bei lebendigem Leibe zu zerreißen. Hyänen aus nächster Nähe. Hyänen unter dem Kreuz, das unübersehbar über der Tarockrunde thronte. Ja, tatsächlich: Eine Hyäne unter dem Kreuz, die dem Gottesmann, dem langjährigen Tarockrundenteilnehmer, an die Gurgel fuhr. Und am Hochaltar. Das Kreuz, das niemand zu beachten schien beim Zerfleischungsakt, und das keiner beachten sollte bis zuletzt, bis zuletzt, bis es ausgestanden war.

    Zuletzt kam die grauenhafte Verunstaltung. Sein alter Tarockfreund, dem er sich nie zu offenbaren wagte, mußte noch im Krankenhaus die letzten, von der Verwesung magisch angezogenen Hyänen eigenhändig vertreiben – und sie beantworteten es ihm mit einer Fratze des Unverständnisses -, doch der Dankesgruß, die Verabschiedung, die wollte ihm, dem Priester, nicht über die Lippen, so wird gesagt. Die Beichte geschah gegenüber dem Dechant Zarl. Und so ging dieser Mann durch das Tal der Leiden, im Gottesglauben. Er stellte sich dieser Macht, der einzigen, die existiert, und übergab sich ihr, als Sterblicher. “Ich habe es lange Zeit nicht glauben können, so sterben zu müssen”, bekannte er gegenüber einer jener Damen, die ihn mit dem Herzen verstanden, Anna, die das Rad anhalten will. Und so ging er, Pfarrer Dangl, als Krug, der so lange zum Brunnen geht, bis er bricht, und er trat IHM gegenüber.

    “Pfarrer Dangl, vergelt’s Gott! Leben Sie wohl! Es ist alles anders, seit Sie nicht mehr sind. Man sieht sich wieder!”

    Nachtrag am Heiligen Abend, 18.40 Uhr:

    Schwester Edith Erber schreibt mir von einem tragischen Vorfall aus der Heimat. Das Ehepaar Haslinger aus dem Thurnsdorfer-Viertel, beide 80, hat vor wenigen Tagen, wohl wohlerwogen, dem gemeinsamen körperlichen Verfall aus Krankheit ein Ende bereitet, indem es freiwillig aus dem Leben schied. Die Abschiedsbriefe liegen vor. Was für ein heroischer Akt! Ihnen seien diese Weihnachten gewidmet, fürwahr. In Anteilnahme.

  3. Das Sein des Seienden

    Die christliche Philosophie des Augustinus Karl Wucherer-Huldenfeld

    Er wurde spät Priester. Ordensmann der Prämonstratenser im niederösterreichischen Waldviertel. Da war er schon Philosoph. Eine Dissertation über Romano Guardinis Dualitätsphilosophie. Ein prinzipientreuer Mann. Bereits als Jugendlicher Widerstandskämpfer gegen Hitler. Er hätte leicht unter dem Schafott enden können. Mit 27, nach, so wird gemunkelt, zwei gescheiterten Verlobungen, entscheidet er sich für den Weg des Padres. Das Theologie-Studium in Innsbruck schüttelt er aus dem Handgelenk. Wucherer-Huldenfeld hat nie über die Form des dortigen Abschlußes gesprochen, ich denke, aus dem klösterlichen Demutsgelübde heraus. Niemand, der ihm gegenübersaß, konnte mutmaßen, wer dieser Mann, der sich immer nur als Philosoph bezeichnete – nie als Priester – war. In einem Land notorischer Titelsucht, der selbst viele seiner Schüler nicht widerstehen konnten, war er wohl der Eckstein verkannter Demut. Einer der wenigen, die wußten, wer er war, war der selige Erzbischof zu Wien, Kardinal Franz König. Er bat ihn zu sich und legt ihm den Wunsch unumwunden auf den Tisch. „Herr Kollege, ich benötige Sie in einem Institut für Atheismusforschung, hier in Wien. Ich glaube, ich bin bei Ihnen goldrichtig.“ Und Wucherer Huldenfeld zeigte sich in der für ihn typischen Art geehrt, öffnete den Mund voll theatralischen Staunens und griff sich an die Brille. „Eminenz, es ist mir eine Ehre.“ König wußte als einer der wenigen, wer da vor ihm saß, denn er sah mit dem Herzen. Erst mit 45 bestieg Wucherer-Huldenfeld den Lehrstuhl für christliche Philophie und Mystik, Wien 1., Schottenring. Er hätte es schon mit 30 können, aber es sollte eben nicht so früh sein.

    Ein hochgewachsener Mann wie eine graue Maus. Graue Anzüge mit Krawatte. Niemals ein Kreuz am Revers. Ein grauer Staubmantel. Eine grau-schwarze Aktenmappe, ein grauer Hut. Unauffällige Brille, unauffälliger dünner Schnauzbart. Nur die Augen irrlichtern, immer in Bewegung, und einen stets halbgeöffneten Mund, völlig untypisch, wie ein Baby, voll des Staunens. Noch im Gehen, und das immerzu, ein Blick der Ekstase. Ein unkorrumpierbares Lächeln, ein schauspielerhaftes, das im nächsten Augenblick in Entsetzen umschlagen konnte. Eine Schauspielerstimme, die er zu jedem Argument entsprechend zu modulieren verstand. Ein Gottesmann, dem man das Priestertum nicht ansah, hätte man es nicht besser gewußt. Er war an einer Nobeladresse zuhause, der Karlskirche in Wien 1. Wenn er die Messe las – und ich sah ihn dort nur ein Mal (zu mehr hatte ich nie das Bedürfnis) – dann hielt er die Predigt aus dem Stand. Ein Konzept – erst gar ein schriftliches – kam nicht in Frage. Da waltete die Inspiration vor. Ein paar Handbewegungen, ein paar Klarstellungen, und fertig.

    Er war eine durch und durch professorale Erscheinung. Niemals sah ich Unmut in seinem Gesicht, Böses, Argwohn, Erzürntheit, Wut, Zweifel. Und schon gar nicht Blasiertheit oder falsches Pathos. Und auch nie Unsicherheit oder Zynik aus Unsicherheit, nie, aber Staunen im Übermaß, unverfälschtes Staunen, erst recht, wenn man ihn auf der Straße gehen sah. Durch und durch authentisch wie kaum einer, und das, obwohl er ein Titan war. Einer, der mit niemandem aneckte, und den niemand, aber auch wirklich niemand, auch nur anzublasen wagte. Nie fragte ihn jemand etwas.

    Während einer Fahrt in der überfüllten Bundesbahn – so einmal seine spontane Anekdote mitten in der Ontologie-Vorlesung – nahm ihn ein Betrunkener in die Zange. "De Bahm! De Bahm!" Ja, die Bäume.

    Wucherer-Huldenfeld arbeitete 24 Stunden am Tag. Ich rechne ohne Übermaß mit 6.000 gelesenen Büchern in 60 Jahren des Studiums. Gelesen und schriftlich exzerpiert. Ich glaube, er war Eidetiker. Wenn man seine Bücher mit 1.000 Querverweisen samt Seitenangaben liest, drängt sich der Gedanke auf.

    Im Frühjahr 2011 gab er einem seiner Schüler, Markus Riedenauer, ein Video-Interview, das auf You Tube eingesehen werden kann. Es zeigt ihn von der Krankheit gezeichnet. Aber rechts und hinten quillt das Papier tonnenweise aus den Stellagen.

    Das erste, was er mir zu kauen gab, war ein schriftliches Bekenntnis. „Die Universität des Wissens ist eine Bibliothek, die den Sturm der Zeit übersteht.“ Das sah ich damals und bis vor ein paar Jahren nicht so. Heute schon.

    Das nächste, was daherkam, war die 7-Laster-Lehre des ägyptischen Wüstenvaters Evstratios. Ich machte genau dort ein Monat Pause. Offensichtlich ging mir seine Hartnäckigkeit uneingestanden an die Nieren. Da schickte er mir aus heiterem Himmel einen Brief (über 12.000 Kilometer und zwei Monate Postweg), und ich kehrte eine Stunde später aus meiner Trägheit zurück.

    Den Coup den grâce schenkte er nicht nur mir mit einem lapidaren Kommentar ein. "Ich halte Ferdinand Ebner für den tiefsinnigsten der österreichischen Philosophen." Einen Volksschullehrer aus Zeit des 1.Weltkriegs. Einen, der eine auffällige, frappante Ähnlichkeit mit Wucherer aufwies, als wäre er dessen Vorinkarnation. Frappant! Und Wucherer war über Jahre hinweg Präsident der von ihm ins Leben gerufenen Ferdinand Ebner-Gesellschaft. Er hatte ein Faible für Ebner (ein nur allzu berechtigtes, und es gibt wohl keinen, der Ebner so aufmerksam und umfassed studiert und mystisch wie denkerisch meditiert hat; Zeugnis dafür ein philosophisch-theologischer Hammerschlag allererster Güte mit dem Titel: "Personales Sein und Wort. Einführung in den Grundgedanken Ferdinand Ebners". Ein Werk, und dafür sei nicht verhallender Dank ausgesprochen, das mir die Augen geöffnet hat) so wie für Innsbruck und den "Brenner", jene Avantgarde-Zeitschrift aus den frühen 20er-Jahren. Ferdinand Ebner, ein immerzu kränkelnder, verkannter Halbbohemien, der seinem Hauptwerk den Titel "Das Wort und die geistigen Realitäten" gab und in welchem sich ein Aphorismus folgender Anmutung findet: "Das aus einem Wehschrei hervorgegange "Urwort" mit dem Sinn "Ich bin und leide" war – und ist – in seinem ersten und letzten Grund ein Anruf Gottes". Ja, Ferdinand Ebner, der tiefsinnigste österreichische Philosoph, der im Jahre 1921 zwei Suizidversuche – aus welchem Grund auch immer – unternommen hatte und der mit 49 Jahren sterben sollte, und Augustinus Karl Wucherer-Huldenfeld, ein wahrer Christ und Gottesmann: Eine magisch mystische Achse, die über das Verlöschen der beiden hinaus bestehen bleiben und eines Tages wiedergeboren wird.

    Von Joseph Ratzinger sagt man, er wäre ein Augustinus-Spezialist gewesen. Aber Wucherer-Huldenfeld zögerte nicht, direkt den Namen dieses nordafrikanischen Kirchenvaters anzunehmen. Wohl im Andenken an die eigene Umtriebigkeit. Aber zu sagen, er wäre damit ein Augustinus-Spezialist geworden, wäre eine zum Schmunzeln verführende Untertreibung, denn dieser Ordensmann war überall zuhause. Überall. Sogar in der Pränatalmedizin. Eine unvergeßliche Vorlesung über pränatale Psychologie mit allem nötigen Film- und Fotomaterial. Natürlich: Das ungeborene Leben ist heilig. (Er sagte es nicht). Bitte betrachten Sie die Bilder!

    Wucherer-Huldenfeld war ein Mystiker des vordersten Ranges, ein Leviathan, doch keiner sah es ihm an. Er hatte mehrere Masken. Nicht besonders dramatische, aber höchst wirkungsvolle. Seine bevorzugteste war das Staunen. Mitten im Vortrag konnte er Augen und Mund aufreißen, wirklich theatralisch, sodaß man automatisch innerlich schmunzeln mußte, und dann watete er in die Untiefen der aristotelischen Metaphysik und schaffte es in christlichem Mitleid gerade noch, uns vor einer Fortsetzung der Vorlesung in Altgriechisch zu verschonen. „Das Sein des Seienden“, das war einer von 100 Basis-Kernsätzen. Nuklearmatertial sozusagen. Der Gabecharakter des Seins. Die Bodenlosigkeit des Seins. Immer mit Heidegger gepaart. Der Grunddenker Heidegger mit seinen 66 Bänden, voll verdaut und inhäriert, um dann an beliebiger Stelle zitiert zu werden. Alles aus dem Stehgreif. Aus dem Stehgreif in die Bodenlosigkeit springen, das war sein Wagemut, theatralisch maskiert. Er war überall zuhause, sogar im Zen. Er übte Zazen, täglich, bei einem Freund, einem Pfarrer im 16. Wiener Gemeindebezirk. Wann er seine Bücher untertags oder in der Nacht geschrieben hat, könnte ich beim besten Willen nicht sagen. Es ist mir unbegreiflich. Vielleicht hat er mit Diktaphon gearbeitet und im Herumeilen auf Wiens Straßen seine Bücher diktiert. Aber dagegen steht der schwer verdauliche Schreibstil, der dem Leser ungeteilte Aufmerksamkeit abverlangt. Oder vielleicht hatte der Tag für ihn 48 Stunden. Wer weiß?

    Er schrieb nicht für die Allgemeinheit. Das kann man wohl nicht behaupten. Ich glaube, er schrieb zur Rettung der Menschheit. Ein Philosoph für ernsthafte Studierende und Denker vom Fach. Und für Sucher, Kranke und Freaks, solche, die sich nach ihrer Taxi-Nachtschicht im Rotlichtmilieu mit einer Flasche Cola in seine Freitagmorgenvorlesung setzten und ihm zuprosteten (Er prostete zurück). Wahrscheinlich – zudem – neben Leupold-Löwenthal der profundeste Freud-Kenner in Wien. Wie gesagt, er war überall zuhause. Die 23 Bände der Londoner Studienausgabe: Aus dem Gedächtnis zitiert.

    Ich sah ihn zum letzten Mal vor meiner Wohnung. Da war zur Abwechslung ich es, der seinen Augen nicht traute. Er war wie immer in Eile. Aber die Augen gingen mir schlußendlich auf, als er mir in Ayahuasca gegenübertrat. Er äußerte einen Satz äußerster Demut: „Es freut mich, wenn nicht alles vergebens war.“ Das trieb mir die Tränen in die Augen.

    Er verabschiedete sich mit dem Schlußsatz seines letzten Buches „Philosophische Theologie im Umbruch“, dem Fragment 119 von Heraklit: „Das Offene des Aufenthaltes des Menschen läßt das erscheinen, was auf das Wesen des Menschen zukommt und also ankommend in seiner Nähe sich aufhält. Der Aufenthalt des Menschen enthält und bewahrt die Ankunft dessen, dem der Mensch in seinem Wesen gehört. Das ist nach dem Wort des Heraklit der Gott. Der Mensch wohnt, insofern er Mensch ist, in der Nähe des Gottes.“

    Der Mensch gehört in seinem Wesen Gott. Das ist christliche Mystik. Der Schlußsatz eines Titanen. Eines, der mir schrieb: „ER holt mich zu sich zurück.“ Ein Angstbefreiter somit. Doch wohl!

    Gesegnet seien Sie alle Zeit, Augustinus Karl Wucherer-Huldenfeld. Ihr Werk wird nicht vergehen. WAHRLICH nicht.

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