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Amazonisches Tagebuch 2023

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(@w-himmelbauer)
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Bei Sinnen sein?

Der Tag schreitet voran. Zeitweise fährt er, zeitweise rast er. Und bei Nacht? Mäandert er in fremden Gefilden. Bin ich mir selber fremd? Jawohl! Doch sei's drum. Für einen Buddhisten (sie melden sich verstärkt zu Wort, ich verstehe sie von Abend zu Abend besser, wenn ich mich in meine Hütte in Otorongo zurückziehe und den Herrn aus Amdo studiere; hier ist das Wort "studieren" ohne Abschweife am besten angebracht) ist das Sich selbst fremd Sein keinerlei Stein des Anstoßes. Sie nennen es die Ich-Anhaftung, die Wurzel allen Übels. Das ist ja das Spannende an diesem Abenteuer: durch ein geheimnisvolles, bisweilen erschreckendes Leben zu kreuzen, eines Tages ohne Furcht, hartnäckig errungen. Keine Angst mehr um das eigene Leben, keine Angst mehr vor der Zerstörung des Ichs. Und auch nicht in seinen stolzen 90ern, lebensverdrossen und lebensmüde, wie es Tolstoi von sich bekannte. (Respektvolles Lob und Ehrerbietung ob seiner Freimütigkeit) Wenn ich heute freimütig bin, stürzen sich sofort die Barracudas von allen Seiten auf mich, so wie anno dazumal, als einmal ein Herr bei Agustin in Ayahuasca in eine Krise schlitterte und im Freien sich hinlegen wollte. Sofort war er von 4 (vier!) Harpyen umringt, die ihn mit Ratschlägen malträtierten. Zu allem und jedem bilden die Leute sich ein, Kommentare und Ratschläge abgeben zu müssen. Sie liegen auf der Lauer, wenn einer einmal kollabiert. Das ist ein Gebot der Nächstenliebe, sagen sie, oder auch nicht. Bei den Indios darfst du in Ruhe krepieren, doch das will keiner mitansehen. "Tu doch was!", schreien sie dich an, oder "Tu das nicht! Spuck nicht so laut! Speib nicht so laut! Mach nicht soviel Skandal!" Und dann wundern sie sich, daß die Leute mehr und mehr ins Asyl sich zurückziehen. Doch Asyl ist nicht automatisch Rettung. Asyl ist erst dann Asyl, wenn es gesichert ist, eine souveräne, untangierbare Zone. Das ist Otorongo. Der Ort darf mit jeder Ankunft eines schizophrenen Patienten (um dieses Wort einmal ungestraft zu strapazieren) seine souveräne Lage und erst recht seine verläßliche Geistigkeit beweisen, inmitten des allgemeinen Chaos und nächtelanger Stürme innen wie außen. Der zerrissene Kranke, wie er leidet, verzagt am eigenen Ich, doch mehr noch an der Sozietät, die eine Befragung des eigenen Ichs aus Ratlosigkeit mit allen Mitteln unterbindet. Sie untersagt Stille und Bedürfnislosigkeit. Sie fördert Surrogate mit aller Kraft. Sinnlose Surrogate sonder Zahl. In keiner Instanz werden die entscheidenden Fragen gestellt, zumindest nicht laut und öffentlich. Die Kornkreise in England, die seit 30 Jahren jeden Sommer erscheinen, nicht. UFO-Sichtungen nicht. Nicht der Gedanke, was, wenn wir nicht die Einzigen sind in diesem Kosmos? Diese Frage unterbindet auch die katholische Kirche mit Macht. "Was, wenn wir nicht die Einzigen sind? Was, wenn wir nur eine inferiore Spezies sind, unendlich inferior? Zivilisationen, die uns um Milliarden Jahre voraus sind? Milliarden von Jahre. Für diese Wesen, so Stephen Hawkins, können wir doch nur Bakterien sein. Die entscheidenden Fragen werden allesamt unterbunden. Die einzigen, die diese Fragen zulassen, sind die Toten. Unsere Toten. Denn unsere Toten sind uns ein paar Schritte voraus, entscheidende Schritte. Die Toten wissen bereits alles, und dergestalt sind sie die besten Lehrmeister. Die faschistische Lüge ist doch evident: Kaum bist du gestorben, wirst du aus dem Gedächtnis gelöscht. Du hast nichts mehr zu sagen, und das ist gut so, sagen die Totenverachter. Endlich ist er/sie weg. Deshalb der Massenmord, denn alle Faschisten anpeilen. Tote, leblose Leichen haben nichts mehr zu sagen, ein Problem weniger somit. Und manche Lebende sind damit einverstanden und sagen, ich als Tote(r) brauche unter der Erde auch keine Leichenstierler, ich will meine Ruhe, endgültig, und das bekomme ich nur garantiert, wenn ich verbrannt und meine Asche (meine??) im Meer oder im Fluß zerstreut wird. Ich weiß, wie die Leute sind. Särge sind ihnen nicht heilig, Sarkophage noch weniger. Sie meinen überall herumstirrlen zu müssen, überall. In meinem Privatleben, in meinem Seelenleben, in meinem Körper, ob lebendig oder tot. Die Toten sind ihnen nicht heilig. Sicher nicht. Und sie selbst meinen, sie könnten sich das alles ungestraft leisten, da sie doch den Triumph des Überlebens auskosten wollen. Sie, die Unsterblichen. Sie wollen sich mit mir nicht versöhnen. Sie wünschen mir ein möglichst langes Fegefeuer an den Hals, oder noch schlimmer. "Fahr zur Hölle!", schreien sie mich an, wie sie den Abzug betätigen oder den Hebel zur Falltür betätigen. Die Toten zählen nichts mehr, erst recht nicht jene, die das ursprüngliche, nicht faschistische Leben bewahren wollten, so wie die First People auf allen Kontinenten.

Doch die Toten sind meine Lehrmeister. Erst durch sie verstehe ich. Beginne ich zu verstehen. Klar, ich stehe erst am Beginn, und ich werde immer am Beginn stehen. Das Wissen ist unendlich. Das Wissen ist das Mysteriöseste, was es auf Erden gibt. Ich schreibe es in der Steigerungsform, weil es mich, einen Menschen, betrifft. Das Bewußtsein ist mir angelegt. Doch was ich mit ihm mache, nicht. Wie ich es einsetze, nicht. Bewußtsein ist die Hartwährung des Universums, wie Castaneda es nannte, doch Lernen ist kostbarstes Mittel und Wissen kostbarstes Gut, wie Mühle und Mehl. Aus dem Weizenkorn wird Mehl und aus Mehl mit Wasser, Ei und Hefe kostbares Brot, Symbol des Lebens. Wissen ist Brot, Lebensmittel für weiteres Arbeiten. Das Wissen hält niemals an. Es reflektiert sich nicht selbst. Das ist der große Irrtum: die Wissensreflexion. Das Phrasendreschen vom Katheder herab, so wie altertümlich in den Kirchen. Es ist zum Speiben! Es gibt viel zu lernen, no na! Wer es ernst meint mit dem Lernen, lernt sofort, da draußen wabbert Unendlichkeit. Unendlichkeit, die ich niemals erfassen werde. Jene, die vorgeben, Wissen sei nur eine Frage der Zeit ("Es ist nur eine Frage der Zeit und der eingesetzten Forschungsressourcen, bis wir diese Frage geklärt haben..."), diesen Leuten gefällt es, Gott zu spielen. Sie verdinglichen im Handumdrehen das geringste Erkenntnisdetail. So handeln die Faschisten. Sie handeln entsprechen ihrer Doktrin. Die Doktrin (die "Endlösung") ermächtigt sie zu jedem Verbrechen. Der Ungeheuerlichkeit ist keine Grenze gesetzt. Pater Pio äußerte einmal eine Ungeheuerlichkeit anderer Natur, und niemand, wirklich niemand, wollte sich zu dieser Ungeheuerlichkeit äußern: "Es gibt mehr Dämonen auf dieser Welt als es jemals Menschen gegeben hat..." Dieser Spruch ist in mehrerer Hinsicht zentral. Er redet von Dämonen (so wie auch Dostojewski von Dämonen schrieb), und er redet von ihrer Sonderzahl. Damit ist das Problem benannt. Das Problem des Menschen. Und eine Reihe von Fragen steht ebenso augenblicklich an. Eine ganze Reihe von Fragen. ("Wer sind sie? Woher kommen sie? Was ist ihre Absicht? Absicht in jeder Hinsicht") Diese Frage aus San Giovanni Rotondo finde ich gespiegelt in Lhasa und in Dharamsala: "Was ist Samsara? Was ist die Absicht der Hölle?" Und ich finde diese Frage abgebildet, ausgekeimt, in Paris, aus dem Mund eines pfeifenrauchenden Zyklopen, eines Existentialisten. "Die Hölle, das sind die Anderen." Jean Paul Sartre, ein interessanter Zeitgenosse zur damaligen Zeit (auch für Ché Guevara), mußte eine Perspektive, Erfahrungen(!) "gewonnen" haben, die ihn dazu bewegten, so zu reden. Der Herr aus Nazareth redete nicht so, obwohl sie ihn am Ende auspeitschten, wie man es sich nicht vorstellen kann und soll. Manche Heilige erzählen von jenem Ort, Inferno, doch von einem Ort kann man doch beim besten Willen nicht sprechen. Das ist zu trivial. Wir sollen und müssen vom Leiden hier und jetzt sprechen. Nur das zählt. Nur das. Was tun wir, wenn wir klug sein wollen? Was tun, wenn wir klug sind? Was haben wir gelernt? Das, sagt Don Juan Matus, ist die intimste Frage. Sie ist nur ein kleiner Markstein auf der Straße, die in die Unendlichkeit führt.

Flickr - Government Press Office (GPO) - Jean Paul Sartre and Simone De Beauvoir welcomed by Avraham Shlonsky and Leah Goldberg (cropped).jpg

 

 

 
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Der Blitz des Verstehens

Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Sollte es denn überhaupt, irgendwann, gesprochen werden? Das letzte Wort, wie sollte es an Dramatik, wie sollte es jemals an himmelschreiender Dramatik überboten werden? Das letzte Wort gebührt wohl ohne jeden Zweifel einem von höchster Stelle Gesandten, einem Messias, dem es um Weltenrettung geht. Das letzte Wort ist eingewoben in Weltgeschichte oder, noch höher gegriffen, in Weltengeschichte. In kosmische Ungeheuerlichkeit.
Kosmische Ungeheuerlichkeit, auf irdische Verhältnisse heruntergebrochen, kann nur in Unerklärlichkeit, Absurdität und in einen letzten Aufschrei einmünden, so wie der letzte Aufschrei – selten dieser selbst nur allzu oft; zumeist ist es ein Verröcheln, ein stummes, nunmehr sprachunfähiges Resignieren – eines sich in die letzte Schlacht stürzenden Edelmannes, der meint, er kämpfe im Morgenland für eine gerechte Sache, wie zum Beispiel die Befreiung der Heiligen Stadt (Jerusalem). Dieser letzte Aufschrei, wie er ungezählte Male zu hören war und immer sein wird, ein Aufschrei, der das Weltengewand, das immerzu leidende, blutende, mit dem Wort des Menschen durchtränkt und einfärbt. Das Wort wird Fleisch und das Wort wird ebenso Asche. Der Logos wirkt unzweideutig in beide Richtungen. Das Wort hat noch Bestand im Verdämmern, im Einschlafen, im Weinen und Betteln. Der sprachunfähige Bettler, dem die Kraft zum Wort nunmehr fehlt, er hebt die Hand, eine bittende Geste, und dort, wo selbst zum Handerheben die Kraft fehlt, wie bei den verhungernden Kindern im Wüstensand Somalias oder Äthiopiens, dort bleiben nur große, weit geöffnete Augen, vom Tod gezeichnet der ausgemergelte kleine Körper. Diese Kinder haben sich in natürlicher Entscheidung todesgeweiht zurückgezogen und warten, was weiter geschieht. Das Aufziehen der Agonie, die sie hinwegtragen wird. Das ist der Prozeß des Sterbens, wie er die Welt beherrscht. Die Agonie des Sterbens, wie überall. Nicht das Walten des Plötzlichen. Das Plötzliche ist die Ausnahme. Die Gewehrkugel, die unter meinen Füßen explodierende Mine, das Zersplittern einer Granate mit einer Geschwindigkeit, die das Auge nie und nimmer fassen kann. Und das Einschlafen, das ewige Einschlafen im Schlaf ist ein Segen, ein Geschenk des Himmels für Auserwählte, so wie für den unvergessenen Fred Leuchtenmüller, der gegenüber der Langenharter Kirche seine Ford-Werkstätte samt Tankstelle all die langen Jahre (Jahrzehnte!) betrieb. Ich höre ihn noch, wie wir im Bus durch Quebec fahren, 1996, und ich höre ihn wenige Tage vor seinem Tod auf der Post, wie er im Pyjama eine Besorgung erledigt und beim Hinausgehen über die automatische Tür erschrickt. "Hö, was ist das?" Ein Ausspruch für die Ewigkeit. Dank seiner, dank dem Fred, der bei uns im Haus zu tarockieren pflegte, habe ich verstanden, in welchen Sphären der auf den Tod Wartende schwebt, ein Wartender, dem die über alles geliebte Gattin - die bildhübsche; auch sie war mit in Quebec - bereits vorausgegangen ist. Da habe ich verstanden. Ich wußte im selben Moment, das ist das letzte Mal, daß ich ihn sehe, und sein Abschied, in dem er sowieso niemanden mehr erkennen und zum letzten Mal grüßen will, nahm epische Ausmaße an, und wie immer bei epischen Ausmaßen verstand absolut niemand von den wartenden Postkunden, was hier direkt vor ihren Augen geschah. Der Abgang eines honorigen Bürgers und demütigen Spenders der Caritas, dem man diese Herzenstiefe niemals angesehen hätte, denn seine Jovialität und volle Baßstimme übertünchte alles, doch seine Augen blieben immer klar und freundlich. In diesem Moment vollzog sich Gewaltiges, und das Unfaßliche ist ja, daß sich dieses Unfaßbare in jeder Sekunde vollzieht, das Aufscheinen und das Verlöschen. Es ist unfaßbar und droht den Sehenden zu verschlingen. Hier wird nicht va banque gespielt. Hier wird überhaupt nicht gespielt. Hier spielt niemand und nichts. Hier vollzieht sich etwas, und es vollzieht sich seit Äonen. Und es wird sich vollziehen und es wird sich am Ende aller Zeiten vollzogen haben, wenn es überhaupt jemanden geben sollte, der so sprechen darf. Der Blitz schlägt. Er erschlägt. Er rafft hinweg. Es geschieht, und es geschieht nicht als ein Mordakt wie aus der Hand jener Verbrecher, die sich damals am stolzen Volk der Japaner zu rächen verpflichtet sahen. In dem Moment, als der eine und wahre Blitz herabfuhr, vor undenklichen Zeiten, wurde im Meer Leben geschaffen. Der Moment der ersten reproduktiven Zelle. Und mit ihr war das Licht eingepflanzt in diesem Planeten. Doch selbst dieses Pathos mag überzogen sein. Bereits damals existierte der Mond, dieser unübertroffen magische Begleiter unserer Heimat. Der kosmische Trrabant, der uns immerzu sein Gesicht zuwendet. Der treue Begleiter, der treue Freund. Einer der rätselhaftesten Aussprüche Castanedas, den ich lange, lange nicht verstanden habe, war jener, das Universum würde sich durch das bewußte Leben seiner selbst bewußt. Ich interpretierte dies als klassische Gotteslästerung. Heute, heute, sehe ich es tiefer. Heute habe ich nichts mehr zu verteidigen, oder wenn, dann wenig. Zu schützen, ja, doch nicht zu verteidigen. Ich habe meine Ölplattform in der Nordsee abgebaut, oder sagen wir besser, verlassen. Sie steht noch immer einsam dort, wo sie immer stand, eine gigantische Maschine, von der ich schon gar nicht mehr weiß, wie ich sie in den 500 Jahren gebastelt habe. Wie und mit wem. Und die Tiere werden sie vereinnahmen und verwandeln. Heute bin ich ephemer und bekenne mich dazu. Dunst, den der Wind verweht. Und keiner wird sich meiner erinnern, so wie sich keiner, absolut niemand, an jene Wolken erinnert, die er Tag für Tag sieht, diese Dunstschleier des Himmels. Und von drüben, vom gesegneten (und auf Ewigkeit gesegneten), schneebedeckten Hochplateau, blasen sie mit ihren Langhörnern herüber zu uns, Nachklang und Vorspiel der einen und wahren Erscheinung, wie sie sich am Himmel gezeigt hat und wieder zeigen wird, an jenem einen Tag, den ich erwarte.
 
 
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Rettung. Auslöschung.

Das Dichte im Sein, wie ich es zumindest zeitweise empfinde, ist seine Undurchdringlichkeit. Die Philosophen, so auch mein hochverehrter Lehrmeister Wucherer-Huldenfeld, nennen diese wahrgenommene Undurchdringlichkeit “Kontingenz”. Das Leben ist undurchdringlich. Es dominiert uns. Wir sind ihm ausgeliefert. Das Herz schlägt von allein. Gegen das Altern ist kein Kraut gewachsen. Der Schmerz existiert. Der Schmerz ist die ultimative Wahrheit, sagt George Orwell in “1984”. Das Leben ist ein Fluß. Wir treiben in ihm. Keiner sitzt am Ufer und wackelt mit den Zehen. Die Kinder schmeißen leergetrunkene Plastikflaschen in den Fluß. Das ist ihre Form der Selbstvergewisserung von klein auf. Sie wissen bereits im zartesten Alter, wie sie mit ihren Faxen und ihren Drohgebärden die sie beobachtenden Gringos zur Verzweiflung treiben können. Eine leere Coca Cola-Flasche, sorgsam verschraubt, darf über Bord auf dem Fluß des Lebens dahintanzen. Aus den Augen, aus dem Sinn. Der Genuß eigenmächtiger Handlung. Das ist der Sinn des Lebens. Das Leben als Müllproduktion. Das ist die Farce des Menschseins und gleichzeitig der Triumph des Vampirs. Das Paradies wird vermüllt, so wie auf den Salomon Inseln. Müll. Überall. Hier läuft etwas grundsätzlich falsch. Dies ist der programmierte globale Tod. Es ist der neue globale Faschismus im Tarnkleid des Konsumismus, sagte der unvergessene Pier Paolo Pasolini, ein waschechter, ehrlicher Kommunist, so wie sein Freund Alfred Hrdlicka. Was hier falsch läuft, sagte der Wiener Bildhauer seinerseits, hat ein Gesicht und einen Namen: Es ist die Mördernatur des Menschen, sein Sadismus, also das Böse schlechthin. Hrdlicka ist in Mauthausen und am Albertinaplatz in Wien 1. verewigt. (Dieses Wort kann ich in diesem Zusammenhang ruhigen Gewissens gebrauchen). Verewigt. Und um die Schwester Restituta-Büste im Stephansdom nicht zu vergessen! Schwester Restituta, meine Vorzeige-Heroine, enthauptet von den deutschen Mörderbuben im Wiener Landesgericht, direkt hinter der Universität.
 
Das Dichte, das ist der Krieg. Der Krieg ist total. Der Kriegsschauplatz ist überall. Krieg ist eine Frage der Waffen. Es gibt vielfältige Waffen, Blick und Wort zählen dazu. Auch in den Phantasien tobt Krieg. Krieg erfaßt jeden Menschen. Deshalb sagt ja Herr Gyatso, wer Wut und Haß in sich überwunden hat, ist der wahre Held. Und Don Juan Matus sudert seinem Schüler Castaneda die Ohren voll mit seinem Herumreiten auf der Forderung des Krieger-Seins. Das klingt vielleicht sogar ein bißchen japanisch. Stichwort “Samurai”. Ich kann mit Sicherheit sagen, daß ich mit den Japanern sympathisiere. Ein wohlgeordneter Staat mit Identität und sozialem Zusammenhalt. Das Meiste, was aus Japan kommt, hat Qualität: die Autos, Seiko, Sushi, der Shinkansen auf seiner schnurgeraden unterirdischen Magnettrasse mit über 500 km/h. Die Japaner kennen den Begriff von Kodawari. Er bezeichnet die Philosophie, Dinge über ein Maß hinaus zu perfektionieren, das bei uns längst als vollkommen gilt. Praktiziert man dies, erschließt sich dahinter eine neue, vorher verborgene, Welt. Also: Packen wir’s an. Es gibt immer was zu tun, höre ich bei Hornbach (oder Obi). Was gibt es vorrangig zu tun? Klar doch, Projekt “Lebensrettung”. Oder liege ich da falsch? “Wer sein Leben gibt, wird es gewinnen, wer sein Leben gewinnt, wird es verlieren”, höre ich postwendend aus Palästina und halte inne. Da muß also was dran sein. Sollte ich demnach mein Projekt umtitulieren? Gut. Halten wir mal inne. Was will ich denn eigentlich? (Frage zum wiederholten Mal). Vielleicht sollte ich diese Frage gewissen Autoritäten stellen, die mich besser kennen als ich mich selbst. Mutter Ayahuasca, beispielsweise. Ihr falle ich nicht lästig. Ganz und gar nicht. In ihr merke ich doch auf unübertreffliche Weise, wie die Musik spielt. Ayahuasca ist ein Ritus, somit Transzendenz, und Transzendenz ist heilig. Wer Ayahuasca trinkt, sucht wissend oder unwissend das Heilige, somit das Heil. Der Heil Suchende sucht den Heiland. Der steht immer an der Tür, dieser gewissen Tür, wo dahinter scheinbar das Nichts auf uns wartet. Doch der Heiland genügt. Das Dahinter geht mich hier und jetzt nichts an. Was mich angeht, das hat er ja deutlich formuliert. Die beiden obersten Gebote. Und daran darf sich mein Wollen ausrichten. Jawohl, Herr Schneider. Da möchte ich doch wohl kurz mal einen Punkt machen: Was tun, wenn das Grauen im Morgengrauen, in der Stunde des Wolfs, in der Stunde der Hinrichtungen, auf mich überzugreifen droht, sodas mir Angst und bange wird? Da hilft nur Beten. Wie diese gewissen Leute in Uniform doch dieses Wort immer auszusprechen pflegten, o meine Güte: in Hochsprache, verlangsamt, deutlich, doktrinär. Die Kampfansage an das Böse im Zuhörer. Ich war nur allzu oft und lang genug der Überzeugung, die da, die vom “Beten” reden, wissen überhaupt nichts. Sie wollen nur manipulieren und schlechtes Gewissen einreden. Heute, da ich langsam immun werde gegenüber diesen giftbeladenen Einflüsterungen, übernehme ich die Verantwortung bei meiner eigenen Stanley Livingstone-Dschungelexpedition in Schwarzafrika. Niemand hat mir mehr etwas zu sagen, gleichwohl höre und merke ich zeitweilig und immer öfter auf. Was reden die Leute da wirklich? Warum höre ich gerade das, was ich da höre? Warum denke ich gerade das, was ich denke? Woher kommt meine Angst? Was ist das eigentlich? Warum, sagt der Buddhist, sucht er Zuflucht bei Buddha, seiner Lehre und in seiner Gemeinschaft der Praktizierenden? Das exakt nämlich war die Antwort des Herrn in Gelb auf die Frage des Herrn in Weiß, 1986 in Assisi, “Was, Eure Heiligkeit, ist die Soteriologie Ihrer Praxis?” Schallmeier, der Pole. Wirft, er kann es sich nicht verkneifen, mit griechischen Fremdwörtern um sich. "Was ist der Heilsaspekt Ihrer Praxis, Eure Heiligkeit?" Ich sehe die Szene oft in Ayahuasca, auch, weil der Pole ja seit 18 Jahren auf der Weltenbühne fehlt und Tote mein Hauptthema abgeben. Der Mann aus Dharamsala wirft sich also kurz in Position und hebt in seiner Mutterspache (1a-Fachdolmetsch war vorhanden) an, siehe oben. Ergänzung: "… das, so scheint mir, ist doch in Ihrer Praxis nicht anders, Eure Heiligkeit, oder?" Der Pole fühlt sich ertappt und herausgefordert. Der Mann in Gelb sieht es sofort. Er hat es geradezu erwartet. Der Einwurf ist klar. Deshalb ergänzt er höflich gegenüber dem höflich denkenden und also schweigenden JP II. “Der einzige Unterschied, wie Sie wissen, Eure Heiligkeit, ist jene der Herkunft des Heilsbringers. Gauthama Siddharta, der Erwachte, war ein Mensch aus noblem Geschlecht, Jesus von Nazareth hingegen, wie Sie bekennen, war Mensch gewordener Gott.” “Doch wie, Eure Heiligkeit, kann endgültiges Verlöschen für Sie Trost und Heil bringend sein? Wie kann der Begriff des Nirwana menschliche Angst besänftigen?” Und hier richtete sich der Herr in Gelb samt seinen billigen Trademark-Brillen nochmals auf, vollführte eine Geste mitfühlenden Verständnisses und sprach höflich: “Dies, ehrwürdiger Heiliger Vater, ist eine Sache der Mentalität. Vergessen wir nicht, Buddha lebte 600 Jahre vor Christus, und seine Lehre entstand in Indien, einem Land mit Jahrtausende alter Kultur. Diesem Land wohnt ein anderes Verständnis von Vergänglichkeit und Kontinuität inne…” Ende des Zitats. Ich weiß nicht, ob damals Tee serviert wurde. Ich jedenfalls hätte um eine kräftige Tasse gebeten, mit Milch.
 
Thomas Bernhard, dessen letztes Werk just den Titel “Auslöschung ” tragen sollte (Bernhard hatte seine Gründe), starb nur knappe eineinhalb Jahre später, nach jenem epochalen Dialog.
 
Pier Paolo Pasolini.jpg
 
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