Bewußtseinsveränderung
Im Fortgang des Lernens unter Einnahme von Pflanzen kommt es subcutan, unter der Oberfläche, unserem Willen, unserer Sturheit entzogen, langsam, doch beinahe unaufhaltsam zu sich häufenden Momenten des Kontrollentzugs. Am deutlichsten und unwiderlegbar zeigt sich dieser unser Kontrollverlust nächtens, wenn uns Albträume heimsuchen. Albträume gehören zur Methode der mäuschenkleinen Selbstüberschreitung, denn keiner von uns will sich in Wahrheit selbst überschreiten. Wir sind Gewohnheitstiere des schrecklichsten Ausmasses. Die Albdrücke inmitten des spirituellen, uns läutern sollenden Sturmes sind komplex, mehrschichtig und verwoben verschlungen. Das will "Komplexität" bedeuten. Sie sind mehrschichtig und rühren in ihrer Verschlungenheit an elementare Ängste. Die Ahnung dieser Tatsache, also das Anrühren tiefer Ängste in uns, bringt uns erst - oft zum ersten Mal - eine Ahnung der Bedeutungstiefe des Begriffes "Angst" (unser alllerpersönlichsten Angst) nahe. Einer Angst, die wir entwickelt haben. Einer Angst, die uns gilt, auf Leben und Tod. Daß dieses ganze miese Theater, in welchem es von Obszönitäten, Niedertracht und Bösartigkeit - Boshaftigkeit - nur so wimmelt, uns ganz persönlich gilt und wir in diesem Ein-Personen-Stück alles abgeben (wir allein in einem menschenleeren Theater): Drehbuchautor, Regisseur, Kostüm- und Maskenbildner, Schauspieler und Publikum, dieser Umstand, der irgendwann in einem mehr oder weniger langen Leben eines Tages sich soweit an die essentiellen Nervenstränge vorgenagt hat, daß wir unvorhergesehen in einem unbedarften Moment, wo wir den Teelöffel, mit dem wir gerade noch den Honig in unserem Tee umgerührt haben, in der Hand halten, doch er unkaschierbar zu zittern beginnt (sosehr auffällig, daß sich ein uns freundlich gesinnter Theaterkritiker aufgefordert fühlt, zu seinem Ehegespons hinüberzuflüstern: "Schau doch, wie es ihn herbeutelt. Sosehr steht er unter Spannung! Was mag es nur sein?"), wir somit in vielerlei Hinsicht gezwungen werden, uns hinter vorgehaltener Hand selbst zu fragen, was zum Teufel da in unserem Einpersonenstück falsch läuft, und ein paar Kilometer später, wo wir bereits vom Schauplatz der unfreiwilligen Minimalselbstentäußerung bereits geflüchtet sind ("Flucht ist immer gut", sagen wir uns), kommt eine verdammte Ahnung hoch, die sich genauso wenig abweisen läßt wie eine Zecke, die sich seit unserem Abstecher in die Hollunderstaudenbüsche bereits in unserer Schamgegend festgebissen hat: "Hysterie ist halt selbst für den ambitioniertesten Schauspieler nicht das allein selig machende Allheilmittel. Mit deiner Hysterie wirst du dir eines Tages, wenn es kompliziert wird, nur selbst im Wege stehen. Besser, du legst sie jetzt, wo dich keiner sieht, einfach ab. Du siehst doch, sie wird wertlos. Sie gibt dir keinen Halt mehr. Schlimmer: Sie verwirrt dich schlußendlich nur selbst. Nicht nur deine Leute bleiben vorsätzlich verwirrt zurück, nein, du selbst bleibst auch auf der Strecke. Ein selbstentfremdeter Tor, der ein falsches Leben führt. Du hast dir zwar mittlerweile - alt genug bist du geworden, lang genug hat es gebraucht - bereits all die heimlichen Sehnsüchte nach Weihnachtskörben voller Muschis und Schwänze abgeschminkt, doch in deiner Aufgabe, die Leute in ihrer Essenz wahrzunehmen, hat dich dein Großmannstum, das wie ein Restecho nachhollert, keinen Millimeter weitergebracht. Im Gegenteil: in deiner Ratlosigkeit neigst du vermehrt zu Gewaltakten. Siehe Tiere. Leugne es nicht!"
Die Autorität, die da so leise in uns wispert, läßt sich nicht abweisen. Sie meint es nur gut mit uns. Doch selbst das wollen wir nicht beim Namen nennen. Vor lauter Groll. Demgemäß humpeln und kriechen und stolpern wir herum, und können von Glück sagen, wenn wir heute abend wieder einmal ins Bett rutschen. Denn im Bett legen sich zum Glück die Dinge ohne unser Zutun. Soviel wissen wir bereits. Ja, wir erkennen sogar, wie es uns gut tut und der Entspannung förderlich ist, wenn wir gar nichts mehr denken müssen. "Ist ja sowieso alles nur Quatsch. Wer soll sich da bei mir noch auskennen? Ich bin ein hoffnungsloser Fall, und dennoch brauchen mich immer noch soviele Leute. Wie soll das weitergehen? Irgendwann bringe ich die Kraft zu dieser Schauspielerei nicht mehr auf." Und so schlafen wir erschöpft ein. Nur nicht ans Sterben als Verblödete(r) denken! Und dann, in der drittletzten und in der vorletzten Stunde der Nacht, gehen wir ohne jede Vorwarnung, wie zu Pompeij, scheinbar in einem schwindelerrregenden Dampfbad der griechischen Unterwelt verloren. Granitene Unterböden, unerschütterlich geglaubte Plattformen identitärer Agitation, beginnen wie Eisblöcke in Magma loszutreiben und schmelzen in Windeseile unter unseren Füßen. Wir gehen unter, verbrennen, werden aufgelöst. Nichts bleibt in diesem Magmastrudel von uns übrig. Nicht einmal unser fremdes Medusen-Selbst. Nicht das Biest und auch nicht der Teufel. Alles hat sich ausgejammert, alles ausgespielt. Der traurige, absurde, folgenlose Tod eines Narren, der letztendlich niemandem etwas bedeutet hat. Selbst der mörderische Narr, der Joker, kann nur mehr irre kichern, wie er in die Tiefe gezogen wird und demgemäß haltlos fällt. Hinunter in die kalten Schluchten von Gotham City. Nichts entgeht der Schwerkraft, auch nicht der Irrsinn.
Der Albtraum, von dem wir im Zentrum der Macht, das wir unser eigen nennen ("The White House"), heimgesucht werden, induziert in uns eine Krise, die sich letztendlich als lebensnotwendig erweist. Der Diätant in seiner Verdutztheit fühlt sich belämmert, blamiert, desavouiert, mißverstanden und hintergangen. Er sagt sich: "Das habe ich nicht verdient. Das Traummännlein hat sich in der Adresse geirrt. Falsch adressierter Brief. Ich heiße nicht Mister Hyde. Ich bin Dr.Jekyll." Ein Zweiter ruft empört: "Ich heiße nicht Himmler, sondern Himmelblau!" Eine Dritte: "Und ich nicht Freissler, sondern Freisner! Wann wird sich die dumme Post das merken?" Und trotzdem öffenen wir den Brief. Wir wissen, keiner schaut uns zu, höchstens der, der all dies eingefädelt hat. Der Oberblödmann. Der, der den Geist des Briefschreibers und den Geist des Postmanns verwirrt hat. Was also steht in diesem ominösen Brief, der sich da zu uns verirrt hat? ... Oh weh! "Mahnung" steht da. "Zahlungserinnerung". Was für ein Glück, daß nicht ich gemeint bin. Und wir haben auch gleich noch ein anderes Argument parat. "Es gibt doch niemanden, der mir meinen Albdruck von vergangener Nacht erklären kann. Diesen doch wirklich nicht! Und dabei war ich nicht einmal bei meiner eigenen Beerdigung und wurde lebendig begraben. Die Würmer haben mir nicht einmal bei lebendigem Leib die Augen ausgefressen. Gestern war alles viel schlimmer. Das ist wirklich ... Scheibenhonig. Und der Liebe Gott schweigt wie immer pikiert. Ich schwöre, nicht einmal Christus kann mir diesen Scheiß erklären, durch den ich vergangene Nacht gehen mußte. Mußte! Ich tat es nicht freiwillig! Ich finde das alles, gelinde gesagt, ... unlösbar. Unerklärbar und unauflösbar. Wer soll sich da, bitte, noch auskennen? Schlimmer: Ich weiß ganz genau, niemand interessiert sich für mich! Wie anders sollte ich es erklären, daß ich vergangene Nacht eine Fremde war?" ... Eine Fremde in fremder Stadt, mit fremden Menschen. Alles fremd. Ich hatte nicht einmal einen Namen. Alle schwiegen. Es war gespenstisch. Ich wußte nicht, wer ich war. Schlimmer, ich erinnerte mich an nichts. Ich versuchte aufzuwachen, doch ich war unrettbar gefangen. Festgeschweißt. Würde mich eine Anakonda erwürgen, wüßte ich wenigstens noch, wem da gerade beim eigenen Abkratzen die Zunge gamz unappetitlich zum Hals heraushängt. Selbstmord muß viel einfacher sein. Kurz und schmerzlos. Doch das? Ein einziges Grauen. Ich sag es euch.
Das ist das Grauen.
Deshalb die Entscheidung zur Diät. Das Einnehmen der Pflanze ist ein Kraftakt. Ein Willensentschluß, bei dem wir über unseren langweiligen Schatten springen. Wir tun es. Wir werden schon nicht sterben, sagen wir uns. Doch dann dreht man uns a grat durch den Fleischwolf, und was kommt vorne heraus? Faschiertes, klarerweise. Na eben. Seltsamerweise blubbert das Faschierte immer noch und kann sogar denken. So blöd muß man erst einmal sein, daß man sich solche Qualen freiwillig antut, sagen wir. Manche Frauen rufen, ja schreien es sogar hinaus, nur um danach wie ein Hexlein zu kichern. "Daß ich so etwas zuwege bringe, das hätte ich mir niemals zugetraut!" Die Diät ist ein Gottesgeschenk. Gottes verlängerter Arm: Mutter Natur. Deren verlängerter Arm: Die Pflanze. Und in ihr ein Wesen, eine Person. Der Pflanzengeist. Was ist ein Pflanzengeist? Ein Schutzengel in Pflanzengestalt. Was ist ein Schutzengel? Gottes Gesandter, der uns ein Leben lang begleitet. Pater Pio arbeitete vorzugsweise mit Schutzengeln. "Schick mir deinen Schutzengel!", sagte er. Und die Sache lief. Meine Sache läuft auch. Ich fühle mich nämlich - nur, damit ihr es wißt - schon die längste Zeit seltsam. Und dabei leide ich nicht Hunger. Kamillentee ohne Zucker und Zitrone: Der reinste Luxus. Ich habe nur mein Bett und meine Hütte. Ich will das Ding durchziehen. Drei Monate lang. Ich will es wissen. Ich sehe schon die längste Zeit den Weltuntergang. Niemand braucht mir etwas erzählen. Die Menschheit schaufelt sich schon die längste Zeit ihr eigenes Grab. Der Mensch, ein Zombie. Ein Untoter. Ein Zombie, der im Plastik lebt. Ein rettungslos Verlorener. Ein vom Tod Gefangener. Die Welt ein einziges Konzentrationslager. Also, was will ich? In Frieden sterben? Zu früh. Was will ich wirklich? Tag und Nacht zu Gott beten? Das schon eher. Aber eins zuvorderst: Ich brauche einen kompetenten Gesprächspartner. Ich muß studieren. Ich will lernen. Ich will artig Sprechen lernen.
Wir lernen das, was wir zuvor nicht wußten oder konnten. Ich spiele nicht Gitarre, noch weniger Geige. Muß ich lernen. Ein Handwerk? Oh Graus. Muß ich lernen. Keiner braucht's zu wissen, aber ich lerne es. Muß ich halt nachlesen und mir Werkzeug beschaffen. Die Steinzeitmenschen waren ja auch Primitive, also bitte. Wer hilft mir, wenn nicht ich mir selbst? Wozu wurde ich mit zwei Händen geboren? Glück gehabt! Manche haben nur einen Arm. Manche Menschen haben gar keinen Arm. Manche sitzen im Rollstuhl, nur Rumpf. Wahnsinn. Wie man sowas aushalten kann!?
Das Lernen im Dschungel ist ein schleichender Prozeß unter Gesinnungsgenossen. Leidensgenossen. Wir erleben dasselbe Gewitter zur selben Zeit, in getrennten Hütten. Manche müssen ausgerechnet während schwerem nächtlichem Gewitter auf die große Seite. Was also tun? Ganz klar: Man tritt vor die Hütte und läßt genau an der Grenze zwischen Dach und Schüttregen die Hose hinunter, während die aufliegende Taschenlampe gegen die Holzwand leuchtet. Als sich die gehörige Notdurft dem Ende zuneigt, haben wir für drei Sekunden ein Problem: Wie mich abwischen? Bereits die nächste Sekunde - so schnell geht das! - zeitigt die adäquate Antwort. Wir ziehen die Hose zur Gänze aus und halten den nackten Popo in den Regen. Wir wischen uns mit der puren Hand ab. Dann drehen wir uns um und spielen Waschbär. Fein beide Hände im Regen abwaschen. Wir riechen an den Händen. Pfui, riecht immer noch! Vielleicht hilft etwas Sand? Und siehe da, der Sand hilft wirklich. Schaut ja schon viel besser aus. Und immerhin, mit Klopapier könnte ich mich niemals so sauber abwischen. Na gut. Ich werde den H. bitten, daß er mir eine zweite Seife besorgt. Die meine liegt unten beim Bach. Ich brauche eine hier direkt auf dem Schemel bei meiner Eingangstür. Überhaupt: Um die Logistik muß ich mich morgen kümmern. Ich brauche ein Kerzensystem für finstere Nächte, wo unversehens, wie in meiner Kindheit, die Sirene zu heulen anfängt. Feueralarm. Und überall bereitgelegte Gasfeuerzeuge. Das kriegen wir hin. Ich muß dann nur mehr was tun gegen diese andauernden Stimmen im Kopf. Da muß ich den H. fragen: Was ist der Unterschied zwischen Gott und Teufel? Wie redet Gott und wie redet der Teufel, und eins ganz zuvorderst: Bitte, wo ist der liebe Jesus? Elferfrage für meinen stinkenden, ungenierten Diätbegleiter: Wo versteckt sich der liebe Jesus? Wenn mir der Herr aus Nazareth in der Hütte erschiene, da sage ich nicht nein. Ich würde ihn gleich mal fragen, ob er eine Erfindung ist, oder ob er wirklich all die Stückerl gespielt hat, die sie im Evangelium von ihm erzählen. Totenerweckung. Nicht schlecht. Auf jeden Fall, ich muß da morgen ausführlich mit dem Stinkepeter reden. Morgen entkommt er mir nicht. Von mir aus kann er grunzend und schmatzend neben mir sein Frühstück verschlingen, ich schaue ihm neidlos zu. Hauptsache, er widmet sich mir drei Stunden. Frau oh Frau, da liegen ja einige Themen auf der Tenne. Zum Glück geht die Sonne hier jeden Tag neu auf. Zum Glück.
Verwehtes Gejammere
Der Verlauf einer klassischen Ayahuasca-Zeremonie, doch erst recht der Verlauf einer anspruchsvollen Pflanzendiät, veranschaulichen in bezeichnender und nachvollziehbarer Weise den Aufbau und den Abbau unserer Krankheit, mit anderen Worten: somit die persönliche Heilung. Der anspruchsvolle Patient benötigt keinen Arzt und schon gar keinen Schamanen, der es schlußendlich, aus und in der Krise wie hellsichtig betrachtet, gar nicht ist. Fatal jene Konstellationen, wo Patienten auf Scharlatane treffen.
Der Aufbau der Krise gestaltet sich unwohl, quälend, beunruhigend, übel, zwingend, zwängend, aufgescheucht, alarmiert, und führt uns schließlich zu diesem kurzen Moment der unheilvollen Stille vor dem Sturm, bevor es losbricht, aus uns herausbricht. Aus uns herausschießt. Durchbricht. Sich in Wellen entäußert. Ein Schwall schießt aus uns heraus, unter Hochdruck. Und dann die Erleichterung. Das Resultat der ersten Hochdruckreinigung. Bei manchen folgt später nochmal was. Unerklärlicherweise. Woher kommt all die Brechmasse? Wieso heigt es mich dermaßen her? Was habe ich verbrochen, daß ich hier und jetzt dermaßen büßen soll? Doch das eigentlich Quälende ist das unaufhaltsame Erleben-Müssen massiven Unwohlseins, das sich zu einer Befürchtung hochschraubt, einer Fundamentalbeklemmung: Kann es sein, daß ich jetzt den Verstand verliere? Meine Denkunfähigkeit ist angsterregend. Genau genommen ist es das Chaos. Ich gebe die Kontrolle ab. Und siehe da: Schon liege ich am Boden, lasse mich auf den Boden fallen. Liege ich bereits am Boden, beginne ich, mich dort herumzuwälzen. Andere spüren: Jetzt wird es wirklich fulminant, - und stürmen hinaus. Draußen verwandeln sie sich in Berserker. Sie brüllen. Zum Glück sind wir in Peru. Zum Glück sind wir im tiefen Urwald. Die nächsten Menschen, spärliche, wohnen in 8 Kilometer Entfernung. Das Ganze könnte Afrika sein. Afrika um 1788. Tropikales Schwarzafrika. Ungekannter Dschungel. Tarzan noch nicht geboren. Was läßt uns da rasen? Ja, das ist die eigentliche Frage, die Frage, die uns unter die Haut geht: Was läßt mich da so rasen? Das ist ja fürchterlich. Ich kann mich selbst dabei beobachten, wie ich zu einem Monstrum werde. Jetzt verstehe ich, wie Menschen zu Kannibalen werden können. Verstehe, was das Böse im Menschen ist. Das Böse. Unheimlich. Leute, ich kann euch sagen, wirklich unheimlich. Das kann man nicht beschreiben. Wie die Leute gebrüllt und gerast haben, sogar die Frauen haben geschrieen. Muß denn das sein? Offenkundig schon, denn sonst würden sie es ja nicht machen, ich meine, die Indios. Die müssen doch wissen, was sie da tun.
Die Diät gebärdet sich derartigen ayahuascabedingten Konvulsionen gegenüber vergleichsweise nobel, ja geradezu elegant. In einer Diät sind die Prozesse, die sich in Ayahuasca auf, sagen wir, sechs Stunden zusammendräuen, auf sechs Wochen gestreckt. In einer Diät läuft das meiste (ja, doch wohl, das meiste) in Zeitlupe ab. Hin und wieder, nächtens, gibt es ein paar Höllenritte, doch die bewußte Arbeit, die selbstversicherte Arbeit, findet bei Tag statt, zeitweise sogar draußen auf der Veranda, in der Hängematte, oder unten beim Bach, wo die eine oder andere schon mal Stunden wie der größte Schwerenöte dasitzen kann, als hätte sie jede Notion von Zeit und Identität verloren. Das ist geradewohl an Sonnentagen erst recht zu beobachten. Die eine oder andere Dame sitzt an der Holzstiege und blickt wie eine Fata Morgana in der Gegend herum, so als erwache sie wie Dornröschen aus einem Jahrzehnteschlaf. Das tun Ayahuascero-Cowboys und Cowgirls auch: Am Morgen, nach Ayahuasca, unten am Bach, vielleicht nach kurzer Nacht. Doch spätestens zu Mittag kehrt der Heißhunger zurück, und dann will gefuttert werden. Der Diätzögling, leider, leistet sich solchen Luxus nicht. Er will auch nichts davon wissen. Der Diätzögling verfolgt einen schmalen Pfad hoch oben im Gebirge. Das Pflanzenwesen ist bereits Wochen unterwegs, auf einer Lebenswanderung in paradiesischem Gebirge. Der eigentliche Diätierende hat nicht einmal ein Zelt mit. Er hat gar nichts mit, denn dazu würde die Kraft nicht reichen. Der eigentlich Diätierende wird zu einem Elf, einer Elfin. Er wird zu einem Wesen, das zum gegebenen Moment zu singen beginnt. In jenem Moment ist die Person ganz dem Geist offen. Sie gibt sich dem Geist hin. Die Person weiß nicht mehr, wo sie ist. Die magische Hochzeit findet statt, die punktuelle Geistverschmelzung. "Ich bin ganz in deiner Hand."
Danach das Bekenntnis im stillen Abendbett: "Put God first!"
Sisyphos
(Rasmus Tungland und Isabella Wolf gewidmet)
"Sisyphos gilt in der griechischen Mythologie als Sohn des thessalischen Königs Aiolos, als Gründer und König von Korinth und als Großvater des Bellerophon.
Ino hatte im Wahn Melikertes, ihren eigenen Sohn, getötet und sich mit dem Leichnam ins Meer gestürzt, als sie wieder zu Sinnen kam. Ein Delphin brachte den Knaben an Land. Sisyphos fand ihn, begrub ihn auf dem Isthmus von Korinth und stiftete ihm zu Ehren die Isthmischen Spiele. (Am angegebenen Ort wird Theseus beziehungsweise Poseidon als Stifter genannt.)
Sisyphos befragte das Orakel von Delphi, wie er seinen Bruder Salmoneus töten könne. Darauf erhielt er die Antwort, dass er Kinder mit Tyro, der Tochter des Salmoneus, zeugen solle. Diese würden dann Salmoneus töten. Er ließ sich mit Tyro ein, und sie schenkte zwei Söhnen das Leben. Als sie jedoch von dem Orakel hörte, tötete sie ihre eigenen Kinder.
Autolykos stahl heimlich Rinder, Schafe und Ziegen des Sisyphos. Der bemerkte, dass seine Herden kleiner wurden, während die des Autolykos weiter zunahmen. Er markierte seine Tiere an den Hufen und konnte so den Diebstahl nachweisen. Er begab sich zu Autolykos, um ihn zur Rede zu stellen. Da er diesen aber nicht antraf, verführte er dessen Tochter Antikleia, die kurze Zeit später Laertes heiratete und Odysseus gebar.
Sisyphos wird als der verschlagenste aller Menschen bezeichnet; er verriet die Pläne des Zeus, indem er dem Flussgott Asopos mitteilte, dass es Zeus sei, der seine Tochter Aigina entführt habe. Zeus beschloss daraufhin, Sisyphos zu bestrafen, und schickte Thanatos, den Tod, zu ihm. Aber Sisyphos überwältigte ihn, indem er ihn betrunken machte und ihm so starke Fesseln anlegte, dass des Todes Macht gebrochen war und niemand mehr starb. Erst als der Kriegsgott Ares den Tod aus der Gewalt von Sisyphos befreite (da es ihm keinen Spaß machte, dass seine Gegner auf dem Schlachtfeld nicht mehr starben), konnte Thanatos wieder seines Amtes walten.
Sisyphos aber wurde vom Kriegsgott ins Schattenreich entführt. Doch bevor Ares das tat, verbot Sisyphos seiner Frau Merope, ihm ein Totenopfer darzubringen. Als keine Opfer für ihn dargebracht wurden, überredete er den Gott der Unterwelt, Hades, ihn schnell in die Menschenwelt zurückkehren zu lassen, um seiner Frau zu befehlen, für ihn ein Totenopfer zu halten. Wieder zu Hause, genoss der Listige das Leben an der Seite seiner Frau und spottete über den Gott der Unterwelt. Doch plötzlich tauchte Thanatos vor ihm auf und brachte ihn mit Gewalt ins Totenreich.
Sisyphos’ Strafe in der Unterwelt bestand darin, einen Felsblock einen steilen Hang hinaufzurollen. Ihm entglitt der Stein jedoch stets kurz vor Erreichen des Gipfels und er musste immer wieder von vorne anfangen. Heute nennt man deshalb eine Aufgabe, die trotz großer Mühen nie abgeschlossen wird, Sisyphusarbeit." (Zitat Wikipedia)
„Und weiter sah ich den Sisyphos in gewaltigen Schmerzen: wie er mit beiden Armen einen Felsblock, einen ungeheuren, fortschaffen wollte. Ja, und mit Händen und Füßen stemmend, stieß er den Block hinauf auf einen Hügel. Doch wenn er ihn über die Kuppe werfen wollte, so drehte ihn das Übergewicht zurück: von neuem rollte dann der Block, der schamlose, ins Feld hinunter. Er aber stieß ihn immer wieder zurück, sich anspannend, und es rann der Schweiß ihm von den Gliedern, und der Staub erhob sich über sein Haupt hinaus.“
Eines Morgens ist alles anders. Eine Frau, die offenkundig nicht hierher gehört, sitzt in der Studienbibliothek an ihrem Schreibtisch, doch vor sich hat sie nichts liegen. Geistesabwesend kratzt sie sich den Handrücken blutig, so als müsse sie ein hartnäckig juckendes Ekzem abschaben. Ihr Studieren an diesem Ort ist von anderer Art als das der übrigen, heute spärlich verstreuten Lesenden.
Eine ältere, kultiviert sich bewegende Frau handhabt ihren Teeladen mit Hingabe und Sachverstand. Der Kunde fühlt sich am Schlag wohl. Es duftet wohlig. Das Ambiente ist unmittelbar ansprechend. Die Dame, die ihn bedient, wirkt geistesgegenwärtig und zugänglich. Sie zeigt sich beredt. Gleichzeitig ziert ein Hauch von Zerbrechlichkeit ihr Gesicht. Der Kunde weiß zunächst nicht, wie er seinen Eindruck erklären soll. Er fühlt sich zu dieser Frau, die wie eine ... Nonne wirkt, hingezogen. Der Teeladen liegt an einem vielbegangenen Weg seiner Kindheit. Er ging diesen Weg in der Stadt acht Jahre lang. Damals trank er noch nicht Tee, nur Milch. Nunmehr jedoch trinkt er seit Jahren Tee jeden Morgen. Die Dame legt ihm den bereitgehaltenen Prospekt vor. Hinter ihr das wandfüllende hohe Regal mit den Teekisten. Er weiß, er kommt wieder. Dies ist ein verzauberter Ort. Wenige Tage später ruft er mit innerer Freude die Dame in ihrem Laden an und bestellt, nicht ohne sich zudem in die Kundenkartei aufnehmen zu lassen. Das Paket langt zwei Tage später zur wohlsten Zufriedenheit ein. Die Nacht danach träumt er von der Dame und ihrem Teeladen. "Das Reich der Mitte ist versunkenes Land, doch von ihm kommt Heil. Das Reich der Mitte birgt die Weltenuhr in sich. Nur so kann die Welt gerettet werden", sagt sie. Der Mann sieht, wie sich die grünen, metallenen Teekisten verlebendigen. Lampione baumeln von der Decke. Der Weltendrache läßt sich mit einem Atemzug ahnen. Sieben Monate später, zu ungewohnter Jahreszeit (Weihnachten), zieht es ihn wieder in die Bethlehemstraße. Er ist besorgt, denn die nette Dame hat seine Anrufe nicht beantwortet. Er ahnt Schlimmes. Eine vormals unbekannte, herzensgute Frau fortgeschrittenen Alters reagiert ob der direkten Nachfrage nach dem Verbleib seiner vormaligen Ansprechpartnerin zuerst zögerlich, dann betroffen. Sie weiß nicht, wie die Nachricht formulieren. "Die Kollegin, die Sie meinen, ist vor nicht einem Monat gestorben, ohne Ankündigung, schwere Krankheit", äußert sie stammelnd. "Alle sind betroffen. Das schlimmste Drama, das man sich vorstellen kann. Endgültig." Den Mann trifft ein Schlag. Raum und Zeit gelten nicht mehr. "Du wirst die Frau im Totenreich suchen", flüstert der Engel. Zu Ehren der Verstorbenen kauft der Gast eine gußeiserne, schwere Teekanne. "Lassen Sie die Kanne immer im Freien stehen", akklamiert die weißhaarige, freundliche Bedienerin mit unerwarteter Hingabe. "Dieses Prachtstück darf niemals eingeschlossen sein. Rettung kommt aus Freiheit, aus Luftumwehung, und nicht aus dem Verließ, aus Kästen oder irgendwelchen Verschlägen." Die Worte hallen ihm unmittelbar nach und begleiten ihn auf dem Heimweg durch die abendlichen, nachweihnachtlichen Strassen.
Ein junger Herr aus dem Norden lebt ein seltsames, geheimnisvolles Leben. Niemand weiß, was wirklich in ihm vorgeht. Er wirkt schwarz wie der Geist aus Aladdins Flasche. Ein bärtiger Araber der Vorzeit. Der Mann ist nicht von der Art seines Volkes. Niemand denkt bei seinem Anblick an die Nordmänner. "Hast du jemals geschrieen, mein Freund?", frage ich den sympathischen Zottelbär. "Niemals", antwortet er. "Nichts Sinnloseres als Schreien. Nur Taten zählen. Den Dschungel durchqueren bei Nacht: Das Einzige, das fruchtet." "Warum fruchtet es?" "Es ist meine Reverenzerweisung an die Königin der Nacht. Finde ich schon keine Frau, kann ich zumindest der Königin aller Frauen die Reverenz erweisen."
"Hubert, dein Bett steht alleine in diesem Raum, und noch dazu asymmetrisch. Du hast dir sicher etwas dabei gedacht", frage ich den treuen, unvergessenen Freund. "Doch sag mir eins: Warum wechselst du so oft deine Adresse?" "Ich gehöre zum fahrenden Volk, Wolfgang. Wußtest du das nicht?", antwortet er mit fester Stimme und ansatzweiser Theatralik. "Mein häufiges Umziehen ist eine Vorbereitung auf das Jenseits. Denn dort werde ich endlich meinen mir zugewiesenen Platz einnehmen können." Des Freundes Augen funkeln kohlrabenschwarz. Jahre später erinnere ich mich: Die Schwarzen, Männer wie Frauen, standen mir schon immer nah.
Entsetzung
Der emotionelle Strudel, in den wir jeden Tag gezogen werden, hat seine vielgestaltige Wurzel in unserer Vergangenheit. Zumeist in der Kindheit. In jener Zeit also, als wir dem Feuer der Leidenschaft direkt ausgesetzt waren und dergestalt in ihm geschmiedet wurden. Die Schmiedung, der wir unterzogen wurden, verlief mehrheitlich nicht zimperlich. Jene, die auf uns einhieben, waren nicht wenige. Vater und Mutter in ihrem Unverständnis und in eigenem Feuer befangen. Die Geschwister. Die Schulkameraden der Volksschule. Doch die eigentliche Esse, wie auch immer, waren jene ominösen drei, höchsten vier ersten Jahre, als alles brach lag. Jene Zeit, in der wir brüllen und unbändig strampeln konnten. Manche Väter, wie sie von der Nachtschicht heimkehren, erschlagen in dieser Zeit ihre Söhne. Die Mutter fährt gerade noch dazwischen. Der Bub beginnt später zu zucken oder zu stottern. Diesen Krieg der ersten drei Jahre haben wir alle erlebt. Bei manchen verlief er - welch ein Glück - vielleicht seichter. Die Eltern waren verständig und hatten Zeit. Zwischen den Kindern konstruktiver Altersunterschied. Doch andere, mehrheitlich, gingen durch das Feuer des Leidens und der Tränen, und sie kamen ein Leben lang nicht von ihrer emotionalen Verkrüppeltheit weg. Denn sie fanden nicht die Zeit und den Ort, wo durchatmen. Wo finde ich Heil? Herr, wo finde ich Heil? Heil hier auf Erden, ohne mich auf den Himmel vertrösten zu lassen. Sag Du es mir.
Wo erfahren wir liebevolle, verständnisvolle, unaufdringliche Zuwendung? Wohl nur dort, wo der/die Andere mit sich im Reinen steht. In dieser aufbaufähigen, wortergreifenden, unaufdringlichen Reinheit, die zuvorderst Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit ist. Reine Menschen sind Heilige. Deren gibt es nicht zu viele. Und doch brauchen wir sie. Wir brauchen sie vielleicht nur für ein paar Minuten. Sie können uns nicht alles sagen und mit Ratschlägen halten sie sich zurück, gemäß dem Motto, Ratschläge und Salz reicht man nur, wenn man darum gebeten wird. (Ich störe mich hier nicht an der Beifügung "-schlag"). Reicht mir ein Heiliger, eine Heilige, Rat aus dem Rad durchlittener Erfahrung, nehme ich ihn dankbar an, ohne Kommentar. Später, als ich Fruchtbarkeit und Haltbarkeit der erfahrenen Zuwendung mit Erleichterung erlebe, danke ich. Pater Pio gab manchen Italienern, die vor ihm über andere zu schimpfen begannen, eine Tachtel, so wie er auch die Hälfte der Beichtwilligen aus dem Beichtstuhl jagte, weil er an ihnen sah, daß sie nicht bereuten. Und es kam vor, daß er ein paar Zeitgenossen, die sich zur Morgenmesse um Vier in der Kirche von San Giovanni Rotondo eingefunden hatten, mit ausgestrecktem Zeigefinger hinausbefahl. "Ihr habt in meiner Kirche nichts verloren! Geht erst Beichten!" Ich hätte diesen Mann wirklich gern erlebt. Am vergangenen 23.September 2018 jährte sich zum 50.Mal sein Todestag. Ja ich hätte diesen Mann wirklich nur allzu gern erlebt. Ich wäre zu ihm hingepilgert, um bei ihm Schutz zu suchen. Es gab Pilger aus aller Welt die nach Foggia reisten, sogar aus Guatemala und aus México, und aus Polen sowieso (siehe Karol Józef Wojtyła).
Wir suchen das Heil. Das wahre und eine Heil. Den Seelenfrieden, die Herzenserquickung. Wir suchen nicht die Scheinheiligen. Wir suchen wahren Trost. Trost durch einen Menschen. Einen Menschen, von dem wir spüren, er ist liebesfähig. Wir selbst wollen liebesfähig werden. Soviel wissen wir. Wie lerne ich Liebesfähigkeit?, fragen wir uns. Und da ich unter den Lebenden meiner Kreise kein Vorbild, das ich auf den ersten Blick erkennen und somit anerkennen könnte, antreffe, auffinde, studiere ich eben in guter Hoffnung ausgewählte Biographien gut dokumentierter Heiliger oder halber Heiliger, so wie Fools Crow, der Lakota-Sioux, von dem Fotos existieren, Mahatma Gandhi oder Martin Luther King. Oder ich begebe mich tatsächlich auf die Suche. Nicht nach einem Guru. Gott behüte! Doch zumindest nach einem Weisen. Und siehe da, auf meiner sich unvermutet, unerwartet in die Jahre sich hinziehenden Suche stoße ich auf seltsame Wegmarken, die mir zu denken geben. Unbedarfte Zeitgenossen, die mit mir zusammen in den Bus einsteigen, dessen Eingangstür als eine sich automatisch öffnende Falttür konstruiert ist. "Bitte, Sie zuerst", signalisiert mir das Kräuterweiblein mit Kopftuch und ausgestreckter Hand. "Die, die's eilig haben, zuerst." Später oder früher kommt der Zugskontrollor. Der Schwarzfahrer fühlt sich mächtig gelackmeiert, doch der Kontrollor ist scheinbar ein sozialistischer Gläubiger und pardoniert den Schlawiener (den verschlafenen Wiener) mit einem Jahrhundertsatz: "Das nächste Mal Fahrkarte kaufen. Das ist in Österreich so Sitte." Das ginge heute nicht mehr. Heute kommt Cobra. Was lernen wir daraus? Brav sein und nicht meckern. Immer höflich sein. Fährst du zum Schamanen, häng dir ein Kreuz um oder bete den Rosenkranz. Denn der Teufel schläft nie. Roger Federers Trainer Peter Carter, ein Mann aus Adelaide, der ihm zum Welterfolg verhalf, starb 37-jährig 2002 bei einem Autounfall. Er war mit seiner Braut auf Flitterwochen, frisch verheiratet. Feder meinte vor zwei Tagen auf CNN, sein Trainer habe wohl nicht gewollt, daß er sein Talent verschwende. Carters Tod in Südafrika war für Federer nach eigenem Bekenntnis ein Ruf, aufzuwachen.
Ich muß da aufpassen, definitiv. Ich muß da aufpassen. Immer beten. Ich kann nicht alles regeln, doch auf Gott vertrauen, das kann ich schon. Ich weiß zwar nicht, wer er ist, aber ich kann ihn anrufen. Immerhin. Ich kann ihn anrufen. Mal sehen, ob er sich meldet. Ansonsten rede ich mit meiner verstorbenen Mutter. Mal sehen, ob sie mich hört. Ich will ja nur in Frieden leben, ohne diese ständigen Stimmen im Kopf und diese seltsamen, schreckenerregenden Gewaltimpulse. Es ist ja alles schrecklich genug. Ich brauche nur irgendwo eine Zeitung aufschlagen oder auf meinem Handy die falsche Taste drücken, und schon stolpere ich über eine weitere grauenerregende Bluttat. Sogar unter Eheleuten. Grauenerregend! Lieber Gott, wann endlich hat dieser Wahnsinn ein Ende? Ich muß jetzt brav sein. Soviel steht fest. Ich ziehe mich in ein Kloster zurück. Eine oder zwei Wochen. Ja, das mach ich. In der Arbeit brauchen sie nichts von meinem Urlaubsplan wissen. In ein Kloster, ja. Warum bin ich nicht früher darauf grekommen? Dort gibt es Leute und eine Kapelle. also was brauch ich mehr? Daß sie dort gut kochen können, das wissen wir ja ohnehin bereits zur Genüge. Zwei Wochen kein Fernsehen, kein Radio und kein Internet. Ich bin weg von der Bildfläche. Das werde ich mir doch noch erlauben können! Mal sehen, was kommt. Denn es kommt ja immer was.
(Abbildung: Klause von Pater Pio)
Nicht unterzukriegen
Was eine echte Kämpferin ist, sagt Don Juan Matus, ist eine Frau, die entgegen allen Wettquoten unbeeindruckt den Kampf aufnimmt gegen die Widersacherin, in unserem Fall von gestern, Indian Wells, Masters 1000-Turnier im Tennis, Bianca Andreescu, aufblühende 18 Jahre jung, gegen Angelie Kerber, dreifache Grand Slam-Gewinnerin und Aushängeschild des deutschen Tennis. Andreescu übersteht mehrere nervenstrapazierende 3-Satz-Kämpfe, ein paar sogar um "the skin of her teeth", so wie im Halbfinale gegen die wacker feuernde Ukrainerin Elina Svitolina, ihres Zeichens Meisterin aller Meisterinnen mit dem Gewinn des Jahresschlußturniers in Singapur im November 2018. Und Svitolina hatte noch dazu einen mentalen Superboost in sich implantiert, trifft sie sich doch seit jüngster Zeit mit Gaël Monfils, dem genialen französischen Rasta-Mann, der eine neue Hochblüte seines eigenen Tennis durchlebt, und der der Begegnung mit Andreescu in der Betreuerbox beiwohnte. Doch Andreescu widerstand der abgebrühten Ukrainerin und deren Kanonenbällen, die da übers Netz herübergeschossen kommen. Und die ebenso abgebrühten Profiwetter diagnostizierten auf die Ferne: "Das wird der Jungspatz emotional nicht durchhalten, ein Finale dieser Kategorie, vor 15.000 Zuschauern, mit Achtzehn und noch dazu nach einem dermaßen kräfteraubenden Turnierverlauf. Im Finale einer solchen Kategorie zählt Erfahrung und noch einmal Erfahrung, und die besitzt Kerber, die Wimbledonsiegerin des verangenen Jahres, hat sie doch dort im Finale Serena Williams das Nachsehen gegeben, und Serena Williams ist nicht irgend wer." So raisonnierten die Profizocker. Eine Gewinn-Quote von 1,53 für Kerber nahmen sie gerade noch hin, und somit setzten sie big, "big", das sind bei Bet 365, dem weltweit größten Wettanbieter, zwischen 50.000,- und 100.000,- Euro. Es gibt Profispieler, die sich in diesen Kategorien des Wetteinsatzes bewegen. Doch es gab ein böses Erwachen. Keine Spur von "der Tank der Kanadierin ist leer, gegen die präzisen Grundlinienschlägen der Deutschen ist kein Kraut gewachsen, ihre Knochen werden vor Aufregung bibbern". Andreescu baggerte sich frohgemut in das sich entwickelnde Finale hinein, als wäre es nur ein weiterer Wettkampf auf ihrem Terminkalender. Sie hatte nichts zu verlieren. Und so geschah es. Das Mädel in seinem grauschwarzen, funky wirkenden Jugenddress fuhrwerkte, daß es eine Freude anzuschauen war. Sie wirbelte "in der Zone" herum, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt, dort zuhause zu sein. Der Platz gehörte ihr. Bei 15.000 Yankees keine Kleinigkeit. Ihre Schläge kamen mit Sicherheit. Andreescu wollte tatsächlich gewinnen, und sie gewann. Was für eine Sensation! Sie schoß aus den Startlöchern, kaum hatte der Unparteiische das Kommando gegeben: "Play!" Und schon ging der erste Satz an Cannonball Bianca. Das schuf Unruhe unter den Zockern, doch glücklicherweise schlug Kerber im Zweiten programmgemäß zurück. "So, damit ist die halbe Ernte eingefahren", raisonnierten die aufgeregten Wetter. "Jetzt wird sie die Nerven verlieren. Kerber hat sich warmgespielt und analysiert, wie der kanadische Frechdachs tickt. Kerber wird das passende Gegenmittel finden. Stoische Panzermentalität, das brauchen wir jetzt." Doch das Erwachen war grimmig. Andreescu ihrerseits kam für den entscheidenden dritten Satz mit demselben Elan und Vorsatz, den Sieg einzufahren, von ihrer private zone heraus, und ihr Wille war stärker als Kerbers Meisterschaft, die sie im entscheidenden Moment, als die Deutsche bereits ein Break voranlag, aus welchen Gründen auch immer im Stich ließ. Andreescu schaffte Spielausgleich zum 4:4 und ratterte im Endspurt wie der Shinkansen über die blonde 29-Jährige, die wohl nicht wußte, wie ihr geschah, hinweg. Da ziemte es sich, sich einmal wie vom Blitz geschlagen auf den Boden hinzulegen, die vier Extremitäten wie Mutter Gaia, die die vier Weltrichtungen repräsentiert, auszustrecken, ein wenig zu weinen und der Gentlelady Kerber zu danken, Gentlelady Kerber gab ein Vorbild von Sportswomanship, Gratulation ohne Voreingenommenheit. Chapeau! Ich mag Kerber seit diesem Moment gestern abend nochmals um eine Oktave mehr (abgesehen von ihrem zauberhaften Charme). Andreescu küßte den Boden, nette Geste. Vielleicht wird sie im Alter auch noch Päpstin. Wäre ja was! Somit, wir notieren: Faustdicke Überraschung, nicht lineare Spielentwicklung. Kampf, Mut und Stärke. Wuiwuiwui! Das wird heuer ja noch flott weitergehen. Schon diese Woche steht das nächste Masters 1000-Turnier in den Startblöcken, Miami, das zweite sunshine-swing-Turnier in den Staaten, Florida diesmal. Mal sehen, was kommt.
Zuerst aber kam Dominic Thiem, der neue Heros des Volkes. Zurecht der neue Heros. Sympathisch, unverdrossen und ein Stehaufmanderl, wie er im Comic steht. Der Gummimann, der Laserbeamer, wie es ein Live-Kommentator nannte. Was für ein Kerl, was für ein Einzelkämpfer! Er, der vorgebliche Sandplatzspezialist, legt in Indian Wells mit allergrößter Selbstverständlichkeit eine Siegstrecke hin, die ihresgleichen sucht. Souverän hält er den kroatischen Aufschlagriesen Ivo Karlovic (Spitzname Dr.Ivo), 40 Jahre alt, ein Evergreen, in zwei Sätzen in Schach. Ein grimmig dreinblickender, bärtiger Kroate von 2,11 Metern Körpergröße, der heuer den wahren Frühling seiner bereits 19 Jahre lang währenden Karriere mit dem gänzlich unerwarteten Gewinn zweier Turniere zu durchleben scheint. Als Karlovic Thiem gratuliert, steht ein Zwerg neben einem Riesen. Thiem, der 1,85 groß gewachsene, wirkt wegen seiner typisch österreichischen, jungenhaften Manieren eher wie ein Zwutschkerl, doch seine Schläge, die er seit letztem Jahr abfeuert - besonders die einhändige Rückhand -, zeigen Extraklasse. Thiem rangiert unter den Top 10. Keine Kleinigkeit. Er zeigte gegen Milos Raonic, den Kanadier, ein weiterer Granatwerfer, kühles Blut und gewann mit nur einem Break im gesamten Match. Und dann, vergangene Nacht, kam der Maestro, der GOAT. Finale von Indian Wells. Eine Demonstration der Extraklasse von Seiten Federers im ersten Satz. Die Quoten für Gewinn Federer plumpsen in den Keller. Für die Bookies ist alles klar: Das schafft der Österreicher niemals! Der liegt am Boden. Federer hat auf Hartplatz alle 2-Satz-Matches gewonnen, wenn er den Startsatz bereits einsacken konnte. Doch Thiem kämpft unverdrossen weiter, und wie! Zauberschlag um Zauberschlag, allerfeinste Präzision, allerhöchstes Risiko. Lateralschläge die Linie entlang. Lops, wie sie im Buche stehen. Ein unüberhörbarers Raunen geht durch die Menge. Zweiter Satz mit 6:4 an Thiem. Und dann das Gustostückerl, für das er in 2019 Österreichs Sportoscar erhalten wird müssen, im dritten: 7:5. Ein Leser im Standard schreibt: "Es ist vollbracht!" Nicht wenigen Zuschauern vor den Fernsehschirmen im fernen, nächtlichen Europa läuft ein Gänsehautschauer den Rücken hinunter. Manchen treten unwillkürlich, ob sie es wollen oder nicht, heimliche Tränen, für die sie sich nicht schämen müssen, in die Augen. Eine Weltrevolution. Gegen den GOAT, der mit 37 immer noch gottähnlich spielt. Gegen den Dominator der Tenniswelt, der sich nur mit Nadal und Djokovic vergleichen läßt, schlechthin. Ein Geniestreich, über 02:02 Stunden hinweg durchgehalten. Diesen Sieg kann dem Lichtenwörther niemand mehr nehmen. Und das bereits im März. Das wird noch ein Jahr! Mann oh Mann. Was kommt da noch nach? Jedenfalls: Eine unübersehbare Lichtmarke wurde da gesetzt, so wie zur Geburt des Erlösers in Bethlehem. Dominic, machen Sie Ihr Spiel! Ziehen Sie die Sache furchtlos durch! Wir fiebern mit Ihnen! Ganz Österreich fiebert mit. Show it again! Do it again!
Ohne Zuhause
Zurück von Otorongo. KLM landet in Schiphol. Es ist 15:00 Uhr. Draußen regnet es. Der Himmel ist grau. Mit dem Verlust der 6 oder 7 Stunden im Firmament beginnt die allgemeine Desorientierung. Ich wähne mich ausgesetzt, ausgestoßen aus dem Paradies. Wer wohl könnte in diesem Flieger Ähnliches erlebt haben wie ich? Niemand. Ich komme aus dem Paradies, aus dem Dschungel. Drei Wochen am Stück im Dschungel von Otorongo, vollgepumpt mit Medizin, Krafttrünken jeden zweiten Tag. Ich kann es selbst noch nicht glauben, daß ich all dies durchgestanden habe. Ojé zu Beginn. Dann den Tabak. Fürchterlich. Wie kann man sich so etwas antun? Und dann die Liane, wo du meinst, du bist nicht mehr du selbst. Schlimm schlimm. Zwischendurch auch noch Zinga, das dir den Kopf explodieren läßt. Flüssige Säure, durch die Nase eingeträufelt. Fürwahr, man muß wirklich belämmert sein, um sich all dies freiwilig anzutun. Na gut, wenigstens Alzheimer vorgebeugt. Immerhin. Alleine wie ich gekotzt habe, fröhlich, im Tagesabstand, das geht auf keine Kuhhaut. Und erst recht, wie ich gekotzt habe! Ich staune über mich selbst. Ja, ich staune wirklich. Wie soll ich das jemals jemandem erklären? Das ist doch unmöglich! Ich weiß ja nicht einmal selbst, was ich da alles im Urwald erlebt habe! Schon alleine, was ich da geträumt habe! Puh! Nicht schlecht. Meine Albträume von zuhause sind ein Schmarren gegen diese Kaliber. Mehrdimensional. Fremdartig wie nur was. Ich weiß ja nicht einmal selbst, was da passiert ist. Zum Glück war ich in der Früh wieder beisammen. Irgendwer hat mich frisch zusammengesetzt. Wie tröstlich. Mit dem Hahnenschrei um halb Fünf beginnst du dich zu sammeln. Du weißt, du liegst in einem Bett mitten im tiefsten Dschungel, in einem gesicherten Bungalow, dessen Holzwände auch von einem Grizzlybären nicht eingeschlagen werden können. Daß der Jaguar letzte Nacht nur laut schmatzend Regenwasser aus dem Wasserkanal hinter der Hütte gesoffen und nicht bei mir hereingeschaut hat, ist bereits tröstlich. Und was sonst noch in der stockdunklen Nacht draußen vor der Tür passierte, muß ich nicht so genau wissen. Über die harte Agavenfrucht, die mir hereingeworfen wurde und die am Boden aufprallte und herumkullerte, will ich gar nicht reden. Es genügt schon, daß ich sie am nächsten Morgen nirgendwo fand, weder unter dem Bett noch im Koffer noch sonstwo. Agaven, die jemand hereinschmeißt und die sich im Handumdrehen schon wieder dematerialisieren, schlechter Scherz des Wurzelsepp. Zum Glück hat man mich gewarnt. Und daß ich mich nicht über irgend eine Kobra fürchtete, die da durch die Stäbe hereinkriechen hätte können, wieso mir das nicht passierte, das frage ich mich noch heute. Genügt, daß wir vor ein paar Tagen den Iguano Machacco in voller Aktion erlebt haben, wie er mit der dicken Kröte im Maul davonsauste, und das am helllichten Tag, wo wir gerade Baden gehen wollten. Leonidas meinte, das war ein Exemplar von eineinhalb Metern, mindestens. Gewarnt hat uns natürlich keiner. Mitten am helllichten Tag, grad nach der Siesta. Für den Kerl ist eine Holzwand nichts. Der springt da einfach drüber, als gelte die Schwerkraft für ihn nicht. Und kein Schlangenadler weit und breit, der sich dieser Schlange annehmen könnte, erklärt der Abt, dieser Scherzkeks, der sich über jede gesichtete Giftnatter freut wie ein Irrer. Dieser Mann ist nicht ganz bei Trost. Die Arbeiter werden standrechtlich gekündigt, wenn sie mit der Machete eine Giftschlange kurzum entzweihauen und er Wind davon bekommt. Das wissen sie, doch ich bin sicher, wenn ihnen im Wald ein Buschmeister über den Weg läuft, schlagen sie zu. So dumm sind sie wiederum nicht. Knapp zwei Meter lang war dieses Stück, und ein paar Lebensmüde von uns wollten den Kerl sogar fotographieren. Stellt euch das vor! Zum Glück war der Bach zwischen uns. Keine zehn Pferde hätten mich über die Brücke gebracht. Wer dieses Monstrum einmal schlürfen gesehen hat, laufen ohne Beine, wie ein Blitz, zackzack, der weiß, so schnell bin ich im Leben nicht, da kann ich nur beten. Also das Leben im Dschungel wäre auf die Dauer nichts für mich. Soviel ist einmal klar. Jetzt heißt es erstmal Mich Zurechtfinden hier, zurück in der Zivilisation. Das ist ohnehin schon schwer genug. Und wie schwer das ist! Ich sehe da sofort ein paar Unwägbarkeiten, die mir so früher noch nicht dermaßen aufgefallen sind. Da sind einmal die Autobahnbrücken, besonders die bei Altlengbach und die über den Semmering. Dann die Railjets, die mit 200 durch die Station donnern. Dann die glotzenden Syrer und Afghanen, die ein Messer in der Hose tragen und einer von uns in der Straßenbahn von hinten in den Ausschnitt gaffen, dass einem angst und bange wird. Menschenansammlungen überhaupt. Dann mein Verdacht, daß man mir meilenweit ansieht, daß ich Ayahuascatrinkerin bin. Dann das Fernsehen. Die reinste Zumutung. Ich weiß ja, genauer betrachtet, langsam überhaupt nicht mehr, was ich denn noch anfangen soll. Mit mir, doch erst recht mit Anderen. Ich kann doch nicht die ganze Zeit im Bett liegen! Schön wär's, doch das geht nicht lange gut. Irgendwann wird mein Mann den Arzt anrufen, weil ich ihm seltsam vorkomme. Dann haben wir die Bescherung. Ich habe überhaupt ein Poblem: Langsam glaube ich niemandem mehr, auch nicht dem, was in der Bibel geschrieben steht. Ich zweifle an allem. Der Sinn versickert mir aus allem. Ich kann all die Kotzbrocken schon gar nicht mehr sehen. Nur die Natur tut mir gut. Seltsam: Wie laut die Vögel jetzt klingen. Ich höre jedes Rufen, jede Stimme. Nachts haben wir im Nachbarsgarten neuerdings sogar ein Käuzchen. Welch Wunder! Welch himmlisches Wunder! Das Käuzchen flötet mich in den Schlaf. Ich fühle mich wie in Abrahams Schoß. Also kann doch noch nicht alles verloren sein. Herr H., kann das vielleicht der Chullachaqui sein? Was hat der H. gesagt? Tagebuch schreiben, hat er gemeint. Interessantes kommt von allein. Und wenn mir nichts einfällt, soll ich eintragen: "Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen." Scherzkeks. Apropos: Da habe ich eine gute Idee. Morgen fahre ich zum Servicemann und lasse den Merzl servicieren, und zwar großes Service, nur damit ihr es wißt. Und eine Rückenmassagevorrichtung werde ich mir für den Fahrersitz auch gleich besorgen. Und dann schauen wir uns die Reifen genauer an und etwaige Lackschäden. Wenn nötig, machen wir eine Generalneuspritzung. Frisch gebadet und frisiert, so fährt Hannelore in den Frühling. Das ja. Wenn schon nicht auf Safari, dann zumindest in die Tiroler Berge oder nach Südtirol. Dort war ich noch nie. Soll schön sein, sagt man. Dem Florian, dem guten Lotsch, jedenfalls sei für 100 Jahre Dank. Der Merzl, B-Klasse, paßt maßgeschneidert zu mir. Da ist bequem Einsteigen. Guter Überblick. Lederpolsterung in Creme. Tipptopp. Und meinen Träumen komm ich auch noch auf die Spur. Und was ich von meinem Gespons, über den Merzl, den ich ja schon hab, darüber hinaus will, wird mir auch immer klarer. Gut. Nur nicht übertreiben. Muß ich halt mit ihm reden, vorsichtig. Ich will ihn nicht überanstrengen. Er hat mir die Reise bezahlt, wohl wissend, daß sie dort mit mir allerhand anstellen werden. Vielleicht kommt ein Sondermodell zurück, hat er sich gedacht. Ein Osho-Groupie. Mir soll's recht sein. Sondermodell. Keine Giftschlange. Das überlaß ich anderen Mädels. Gut. Also gucken wir weiter.