Deutschlands Dialoge

Der unbewegte Beweger
"Besinne dich, guter Freund. Laß ab von allem. Zumindest heute. Laß ab von deinem Trinken. Es bringt dich noch ins Grab, nur allzu bald. Laß ab von deinem Rasen, laß ab von deinem Haß. Laß ab von allem, denn es bringt dich nur ins Grab. Laß ab von dir selbst. Laß dich einfach sein. Es vollzieht sich sowieso von allein. Dein Herz wird weiterschlagen, selbst wenn du schläfst. Dein Herz und dein Atem. Nimm dir die Kinder zu Herzen, auch wenn sie nicht sind dein. Nimm sie dir zu Herzen, diese kleinen, unschuldigen Kreaturen. Nimm dir ihr Bemühen zu Herzen, ihre verhaltenen Tränen, ihr Bemühen, stark zu sein. Stark in einer fremden Welt, in einer Welt des kalten Hasses, in einer Welt der Verlorenheit. Laß du dich nicht verloren gehen. Ich bitte dich, guter Freund!
Ich hab dich nicht vergessen, du gutes Mütterlein. Wie denn könnte ich dich vergessen, dich, die du warst mein Mütterlein. Sosehr ängstigte dich das Leben, sodaß du verfielst in tiefe Dunkelheit, du, doch du warst nicht allein. Die Mutter deines Mannes, sie verlor ihre Eltern mit sechs. Und die Schwester deines Mannes, die ihren Vater bestrafte mit ihrem Haß. Da saß sie eines Tages und bewegte sich nicht mehr. "Alles so dunkel..." Oh Mütterchen, du gingst voraus, voraus dorthin, wohin du wolltest hin, Zuflucht suchend in deiner Einsamkeit, das Paradies, wo du wußtest dein Väterlein. Und jetzt bist du drüben, und dein Mann, der sosehr um dich weinte, mit dir. Was ist nur geschehen in diesem beängstigenden Leben!? Was war dieses Leben, ein Leben, das dich ergriff in erschreckender Abgründigkeit. Wo ist Rettung? Das war deine Frage, ein Leben lang.
Und du, mein Kind, schreite voran. Schreite voran, wo auch immer der Wind dich bläst hin. Gehe mit Gott, wir seh'n uns wieder."
"Und steh' ich auf für immer, an diesem einen Tag, und fallen werd' ich nimmer, vergangen alle Plag. Und so komm du herein, du holdes Lichtelein. Du Lichtstrahl aller Hoffnung, du tilgst mir alle Pein. Und wandeln will ich nicht allein, ich, ein kleiner Wandersmann. Nach Emmaus will ich wandern, vergessen alles Leid. Und sieh, da kommt ein Bruder, ein Mann, der von nichts weiß. "Warum, ihr guten Freunde, warum ihr traurig seid?" "Fort ist uns gestorben, der Rabbi, der von sich doch sprach: "Ich bin das Salz der Erde, der gute Hirte, der euch bewahrt vor Hunger, Tod und Kälte, vor aller Verlorenheit." Er ist nicht mehr." "So will ich mit euch gehen, wenn ihr, oh Brüder, es erlaubt, und Einkehr will ich halten in jener Herberg', für die Nacht. Mit euch." Amen."
Wenn der Zar nicht mehr sein wird

Die Woche der Toten
Die Woche der Toten beginnt nicht mit St.Wolfgang (?), auch nicht mit Samhain, und auch nicht mit Halloween, nein, ganz und gar nicht: die Woche der Toten inmitten dieses unbeschreiblichen Chaos allgemeinen Mordens und Halsabschneidens, dieses Chaos des Lärms und des Irrsinns - oder sagen wir: des allgemeinen Rasens in jedem Haus, an jeder Straßenecke, ja sogar noch inmitten des Paradieses des geheiligten Urwaldes -, sie beginnt mit Heiligabend, und warum nennen wir diesen Abend heilig? Nicht wegen des Vorlesens des Evangeliums, dem Festessen und der nachfolgenden Bescherung unter dem von Kerzen brennenden Christbaum, und auch nicht wegen der vor Freude leuchtenden Kinderaugen, nein, dieser Abend wird heilig genannt wegen dieser Person, diesem Mann, der den Anlaß gab für all dieses Rasens, diesem Mann, der sagte, er wäre gekommen, um das Schwert zu bringen. Das sagt doch alles. An diesem Mann, der, wie jeder Mensch, als Kind geboren wurde, in einem Stall zu Bethlehem (das, doch wohl, ist bewahrheitet), zerreißen sich die Gemüter, Geister wie Ungeister, nur Pflanzen und Tiere nicht. (Der Mensch ist kein Tier; das wohl sicher nicht. Wäre der Mensch ein Tier, könnte er nicht von sich abstrahieren) An diesem Menschen, fürwahr, ist nicht Fehl noch Trug, auch wenn er, gut verständlich, seit zweitausend Jahren den Stein des Anstoßes darstellt, und sogar dies, die eigene Anstößigkeit, hat er seinen Jüngern prophezeit. Ihr werdet in meinem Namen Verfolgung, Ehrverlust und Tod erleiden. So redet kein Tier. Das war der Heilsbringer. Er ist der Heilsbringer. Er ist es entgegen aller Müdigkeit, entgegen aller Lüge, aller Häme, allen Hasses. Wo ist er denn?, speien sie. Speien sie alle. "Wo sind die Divisionen des Papstes?", speite Jossip Wissarionowitsch Djugashvili, der größte Massenmörder in der Geschichte der Menschheit (er tötete bis zu seinem Tod 80 Millionen Menschen). Und so speit der KGB-Kranke im Kreml heute, er, der personifizierte Nihilist, will heißen, der personifizierte Antichrist. Das ist der Kern inmitten des weltweiten Kriegs, des Dritten Weltkriegs auf Raten, wie der Argentinier zu sagen pflegt. Der Antichrist trompetet: "Es geht nur um das Morden. Etwas Anderes bleibt uns nicht übrig." Er verschweigt, daß er eigentlich meint: "Etwas Anderes bleibt MIR nicht übrig." Dieser verschwiegene Ausspruch, der nahtlos in mörderisches Tun einmündet, verschweigt auch die eigentlich zu behandelnde Frage, "Was ist die Finalität des Antichtrists?" Der Antichrist hat gute Gründe, diese Frage der eigenen Finalität zu verschweigen, denn sie spricht seine eigene Geschöpfheit an. "Wie konnte ich entstehen?" Bei Stalin war es nur eine Dimension des eigenen, biographisch bedingten Rasens, und weil er diese Frage mit seinem, wie man sagt, sphinxhaften mörderischen Lächeln beantwortete, blieben es 80 Millionen Menschen, und dann war er selbst tot. Doch bei diesem unversöhnlichen Gegner des Christus liegen die Dinge (wenn ich es so nennen darf) anders: Dieses Wesen, von dem das Christentum sagt, es wäre ein gefallener Engel, einer, der sich gegen Gott stellte, weil er so werden wollte wie Gott, diesem Wesen muß doch, definitionsgemäß, eine ganz andere Wesensnatur eingeschrieben sein, und damit auch ein ganz anderes Verhältnis zum Tod. Und gerade hierin unterscheidet sich dieses Wesen, das gemeinhin "Shaitán" genannt wurde, von Xesú, denn der menschgewordene Sohn Gottes nahm qualvollsten Menschentod auf sich. Das war bereits Anstoß genug. Die intellektuell erfahrenen Griechen mockierten sich über diese Aussage des Paulus auf den Plätzen Athens. Ein Gott kann niemals sterben, raisonierten sie. Wenn du Gegenteiliges behauptest, bist du irre. Doch in Wahrheit irrten sie selbst. Sie verstanden nicht, was Paulus Ausspruch: Bei Gott ist nichts unmöglich, in letzter Konsequenz bedeuten mußte und sollte. Die braven, philosophiegewandten Griechen hatten nun mal ein braves Verständnis von Gott, eines Gottes (eines Göttervereins), der sich gänzlich unter menschlichen Antrieben zeigte. Doch zugleich, so sagten sie, müsse Gott unsterblich sein, so wie Thanantos, der Gott der Unterwelt, heißt, des Todes. "Was ist dein Gott?", fragt der Fechtmeister Arya Stark in "Game of Thrones" in einer kurzen Pause. Ihre postwendende Antwort: "Death!" "Und was ist dein Lebensmotto?" "Nicht heute!" Kurz und bündig. Mein Lebensziel ist es, nicht heute zu sterben. Typisch britischer moderner Nihilismus, bekömmlich medial unters Volk gebracht, das Volk nicht Wenige. Diesen Nihilismus kenne ich nur zu gut. In der Unzeit der sogenannten Pandemie begegnete ich auf Schritt und Tritt Zeitgenossen, denen die Knie schlotterten bei dem Gedanken, der Mitmensch könnte ihnen mit einem Huster den Tod bringen. Da erst habe ich wirklich verstanden, wo wir heute stehen, und was Faschismus, insbesondere deutscher Fasdchismus, ist. Kollektive Uniformität von hunderten von Millionen Menschen, die sich einbilden, auf diese Weise dem Tod entkommen zu können. Und das hat mir auch schlagend vor Augen geführt, was Don Juan Matús mit seinem Jahrhundertausspruch ("Der Untergang der Menschheit wird sein, so zu leben, als würden wir ewig leben") nachhaltig uns klar machen wollte, nämlich den Bodensatz, das Fundament unseres Handels als - in Wahrheit - bodenlose Ignoranz. Definitionsgemäße bodenlose Ignoranz. Das ist doch beschämend.
Christus war nicht ignorant. Das sieht, das liest man in jeder Zeile der Evangelien. Er sprach vom eigenen Tod, vom Tod am Kreuz. Er sprach nicht von der Geißelung. Diejenigen, die seine Geißelung mitansehen mußten, fielen reihenweise in Ohnmacht oder wurden irre. Das hat mir Mutter Ayahuasca heute nacht klar vor Augen geführt. Sie sagte: "Sein Tod am Kreuz war eine Explosion, hundert Mal schrecklicher als die Explosion der Tsar-Bombe. Verhehrend! Doch die Geißelung war ebenso verhehrend, vielleicht sogar schlimmer, denn sie bedeutete nicht den Tod, sondern nur unermeßlichen Schmerz. Ein geschundener Körper durch und durch. Wenn du deinen Blick hältst, wirst du zu ahnen beginnen, was hier geschah." Das alles sagte sie mir klar, während draußen die Böller krachten, Musik gröhlte und die irren, jede Nacht vor Einsamkeit kläffenden Straßenköter erstmals schwiegen, weil in den Straßen, direkt vor ihjrer Nase, Grananten explodierten und sie sich gut beraten sahen, sich irgendwo in den hintersten Winkel zu fliehen, vielleicht hinauf auf den Friedhof, der bereits aus allen Nähten platzt. Das also ist Heiligbabend. Hingeschlachtete Kinder. Der Kindermord von Bethlehem unter Herodes. Eine Fußballnation in Agonie. 7 Millionen Menschen auf den Straßen von Buenos Aires (die statt hat knapp 18 Millionen Einwohner; dergestalt die größte Megalopolis Südamerikas). Eisestemperaturen auf der Schildkröteninsel. Und Gräuel in jedem Winkel dieses Planeten. In Iquitos waren gestern zeitgleich hunderttausend (mindestens) Menschen auf den Straßen, die Versinnbildlichung des Irrsinns an einem Ort, den Sartre, der schielende, als die Hölle bezeichnete. "Die Hölle, das sind die Anderen..." Nein, sie sind nicht die Hölle, sie sind nur viele, sehr viele, und mir fehlt es an allem, mit diesen Vielen adäquat umzugehen. Mit ihnen und mit allem, was sie hinterlassen. Müll und Lärm zuvorderst. Und in zahllosen anderen Städten auf beinahe allen Kontinenten ist es ebenso. "Life is life" singen STS seit undenklichen Zeiten hierzulande. Doch gerade deshalb wird mir meine Stimme nicht versagen.