„Du“, fragt mich mein Freund Rudi waehrend der Fahrt durch Miraflores, „was soll das mit dem Jahr 2012?“ Rudi Kayser ist ein Gutmensch, einer, der sich staendig bemueht. Ich mag Gutmenschen (und erst recht den Kaerntner Landeshauptmann Joerg Haider, den seit Jahren international bekannten Beelzebub, fuer den Oesterreich eine „ideologische Missgeburt“ war und der sich ueber die „Gutmenschen“ – er selbst gehoerte zu den abschaetzig gestimmten Wortschoepfern – mehrmals mokierte), und ich werde in meinem Lebensabend noch eine Zeitung herausgeben, wo von „guten“ Menschen in der Politik und im Alltag die Rede sein wird. Rudi Kayser’s Gedanken sind zumeist unergruendlich, weil er sich sosehr um seine Gaeste kuemmert. Er nimmt sie mit offenen Armen auf, und es spielt keine Rolle, wann sie ihn aus den Federn laeuten. Nicht nur ein Mal durfte er fuer verletzte Bergsteiger, die es noch zurueck bis zu ihm geschafft hatten, den Samariter geben. Maenner, die ins Seil gefallen oder denen die Zehen abgefroren waren.

Selten habe ich einen Mann erlebt, der so herzensoffen und dabei zurueckhaltend war wie er. Ich weiss, an ihn werde ich mich immer gerne erinnern. Ein Mann, der sich auch Traenen erlaubt, wenn er an seine 88-jaehrige Mutter Gothlinde denkt.

2012 ist ein Datum, ein Kalender endet. 1999 war es auch so, und es ging weiter. Aber nicht fuer Alexander Tollmann, den Wiener Geologen und Mit-Gruendervater der Gruenen, dem die vielgeliebte Frau unter den Armen weggestorben und damit eine Welt zusammengebrochen war. Er war der Meinung, der Komet werde zum Jahrtausendende einschlagen. Der Blick auf die Mondoberflaeche erinnerte ihn bestaendig daran. Und da er seit Kindheit an eine Ader fuer Prophezeiungen spuerte, nicht nur bei sich, sondern in der ganzen Familie, braute sich vor seinem inneren Auge und in Wuerdigung der Prophezeiungen des Nostradamus das Moegliche zum Bevorstehenden zusammen, bis es sein Herz ergriff und er zum Schreibzeug griff. Es machte ihm nach dem Tode seiner geliebten Frau nichts mehr aus, nicht das Geringste, sich zu desavouieren. Der Ausblick hatte, wie gesagt, sein Herz ergriffen. Und der Komet kam nicht.

Das Schicksal dieses Guten Mannes, von dem ich nicht einmal weiss, ob er noch lebt, ist ein nachdenklich stimmendes, so wie es das aller unserer Mitmenschen ist. Mit welchen Ueberzeugungen sterben wird denn schlussendlich? Wenn wir ueberhaupt noch imstande sind zu denken! Nur allzu oft ist es ein Hinueberdaemmern. Aber zumeist ist es grenzenlose Narretei, gerade dann, wenn ER unangekuendigt kommt. Der brave Diener des Thyrannen, der seinem launischen Herrn jahrzehntelang gedient und dabei ein Vermoegen verraucht hatte, er steht morgens wieder am Stau, in einer „Hauptverkehrsader“. Da steht sein Herz still und es endet sein Leben. Und der Thyrann aergert sich, weil sein Sklave nicht puenktlich eintrifft, und Unruhe macht sich breit in der Abteilung. Wo zum Teufel bleibt unser Wassertraeger, der gute Herr Tabsch?

Das ist ein Kern: Oprah Winfrey fragt den Dalai Lama fuer ihr Magazin „O“, „Was haben Sie sich vorzuwerfen, Eure Heiligkeit?“ Er: „Nur wenig.“ „Wie meinen Sie das? Was zum Beispiel?“ „Nun, wenn Sie es wirklich wissen wollen, zum Beispiel, dass ich gestern abends noch Kekse ass. Als buddhistischer Moench darf ich das nicht!“ „Das ist alles? Das ist es, was sie sich vorwerfen koennen?“ „Ja, denn vor der Leere muss die Praxis des Mitgefuehls bestehen koennen, und nicht der Egoismus. Denn ausser dem Mitgefuehl existiert nichts, und selbst das Mitgefuehl ist leer von eigenem Sein.“ „Das verstehe ich nicht“, erwiderte ihm die Talkshow-Millionaerin ratlos, „Was meinen Sie mit leer?“

„Nichts existiert wirklich von sich her“.

Diese Passage wurde dann im Magazin nicht abgedruckt, denn das allzeit Revolutionaere in der buddhistischen Lehre, wie koennte man dies in dieser unertraeglich geschaeftigen Welt vortragen? „Selbst Sie, die Zuhoerer, sind nicht wirklich, nicht das, was Sie zu sein scheinen.“ So redete er in Harvard. Umgekehrt galt es natuerlich genauso.

Das ist der Kern: Die Ausserkraftsetzung. „Stopping the World!“ Die Ausserkraftsetzung des Kernreaktors. Je naeher der Moment der Unhaltsamkeit rueckt (und er rueckt langsam, schluerfend und mit Weltgedroehne daher), desto lauter das Spiel der Verruecktheit. Dahinter lauert natuerlich das gezueckte Messer, der Amoklauf. Wir schleudern wie die Bobfahrer die Kurve im Eisschlauch hoch, Rechtssprechung den Familienmoerdern, den Inzestvaetern, den Kinderschaendern, den Kriegsverbrechern, die versehentlich Hochzeitsgesellschaften in die Luft sprengen! Doch der Boden klafft auf, und er haelt in seiner Bewegung nicht an. Es beginnt zu brodeln im Kessel, und keiner haelt es fuer noetig, den Topf vom Feuer zu nehmen. Im Nu grassiert die hysterische Preistreiberei, und ueberall mischen nun die Spekulanten mit, die, die ueber genuegend Spielkapital verfuegen und denen es immer noch einen Hoellenspass bereitet, kuenstlich, d.h. fiktiv die Nachfrage hochzuschrauben. Sogar vor dem Reis machen sie nicht halt. Und es genuegt nur eine weitere Sekunde, und das Tollhaus bricht aus. Und dann, zu allem Ueberfluss, kommen die Erdbeben, und machen alles nieder, in 30 Sekunden, und in diesen 30 Sekunden sterben 30.000. In Myanmar sind es mittlerweile ueber 100.000. Aber unsere Vorstellung bleibt unbeweglich. Weiterhin starren wir unser Essen an und unsere Lieblingssendungen vor den immer groesser werdenden Bildschirmen.

Der arme Pfarrgeistliche, vom Tode gezeichnet, kann die Tarockkarten nicht mehr mischen, doch keiner kann ihm helfen, ja nicht einmal etwas sagen. Der pensionierte Wirt, der im naechtelangen Bierdunst Gealterte, kann es sich nicht verhehlen, hinzusticheln, jetzt, da der Waidwunde die Tage zaehlt. Und das tut er unter dem Kreuz im Ruecken des 80-jaehrigen Gastgebers, der selbst nicht einzuschreiten wagt, weil er weiss, wenn er sich aufregt, ist er gefaehrdet, einen Sekundentod zu sterben.

Das nicht fuer moeglich Gehaltene wird wahr, und die Menschheit, der Teil, der nicht hungert, verwandelt sich in Hyaenen. Andere, naechtens, in Vampire. Es geht so schnell, und alle merken es. Einigen wird es unertraeglich und sie sagen sich, „Nicht einen Millimeter werde ich von meinem Weg abweichen“. Die Strassen verwandeln sich in Magnetschienen, auf denen letzte Luxusgeraete sich im Schwanengesang exhibitionieren. Ein LKW schert aus, ohne Vorwarnung. Der Pensionist hinter ihm, im alten Mercedes, geht noch weiter nach links. Der Porsche, der mit 200 heranschiesst, tritt mit Wucht in die Bremsen, die 4 Reifen legen 4 schwarze Streifen hin, weisser, durchdringend riechender Qualm breitet sich ueber die gesamte Bahn aus, der Porsche-Fahrer, im Schock, lenkt hinueber auf den Pannenstreifen. Der Polizist auf seiner BMW, unbedarfter Zeuge des Ganzen, schickt alle auf den Pannenstreifen.

Einmal endet alles, und wir wagen es uns nicht vorzustellen. Einmal sterben uns die Eltern weg, und wir sind im Schock. Der Partner stirbt uns weg und wir erfahren, er hat uns jahrelang betrogen. Der Bauer kommt vom Feld nach Hause, was hat der Auflauf an der Haustuer zu bedeuten? Der 8-jaehrige Sohn, vom Motorrad ueberfahren, er ist nicht mehr. Die Baeurin, an einem sonnigen Sonntagnachmittag, 5 Jahre spaeter, sie fragt sich, wo ist er nur, mein guter Mann, wollte er nicht die Rosen schneiden? Sie geht nach hinten, da liegt er, inmitten der Blumen, die offenen Augen in den Himmel gerichtet.

Und schlussendlich jene, die Frauen, die ihr Lebtag lang beteten. Sie beten, so wie heute, und ploetzlich, ohne dass sie es erwarteten, erkennen sie die Wahrheit. Und nichts ist mehr wie frueher.

Und der fromme Klostermann, er erzaehlt dir, „Weisst Du, seit Wochen, seit der September begonnen hat, schreit ein Kaeuzchen in der Foehre da draussen vor meinem Zimmer, was will es mir nur sagen, ich verstehe es nicht, aber es geht mir so ans Herz. Doch gestern hatte ich einen seltsamen Traum, ganz seltsam. Er handelte von Palenque, dem verlassenen Palenque. Ich habe mit diesem Ort nichts im Sinn, ja kannte nicht einmal seinen Namen. Ich wanderte in den ueberwucherten Ruinen herum, allein. Es war niemand zu sehen. Da sagt mir eine Frauenstimme: „Sie sind fortgegangen. Alle gemeinsam. Fort von diesem Planeten. Sie wollten es so. Als sie erkannten, dass sie dazu imstande sein koennten, hoerten sie mit ihrer Arbeit am Kalender auf, denn am Kalender arbeiteten sie jeden Tag.“ So sagte es die Stimme. Ich hoere jetzt noch das Vogelgekreische. Es war kein Waldkaeuzchen wie das meine.“

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  1. Oh werter Herr Himmelbauer, liebe Gemeinde

    ich las ihren Text mit großem Interesse und möchte versuchen auf einige sich unweigerlich aus diesem Text ergebende Fragen zu antworten. Was den Herrn Rudi betrifft, kann ich nur seine offenheit und seinen fleiß bestätigen, ich war selbst einmal mit ihm in Miraflores unterwegs und er interessierte sich sehr für die Deutsche Heimat. Was das Jahr 2012 betrifft, so muss ICH sagen das einen die Botschaft "da endet der Kalender der Maya" schon dazu verleitet Schlüsse zu ziehen, die die Mayas selbst nicht ziehen. Die Mayas selbst sagen so habe ich es mehrfach in Dokus und Büchern erfahren, das eine neue Zeit bevorsteht, die Vorstellung vom "Untergang" legen wir selbst hinein. Meine Meinung dazu: Ich habe auch manchmal an das Szenario Apokalypse 2012 gedacht, bin aber nach reichlichen Überlegen zu dem Schluss gekommen das: 1. Ein etwaiger Untergang nicht viel schlimmer sein kann als der jetzige Zustand.(: 2. Raubt mir das darüber nachdenken nur meine Zeit und Nerven. Der alte Geothe sagte: "Und wenn Morgen die Welt untergeht, so würde ich noch heute hinausgehen und ein Apfelbäumchen pflanzen" (so oder so ähnlich) und diese Art kann die einzig richtige sein. Denn die Hoffnung stirbt zuletzt. Vorher sollten falsche Vorstellungen sterben, wie die von Oprah und ihrem Publikum, oder das von Porschefahrern und alten Bäuerinnen die denTod nicht hinter jeder Ecke vermuten… wo er aber sitzt. Es ist schon zum verzweifeln in dieser unseren heutigen Zeit der Narretei, der Zerfall von Kultur und Natur, die Kriege, Hungersnöte, Atomwaffentestversuche, aber doch können wir unser Apfelbäumchen pflanzen und an jeden Ort ein wenig Licht tragen. Ich möchte es herrausrufen, auch wenn mann mancherorts darüber lacht, aber pflanzt euer Bäumlein und ihr werdet sehen: es ist ein magisches und trägt große Früchte.

    Desweiteren möcht ich an dieser Stelle ein großes Lob an Don Luis Panduro und Wolfgang Himmelbauer aussenden, für ihre Bemühungen in Langenthal bei Nürnberg am Wochenende vom 23.-25.05.08. Macht weiter so Männer!

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