Es war bereits vor 2 Jahren, Jaenner 2003. Auf der Plaza de Armas stolperte ich eisschleckend ueber Margolie, die, ebenfalls ein Stanitzel in Arbeit, sich gerade mit einem einheimischen Touristenfuehrer unterhaelt. Sie eroeffnet mir, sie habe beschlossen, nach Yushintaita noch ein paar Wochen anzuhaengen und zu den Nativos zu reisen. Von der Curanderoszene in Iquitos sei sie enttaeuscht. Alle liefen nur dem Geld nach oder seien schamlose Betrueger. Schlimmer noch jene, die sich mit „Westlern“ auskennen. Sie schildert mir lebhaft eine Begebenheit, bei der der „Meister“ seine Alkoholzugeneigtheit ihr gegenueber nicht einmal mehr verbergen wollte. Der einzige, der einen Besuch wert sei, meint sie, sei ein alter, beinahe blinder Spiritist, der immer noch von Aerzten in Tarapoto in Anspruch genommen wuerde. Sie sei gerade auf dem Weg zu ihm, weil er ihre Wirbelsaeule behandle. Die Neugier hatte mich gepackt. Der Greis sitzt auf der Strasse und liest dem Anschein nach Zeitung. Er bestellt uns wieder fuer 20 Uhr, in 2 Stunden.
Zur vereinbarten Stunde treffen wir ein. Ein dunkles Einfamilienhaus an einer weniger belebten Kreuzung. Mehrere Generationen leben augenscheinlich unter einem Dach. Ein kleiner Raum, 4 x 4 Meter, 5 Teilnehmer. Wir sitzen alle am Boden, die Schuhe ausgezogen. Der Meister haelt nichts von einer Vorstellung oder Einfuehrung. Er sagt, er habe die Wurzel von einer Vertrauten am Markt gekauft und die Medizin daraus selbst zubereitet. Dann brummelt er, „Wollen wir sehen, ob uns die Geister heute helfen“, streckt sich und wird jugendlich. Ausfuehrlich weiht er die Himmelsrichtungen, spricht Gebete, versprengt Weihwasser mit dem Rudawedel. Auch wir bekommen unser Bad ab. Das Kuebelchen, das mir ein Bub hereingereicht hat, wirkt unangebracht. Schnell zur Seite damit. Die Gebete halten an, als er bereits die Kerzen neben dem ausdrucksstarken Christusbild auf seinem Minialtar (ein mit einem Tuch bedeckter Fussschemel) ausgemacht hat. Es ist mucksmaeuschenstill im Haus. Seine Stimme ist leise, man hoert, er feiert die Zeremonie ohne Gebiss. Er leitet zu Choraelen ueber, ohne dass es penetrant wirkt. Den Uebergang zu den Mairiris nehme ich nicht mehr wahr. Ich sehe die Terroristen des 11.September im Anflug auf den 2.Tower. Eine Faust packt mich elektrisierend. Ich schrecke hoch und stosse unwillkuerlich einen Ruf aus. Der Schreck weicht mir fuer eine Weile nicht aus den Knochen. Mir ist heiss, ich mache den Oberkoerper frei. Die Luft im Raum scheint aufgeheizt. Ein junger Amerikaner erbricht ein wenig, der Rest, so scheint es, laesst sich bereitwillig von diesem weichen Unterklang in der Stimme des Meisters wegtragen. Das Zeitgefuehl kommt mir abhanden. 2 Frauen, von einem Lichtkranz umgeben (sind es Nonnen?), arbeiten linker Hand, die eine an Margolie, die andere an ihrem Nachbarn. Eigenartig. Der Meister macht immer noch keine Atempause. Dann ruft er uns im Dunklen einzeln nach vor und wedelt uns am Scheitel ab, Gesange und Gebete. Die weichen Zweige der wassergetraenkten Ruda klatschen sanft auf das Haupt. Ein Kreuzzeichen mit Agua Florida. Margolie verabredet sich fuer morgen. Die Nacht an der Tuerschwelle zerstreut uns augenblicklich.