Ilija wuchs in der Naehe der Plisnica-Seen auf, im Kroatischen, dort, wo sie inmitten dieser unvergleichlichen, gottgeschenkten Karstlandschaft mit ihren diamantenen Seen und Flusskatarakten in winddurchrauschten Auen in den 60er-Jahren die Winnetou-Filme mit Pierre Brice und Lex Barker drehten. Anfang der 80er Jahre reiste er nach Wien, um sich ein Leben zu verdienen. Er begann als Maurer und sattelte dann schnell auf Fliesen um. Weil er Tag und Nacht arbeitete und vor allem, weil seine Verlegung an Perfektion nicht zu ueberbieten war, standen die Kunden bald Schlange. Wie viele Supermaerkte verfliesste er auf diese Art? Nie mit mehr als einem Helfer. Spaeter holten sie ihn sogar in andere Teile Oesterreichs. Mit der Zeit wurden seine Finger vom Kleber rissig, aber das hielt ihn nicht auf weiterzumachen. Die besten Steine gingen durch seine Haende; Brasilianischer und italienischer Marmor. Er legte Muster und Ornamente, alles diskret.
Spaeter lernte er seine Frau kennen, eine Serbin, und sie hatten zwei Soehne, hochintelligente, aber zartbruestige, die in der Fremde heranwuchsen, zur Schule gingen. Er zahlte seine Steuern und hielt sich ansonsten aus allem heraus. Als ob die 16 Stunden Arbeit nicht genuegten, richtete er seiner zugezogenen Schwester am Wochenende das Badezimmer neu.
Dann brach der Krieg im Sueden vor der Haustuere aus, und Ilija beging den Fehler, hinunterzufahren, um nach seiner Mutter zu sehen. An der Grenze fing ihn das Militaer ab – das kroatische – und sie nahmen ihn kurzerhand in Haft, – an der Grenze. Dortselbst, an der Grenze, legten sie ihn auf den Tisch, nackt, und setzten ihn unter Strom. Ob Fahnenfluechtiger oder Spion, er verdiente die Qualen. Ilija, ein kantiger, energischer Freund mit markantem Kinn, konnte nichts Anderes als die Wahrheit herauszuschreien. So liessen sie ihn laufen. Als er bei seiner Mutter ankam, am Rand des Naturwunders, war sein juengerer Bruder bereits eingezogen, der zweite, der spaeter weisshaarig und unansprechbar zurueckkommen sollte.
Ueber Italien fuhr Ilija wieder nach Oesterreich zurueck, dorthin, wo sie ihn fragten, was ist das fuer ein Krieg, lasst uns mit eurem Sch…. in Ruhe, ihr koennt euch gegenseitig umbringen, aber lasst uns in Ruhe. Was suchen Sie hier?
Zu der Zeit, kurz vor Srebrenica, lernte ich ihn kennen und schaetzen. Er war wortkarg, aber weihte mich in die Geschichte seines Landes ein. So verstand ich mehr. Ein Wort gab das andere. Peter Handke befloegelten sie wegen seines Serbien-Engagements (was sogar noch bis herauf zum Buechner-Preis-Skandal reichen sollte) im Wiener Akademietheater, andere in Deutschland konnten beim Mittagessen in der Kantine nur mehr stoehnen, man moege sie doch in Ruhe lassen mit dieser Perversitaet. Zur selben Zeit geschah Srebrenica.
Ilija fuhr wieder ueber die Grenze, ueber Ungarn, nach Novi Sad, wohin er seine Mutter, eine Dreiviertel- oder Vierfuenftel- oder Weiss-Gott-Was-Serbin, bringen hatte lassen. Dort lebte sie in Frieden. Bei der Ausreise in Klingenbach stempelt der oesterreichische Beamte in den Pass: „Einreise verwehrt!“ Ilija kehrt trotzdem zurueck. In Wien schickt ihm die Steuer eine Forderung ueber eineinhalb Millionen (damals Schilling) und konfisziert seinen Arbeitsbus. Er drueckt sich nicht vor den Beamten und geht zum Amt, erklaert den Leuten, was er arbeitet und dass die Steuern all die Jahre bezahlt wurden. Sein Gegenueber bleibt steinern, laesst aber ein paar Hunderter nach. Ilija, ohne Werkzeug, geht zurueck, in die Heimat. Die Brueder sind wieder versammelt, die Mutter gluecklich, Ilija baut ein Haus. Da kommen die Amerikaner mit ihren Tarnkappenbombern und attackieren Novi Sad. Wegen des Kosovo. Sie brechen die stolze Donaubruecke, die einbricht, Stunden, nachdem der von MG-Salven zerhackte Schulbus bereits in den Fluten versunken war. Auf Jahre hin sollte die Bruecke in der Donau liegen. Ein Schandmal. Keinen Amerikaner interessierte der brachliegende Donau-Handel mit Rumaenien und Bulgarien. Am jenseitigen Ufer der Donau war es ruhig. Nur drueben, ueber der „Neuen Stadt“, fiel der Brandregen vom Himmel. Die Serben fischten einen Stealth-Bomber vom Nachthimmel, die Truemmer ruhen wohl in einem Laboratorium im Russenland.
Ilija und sein weisshaariger Bruder bildeten wieder eine Fliesenlegerpartie, diesmal zu serbischen Konditionen. Sein Haus hat er am Rand des deutschen Soldatenfriedhofs in Petrovaradin gebaut. Jenes Friedhofs, der von den einheimischen Frauen gepflegt und geschmueckt wird. Nur Deutsche liegen in ihm, namentlich Bekannte und Namenlose. Einmal, zur Weihnachtszeit, als wir zusammenkamen, unten, sangen sie ihre Lieder, getraenkt, unter Traenen und Zigaretten. „Das Leben, Antje? Soviel!“, und schnippt die Asche von der Zigarette.
Der Sturm hat uns getrennt. Heute liegt ein Meer zwischen uns, vielleicht mehr. Im Herzen aber – nichts.