Der Sonnenkanzler und sein Kirchenfürst
Kaum jemand erinnert sich noch an jenen Politiker, der von 1951 an durch 30 Jahre hindurch bis 1981 die Geschicke der Alpenrepublik in so nachhaltiger Weise beinfluβte und lenkte. Bruno Kreisky war ein Kind des 2.Weltkriegs und blieb es in kaschierter Weise Zeit seines Lebens. Er traute der Gutheit des Menschen nicht, und gerade deshalb unterschied er über weite Strecken in der politischen Arena zwischen den Seinen – den Sozialisten – und den Anderen, den Bürgerlichen, in deren Lager sich, so meinte er, die nicht identifizierten Nazis geflüchtet hatten. Bürgerlich, das war für Bruno Kreisky, den Geschichtsbewußten, unter anderem auch die Ausgeburt des Austrofaschismus, der Ständestaat, und erst recht der Austrofaschismus des Ignaz Seipel, eines katholischen Dechants, im Bundeskanzleramt, der damals, 1929, den unvergeßlichen Ausspruch „Alle Sozialisten gehören eigentlich an die Wand gestellt“ geprägt hatte. Bruno Kreisky hegte geradezu Ekel vor der Meinung Andersdenkender, denn eine solche hatte ihm bis zuletzt den Geruch des Staatsverrats, der Skrupellosigkeit, der Geldmacherei auf dem Rücken der Arbeiter.
Kreisky war ein Kind des Krieges. Als Jude (damals, wie bekannt, ein Rassenbegriff) mußte er flüchten. Er tat dies in weiser Vorraussicht. Kreisky war in seiner Weise Visionär. Er wußte, wo die primitiven Mordbuben sich sammelten und wie sie im Kielwasser des verstörten Braunauers, der all seine Lebensenttäuschung mit pathologischem Größenwahn kompensierte, sich zu ebensolchen Reichsbeherrscherrn stilisieren wollten. Er flüchtete rechtzeitig nach Schweden, wo er sozialistische Gesinnungsgenossen kennenlernte, Willy Brandt und Olof Palme, Freunde fürs Leben. Nach dem Krieg ging er, ein Jurist, durch und durch politisch gesinnt, in die Politik, wurde auβenpolitischer Berater des damaligen Staatspräsidenten Theodor Körner. Sein Engagement und seine Furchtlosigkeit beeindruckten. Man erkor ihn zum Mitglied des Verhandlungskommitees für die Freiheit Österreichs. Gemeinsam mit Raab, Schärf und Figl nahm Kreisky in Moskau Platz, ein Dauerplatz gewissermaβen, im unmittelbaren Dunstkreis der georgischen Sphinx, dem furchterregenden Stalin. Sie verhandelten die Freiheit, die „immerwährende Neutralität“, wie es im Staatsvertrag heiβt. Am 15.Mai 1955 wird der Vertrag unterzeichnet. „Der gröβte Tag meines Lebens!“ So kann nur ein Patriot reden. Und ein solcher war Kreisky. Er schämte sich nie für seine kleine Alpenrepublik. „Österreich ist frei!“ Leopold Figl hebt am Balkon des Belvedere das Vertragsbuch in die Höhe, wie ein neugeborenes Kind, ein Evangelium. Figl starb nur wenige Jahre später, an Leberzirrose; russischer Wodka. Das sein Preis, den er für die Freiheit entrichtete.
Kreisky selbst wirkte am Wiederaufbau tatkräftig mit. Ja, Kreisky war für den Wiederaufbau der Republik aus den Trümmern des Braunauers mitverantwortlich. Er liebte sein Österreich. Wenige verstehen das heute noch. Über 15 Jahre hindurch stand er sozialistischen Regierungen als Kanzler vor, davon 12 Jahre in absoluter Mehrheit. Er gestaltete die Republik von ihren Festen her um. Alles, oder beinahe alles, gehörte dem Staat. Auch die arbeitende Klasse gehörte den Sozialisten. Sein Ausspruch, ein einziger Arbeitsloser schmerze ihn mehr als das Staatsdefizit von ein paar Millionen, bleibt unvergessen. Als die VÖEST-Alpine 1981 durch falsche strategische Entscheidungen 20 Milliarden Schilling (damals ein unvorstellbarer Betrag) Defizit schrieb, dachte Kreisky zum ersten Mal an Rücktritt. Bereits 1978 muβte er erkennen, daβ sein Volk vor allem ein Volk der Naturliebhaber war. Eine hauchdünne Mehrheit – davon mehrheitlich Frauen – entschied sich gegen das bereits erbaute Kernkraftwerk Zwentendorf. Und das sollte bis heute so bleiben. Das brach dem Kanzler eine Zacke ab, doch er verkraftete es.
Kreisky, am 22.Jänner 1911 geboren, war ein integrer Sozialist, ein Bollwerk, an dem sich die Bürgerlichen die Hörner abstieβen. Er war in keinster Weise korrupt. Der einzige Luxus, den er sich erlaubte, waren seine von einem in der Wiener Innenstadt hausenden Fachmeister maβgeschnittenen Lederschuhe sowie die paar handverlesenen Anzüge, die ihm wie angegossen paβten. Kreisky war Agnostiker. Das sagte er dem Kardinal einmal bei einem Empfang. Der verwickelte ihn in ein Gespräch. Er wollte mehr wissen. Kreisky meinte darauf, er habe die Bestie Mensch zur Genüge erlebt. Wäre er hier in Wien geblieben, würde er jetzt nicht an diesem Tische sitzen. „Und das, obwohl ich, strenggenommen, kein Jude bin. Aber was hätte man von diesem „armen Buben“ erwarten sollen? Daβ er die Thora hätte kennen müssen? Diese arme, gequälte Kreatur, dieser verlauste Obdachlose, er war doch weit von Gott fort. Was meinen Sie, Exzellenz?“
Und Franz König wurde es heiβ ums Herz, er räusperte sich, hob den Stuhl um ein paar Zentimenter hin zum Kanzler, und begann zu reden, sehr persönlich. Und er gestikulierte. Und er sprach in seiner noblen, unvergeβlichen Art, mit der unüberhörbaren Sprachhemmung seines seit dem Unfall in der Vojvodina zertrümmerten rechten Kiefers, eindringlich, nicht laut, aber inspiriert, und er er richtete sich ans Herz des Sonnenkönigs, und der hörte ihm zu, länger als er je einem anderen je zugehört hatte, der russische Verhandlungspartner einmal ausgenommen. Und dann griff König zu einer Volte: „Herr Dr.Kreisky, ich weiβ, welch schreckliche Fehler die katholische Kirche in diesem Land angerichtet hat, ganz besonders unter Ignaz Seipel. Ein gravierendes Versagen in einer damals äuβerst schwierigen Zeit. Ja, die Kirche hat damals versagt. Sie hätte das Format haben und aufstehen müssen, um diese faschistische Saat, die auszusäen sie tatkräftig mitgeholfen hat, in einer Kehrtwendung sogleich auszubrennen. Das hat die Kirche nicht getan, und wir haben gesehen, was danach geschah. Ich entschuldige mich dafür aufrichtig bei Ihnen, denn Sie vertreten die Arbeiter, die im Schweiβe ihres Angesichtes ihr Brot verdienen."
Ringsum war es still geworden. Vizekanzler Hannes Androsch hatte bereits gemerkt, wie der Hase lief, und ebenso Hertha Firmberg, die Wissenschaftsministerin. Immer mehr Blicke richteten sich auf die beiden, die da so tief versunken beinandersaβen, und der Vizekanzler lieβ es sich nicht nehmen, beim Hinausgehen seinen Ziehvater in der für ihn typischen schnorrend-blasierten Art anzureden: „Können wir den heutigen Abend als historisch notieren?“ Und Kreisky brummte etwas in seinen Bart. Ab da an hatte König freien Eintritt bei den Stahlkochern in Linz und bei den Bergkumpeln der Alpine. Ab da nannten ihn manche aus dem bürgerlichen Lager, die unausbleiblichen Wadlbeiβer, den „roten Kirchenfürsten“. Ab da wurde Günther Nenning, der „Platzhirsch“ der Hainburger Au und Mitinitiator der Grünen, unbestrittener Vorstand der Journalistengewerkschaft, ein Lagervermittler, so wie sein Pendant, der dispensierte Priester und Hochschullektor Adolf Holl. Obwohl König Holl dispensierte (man sagt, wegen dessen Buch „Jesus in schlechter Gesellschaft“), grollte der ihm – zumindest offen – nie, und ich glaube, es war auch andersrum nicht der Fall. (Freilich, der groβe Gläubige und Schriftsteller Adolf Holl fand bis heute – zu Unrecht – nicht Gnade in den weihrauchgeschwängerten Sphären. Vor einem dermaβen wortgewandten Freidenker graut dem Amtsinhaber im erzbischöflichen Palais in Wollzeile, Wien 1.)
Kreisky verlor den Kontakt zu König nie mehr. Ab und zu telefonierten sie. König kondolierte dem Greis, als dessen geliebte Gattin Vera 1988 starb.
Das Alter war dem Unvergessenen schmerzhaft. Eine Nierentransplantation, schluβendlich Blindheit aus Diabetes und Falschbehandlung heraus. Der enge Freund Olof Palme seit 1986 tot.
Am 29.Juli 1990 verstarb Dr.Bruno Kreisky im Alter von 79 Jahren. Die Grabesrede hielt sein Freund Willy Brandt. „Leb wohl mein lieber, schwieriger Freund“. Nicht wenige schämten sich ihrer Tränen nicht.
Im Sommer 1978 beerdigte Bruno Kreisky seinen Freund, den Amstettner Bürgermeister Leopold Pölz. Aus seiner Grabrede, mit gebrochener Stimme und gesenktem Haupt frei vor dem Mikrophon vorgetragen, ist mir ein Passus in Erinnerung. „Die Bedeutung einer Tat wird nicht nur von der Geschichte bemessen. Das Herz am rechten Fleck zu haben, davon weiβ eine Gattin. [Die Gattin schluchzt laut auf und weiß sich nicht mehr zu halten]. Der Freund weiβ es auch. Die Politik hält nicht immer Angenehmes bereit. Oft liegt die Verantwortung bei einem selbst. Und diese hat auch einen anderen Namen: Gewissen.“ Worte eines "Agnostikers".
Danke, Herr Dr.Kreisky! Sie haben Ihren Sohn Peter heuer bereits wieder umarmen können, – drüben, im himmlischen Jerusalem. Möge Gott Sie beschützen!