Wer nicht mehr ins Kino geht, versaeumt heute nichts mehr. Den Schreibern gehen die Erzaehlstoffe aus. "Das Kino liegt in Agonie", sagte schon vor 10 Jahren John Malkovich. Sir Lawrence Olivier, Englands wohl famosester Shakespeare-Interpret, traute dem Kino nie, wohl wegen desser von Manierie ueberschminkter Dummheit. Wir segeln nach neuester Zeitrechnung im 3.Jahrtausend (was auch immer das zu bedeuten hat), und die Historiker haben es bereits hinausposaunt: Das schlechtest dokumentierte Jahrhundert der Geschichte war das zwanzigste. Und alle, die sich bereits einmal ueber ihren Computer geaergert oder einen Festplattenzusamenbruch erlebt haben, koennen es nachfuehlen. Die Speichermedien werden unbrauchbar, so wie auch die Abpielgeraete. Und das Zelluloid vergilbt. Diese unsere atemberaubende Zeit, wo in Frankreich Testzuege bereits mit 500 km/h dahinrasen (nur wohin?), hat keinen Blick mehr fuer die Geschichte, auch nicht fuer die Geschichte des Films. Es bleibt einem auch keine Zeit mehr. Wer denn soll all das, was da auf das Publikum herniederprasselt, noch in Ruhe sehen? Das, was da aus Indien kommt und aus Hollywood.
Die Heroen sterben weg, aber sie reiten immer noch herum, vor unserer Nase, auf der Leinwand, in der Flimmerkiste. Die Kinder merken nicht, was da gespielt wird, auch nicht die Street-Kids. Geisterleichen, zusehends namenlose, tummeln sich herum. "Die Nacht der reitenden Leichen" hiess einer der ersten beruehmten Gruselfilme in den spaeten 60ern.
Das Kino tritt unwillentlich ins Stadium der Totenfestmaehler. Die toten Schauspieler haeufen sich. "Ist Mel Gibson wirklich gestorben in "Braveheart"?" fragt Isai. Er kann die Ungerechtigkeit nicht fassen, die er aushalten musste (er tat es nicht und fluechtete), die Folter zum Schluss. Die Kinder hier im Dschungel, ueberschwemmt von allem Mist, den Hollywood extra fuer Suedamerika produziert, wissen die Welt nicht mehr zu deuten. Sie wissen nur, wenn dir jemand Dollarnoten anbietet und dir dafuer in die Hose fassen moechte, lass es geschehen. Du kannst noch mehr verdienen. In den diskreten Internetkabinen von Iquitos kann man zu Indio-Maedchen aufdrapierte Schoenheiten, keine 18 Jahre alt, verschwinden sehen. Die Haut filmisch zu Markte tragen, das ist ein Geschaeft, das wohl nie aufhoeren wird, und die Aerzte, die den wahnhaften Kult um den koerperlichen Schein wohlwollend erkannt haben, helfen dem verstaendnisvoll laechelnd mit ihren Laserskalpellen und Silikonimplantaten nach.
Die Filmwelt ist zu einem einzigen Schreckenskabinett verkommen, in dem larmoyant Menschen im Dutzend kaltbluetig, im Vorbeigehen, niedergemacht werden, mit dem Schalldaempfer, so wie es der Scientologist Tom Cruise in "Collateral" vorexerziert. Der Terror des Films besteht nicht nur in seinen Inhalten, die auf den Zuschauer unweigerlich, und manchmal ohne Vorwarnung zukommen (das ist bereits Manipulation), sondern noch mehr in der Formung seines Blickes und damit in der Gestaltung einer Schein-Welt. Das Auge kommt nicht zur Ruhe. Es wird in Beschlag genommen und ausgereizt, bis es kapituliert. Dem Film eignet potentiell maximale, langwirkende Giftkapazitaet, die uns entmuendigt, formt und manipuliert. Der Gewaltfilm verkrueppelt uns. Er verwundet uns. Aber er kommt an ein Ende. Es gibt bald keine Stoffe mehr. Und keine guten Regisseure. Unser TGV-500 km/h Hochgeschwindigkeitszug ueberrollt alles. Airbus hat einen neuen Superjumbo fuer 500 Passagiere gebaut. Im Jahr 2023 wird es aber keinen Sprit mehr geben. Alle Voegel werden auf der Erde sitzen bleiben. Keine "Enterprise" wird zu einem Sternenabenteuer ansetzen.
Die Dinge draeuen sich. 100% soziale Luftfeuchtigkeit, oder besser: "Konfliktfeuchtigkeit". Der Film kommt nicht mehr nach, mag er noch so viele Leichen produzieren. Es mutet wie ein Menetekel an, die Machenschaften rund um Ridley Scott´s "Blade Runner" aus dem Jahr 2021. "Director´s cut", "Final cut", "Renewed cut". Das gleiche bei "Apokalypse now".
Es ist klar, was in den Koepfen der allmaechtigen Studiobosse vorgeht. Wir muessen die Apokalypse hoffaehig machen. Aber die Apokalypse ist mit dem alten Stil unvereinbar. Die Apokalypse ist ein Gespenst des 21.Jahrhunderts, weil es das Jahrhundert ist, das jedem "Dummy" den Spiegel vorhaelt. "In diesem Jahrhundert wirst Du sterben!" Was fuer ein Pech! Wir erleben die Geburt eines Jahrhunderts mit und wissen insgeheim alle, es ist ein COUNTDOWN. Mehr Menschen, mehr Hunger, mehr Durst, mehr Gift, weniger Wasser, weniger Luft, weniger Rohstoffe. Weniger Artenvielfalt, unwiderruflich. Wir wissen, der Countdown raeumt auf mit ueberkommenen sozialen Manieren. Wir ruesten zur Verrohung auf, ich merk‘ es an mir selber. Wir werden systematisch plattgewalzt, wie auf Tien-an-men. Auf diesem Platz, auf dem das Blut in Hektolitern geflossen haben muss, als sie mit den Tanks in einer Breitfront alle Studenten komplett unter ihren Ketten niederwalzten, auf diesem Platz steht heute eine unschuldige elektronische Uhr: Countdown fuer Olympia.
Haetten wir Filmaufnahmen von Tien-an-men, das Filmgeschaeft wuerde sich am Schlag aufhoeren. Fuer eine Zeit.
Der Film, zerbrechliches Kulturerbe, von kulturellen Zeitstroemungen ueberspuelt. Charlton Heston, der Moses der "10 Gebote", heute ein Law-and-order-Chairman, Vorsitzender einer der bedeutendsten Waffenvereinigungen der USA. Arnold Schwarzenegger, ein Landsmann von mir, der in jungen Jahren fuer Pornofilme gesucht war, spaeter Boesewichte im Dutzend niedermaehte, heute (vorzeigbarer) Gouverneur im viertreichsten Staat der Erde ueberhaupt. Vielleicht ist er ein bedenkenswertes Beispiel, denn er hat einen Herzinfarkt bereits hinter sich und bemueht sich redlich.
Die Militarisierung des Films, die sich wie ein politisches Credo nach dem 11.September ausnimmt und die wie die Pressecommuniqués mit Vorliebe von "Terroristen" spricht (alle "Die-Hard-Filme" von Bruce Willis handeln von "Terroristen"), weht auch Ikonen Hollywoods wie Steven Spielberg an, die unter Praesenz des Pentagons am Drehort einen Beitrag zum Heroismus des allmaechtigen Staates leisten. In den Videospielen findet die Militarisierung ihre Fortsetzung. Was die Jugend der westlichen Welt in Realitaet nicht mehr zu leisten bereit ist, den Praesenzdienst, kompensiert sie durch Kaltbluetigkeit und Identifikationsleistungen vor den Spielkonsolen, die keine Werthaftigkeit kennen. Der Kampf gegen Monstren in der Westminster Hall und in der Church of Canterburry, unmittelbar vor den Kruzifixen (Sony).
Nicht alles an Hollywood ist schlecht, so etwas zu behaupten waere engstirnig und fanatisch. Es gibt nach wie vor Fackeltraeger, sowohl auf Regisseur-Seite wie auf Schauspieler-Seite. Mel Gibson und Clint Eastwood, die beide Seiten kennen, sind wohl die prononciertesten, Woody Allen ebenso, aber ihn sollte man nicht zu Hollywood zaehlen.
Was diese Herren immer noch abliefern, ist allerfeinste Sahne. Und mit ihnen koennen wir die Hoffnung hegen, dass nicht alles In-Szene-Gesetzte der Vergessenheit anheimfaellt, sondern in der Schatzkiste der menschlichen Ueberlieferung aufbewahrt bleibt. Zeugnisse des Geistes: Die Passion Christi; Der Patriot; Braveheart; Die Bruecken von Madison; Brief aus Iwo Jima;
Da ist nichts, das aus sich selbst besteht, sagt Tsongkhapa, ein Titan des Geistes vom Dach der Welt, Ordensgruender, der vor 800 Jahren lebte. Kein Gegenstand und kein Ereignis dieser Welt. Die Welt ist somit "leer" von "inhaerenter Existenz". Es gibt kein "Ding an sich", wie es die klassischen Griechen zu ergruenden versucht hatten. Kein Wesen, das aus sich selbst besteht. Nichts, das seinen eigenen Seinsgrund schafft und somit aus sich selbst existieren wuerde. Alles ist Schein. Doch obwohl Schein, existieren die Dinge. Doch was sie sind, koennen wir nicht sagen. Wir benennen sie zwar, da sie in die menschliche Sozietaet eingefuegt und oftmals von ihr geschaffen wurden, doch was sie in sich bedeuten, koennen wir nicht sagen. Zweckhaftigkeit ist nicht gleichzusetzen mit Bedeutung. Dieser Irrtum, dem auch die Wissenschaft gemeinhin aufsitzt, dient ihr gleichzeitig zur Legitimierung ihres weltumspannenden Herrschaftsanspruches. Die Wissenschaft, die kurzatmig vom Verstaendnis des Menschenopfers und der Pyramiden spricht, sie kann nicht nachvollziehen, wie es war, damals gelebt zu haben. Sie kann den Geist der Vergangenheit nicht einfangen. Dieser hat sich verfluechtigt. Zurueck bleiben Zeugnisse in Stein, Stelen und Papyrusrollen.
Wir koennen nur darstellen, wie es ist, gegeisselt zu werden mit Ruten, an deren Enden Stahlspitzen haengen und die das Fleisch auf Zentimeter aufreissen. Doch zur Darstellung dessen benutzen wir notgedrungen immer noch Tricks. Ja sogar noch bis in die reale Marterung der Gegenwart hinein bleiben wir fiktiv. Der chinesische, der tuerkische, der russische, der amerikanische Folterknecht in seinem Hochtechnologielabor, der einen lebendigen "Terroristen" seziert, taeglich, ohne Ende, auch zu Weihnachten, benoetigt EKG, EEG und andere Oszillationssonden, um die Nervenreizung – wissenschaftlicher Ausdruck fuer "Schmerz" – anzuzeigen. Der Schmerz war das Weltphaenomen, das man von Gelehrtenseite (und das waren zuvorderst die Jesuiten-Missionare) als erstes gegen den Buddhismus als Argument anfuehrte. "Ist der Schmerz Schein oder real?", fragte man die Lamas scheinheilig, als es im 16.Jahrhundert zum ersten Aufeinandertreffen kam. "War die Passion unseres Herrn Jesus Christus Schein oder wahr? Litt er?" Dieselbe Frage, wenngleich nicht an Christus angelehnt, stellt George Orwell in "1984", nur um mit dem Ausschrei des Gefolterten zu enden: Der Schmerz ist das einzig Reale in dieser Welt.
Das bestreitet der Buddhismus nicht, auch nicht Tsongkhapa. Er sagt es selbst. Der Schmerz ist Teil des Leides. Das Leid treibt das Rad an. Allem in dieser Welt fehlt aber gerade das Sein aus sich heraus. Und dennoch ist es real. Es existiert. Doch koennen wir nicht sagen, was es ist. Was ist der Schmerz in den Augen Gottes? Diese Fragestellung, so kindlich sie scheinen mag, ist durchaus berechtigt. Wir koennen etwas benennen – das tun wir zur Genuege -, doch damit finden wir nicht die Essenz des Phaenomens. So wie wir ja auch niemals sagen werden koennen, warum etwas existiert, auch wenn die katholische Kirche mit ihrem Westentaschengott sogleich die "Liebe Gottes" ins Spiel bringt. Das (die Bodenlosigkeit des Seins) zu verstehen, sagt der Dalai Lama, ist Weisheit, und er legt die Abgruendigkeit – Radex-Suche ad infinitum – dieses Standpunktes sogleich dar. Dein Selbst ist eingebildet. Es ist der menschlichen Sozietaet immanent. Um einen Platz zu finden, erkaempft sich das Kind sein "Selbst" und formt es bestaendig aus. Das Selbst, das "Ego" wird stilisiert, ob mit Meisseln, Haemmern, Donner und Blitz oder mit Spiegeln. Das Selbst, das Gefaehrt des Kontinuums, gebiert das Ich, das sprachlich geronnene Selbst. Es dient uns als Triebkraft, um durch das Meer des Schreckens hindurchkreuzen zu koennen. Wir stilisieren das Selbst, bisweilen lassen wir es uns schmieden wie Weichgold, um dann damit protzen zu gehen, so, wie es die Helden der Leinwand uns vorexerzieren, mit ueberlangen Trenchcoats, Sonnenbrillen und Breitling-Armbanduhren, irgendeine Geheimwaffe in den Guertel, die Brille oder die Uhr eingebaut. Auch das Selbst ist fiktiv. Es ist real, natuerlich, aber es ist fiktiv. Es existiert nicht aus sich, sagt Tsonkhapa. Das ist das Wesentliche. Es existiert nicht aus sich selbst, und das ist gerade die Luege Hollywoods. Seine Heroen geben vor, aus sich selbst zu existieren und ihre Welt dominieren zu koennen. Sie existieren in einer Luege, in einer linearen Luege, denn im Film ist alles linear, angefangen von der Filmspule und vom Projektionslicht. Das Farben- und Formenspiel auf der Leinwand existiert nicht aus sich heraus, ebensowenig unsere Gefuehle, die sie ausloesen und mit denen wir schwanger aus dem Saal hinaustaumeln.
Der Starkult bei Tageslicht ist nur die Fortsetzung dieser Luege, seine Konsequenz. Der Star beansprucht Popularitaet und Aufmerksamkeit, weil er sich Vorzeigecharakter anmasst. So wie es ein Werbemanager von Boris Becker einmal formulierte. "Boris Becker ist ein moderner Mann. Er ist viril und im Auftritt praesent. Er verdient die Kampagne, die wir lancieren." Doch diese Argumentation im Fernsehen will uns entmuendigen. Wir bleiben sitzen. Wir reden nicht dagegen, denn es waere unsinnig. Nur der Ehegatte wuerde uns hoeren. So funktioniert Manipulation. Zuerst die Feigheit zur Gegenrede, dann die Unfaehigkeit, spaeter vielleicht sogar das Unrecht, weil zwischenzeitig entmuendigt.
Die Dinge sind leer und deswegen schmecken sie schal. Wer diese Erfahrung gemacht hat, sucht nach Bestaendigerem. Ein Weg beginnt, der ueber Jahre geht. Jahre des Lernens. Ueber die Leere zu meditieren forderte von den Moenchen Tibets bisweilen 20 Jahre und mehr. Ueber die Leere meditierend, drei, vier Tage, starben sie, so wird es immer wieder ueberliefert von ihren Schuelern, im Sitzen. Sie sieben bestaendig aus. Die Illusion verfluechtigt sich. Das reine Bewusstsein, das goldene, das energetische, das, was von Gott kommt, bleibt. Die Extension, in der das Ich noch nicht geformt ist. Die Absicht der Schoepfung ist nicht leer. Man kann sich ihr annaehern. Es ist eine Bewegung gegen den Strom, eine Bewegung gegen die Explosion. Es ist eine Bewegung in den Blitz hinein, durch die Blase der sich expandierenden Atome hindurch. In dieser Rueckbewegung, die unser Leben rettet, verlieren wir unser Ich. Das, was sich da fortbewegt hatte, vom Anbeginn unserer Geburt, ist unsere Essenz. Sie stiebte fort von der Hoelle. Wir schauen und werden gewahr. Wir loesen uns auf. Etwas, das filmisch nicht mehr darstellbar ist. "Sie moechten meine Geschichte verfilmen?" fragte Castaneda Federico Fellini. "Das ware doch interessant, oder nicht?", antworte dieser. "Mal sehen…" antwortete der Angelianer. Es kam nicht dazu.
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Der Exorzist
Erinnern Sie sich noch an die beiden Teile des "Exorzisten", liebe und geschätzte Leserinnen und Leser des Forums? Die beiden Teile mit Linda Blair? Im ersten stirbt Max von Sydow. Er erleidet an der Stätte des Grauens einen Herzinfarkt. Sein Schüler nimmt den Teufel in sich auf und stürzt sich aus dem Fenster, wo er unten auf dem Eisengitter aufgespießt hängen bleibt. Im zweiten Teil ist Richard Burton der Exorzist. Der unvergeßliche, unnachahmliche Richard Burton. Der leider krankhafte Trinker, der seiner Elisabeth Taylor das Leben so schwer machte. Die beiden sind nicht mehr. Schade.
Das waren noch Zeiten. Der "Exorzist" war ein gewagtes Stück, ein neu erarbeitetes Spielfeld der Maskenbildnerei, so wie vor ihm "die Nacht der reitenden Leichen". Das verstand man damals unter Horror. Really shocking.
Doch heute? Eine Massenproduktion unbeschreiblichen Ausmaßes, Blockbuster, 200 Millionen Dollar teure, am Fließband, nur noch übertroffen von jener "Bollywoods", der indischen Filmindustrie. "Das Fernsehen heute einschalten?", gestand mir spontan ein sympathischer Mitarbeiter im vergangenen Jahr in unserer Botschaft in Lima, "Nur Blut, das einem kübelweise entgegenschwappt!"
Ja, fürchterlich. Wo will Hollywood hin mit diesem Pseudorealismus der waffenstrotzenden Kämpfer für Ordnung und Gerechtigkeit? Mit diesem Hinschlachten im Dutzend? Mehr brauche ich dazu nicht zu sagen. Es ist einfach unerträglich, schon seit Jahrzehnten, und nicht nur für mich, denke ich. Diese zynische Menschenverachtung, die im eigentlichen neue Formen des Sterbens definieren will. Eines nihilistischen, glaubenslosen Sterbens, so wie zur Zeit der Römer. Das glaubenslose Sterben, das ist das Credo. Das Leben – ein Zufall, das Sterben – unausweichlich. Somit ist es egal, wie man stirbt. Oder besser: Gewaltvoll. Das klare "Nein!" der Mördergesellschaft. "Du sollst nicht töten? Lachhaft! Lachhaft!" Ja, das ist das Credo Amerikas. Des waffenstrotzenden Amerikas, das 30.000 Ermordete im Jahr 1990 zu verzeichnen hatte.
Es ist eine breitflächige Ideologie, die staatsbeherrschend auftritt. Diese Ideologie hat das Militär auf ihrer Seite. Die Navy leiht Hoolywood ihre Flugzeugträger und Tanks, die Airforce ihre Jets und Transporter. Militärische Dominanz, der der Zuschauer gehorcht. Er opfert zwei bis drei Stunden, vielleicht auch vier, seines Lebens dem Betrachten dieses Films. Wir lassen uns in Bann schlagen. Wir sind Sklaven des Auges, wie es uns Stanley Kubrick in "Clockwork Orange" mittels Malcolm McDowell, der das Augenlid nicht schließen kann, klarmachen wollte.
Hollywood setzt dramaturgische Spannungsmittel ein, denen wir uns freiwillig, mit Hautprickeln, aussetzen. Musik, Filmhandlung, Schnittaufbau. Der Schnitt ist wie ein Rasiermesserschnitt über den Augapfel. Eine künstliche Lenkung, die in der Natur nicht vorkommt. Damit wird alles künstlich, selbst der "natürlichste" Dokumentarfilm. Der Szenenschnitt vergewaltigt uns, und wir lassen uns das ein Lebtag lang gefallen. Wir lassen uns nicht nur die Gewalt, die unserem Auge, ja all unseren Sinnen angetan wird, gefallen, sondern scheinbar überhaupt alles, so auch die Ideologie des Denkens. Die erst recht, subtil, unterschwellig. Wir wurden entmündigt und entrechtet, von der Wiege an. Florinda Donner-Grau hat vollkommen recht mit ihren Aussagen, aber ihr in "Traumzeit" Geschriebenes gilt nicht nur für Frauen, nein, im selben Maße auch für Männer. Ein Volk von Schizoiden, das willenlos, im Stechschritt, bei Militärparaden mitsticht, das Gewehr geschultert. Wir, der Mensch, wir sind eine Rasse von Schizoiden. Schlachtprodukt. Wir setzen uns Schlachtszenen aus, ja sogar mit Genuß. Warum? Weil wir im Stillen traurig wissen, wir sind alle Schlachtprodukte. Wir sind die Appetithappen der Schlachtplatte, die ein andrer, dem Menschenleben nichts zählen, verzehrt. Und wir spielen mit in diesem nicht endenden Spiel der szenischen Aufgeilung mittels Zeitlupe und digitaler Trickeffekte. Nirgendwo schlimmer als in den Produktionen Hollywoods. Das alternative Kino des Robert Redford, – ein Tropfen auf dem heißen Stein. Das alternative Kino Europas? Gemieden und diskreditiert. Die Filme Michael Hanekes? Humaneske Beschwichtigungen, dem amerikanischen Publikum nicht zumutbar.
Und so wächst die Müllhalde Hollywoods, so wie das Unglück allgemein wächst. All die Bücher, all die sogenannten wissenschaftlichen Erkenntnisse. Ist das überhaupt Wissen, was da produziert wird? Wen interessiert das? Wer soll all das lesen? Wer soll all die Filme sehen? All diese Filme, die mit einem Anspruch auftreten: Ich bin es wert, gesehen zu werden. Ich, und damit der Superstar. Derjenige, der mich, mich, mit Sicherheit nicht kennt. Doch ich habe ihn zu kennen, denn ohne das kann ich ja nicht mitreden.
Ich blicke in den Spiegel. Tom Cruise setzt sich wieder einmal, in einer Mission Impossible, eine Maske auf und blickt prüfend in den Spiegel. Fehlt nur noch die falsche Stimme im technischen Kehlkopf. Perfekt! Die Täuschung sitzt wie angegossen. Den Rest erledigt die Placenta von Nicole Kidman, denn Placentas halten erwiesenermaßen jung, oder?
Wie bleiben Tom Cruise und Jodie Foster ewig jung? Nicht, indem sie so wie der Darsteller des ersten Superman, Ken Reeves, vom Pferd stürzen und den Rest eines kurzen Lebens an den Rollstuhl gebunden bleiben. (Reeves entzündete von dort aus, nur wenige Jahre vor seinem Tod, das Olympische Feuer).
Die Zelluloid-Filme vergilbten. Heute sind sie – nicht alle – digital gerettet. Doch die Speichermedien ändern sich mit der Zeit. Till Eulenspiegels Schalkfrage: Der größte Wissensverlust der Menschheit? Jener des 20.Jahrhunderts.
Die Schauspieler kommen und gehen. Ihre Manieren werden immer exzentrischer; die Gewalt immer unverhohlener. Explodierende Atomsprengköpfe kein Tabu mehr.
Die Schauspieler kommen und gehen. Sie, die scheinbar ewig jung bleiben wollen. Die Vorreiter der nächsten Modewelle, der nächsten Schönheitswelle, der nächsten Actionwelle. Sie kommen und werden verschlungen, und dann sind sie fort, mit einem Mal, und kein Hahn kräht mehr nach den ehemaligen Weltstars. Grace Kelly, Alfred Hitchcock, Spencer Tracy, Katherin und Audrey Hepburn, John Wayne, Dean Martin, Buster Keaton, Stan Laurel, Oliver Hardy, Charles Chaplin und hunderte andere. Wo sind sie hin? Fort und begraben, verbrannt, eingeäschert. All die Superstars, angehimmelt, angebetet. Die Groupies bekommen einen Weinkrampf, andere einen Orgasmus. Wer war Michael Jackson?, fragten manche vor drei Jahren. Wer wird in dreißig Jahren nach ihm fragen, wer in dreihundert?
Wie lange noch, Meister Tsongkhapa? Wie lange noch hält dieser gigantische, unheilverkündende Spiegel der Menschheit, mittels welchem sie sich zu Gott erhebt und Ewigkeit zu erlangen vorgibt? Ewigkeit erheben will. Willen – und sei es blutrünstigen – setzen will.
Wie lange noch?