Auf den W?nden der alten Tempel der Mayab, in den toten St?dten, findet sich oft der Abdruck einer blutigen Hand. Wenn du sie noch nie zuvor gesehen hast, dann wird beim Anblick der Hand das kalte Wasser des Entsetzens deinen K?rper feuchten.
Und wenn du sie schon kennst, dann wirst du nicht unterlassen, schweigend und nachdenklich vor ihr stehen zu bleiben.
Rot ist die Menschenhand, die in der H?he des erhobenen Armes eines stehenden Mannes auf die Wand gemalt ist, sei es auf feinem Stuck, sei es auf gegl?tteten Stein. Es ist so, als h?tte ein Mann seine Hand in Blut getaucht und sie dann mit der Innenfl?che gegen die Mauer gepresst. Es ist etwas, das zittern macht.
Du betrittst, mit dir allein, den Tempel und gehst langsam weiter, bis du zur blutigen Hand kommst. Da ist sie, und du siehst sie ganz rot im Schatten des Saales ? geheimnisvoll wie ein Zeichen auf dem Grunde der Zeit und voll Majest?t wie das Bild eines Gottes.
Was denkst du?
Es ist ein seltsames R?tsel, das dich aus der Tiefe und dem Dunkel befragt, und du antwortest mit Fragen. Sonst nichts.
Du denkst daran, dass man dir erz?hlt hat, es sei das Zeichen eines Prinzen, der seinen Bruder t?tete und dann durch alle St?dte ging, herumirrend und traurig, und der, wo immer er sich aufst?tzte, den Abdruck seiner blutigen Hand hinterlie?.
Du denkst daran, dass man dir sagte, diese Hand sei das Siegel der Herrschaft der siegreichen Krieger ?ber die besiegten St?dte, als der gro?e Mayab seinem Ende zuging.
Du denkst all das, was einem einf?llt, der vor einem seltsamen und uralten Dinge steht, das er nicht begreift.
Die alten Indios, die du fragts, schweigen und senken das Haupt und sagen nichts. Vielleicht wissen sie es, aber sie sagen es nicht. Wenn einer dar?ber spr?che, so w?rde er dir sagen, dass diese Menschenhand von keinem Menschen dort aufgedr?ckt wurde. Und vielleicht w?rde der, welcher so redet, etwas Wahres sagen.
Viele H?nde gibt es von diesen, die als rote Sinnbilder die alten, verlassenen Tempel in der ganzen Breite und H?he ihrer Mauern aus schweigendem Stein kennzeichnen. In den leeren, dunklen S?len gibt es nichts Redendes als diese H?nde, die zu leben scheinen und ohne Stimme sprechen. Du h?rst sie, aber du verstehst sie nicht. Dort erschienen sie vor mehrmals tausend Jahren und zeigten sich pl?tzlich und sprachen zu jenen, die sie verstehen konnten. Ihr blutiges Zeichen ist nicht nur auf der Oberfl?che, sondern dringt durch den Kalkbewurf und den dicken Stein und kommt manchmal sogar auf der anderen Seite heraus, als ob die Mauer das Blut des roten Zeichens aufgesaugt h?tte und man im ganzen breiten K?rper der Wand innen in gleicher Weise gemalt h?tte. Wenn du Mut hast, zerbrich einen dieser alten heiligen Steine, auf denen sich das Zeichen der Hand befindet, und wo immer du ihn zerteilst, wirst du die Form der Hand finden. Wenn du dieses Wunder siehst ? glaubst du, dass Menschen es bewirkt haben?
In den Zeiten, in denen Mani kam, was bedeutet, dass ?alles verging?, war dies sein Zeichen und seine Ank?ndigung.
Als die Menschen es erscheinen sahen, flohen sie aus den heiligen St?dten, und diese blieben entv?lkert zur?ck.
Damals geschah es, dass die K?pfe gewisser Figuren der G?tter verschwanden, die nicht mehr gesehen werden sollten.
Damals geschah es, dass die Geheimnisse der hellen Weisheit in den tiefen Brunnen verborgen wurden und man ?berall die Tore des alten Heiligtums zumauerte.
Damals geschah es, dass alles verging!
Aber die rote Hand bleibt auf den W?nden, und nach Zeiten, die niemand ermessen kann, sehen die Menschen sie nun und erbleichen, und sie spricht ohne Stimme, und wer sie h?rt, der versteht sie nicht, aber er zittert.
Kinder der Kinder der Mayab, Kinder der blinden und tauben Kinder der gro?en Weisheit, die ihr an dem Tage, der sich n?hert, kommen werdet, ihr werdet geboren werden mit Augen, um zu sehen, und mit Ohren, um zu h?ren, und mit Licht in euch, um zu verstehen.
Ihr, die ihr aus der Tiefe der Zeiten zur?ckkehren werdet, um auf dem heiligen Boden der Mayab zu wandeln, ihr werdet all seine R?tsel h?ren und sehen und der Welt erkl?ren.
Bis dahin bleibt uns nichts ?brig, als bleichen Gesichts zu schweigen.
von Georg Adolf Narciss