An einem Abend wie heute – die Bauern sind bereits zurueckgekehrt von ihren Feldern und gehen ans Flussunfer hinunter, wo sie sich duschen; die Nacht scheint sternenklar zu werden; der Hauptplatz fuellt sich wieder mit Flanierern, Kindern und Essern, die zu Hause niemanden haben, der ihnen aufkocht – liegen draussen vor der Ortsgrenze, wie immer, die Feldungen, Fruchtgaerten, die brachliegenden Grundstuecke, die Muellhalde und der wilde Wald. Um diese Zeit, drei Stunden nach Sonnenuntergang, findet man in der Regel keine Fussgeher mehr auf Tamshiyacu’s Dschungelstrasse, auch kein Rikscha-Taxi. Es ist die Stunde, wo die Strasse in den Besitz der Tiere uebergeht, jener, die es verstehen, dem Menschen aus dem Weg zu gehen. Vor vier Stunden noch konnte man, wie jeden Tag, Bauern und Baeuerinnen mit schweren, hochgeschulterten Tragkoerben an der Stirn nach Hause wandern sehen. Fuer sie sind die abendlichen 5 oder 10 Kilometer etwas Gewoehnliches, ein Schritt, den sie mitunter jeden Tag leisten. Andere, wie Hermogenes del Aguila, leben mit Frau und den aeltesten Soehnen 12 Kilometer weiter drinnen. Er kehrt erst am Freitag wieder zurueck, auch zu Fuss. Die Strasse geht nur 8 Kilometer, bis zum Puca Yacu, dem Bach mit dem am besten schmeckenden Wasser im ganzen Distrikt. Dort hat sich Gibacho, der letzte Buergermeister, niedergelassen, auf dessen Konto die Fertigstellung der seit Jahrzehnten in den Koepfen der diversen Politiker herumspukenden Strasse geht. Gilberto besorgte sich einen Caterpillar, einen Greder und einen Radlader in Lima – wie er das anstellte, das fragte ihn noch keiner – und machte dann Naegel mit Koepfen. "Me gusta ver a los campesinos, trayendo sus productos de las chakras". Es war eine unbedankte Tat. Im Dezember haben sie ihn nicht mehr gewaehlt, auch nicht mehr seine Partei. Die Tamshiyaceños haben ein Elefantengedaechtnis, auch wenn sie sich manchmal so geben, als interessierte sie nichts, was jenseits der Flussbiegung unterhalb des Dorfes liegt. Sie wissen wohl, dass grosse Summen auch groessere Brosamen fuer die Sperlinge abwerfen.

Aber die Strasse steht, und bis heute halten sie sie auch unverdrossen instand. Das ist nicht leicht, denn hierzulande regiert das Wasser. Das foerdert aber nicht das Studium der Hydrologie. Die Strasse wurde ohne Ingenieure gebaut. Der Caterpillarfahrer gestaltete nach eigenem Gutduenken seine Schneise. Das Gelaende war vom Grossen Fluss seit Jahrhunderten gestaltet worden. Huegelreicher Tropenwald, in dem es keinen einzigen Stein, dafuer meterdicke Lehmschichten gibt. Baeche, die in regelmaessigen Abstaenden die Strasse queren. Rinnsale an den Raendern, Rinnsale in der Mitte. Es regnet, und somit wird die Strasse fuer den Motorverkehr unpassierbar. Das fechtet unsere Wandersleut‘ nicht an. Wird der Boden allzu rutschig, geht man eben barfuss, immer noch mit den 10, 20 oder 30 Kilo am Ruecken. Jene Traeger, die ihr Lebtag lang getragen haben, vorzugsweise Holzkohle, sie schaffen bis zu 5 Saecke. Das sind 75 Kilo. Bevor die Rikschas kamen, gab es nur eins: Die eigenen Beine. Die Fuesse dieser Koehler sind gespreizt, die Beine gebogen. Wenn Humari-Saison ist, ab Maerz, tragen sie die prallgefuellten Holzbutten. Im Laufschritt.

Die Bauern beenden zwischen 4 und 5 ihre Arbeit und machen sich auf den Heimweg. Die Fuesse gehen von allein. Je naeher sie dem Dorf kommen, umso mehr Heimkehrer gesellen sich dazu. Eine Rikscha – heute zaehlen wir schon acht – stiebt hupend dazwischen, der Hund jagt dem Gefaehrt bellend nach. Manche sieht man nur mit ihrer Machete. Andere mit der zusammengeschnuerten Haengematte und der alten Schrotflinte. Aber Jaeger mit Beute nie. Etwas macht sie verstohlen. Sie sind jene, die sich in der Hauptsache um zwei Dinge kuemmern: Eine funktionierende Taschenlampe und eine funktionierende Flinte, die sie bis zur Waldgrenze geladen geschultert tragen. Sie nehmen das Wild noch in ihren Unterstaenden aus und raeuchern und salzen das Fleisch an Ort und Stelle. Mit den Eingeweiden locken sie anderes Getier an, und sei es nur Schildkroeten.

Die Dschungelstrasse von Tamshiyacu ist verlaengerte Heimat. Nur selten sieht man Eindringlinge: Tschechische Botaniker; kolumbianische, vermummte Drogenkundschafter; unsere Verrueckten, die den Himmel anbeten und vor sich hinlachen; die Liebespaare, die den umgekehrten Weg nehmen, aber rechtzeitig zurueck sein muessen, bevor sie zerstochen werden.

Die, die am weitesten hineinmuessen wie Marcelo Lomas, gehen um halb vier in der Frueh‘ los. Sein Sohn Carlos geht die zwei mal vierzehn Kilometer an einem Tag. Dazwischen liegt die Feldarbeit. Die, die man auf der Strasse trifft, die Erwachsenen zumindest, hatten in der Regel alle bereits ihre Begegnungen der sonderbaren Art. Deshalb immer die Machete in der Hand. Die Viper ist dennoch kein Argument fuer einen Stiefelkauf.

Die Bauern von Tamshiyacu, – bewundernswerte Leute. Bis zuletzt marschieren sie mit, schon weit ueber die 70. Don Santiago, 79, geht bis Otorongo. Immerhin 10 Kilometer. Er verabscheut die Rikscha, es ruettelt ihm zu sehr. Oskar und Brady gehen die 20 Kilometer nunmehr auch bereits fast jeden Tag. Der eine wegen der Tischler-Abendschule, der andere wegen Brautschau. Sie wandern und spassen. Wenn sie Glueck haben, nimmt sie der Lastwagen des Municipios mit. Josué hat ein Herz fuer die auf Schusters Rappen.

Es ist dunkel geworden, die Strasse hat sich geleert. Die Grillen, Froesche, Affen und Schlangen ruecken heran, angezogen von der Waerme des Lehms. Am Morgen vielleicht der Abdruck einer Tatze. Zeichen, dass auch die eifrigen Nacht-Wanderer gerne die Autobahn nehmen. Am Friedhof aber ist halt. Die Geraeusche des grossen Waldes zieh’n sich zurueck. Aus den Haeusern am Dorfrand … Musik. Shakira ist ueberall.

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