Wohin treibt unser Schiff, unser Schiff, auf dem wir alle dahintreiben, wir alle?
Das Unbehagen wächst, ja es schnürt uns bereits die Kehle zu. Die Städte wachsen weiter, Moloche, Kraken, die alles Wasser ringsum und Legionen von Tieren gefräßig verschlingen. Die Fassungslosigkeit über das, was sich da vor unseren Augen abspielt, verwirrt uns zutiefst. Ein chinesischer Delegierter auf der Weltklimakonferenz in Kopenhagen, der ostentativ in aller Öffentlichkeit ein Nickerchen hält. Angela Merkel wollte zurecht nicht hinnehmen, daß die Menschheit auf diese entwürdigende Weise höchster Ignoranz ihre Zukunft verspielt haben sollte. Aber wer könnte es ausschließen, daß wir nicht bereits wirklich unsere Zukunft verspielt haben? Gott gnade unseren Kindern. Und die Kinder sterben bereits jetzt, heute, in Afrika. Aber wen rührt es? Afrika.
Die Titanic hat von Southampton abgelegt und steuert Richtung Neu York. Ja, sie hat bereits abgelegt, unter Jubel, und die Maschinen stampfen, die Schornsteine rauchen. Das schwimmende Sinnbild des Eisenzeitalters auf seiner Jungfernfahrt, die eine Rekordfahrt werden soll, so hat es die Reederei „The White Star Line“ bestimmt. In den Salons feiern sie und stoßen mit den Gläsern an, im Ballsaal tanzen sie zur Orchestermusik. In den Restaurants delektieren sie sich an den Köstlichkeiten. In den unteren Etagen spielen die Kinder in ihren ärmlichen Kleidern, die Männer spielen Karten. Die Frauen sitzen bei Näharbeiten zusammen und sprechen von ihren Hoffnungen. Von einem neuen Leben, drüben in Amerika.
Oben, am Steuerstand, ist es still. Die Offiziere gefallen sich in diskreter linearer Geschäftigkeit. Der Erste Offizier blickt nach vorne, von einem Standpunkt, wie er höher bisher nicht war. Einen Halbstock tiefer ticken die Morseapparate. Ein Junge eilt mit den Papierstreifen hinauf. Der Papierstreifen sagt: „Bedenkliche Eislage, selbst am südlichen Wendepunkt.“ Der Erste Offizier liest das Papier mit saurer Miene. Nein, es hat nichts mit uns zu tun, sagt er sich, nicht hier auf dieser Ausgucksplattform. Wir steuern das Schiff, dieses so mächtige, starke. Der Bootsjunge bringt weitere Streifen. Der Erste Offizier überfliegt die Anfangsworte und legt das Papier beiseite.
Währenddessen diniert der Kapitän mit seinen erlesenen Gästen. Die fünf reichsten Männer der Erde, allesamt Amerikaner, geben ihm die Ehre. Erlesene, vornehme Konversation. Die ausgewählt gekleideten Damen lächeln vornehm, die Herren kommentieren jovial. „Tatsächlich, die See ist weniger schlimm als wir dachten“, bringt einer der Herren vor, „Dieses gute Schiff durchschneidet die Wellen und damit alle Ungemach. Wie gut für meine Frau.“ Und alle lächeln mitfühlend. „Ist unser Kapitän nicht zu beneiden?“ fragt ein anderer kavaliershaft. „In dieser Umgebung?“ „Ja“, antwortet ein weiterer, „er hat den Wellengang doch wohl schon verdaut, nicht wahr, Kapitän?“ Und Kapitän Smith lächelt untertänig. „Nun ja, nach so vielen Jahren muß es doch wohl so sein, Sir.“
Später geht der Kapitän zur Brücke hinauf. „Was gibt es Neues, Masterson?“ Der Zweite Offizier überreicht dem Kapitän ein Papier. „Dies die Nachricht vom Ersten Offizier, Sir!“ „Hmh, hmh“, läßt der Kapitän beim Lesen vernehmen. „Instruieren Sie den Ausguck auf vermehrte Eissichtung. Kurs und Geschwindigkeit beibehalten.“ „Ay-ay, Sir“, bestätigt der Zweite Offizier salutierend, „Ausguck instruieren, Kurs und Geschwindigkeit beibehalten.“ Der Kapitän geht zu Bett.
Das Unglück geschah am 5.Tag des Nachts, am 14.April 1912, als der Tod kurz vor Mitternacht gegen 23:40 Uhr jäh aus dem Nebel auftauchte, 200 Meter vor Bug. Die Titanic kollidierte bei voller Reisegeschwindigkeit mit ihrer vorderen Steuerbordseite mit dem circa 300.000 Tonnen schweren Eisgebilde.
Die Folgen waren weitreichende Beschädigungen am Bug, von der Vorpiek bis kurz hinter den Punkt des Schiffes, der beim Wenden der Drehachse entsprach, welche bei voller Fahrt ungefähr an der Grenze zwischen der fünften und sechsten wasserdichten Abteilung lag. Mehrere Lecks betrafen alle sechs vorderen wasserdichten Abteile, was aufgrund des hohen Gewichts des eindringenden Wassers zum Versinken des Vorschiffes führte. Während die vorderen fünf Abteile rasch vollliefen, konnte die Flutung in der sechsten Abteilung durch die Pumpen verlangsamt werden. In der ersten Stunde strömten zwischen 22.000 Tonnen und 25.000 Tonnen Wasser in das Schiff. Dabei wurden die vorderen fünf Abteile nahezu komplett geflutet, wonach die Titanic kurzfristig fast ein Gleichgewicht erreichte. Die Neigung des Schiffes betrug zu diesem Zeitpunkt circa fünf Grad Richtung Bug, was von den meisten Personen wahrscheinlich noch nicht als bedrohlich wahrgenommen wurde. In der folgenden Stunde drangen höchstens weitere 6.000 Tonnen Wasser in das Schiff ein, die Neigung veränderte sich dabei nicht gravierend. Allerdings begannen nun zunehmend Sekundärflutungen, da immer mehr nicht wasserdichte Öffnungen des Schiffes wie offene Bullaugen, Lüftungsschächte und Ladeluken im untergehenden Bug unter die Wasserlinie gelangten. Hierdurch beschleunigte sich der Sinkprozess rapide.
Gegen 2:18 Uhr fand ein Prozess seinen Höhepunkt, der schon Stunden zuvor schleichend begonnen hatte: Durch die ungleiche Verteilung der enormen Wassermenge im Schiffsinneren wirkten Kräfte, für die die Konstruktion nicht ausgelegt war. Hatte sich der Schiffsrumpf bislang nur verbogen, konnte er den immer stärker werdenden Kräften nun nicht mehr standhalten und zerbrach in der Umgebung von Kesselraum Nummer eins. Dabei wurden auch die Dampf- und Stromleitungen gekappt, und das Schiff lag im Dunkeln. Der Bugabschnitt, der zu diesem Zeitpunkt schon fast komplett unter Wasser lag, ging unauffällig unter, während sich das Heckteil steil aufrichtete und schließlich gegen 2:20 Uhr versank.
Das Wrack sank auf der ungefähren Position 41° 44′ N, 49° 57′ W und schlug in 3.821 Meter Tiefe mit einer Geschwindigkeit zwischen 50 km/h und 80 km/h auf dem Meeresgrund auf. Insgesamt riss die Titanic zwischen 1.490 und 1.517 Passagiere und Besatzungsmitglieder in den Tod, darunter den Kapitän, der freiwillig mit seinem Schiff unterging. Auch bekannte Persönlichkeiten wie Benjamin Guggenheim, Isidor Straus, John Jacob Astor IV, Jacques Futrelle und Charles Hays starben beim Untergang.
Nach dem Untergang mussten die geretteten Menschen in den Booten noch ungefähr zwei Stunden warten, bevor sie von der RMS Carpathia aufgenommen werden konnten. Die Nacht des Untergangs war sehr kalt, die Wassertemperatur lag unter 0 °C, etwas oberhalb des Gefrierpunktes von Meereswasser. Viele Menschen starben nicht während des Unterganges auf dem Schiff, sondern erst danach im Wasser an Hypothermie (Unterkühlung) und trieben bei Ankunft der RMS Carpathia (mit ihrem Kapitän Arthur Rostron) der britischen Cunard Line um 4:10 Uhr morgens leblos im Wasser. Obwohl in den Titanic-Booten noch insgesamt mehrere Hundert Plätze frei waren, ruderten die Insassen von den um Hilfe Rufenden weg, aus Angst, ihr Boot könnte kentern, wenn zu viele der im Wasser Treibenden versuchten, ins Boot zu klettern. Lediglich Rettungsboot Nummer 4 kehrte um. Es konnten allerdings nur noch fünf Überlebende geborgen werden, von denen zwei im Boot starben. Gegen 3 Uhr, also etwa 40 Minuten nach dem Untergang der Titanic, verstummten auch die letzten Hilferufe aus dem Wasser. Erst danach kehrte auch Boot Nummer 14 unter dem Kommando des 5. Offiziers Lowe, der die Passagiere in andere Rettungsboote hatte umsteigen lassen, zu den im Wasser Treibenden zurück. Es wurden nochmals drei Menschen gerettet, die sich zunächst auf Treibgut gerettet hatten. Nur insgesamt 704 Menschen überlebten laut dem britischen Untersuchungsbericht. (Zitat Wikipedia).
Was ist dieses grauenerregende Meer, das da bei Neumond so still und schwarz vor unseren Augen liegt? Wir fahren im Nichts, nur das Bugwasser rauscht in unseren Ohren. Wir sind bereits von Eisbergen eingekreist, doch der Gedanke ist uns zu lästig. Er widerspricht zutiefst der Normalität. Wir dampfen durch tiefe Dunkelheit und nehmen die Geschwindigkeit nicht zurück. Die Maschinen dürfen nicht aufhören zu stampfen.
Diesem gigantischen Schiff war es bestimmt zu sinken, und es sank, und es wird wiederum sinken. Doch diesmal wird es aufgeschnitten, auf der linken Seite, backbord, vom Bug bis zum Heck, und es wird sinken binnen 25 Minuten. Und sie werden es in den Anfangsminuten nicht glauben, daß dies der Tod ist. Daß dies der Tod sein soll, mitten in stockdunkler Nacht, auf hoher, eisiger See. Und alle werden schreien und weinen, so wie der eine Teil der Menschheit seit Jahrtausenden weint und schreit, und der andere weghört. Und sie werden die Augen und den Mund aufreißen, in diesem Inferno des allgemeinen Wehgeschreis, und die Kinder strecken die Arme nach ihren Eltern aus, fallen bereits nieder, werden zertrampelt, gleiten fort, werden verschluckt. Und der Kapitän zermartert sich das Gehirn: „Wo ist Rettung?“ Und sein Gesicht wird starr, als er merkt, es ist nur eine Sache von Minuten, höchstens fünf Minuten. Er hat gelernt zu sterben, und so bewahrt er Haltung. Und dann, nur kurz darauf, richtet sich das mächtige Schiff auf, ein mächtiges, nie gesehenes, die Heckschiffsschrauben senkrecht in der Höhe und dann beschleunigt es zur Höllenfahrt nach unten, in die 10.000 Meter tiefe See, und Leonardo di Caprio schreit auf: „Das ist es!“ Und eine Stimme tritt ihm und allen, allen anderen hinzu: „Dies ist der Moment der Wahrheit. Der einzige wichtige Moment in deinem Leben. Nun geh mit mir!“
Und auf der Titanic waren zwei Nonnen. Die eine, inmitten des Wehgeschreis, sagte zur anderen: „Schwester, der Vater ruft uns. Es ist Zeit zu gehen.“ Und die andere: „Ja, Schwester, es ist Zeit zu gehen. Gehen wir mit Christus. Amen.“
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Das Chaos in Ayahuasca
„Das Wort Chaos [ˈkaːɔs] (von altgriechisch χάος cháos, deutsch: „der weite leere Raum“) bezeichnet alltagssprachlich zumeist einen Zustand von vollständiger Unordnung oder Verwirrung (Wirrwarr), in der antiken Mythologie und in der Philosophie fungiert er im Rahmen von Kosmogonien und Kosmologien als Gegenbegriff zu Kosmos, dem griechischen Begriff für die (Welt-)Ordnung oder das geordnete Universum, in modernen naturwissenschaftlichen Theorien (Chaosforschung) hingegen zur Bezeichnung der Unvorhersagbarkeit von Prozessen.“ (Zitat Wikipedia)
Die Medizin zu trinken sei niemandem verwehrt. Das ist die Haltung der Indios. Manche Gringos können noch am selben Tag erst ankommen, am frühen Nachmittag, beispielsweise. Dann wird sie einer der Assistenten einer kurzen Traktur mit Brechnuß unterziehen, die Klienten erbrechen, und um halb Neun geht es bereits in die regelmäßig gut gefüllte Malocca, la Madre wird serviert, und das ist nicht die bekannte Medizin der Mestizen. Der Zeremonienleiter, der kein Scharlatan sein möchte (unverrückbarer Ehrbegriff), tritt im spärlichen Licht einer einzigen Glühbirne unübertreffbar unspektakulär im Pyjama und in Badeschlapfen auf, zumal er ja hier im Indianerland zuhause ist. Er gibt jedem die Hand. In der Linken hält er seine noch ungestopfte Pfeife (Medizinpfeife; Shipibos rauchen nicht untertags, sondern nur Pfeife zu festlichen Anlässen). „Freut mich, Sie zu sehen! Wie geht es Ihnen?“ Die Indios kennen uns zur Genüge. Sie wissen, wir sind verstrahlt und besetzt. Das, was sie uns zu trinken geben, ist exorzistische Medizin. Stufe Neun oder Zehn. Die Franzosen rasen und die Russen noch dazu. Das ist la Madre. Kein Egotrip und auch kein Esotrip. Es ist fundamentaler Krieg. Es ist ein bißchen so wie das unerwartete Ankommen in der Hölle, die ihr unverschleiertes Gesicht preisgibt. Die unverschleierte bleierne Realität der menschlichen Bedingung. Wir werden zermalmt. Und das ist erst der Anfang. Am Anfang steht die Explosion eines infernalischen Erbrechens unter Brüllen. Manche Teilnehmer defäkieren fortgesetzt. Sie schaffen es gerade noch ins Freie, doch nicht bis zur Toilette (viele Indio-Camps haben Fließwasser auf der Toilette; das sind die gut gehenden Camps). Die Besucher reißen sich noch rechtzeitig die Hose vom Leib, bevor es herausschießt. Dann reinigen sie sich mit Sand. Einen Moment später realisieren sie, daß dies noch nicht das Ende ist. Also bleiben sie nackt. Sie hocken da wie Kröten und starren mit glasigem Blick ins Leere. In den Ohren sirrt es. Grillen zirpen fortgesetzt. In der Ferne Lastwägen auf der nächtlichen Carretera. Die Apokalypse ständiger Bewegung, das Irrewerden an verunmöglichter Stille. Diese Welt. Alles ist erschreckend, nur nicht mein Zustand. Das hier ist ehrlich. Die Indios wissen, was sie tun. Das ist doch offensichtlich. Sie singen zu dritt, jeder für sich. Reine Icaros. Reine Singstimme. Keine Trommel, keine Mundharmonika, keine Chacapa. Reine Stimme, vibrierend.
Die Hose liegt irgendwo in Griffweite. Nach ausgiebiger Weile kehren sie in die dunkle Malocca zurück, zurück in den Mahlstrom. Sie kehren nackt zurück. Sie sagen sich, ich bin beileibe noch nicht vor allerlei Unbill gefeit. Da kann immer noch was kommen. Ich bin so dermaßen jenseits von Gut und Böse, ich habe keinerlei Garantie. Nur eines weiß ich sicher, DAS HIER kann ich niemandem erzählen. DAS HIER ist unbeschreiblich. Mein eigenes Befinden ist bereits unbeschreiblich. Die Heftigkeit meines Erbrechens brauche ich niemandem zu erzählen, erst recht nicht, wenn ich diese Folter morgen wiederholen sollte. Ich brauche meinen Wahnsinn nicht preiszugeben, und auch nicht, wie sehr mir vor dem allen schaudert. Schaudert vor diesem Leben, odet besser: vor den Menschen. Und abgesehen davon, die Frage, wer hier wahnsinnig ist, brauche ich nicht zu beantworten. Es genügt, daß es stattfindet. Und ganz zu schweigen von den Schwerkranken, diesen Armen. Zu Zeiten Christi kann es nicht ärger gewesen sein. Das hier ist der Weltuntergang, der des Einzelnen so wie der der ganzen Menge. Diese Indios tun gut daran, in Deckung zu bleiben. Wie die Fledermäuse hängen sie an den Bodenwänden. Und sie verschwinden um Eins in der Früh in aller Stille, ohne sich zu verabschieden, weil sie wissen, wir sind zu geordneter Verabschiedung nicht fähig, weder sprachlich noch mental. Vielleicht sind manche bewußtlos oder schlafen tief und fest. Da drüben, zum Beispiel schnarcht doch jemand wie der größte Unschuldsbär! Ich höre doch richtig! Da mitten in der Hölle schläft jemand tief und fest, so wie Christus bei stürmischer See im Bug des Fischerbootes. Was muß dieser Dickbauch doch für ein Gemüt haben!? Womit hat er das verdient? Ich hingegen dampfe. Wohl besser, wenn ich mich komplett ausziehe. Die Matratze ist ja mit einem Leintuch drapiert. Das alles ist doch nebensächlich. Mein Problem sitzt mir nicht nur im Nacken, es scheint mich geradewegs zu verschlingen. Ich weiß, ER könnte mich im Handumdrehen zermalmen, mich, die kleine ignorante Spinnenexistenz. Wie konnte ich nur die längste Zeit dermaßen ignorant sein? Dem kann und muß ich nur abschwören, hier und jetzt. Erbarmen! Ich hätte nie gedacht, daß ich zu Flehen imstande bin, und, schau doch nur, da rinnen mir doch tatsächlich Tränen aus den äußeren Augenwinkeln! Ich wußte gar nicht, daß ich traurig oder was auch immer bin! Mir fehlt die Sprache. Was passiert da? Ich will es nicht missen! Nicht DAS!