Don Santiago Guerra Lopez zaehlt heuer 75 Jahre. Er sagt, er bereite sich auf das Sterben vor. Das besteht darin, die Bibel zu lesen – besonders das Alte Testament, dessen Geschlechtergenealogie er auswendig kennt -, auf seinem Feld die jetzt zahlreichen Huehner zu hueten, und darueber hinaus in Diaet zu verweilen. Alles in allem werden es 6 Jahre sein, die er in Diaet verbracht hat. Damit kommt er unserem geschaetzten Meister Don Agustin nahe. Doch im Unterschied zu Don Agucho tritt er nicht als Heiler auf. Im Gegenteil: Lapidar erklaerte er bei seinem letzten Besuch im Dorf, man habe ihm eroeffnet, er muesse noch ein Monat Diaet ablegen, um als Heiler „akkreditiert“ zu werden. Ein Heiler sei jemand, der sich auf die Pulsdiagnose verstuende. Bedaechtig legt er 2 Finger auf seine eigene Armbeuge. „Alles sehen…“, grummelt er. Bei der Hochzeitsfeier seiner Tochter wirkt er abwesend, redet mit niemandem, waehrend seine Gattin, Do?a Eugenia, selbst eine Kraeuterkennerin, unter Traenen ihr familiaeres Bekenntnis als Mutter von 9 leiblichen und 2 Adoptivkindern ablegt.

Don Santiago ist in Tamshiyacu die historische Klammerfigur. Niemand konnte mehr abenteuerliche Erfahrungen sammeln als er. Doch er redet nicht oeffentlich darueber. Die Begegnungen sind Teile des Geheimnisvollen. Nur ueber den Shapishico, den Herrn des Waldes, laesst er sich in einem Kurzkommentar aus. „Ja, ein kleiner hombresito (dabei misst er die Hoehe ueber dem Boden), er kommt immer wieder.“ Aus seiner Jugend macht er kein Hehl. Ja, er sei frueher ein Brujo gewesen. Sein Meister, ein Banco, habe ihm in fruehester Zeit die Verwuenschungen gelehrt. Und er, als Heisssporn und Schuerzenjaeger, habe sich sofort verletzt gefuehlt, wenn ihn eine begehrte Frau zurueckgewiesen habe. Sogar noch in den ersten Jahren der Ehe mit Do?a Eugenia habe er seinen kaum zaehmbaren Impulsen des „mujeriegos“ gefolgt, bis sie ihn eines Tages zur Raison gebracht habe. „Hoer auf mit dem Unsinn“, so habe sie ihm den Kopf gewaschen, er habe aufgehoert, mit allem, und sei in die Kirche eingetreten. Doch die Liebe zu den Frauen ist ihm geblieben. In seltsam anmutender Hellsichtigkeit beschreibt er die Schoenheit der Frauen des Alten Testamentes. Don Santiago verkoerpert heute die reine Unschuld. Mit seiner Frau, die im Dorf lebt, verkehrt er spirituell. Was kann man dazu als Aussenstehender schon sagen? Welches Recht hat man? Als die maskierten Kolumbianer eines Sonntags unserem Camp einen Besuch abstatteten, lag ein heiliger Schleier ueber den Anwesenden. Do?a Wilma, unserer schwerhoerigen „brujita“, der sie den Gewehrlauf in die Rippen bohrten, jagten sie nur einen gehoerigen Schreck ein. Kurt, dem geschaetzten Freund, 3 Monate auf Diaet, konnten sie nichts anhaben, er war unsichtbar, ebenso wie sein Meister Santiago, der, hungernd, auf den Stufen des Schlafhauses sass und vor sich hindoeste. Er konnte die Szene, die sich 30 Meter von ihm entfernt abspielte, gar nicht ausmachen. Kein einziger boeser Gedanke schlich sich in seinen Geist, als man ihm das Geschehen erklaerte. Die Gewaltfantasien konnten andere Zuhoerer entfachen. Die einzige Emotion, die man Don Santiago abringen kann, ersieht man aus seiner Handbewegung, wenn er von seinem Kampf gegen den Yanapuma erzaehlt, den er mit einem Bajonett, im Baum haengend, das Monstrum unter ihm, toetete.

Moege Dir noch ein langes Leben beschert sein, Santiago.

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