Regelmaessig tragen Besucherinnen unseres Camps die Frage an uns heran, wie stuende es denn mit Heilerinnen hier in Amazonien, denn nirgendwo koenne man eine solche antreffen. Dies hat seine Bewandtnis. Das peruanische Amazonien ist gepraegt von einer tief verwurzelten Machokultur, doch eigentlich sind wir es, die Zugewanderten, die diesen Begriff verwenden. Die Maenner bezeichnen sich selbst unverhohlen als „Mujeriegos“, Schuerzenjaeger, und benehmen sich auch so, naemlich in hoechstem Masse unverantwortlich. Die Frauen reagieren darauf in eigener Weise, autonom, hart und arbeitsam. Sie verlieren nicht viele Worte. Das, was sie sagen, hat Kraft, ist stimmig. Das, was sie nicht sagen, ist noch maechtiger und treibt manchen Mann in die Verzweiflung.
Do?a Eugenia zaehlt jetzt 68 Lenze, sie hat 9 Kindern das Leben geschenkt und zusaetzlich 2 Kinder adoptiert. Sie arbeitet noch heute ab 5 Uhr morgens. Die Stunde zwischen 4 und 5 schenkt sie dem Allmaechtigen, vor dem sie sich im Schein der Petroleumlampe in der noch stillen Kueche auf den Boden legt. Ihre Gebete, die sie murmelt, sind flehend. Sie bittet um die, die durch eine schwere Zeit gehen; die zahlreichen, die Geld veruntreuen; die Teufelsanbeter; die, die sich vom Hass vereinnehmen lassen; die Kranken. Sie bittet um ihre eigene Familie. Ihre Soehne. Der eine, juengste, der 12 Jahre unschuldig im Gefaengnis sass und nicht mehr aus noch ein weiss. Fuer ihre beiden aeltesten, die dem Zauber anderer Frauen erlagen.
Diesmal aber geht sie nicht zum Markt, sondern mit einem unserer Besucher in ihr Chakra. Er leidet an chronischer Weltunvertraeglichkeit. Die Bestandteile der Medizin hat sie am Vorabend angesetzt, jetzt mischt sie sie.
Ihr Sohn Francisco teilt ohne viel Worte die Runde. Sie spricht ein laengeres Gebet, dann gibt sie den 3 Maennern die Schalen. Tabak. Der Schock wirft die nackten Maenner auf den mit Saegespaenen bedeckten Boden, sie kaempfen mit dem Schmerz, verlieren einander aus dem Blick. Dann das erloesende Erbrechen, Eugenia traeufelt Wasser ueber unsere Koepfe, trocknet sie mit einem Handtuch. Der Himmel beginnt zu grollen. „Es ist nicht gut, so hingekauert zu bleiben“, sagt sie und fuehrt den Besucher zu seiner Haengematte, die sie bereits aufgespannt hat. Hitzewellen durchfluten den Kopf, Schweiss rinnt. Dann bleibt nur mehr das Summen der Bienen und mancher Muecke. Eugenia widmet sich derweilen dem Feld, spaeter facht sie ein Feuer an, legt Bananen in die Glut, bereitet einen Chapo. Das Farbenspiel des Himmels ist heute seltsam. Die Sonne brennt nicht herab. Um 13 Uhr schaltet Pancho sein mitgebrachtes Radio ein, er will wissen, ob die Fluege nach Iquitos wegen des Muellgeierproblems wieder aufgenommen werden koennen. Doch er selbst scheint sich nicht mehr dafuer zu interessieren, ist verschwunden. Wir packen unsere Sachen, kehren im einsetzenden Nieselregen zurueck. Am naechsten Tag fragt uns Eugenia nach unseren Traeumen. „Habt ihr Flammen gesehen, Feuer? Ihr muesst euch befreien von den selbstgeschaffenen Problemen.“ Etwas spaeter schlendern wir ueber den Hauptplatz. Etwas zeigt die Menschen in anderer Weise.