Mein Freund, der Turmbewohner, hat eine weite Sicht. Naechtens, in den Qualen, sieht er die Wegstrecke, die er gegangen ist. Er sieht das Unheil, das sich draeute, und die Gemeinheiten. Er sieht die Verletzungen und Perversionen.
Er ist nicht allein.
Wir alle leiden unter den unsaeglichen Gemeinheiten, die aus dem Mund der Anderen stroemen, und wir lernen, selbst gemein zu sein. Schon im Kindesalter, wenn uns der Bruder oder die Schwester zuwider sind.
Freilich, manche fassen das Gemeinsein als einen Naturzustand auf und lehren ihn den Kindern. "Sei ruecksichtslos und lass dir nichts gefallen! Nur der Staerkste ueberlebt." So planieren sie die Strasse der Verdammnis, und haben gar nichts dagegen. Nur eines uebersehen sie: Das Ueberleben hat einmal ein Ende, es kann in den naechsten fuenf Minuten kommen, und irgendwann scheren auch die Kinder des Teufels aus. So wie Franz von Assisi, der Sohn reicher Tuchfaerber, oder einer der Haubitzenlenker, dessen Befehl lautet, eine Wegstrecke von 5 Kilometer zu fahren und 100 Granaten in die Menge der Fluechtenden abzufeuern. Er legt Zeugnis ab, Zeugnis fuer viele.
In einer Welt der Fremdartigkeit, wo uns einmal alles zum Schmerz und zum Ekel wird, wo wir nur mehr schlafen und einsam sein wollen, ungestoert vom Laerm und den Giftzungen, in einer solchen Welt mehren sich die Ausscherungen hin zum Mystizismus. Die beschaulichen Orden gewinnen an Mitgliedern. Eine Meditation in der Welt der Karthaeuser gerinnt zu einem 3-stuendigen Kinofilm ohne Worte. Auf den Schlachtfelder Bosniens und Palaestinas entstehen Gemeinschaften der "Seligpreisung". Selbst in Auschwitz-Birkenau leben geistliche Frauen.
Die Welt ist nicht mehr dieselbe, wie sie einmal war. Freilich, jene Ambitionierten, die immer noch meinen, es ginge nur um das Sich-Durchsetzen, sie fuhrwerken und zetteln Minikriege an, vor unserer Tuerschwelle. Sie sagen, ich werde dafuer sorgen, dass mir nicht ein Hexer die Seele raubt, dann, wenn ich einmal gestorben bin. Sie sagen, es gefaellt mir, jede Frau zu nehmen, die sich mir anbietet, egal, ob sie verheiratet ist oder nicht. Sie sagen, mein bester Freund ist mein Portemonnaie. Und wenn sie meinen, sie wuerden ungerecht behandelt, schmieden sie naechtliche Racheplaene, in denen das Mordkomplott ein kleiner Geselle ist. Die Durchsetzer reden von unserem "Señor", doch spaeter, im Privaten, sieht man sie trunken. Und noch spaeter, wuerde man sie zur Rede stellen, waeren sie ausfaellig, bis sie die Grenze erreichen, wo es wieder Mordlust wird.
Meine Freundin, die alte Heilerin, sagt, "vergiss nicht, die Welt ist nicht mehr dieselbe. Christus ist gekommen und hat Gott Vater abgeloest. Wir leben mit ihm als Bruder. Christus ist unser Bruder im Schmerz, im Verzagen, in der Einsamkeit. Christus ist Gott und versoehnt uns mit dem Leben."
"Ja", sagt Agustin Rivas, "ich habe 75 Heilande geschnitzt. Er war meine Messlatte und meine Inspiration. Der in Puerto Maldonado und der in Chimbote sind wundertaetig. Bei Monseñore Bambarén bin ich beichten gegangen. Ich habe geweint. Ich weiss, dass meine verkrueppelten Haende mein Los sind, das ich bis zum Ende tragen muss. Das, was auf uns zukommt, muessen wir annehmen, in aller Demut. Gott ist maechtig. Du kannst dich ihm nicht widersetzen. Er richtet uns und fuehrt uns in die Stunde des Todes. Gott ist es, der heilt, in einer Sekunde. Du musst ganz offen sein fuer Gott, nichts mehr bleibt von dir uebrig, wenn Du heilen willst. Verstehst Du mich? Nichts mehr! Du musst beten, immerfort. Du weisst nicht mehr, was Du tust. Du bist ein Hampelmann in seinen Haenden. Es koennte ihm gefallen, den Faden zu durchtrennen und dich niederfallen zu lassen, denn er sieht dich in allem. Du wirst erkennen, dass die Widersetzlichkeit Unreinheit ist."
Tatabete, mein Zeitgenosse, den ich in den Fluss hieven soll, wenn es mit ihm zu Ende gegangen ist, Tatabete, den Sri Chakravarti umarmt, er wird Gnade erleben.
Versoehnung wird es sein, die wir erleben, im letzten Augenblick, dem endlosen. Unsere Liebe wird verstroemen zu unseren Kindern. Und jene wenigen, die Begnadeten, die uns bereits jetzt lieben, zu ihren Lebzeiten, sie werden eine Transformierung erleben, die die Welt und die Seelen der Zeugen erschuettert.