Sheshico, der Bäcker
Cecilio, von den Alteingesessenen „Sheshico“ genannt, ist einer von 3 wohlgemuten Bäckern in Tamshiyacu. Der erfolgreichste. Er variiert seine Brotarten und setzt gutes Mehl ein. Das hat ihm einen guten Ruf eingebracht. Sein Brot verkauft er bis hinunter nach Gallito und hinein in die Caserios der Quebrada Tamshiyacu, also praktisch im ganzen Distrikt Fernando Lores. Er ist ein bulliger Mann, dunkel, wortkarg. Er könnte einen Helden aus früheren umkämpften Epochen des Landes abgeben. Seinen Beruf hat er erst später erlernt, neben der Landwirtschaft und der Fischzucht. Zu seinen Talenten gehört unter anderem das versierte Motocross-Fahren, was ihm einen einträglichen Zusatznebenverdienst mit den „Gringos“ einbringt, die er auch bei widrigem Wetter in den Dschungel hineinkutschiert. In seinem Haus wohnt die rechtschaffenste Mitarbeiterin des Municipios, Leiterin des „Registro Civil“, zur Untermiete. Bisweilen hilft sie mit beim Verkauf, so wie sein ältester Sohn, der unbedarfte Grossohrige.
Als Banditen seinen Vater beim nächtlichen Fischfang umbrachten und die Polizei später die Übeltäter dingfest machte, wollte Sheshico Selbstjustiz üben und zur Gerichtsverhandlung mit Waffe erscheinen. Seine Frau, tief katholisch, brachte ihn von seinem Vorhaben ab. Als der Übeltaeter nach lächerlich kurzer Zeit durch undurchschaubare Machenschaften, in denen sicherlich Geld im Spiel war, wieder frei kam, mußte sie ihm erst recht ins Gewissen reden. Seit damals gilt Sheshico im Dorf als unberührbar. Keiner legt sich mit ihm an, nicht einmal der Mob, der in der Wahlnacht des 19.November 2002 das Gemeindeamt links und die Radiostation rechts neben ihm zu Kleinholz zerlegte. Sheshico ist also wortkarg, doch am Motorrad, im Fahrtwind, erzählt er scheibchenweise, so wie er auch scheibchenweise fragt. Sheshico gäbe einen guten Pokerspieler oder Polizeioberen ab, aber dieses Talent, auch der Menschenführung, hat er in seine diskreten geschäftlichen Aktivitäten einfließen lassen und so seiner Baäckerei zum Erfolg verholfen. Die 3 Bäckereien des Dorfes, auf 50 Meter nebeneinander in einer Linie am Hauptplatz gelegen, verstehen sich einträchtig. Schauplatz eines übergreifenden Gesetzes.
Jetzt, nach Weihnachten, sind alle seine Panettones über den Tisch gegangen, und es waren nicht wenige. Sein neuester Wurf ist ein Vollkornwecken um 3,- Soles, zum Frühstück wie bestellt.
Alles Gute fuer das anstehende Jahr 2006, Sheshico! Auf daß Du uns noch lange erhalten bleibst.
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Neues von Don Cecilio
Cecilio fährt wie ein schwerer Stier immer noch auf dem gleichen Motorrad wie vor 10 Jahren (eine rote Yamaha, Cross), und er blickt immer noch gleich finster, oder sagen wir besser: phlegmatisch. Dieses Charaktergesicht des Bäckers Cecilio, der schon alle Gemeinheiten, zu denen der Mensch fähig ist, gesehen hat, und den das Leben dennoch nicht verdrießt. Cecilio trägt immer die gleiche Adjustierung, wie ein Militär seine Uniform. Da ist mal seine helle Kappe, die ich noch nie näher studiert habe, doch sie paßt ihm wie angegossen und fliegt ihm auch nicht bei stärkstem Wind – wie z.B. auf dem Schnellboot und bei einem Ride mit seinem Moto bei Sturm – vom bulligen Kopf. Er trägt über dem Hemd eine Segeljacke oder einen Segelanorak, also ohne Ärmel. Außerdem benutzt er zum Motorradfahren aus Prinzip einen Nierenschutz. Seine Hose ist weitgeschnitten, so wie die Uniformhosen der Engländer damals in Indien. Das Schuhwerk: Trekkingstiefel. So stapft Cecilio durch den Tag. Immer das ernste Gesicht, wie ein Pokerspieler. Bei keinem anderen hielte ich es für unmöglicher, daß er von Flußpiraten oder Straßenräubern überfallen werden könnte. Cecilio trägt keine Waffe bei sich, weder offen nocht versteckt. Kein Messer, so wie Agustín, der sein Camp nur mit der Kurzmachete verläßt und sie mitten im Gespräch auch schon mal ganz ungezwungen auf ihre Schneide prüft. Nun gut, zwischen Agustín und Cecilio liegen gut 25 Jahre und auch gute 25 Kilo, aber dennoch, dieses Phlegma des Bäckers und sein intensiver, ruhiger, prüfender Blick der Umgebung, das ist schon Qualität. Sheshico gönnt sich auf der Überfahrt von und nach Iquitos in der Regel ein Nickerchen, denn Bäcker Sein heißt früh Aufstehen. Wann Sheshico morgens aufsteht, habe ich mich nie gefragt.
Sheshico residiert am Hauptplatz, 40 Meter von Don Dinacio entfernt, einem der reichsten Männer des Dorfes, seines Zeichens ebenfalls Bäcker, und vormals Großgrundbesitzer. Den Grund hat er zum Großteil an die Verbrecher von der Kakaofirma abgeschlagen, und das sicher nicht zu einem naiven Preis. Dinacio war der Vater von Gordo Alex. Das ist ein anderes Thema. Die Leute bleiben also, vom Markt kommend, aus Bequemlichkeit einfach an der Hausecke von Dinacio stehen und kaufen dort ihren Sack Brot um 5,- Soles. Sheshico verkauft dafür einen Teil des seinen am Markt in einem Kiosk und läßt darüber hinaus unseren jahrzehntelangen „Dorftrottel“, der noch dazu verdreht Beine hat, Brot gegen Kommission austragen. „Pane, pane!“, so hallt es zu unregelmäßigen Zeiten lallend durch die Gassen. Den Rest verkauft Sheshico im eigenen Laden, der sich zu einer Handyzentrale gemausert hat. Doch der Elefantenanteil der Brotproduktion unseres Bäckers Cecilio Marin geht in die umliegenden Comunidades, frühmorgens, säckeweise, und zu diesem Behufe hat Cecilio ein Logistiknetz aufgezogen, das schlichtweg Anerkennung verdient. Der Distrikt Fernando Lores ißt das Brot von Sheshico, und das, ja, diese Meisterleistung würde ihm niemand ansehen, wenn er es nicht besser wüßte.
Neben der Bäckerei betreibt Cecilio eine veritable Paiche- und Gamitana-Zucht in entsprechenden Teichen, die Tag und Nacht bewacht sind. Cecilio ist am Markt Großeinkäufer für Hühner- und Fischeingeweide. Wird alles an die Fische verfüttert. Das Wasser brodelt bei der Fütterung. Die Paiches, die größten Süßwasserfische weltweit, noch vor dem Stör, schnappen mit einem dumpfen Knall zu. Sie sind gefräßige Allesfresser, allerdings nicht aggressiv und ohne Zähne. Cecilio fährt sie jeden Tag besuchen. Die Fischzucht ist sein Stolz.
Was an meinem Bäcker so angenehm auffällt, ist seine durch und durch ruhige Art, von der ich mir eine dicke Scheibe abschneiden könnte. Er wird nie laut. Er schimpft nie. Er grummelt nie. Wenn bei den Backgesellen etwas schief läuft, gibt es so etwas wie eine gelangweilte, schmierige Zurechtweisung; nie ein Bellen oder Beißen. Eine Botschaft wie: „Bitte das Gehirn einschalten und weniger an Frauen denken!“
Cecilio ist nach wie vor verheiratet (selbstverständlich), und, das kann ohne Übertreibung oder Indiskretion gesagt werden, treuer Ehemann. Das ist eindeutig sichtbar in diesem Sündenpfuhl tropischer Aufgeheiztheit. Seine Gattin assistiert die meiste Zeit im Backladen. Seine beiden Kinder, ein Bub und ein Mädel, studieren in Iquitos. Sie werden jedes Jahr größer.
Sheshico ist ein Freund. Er hat mich gelehrt, weniger zu reden. Er weiß, wo ich stehe. Sheshico verleiht kein Geld und hat bei niemandem Schulden. Ich wünsche ihm ein Leben bis 180.
Ein Freund ist gegangen
Don Cecilio ist tot. Er starb heute, am Tag der unschuldigen Kinder, 28.Dezember 2016. Die Nachricht von seinem Ableben ging wie ein Lauffeuer durch das Dorf. Der Himmel weint. Es hat wiederum zu regnen begonnen. Cecilio erlitt vor kurzem eine Nierenkomplikation. Wohl aus einer fatalen Serie von Besorgnissen, die seine Gesundheit in Mitleidenschaft zogen. Ich kannte seine Sorgen nicht im einzelnen, doch Cecilio ging mit Sorgen schwanger, das war doch spürbar. Er hatte täglich mit Widerständen zu kämpfen. Er verlor nie ein Wort des Ärgers. Er war die Verschwiegenheit in Person. Ich glaube, niemand, außer seine Frau vielleicht, kannte seine Gedanken. Daß er sich Gedanken machte, war evident. Seine Verschwiegenheit hatte eine Quelle. Er war immer unterwegs auf seinem Motorrad. Ich meine, er schlief wenig. In der letzten Zeit sah ich ihn bisweilen in der Bäckerei im Schaukelstuhl, an den Nachmittagen, wo sowieso das gesamte Dorf Siesta hält, die Bauern auf ihren Feldern einmal ausgenommen. Er zeigte einen bleiernen Schlaf. Eine Kraft, die ihn niederdrückte. Und doch mußte er sich aus dem Schaukelstuhl hochrappeln, um den Kunden, der vielleicht nur eine Aufladung seines Telefonguthabens um vielleicht läppische drei Soles im Sinn hatte, zu bedienen. Immer wieder Unterbrechungen. Ja, ich glaube, er hatte wenig Schlaf. Er schlief während der Bootsfahrten. Das immer. Eine Mütze Schlaf. Eine Insel der Erholung, eine Stunde, mehr nicht.
Cecilio war massig. Seine Statur und seine Adjustierung habe ich bereits beschrieben. Er mußte vor allem auf seine Fischteiche achten. Die Wildfischer und erst recht das Nutria waren eine ernstzunehmende Gefährdung des Fischbestandes, Gamitanas und Paiches, wie bekannt. Er hatte einen Wächter für die beiden Teiche abgestellt. Der Wächter mußte zuverlässig sein. Wer es war, weiß ich nicht, und auch nicht, ob er wirklich vertrauenswürdig war. Die Diebe arbeiten zeitweise tatsächlich spurlos. Das ist umso ärgerlicher. Dieser permanente Vertrauensverlust, diese Hintergehung, die in der Luft hängt. Niemandem ist zu trauen. Und dann noch jene, die sich nicht scheuen, Gewalt anzuwenden, so wie gegen seinen Vater, den sie beim nächtlichen Fischfang ermordeten, aus welchem Grund auch immer. Ich habe das schon erwähnt. Gegen Ceciliuo ging niemand vor. Das war unvorstellbar. Aber Hintergehungen hinterrücks, das war möglich, und sei es, daß die Bäckergesellen hinterrücks vielleicht ihre eigene Sache regelten. Doch das wurde nie bekannt. Er mußte um alles sorgen, auch das tägliche Brennholz für die Öfen. Vielleiocht zehrte die Konkurrenz zu Don Dinacio an seinen Nerven. Die Logistik der Versorgung im gesamten restlichen Distrikt war eine tägliche Monsteraufgabe. Er mußte seine Augen überall haben. Für einen Mann, der um seinen Vater trauert, eine Titanenaufgabe.
Das alles muß an ihm gezehrt haben, erst recht an seinen Nieren. So kam es zu den Komplikationen. Sie mußten ihm eine Niere entfernen. Das war für einen Mann von Cecilios Fülle bereits fatal. Es kam zu einer Inkompartibilität mit den Medikamenten, die sich direkt auf das Gehirn auswirkte. Die Medikamentenvergiftung nahm ihm die Orientierung. Er erkannte die Angehörigen nicht mehr. Äußersten Alarmzeichen. Dann fiel er ins Koma. Er kam nicht mehr hoch. Mein Freund, der Koloß, brach ein. Das Sumpfloch verschlang ihn. Er versank. Cecilio hat sich so wie viele die ruhigste Zeit des Jahres ausgesucht. Die Zeit der Nähe Christi, Weihnachten, wo der Himmel mit der Herabkunft des Herrn noch offen ist. Der Retter ist uns geboren, ich gehe mit ihm zurück. Der Himmel ist offen. Es regnet.
Ein Freund ist gegangen, so wie David Peterson, der gestern ging. Dessen Frau Margia ließ die Maschine in der Klinik Anna Stahl abstellen. Wahrscheinlich signalisierte es ihr David mit dem Finger, wie auch immer. Er war bewußt. Cecilio hingegen lag in Agonie, und jetzt ist er still für immer. Es regnet, und die Menschen versammeln sich bereits vor seinem Haus. Die Türen sind geschlossen. Der vielleicht integerste Bürger unseres Dorfes ist verblichen. Das wird allen zu denken geben, den vor der Bäckerei wird sich ein gähnendes Loch auftun. Niemand wird die Bäckerei übernehmen. Nicht der Sohn, nicht der Nachbar, nicht ein Bäcker aus Iquitos. Den Krater wird niemand schließen. Vielleicht spricht Cecilio aus den himmlischen Sphären ein Machtwort. Ich denke, so wird es kommen. Jetzt bleibt nur mehr das Gebet. Amen.