Morgen begegnen wir wieder dem Kind, dem unabweisbaren. Dem Kind, das uns im Naccken sitzt, so wie dem Heiligen Christophorus, der es über den Fluß trägt und den es mit jedem Schritt mehr und mehr niederdrückt, bis er ausruft: „Wer bist du, oh Herr?“, und er im Seitwärtsdrehen des Kopfes den Schein des göttlichen Kindes sieht, die Last seiner Sünden erkennt und sich zu einem unmittelbaren Ausruf hingetrieben fühlt: „Vergib mir Sünder, oh Herr!“ In diesem Moment, so die Legende, ist das Kind von seinen Schultern verschwunden. Der Heilige Christophorus entledigt sich seiner Kleider und taucht in den Fluß unter zum Zeichen seiner Reue und wird neu getauft. Das Licht erscheint ihm am Himmel und segnet ihn.

Das Mysterium, das weltbewegende, begann in einer Hütte, als ein 13-jähriges, zur Verklärung neigendes Mädchen namens Miriam eine Erscheinung hatte, die sie blendete und die ihr etwas eröffnete, das sie zuerst nicht verstand. Bald jedoch, als sie bemerkte, daß sie Mutter wurde, verstand sie. Was mögen die Träume dieses Paares damals gewesen sein, in dieser Frist? Das Heilige Paar, das nicht ahnen konnte, daß sich durch sie ein Erlöser erwirken sollte. Deshalb betet Pater Pio: „Meine Mutter Maria, nimm mich mit dir in die Grotte von Bethlehem und hilf mir, mich in die Betrachtung dessen zu versenken, was an Großem und Erhabenem in der Stille dieser außergewöhnlichen und wunderbaren Nacht geschieht.“

Eines Mysteriums gewahr werden ist für gewöhnlich eine sehr persönliche, innige, intime Einladung, einem Weg, der sich vor uns auftut, zu folgen. Auf diesem Weg finden wir den Glauben, den reinen, den unschuldigen. „Der Glaube ist unser Führer; wenn wir seinem Licht folgen, gehen wir sicher auf dem Weg, der zu Gott führt, zu seiner Heimat, so wie die Heiligen Drei Könige vom Stern, dem Symbol des Glaubens, geführt, den ersehnten Ort erreichen.“

Den ersehnten Ort.

Was ist der ersehnte Ort? Ist es nicht vielleicht doch der Stall von Bethlehem, zu dem wir selbst als Hirten von Schafen herbeigeeilt kommen wollen, gerufen von einem mächtigen Rauschen in der Luft, das uns von unseren Nachtlagern hochschrecken und uns fragen läßt: „Was hat das alles zu bedeuten?“, und etwas zieht uns fort zum Horizont, wie mächtige Posaunen, die uns rufen. „Dein Eifer soll weder bitter noch eigensinnig sein, sondern frei von jedem Makel; er sei sanft und gütig, anmutig, friedfertig und erhebend. Ja, meine gute Tochter, wer betrachtet nicht das liebe Kindlein von Bethlehem jetzt im Advent, der Zeit der Vorbereitung. Ich meine, wer erkennt nicht seine unvergleichliche Liebe für die Seelen? Es kommt, um zu sterben, und es ist so demütig, so sanft und liebenswert.“

So spricht ein Seelenvater, dem es versagt war, leibliche Kinder zu haben.

„Wer erkennt nicht seine unvergleichliche Liebe für die Seelen?“

25.Dezember: „Sei frohen Sinns, zumindest an der Oberfläche der Seele, und verliere nicht den Mut, inmitten aller Prüfungen, denen der Herr dich unterzieht. Noch einmal, sei froh und mutig, denn der Engel, der die Geburt unseres kleinen Heilands und Herrn verkündet, bringt singend die Botschaft und verkündet mit seinem Gesang, daß er gekommen ist, um Freude, Frieden und Glück zu bringen den Menschen, die guten Willens sind, auf daß da niemand mehr sei, der nicht wisse, daß es genügt, um dieses Kind zu empfangen, guten Willens zu sein.“

Den Menschen, die guten Willens sind.

Und, „Jesus hat uns von Geburt an gezeigt, was unsere Aufgabe sein soll, nämlich das zu verachten, was die Welt liebt und für erstrebenswert hält.“ Ein berechtigter Hammerschlag. „Die Menschenkinder, verstrickt in ihre Geschäfte [in ihre Weihnachtsgeschäfte!], leben in Dunkelheit und Irrtum. Weder kümmert es sie, Gott kennenzulernen, noch sind sie im geringsten um ihr ewiges Seelenheil besorgt, noch drängt es sie, die Ankunft jenes Messias zu kennen, der von den Völkern erwartet und ersehnt und von den Propheten verkündet wurde.“

Worte eines Heiliggesprochenen. Inspirierte Worte mitten aus einem Menschenherz. Es könnten Worte eines Ayahuasceros sein. Wie redet ein Ayahuascero vor Weihnachten?

„Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Richte nicht, auf daß du nicht gerichtet wirst. Dies ist der Geist der Anakonda. Die Anakonda wurde von Gott eingesetzt. Sie behütet die Erde. Sie steht mit dem Kosmos in ständiger Verbindung. Wer von ihr lernt, lernt von Gott.“ (Guillermo Arévalo Valéra, „Kestenbetsa“, „Echo des Universums“, Shipibo-Conibo-Curandero, Banco sumai icaruna).

„Christus, der Nazaräner, und seine Mutter Maria heilen alle Frauen, die Kinder verloren haben. Sie tun dies unter anderem im Schein von Weihnachten.“ (Ricardo Amaringo, Shipibo-Conibo).

„Der Orationist versteht Christi Weg nicht als einen Weg zum Kreuz, sondern zur Selbstüberhöhung. Er gibt sich vollkommen dem Willen Gottes hin und wird dadurch erhöht. Die Erhöhung wird durch das Kreuz von Caravacca symbolisiert, eine doppelte Strebe wie eine Leiter.“ (Manuel Vásquez Llúy, Conibo-Mestize).

29.Dezember: „Wenn dereinst unsere letzte Stunde gekommen ist und unser Herz aufgehört hat zu schlagen, dann wird alles für uns zuende sein, die Zeit, Gnaden zu erwerben, wie auch die Zeit, Gnaden zu verscherzen. So wie der Tod uns finden wird, werden wir vor Christus, unseren Richter treten. All unser Flehen um Erbarmen, unsere Tränen, unser Reueschmerz, die uns auf Erden noch das Herz Gottes gewonnen hätten und uns, mit Hilfe der Sakramente, aus Sündern zu Heiligen hätten machen können, sie nützen dann nichts mehr; die Zeit der Barmherzigkeit ist vorüber, und es beginnt die Zeit der Gerechtigkeit.“

Es ist Abend geworden, bald wird es Nacht. Die Tage sind gezählt, dann endet das Jahr. Die Sterne stehen am Himmel. Derweilen tobt hier auf Erden eine Schlacht und niemand, so scheint es, geht lebend aus ihr hervor, und alle fragen sich, „Wie soll das gehen, Rettung durch ein Kind?“

„Und dies ist das eigentlich Erlösende: Die Überschreitung der Schranken des Menschseins, die durch die Gottebenbildlichkeit als Erwartung und als Möglichkeit im Menschen schon von der Schöpfung her angelegt ist.“ (Benedikt XVI., Jesus von Nazareth, Freiburg 2006, S.33)

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