Regenzeit
Ein erfolgversprechender Schritt weiter, jener Schritt zu innerem Frieden gerade um die Weihnachtszeit, wo er nirgendwo nötiger wäre. Der wahre Frieden kann nur erkämpft werden, entgegen allen Widrigkeiten und Anfeindungen. Der wahre Frieden führt zu einer gewaltigen, uns umblasenden Entschleierung. Entschleierung auf der einen Seite. Doch es kann auch geschehen, daß wir durch eine Falltüre brechen, oder sagen wir besser: durch dünnes Eis. Zuweilen, wie jedem bekannt, werden wir gar nicht des Terrains gewahr, auf dem wir uns gerade bewegen. Wir wissen nur, die vergangene Nacht war von erstaunlichen Blähungen und Gasen geprägt, so als finge die Naturmedizin (in diesem Fall „Chanca piedras“) ohne weitere Umstände mit einer Generalsäuberung in unseren ziemlich versauten oder beeinträchtigten Organen an. Ja, ohne weitere Umstände, unangekündigt. So als wäre das Ganze eine schichtweise komprimierte Giftableitung, deren Ausmaß uns nur staunen läßt. Das ist uns ja aus Ayahuasca bekannt: Nicht endende konvulsive Speiborgien; stundenlange Abortsitzungen; ein Mich-Krümmen wie ein Wurm; Schwitzen wie ein Schwein. Seltsam, wie sich diese Reinigung über die Jahre hinziehen kann. Offenbar bin ich schwer von Begriff, ein langsamer Überzuckerer, der am Ende des von ihm eingeforderten, angelernten Wissensschatzes bekennen muß, eigentlich habe er noch immer nicht verstanden, und eigentlich frage er sich bereits die längste Zeit, warum in dieser verdeckten, ekelerregenden Pädagogik dermaßen viel Gewalt offen oder verdeckt ausgeübt werde. Diese Scharlatane rechts und links sind doch nur Teufel, die sich in Weihrauch baden und Phantasiekostüme anlegen, als wären sie die ureigensten, ursprünglichsten Indios, die Hüter des Wissens und der Medizin. Ich kann es nur auf mich selbst umschlagen. Wirklich erstaunlich, welche Tiefenschichten da freigelegt werden. Ich hätte mir nicht erträumen lassen, daß mir der Vater jetzt, wo er unwiederbringlich tot ist, dermaßen abgeht. Und ich hätte nicht erwartet, daß mir jetzt, wo ich alleine bin, soviel zu ihm einfällt. Die Erinnerungen an Schlüsselszenen reißen nicht mehr ab. Ja, was ist denn das? Wer führt hier Regie? Gar ich selbst? Nein, so verstiegen bin ich nicht. Nein. Aber da gibt es eine Instanz, die mich vorantreibt. Da kommen Goldnuggets daher, gewissermaßen in Abwechslung zum neu errungenen „Vater/Mutter unser“. Mitten im Gebet eine handgreifliche, nahrhafte Erkenntnis, ausgehend von einer Erinnerung. In diesem Moment des Mich unruhig hin- und her Wälzens im nächtlichen Bett überkommt mich, da ich nun bereits seit einem Monat in Diät zu bleiben versuche, eine Ahnung, was es sagen will: da kommt nur allzu bald eine Zeit, wo keiner der auf diesem Planeten heute noch Lebenden am Leben geblieben sein wird. Keiner. Acht Milliarden Menschen werden hinweggefegt. Und wenn es sein soll, schnell. Ungekannt schnell. Die Zahlen spielen keine Rolle bei diesem unvermeidlichen planetaren Kehrricht vor dem Angesicht der Ewigkeit. Wenn Ewigkeit und Unendlichkeit einbrechen, über unsere Schädel hinweg, ohne jede Rechtfertigung. Nur die Todesarten differieren, wie Ingeborg Bachmann zu ihrer eigenen Bestürzung feststellen mußte. Die Unruhe läßt mich nicht los. Gewaltiges bahnt sich an. Ich spüre es untrüglich. Gewaltiges. Und wenn ich ehrlich sein darf, ich will es ja auch gar nicht anders. Ich sehe da ein paar Raucher, oder besser: ich sah da ein paar Raucher. Wie das? Wie das, daß sie alle nicht mehr sind? Manche starben am Rauchen, aber nicht alle. Wie das? Hinz und Kunz, groß und klein, dick und dünn, schön und häßlich, gescheit und dumm. Alle fort. Nur in mir, in meinem Vorsatz zu ewiger Erinnerung (das wohl darf ich jetzt schreiben!) leben sie weiter. Es müssen hunderte sein. In diesem Moment zieht mir jemand den Teppich unter den Füßen weg. So mußte es ja kommen. Willst du dich mit dem Tod beschäftigen, sei gewappnet! Da kann allerhand kommen. Die Toten könnten dir allerhand erzählen, sobald du dich auf einzelne einläßt. Ja, ich weiß, das Meiste ist nur peinlich. Hochgradige Geistesverwirrung, hochgradiges Va-banque-Spielen im Casino. Wie konntest du dich nur dorthin verirren? Doch nicht nur dorthin! In wie vielen fremden Betten bist du schon gelegen? Da wohl hat dir einiges nicht gut bekommen. Seitdem hustest du. Seitdem leidest du an Unkonzentriertheit. Seitdem peinigen dich Schuldgefühle. Seitdem schlägst du dir mit der Faust auf die Stirn. Und die Medizin – sie neben anderen Autoritäten – grummelt dir diskret ins Gehirn: „Mein Lieber, ich kann es dir leider nicht ersparen. Wenn du Grundreinigung anstrebst, die nichts, aber auch gar nichts ausläßt, wirst du leiden. Doch sei getröstet, das geht vorbei, so wie die Stiche des Wespenschwarms, der es sich in deinem seit Monaten am Fensterholz hängenden Pyjama bequem gemacht hatte und sich jedewede Störung verbat. Ohne Schild an der Türschnalle im Hotel. So schnell – denk an Mama Anni – kann’s gehen. Eine gelbe Wolke, die auf dich, den Nackten, zustiebt. Hat ein bißchen gebrannt, gell? Und dein Pimpilin verwandelte sich in eine unförmige Fleischmasse. Geschieht auch nicht alle Tage, nicht? Sowas nennt man Lernen. Lernen ist schmerzhaft. Hast du es wenigstens jetzt begriffen?
Nun, ich hoffe doch! Somit ersuche ich höflich, am Ball bleiben zu dürfen.
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Regenzeit 2
Die Wassermassen, die es ab Spätnachmittag von oben schüttet, lassen uns innerlich danken, gestern nicht bis Otorongo vorgedrungen zu sein. Die majestätischen Regenwolken, die sich da über unseren Häuptern bis über 10 Kilometer hinauf aufbauten, ließen uns von unserem Vorhaben ablassen. Und dann, am frühen Abend, wurde es stockdunkel, und Eugenia konnte wieder einmal nicht an sich halten, wußte sie doch, ihr jüngstes Enkelkind war noch auf dem Fluß unterwegs. Der Fluß im Sturm: lebensgefährlich. Die Frauen bekreuzigen sich und schreien ungehemmt, wenn das Boot zu kentern droht. Der Bub kam glücklicherweise rechtzeitig an, wenige Minuten, bevor es losging. Und dann das Rauschen und Prasseln. Alle Fenster geschlossen. Zum Glück kein Sturm. Das ungezügelte Blitzen hatte es angekündigt. Donnerknoten und -Wellen direkt vor der Haustür auf der Hauptstraße. Die Dächer beben, Straßen und Mauern. Das wird die Dschungelstraße für ein paar Tage ruinieren, soviel steht fest. Zum Glück stehen die Weihnachtsfeiertage vor der Tür. Keine Lastwägen unterwegs, weder von Kakao noch von den Chinesen, die die Solaranlage für die Stromversorgung auf Kilometer Eins mit Hochdruck bauen. Das Dorf wächst mit Riesenschritten. Salomon hat einen Zukunftstraum, von dem er erstaunt berichtet. Eine Siedlung auf Kilometer Sieben, nach Kakao, Höhe Puca Yacu. Schulende also überall. Chocolatadas mit Minidiscotheken an allen Ecken. Dazu das unerträgliche amerikanische Weihnachtsgedudle mit entmenschlichten Kinderstimmen. Man muß das Chaos einfach walten lassen, kommentieren die Buben. Das wirst du diesen Leuten hier niemals austreiben, Papa. Gut. Wenn’s weiter nichts ist. Einen Gutpunkt habe ich jedenfalls zu verzeichnen: der Baummörder Andrés ist stillgelegt, unser Hausfreund Manuel Pinto Sayllón ist neuer Forstgouverneur, und der läßt sich nicht bestechen. Und Frau Betzabe, die Waffenschwingende, ist auch wieder vor Ort und gibt ihrem Gatten für den Guabál rigorose Schießgenehmigung, rein aus Psychohygiene. Und der Gatte, ein notorischer Komplexler, weiß natürlich, wie er sich zu verhalten hat. Wo keine Leiche, dort kein Richter, sagt er sich, und am besten ohne Zeugen. Wenn stört es schon, wenn alles in der Phantasie geschieht. Stichwort „Psychohygiene“. Die Deutschen im neuen Yushintaita haben natürlich von nichts eine Ahnung, und Agustín, der etwas wissen müßte, hält natürlich, nachdem Haus und Hof für gutes Geld verkauft sind, seine Schnauze, erst recht, seit ihm Betzabe vor Gericht offen ihre Meinung um die Nase gerieben hat. Da waren Staatsanwalt und Richter gleichermaßen erstaunt. („Wo ist Ihre Gattin? Sind Sie Katholik? Wieviele Männer haben Sie bei den Yaguas umgebracht? Was wurde aus Ihren drei Frauen, was aus Ihren drei Kindern? Andrés hat Ihnen zwei Bäume gestohlen, eine Quillo Bordón und einen Marimari. Sie aber waren nie in der Zone von Otorongo. Mein Gatte hat für Sie die Fackel hingehalten, und so danken Sie es uns jetzt? Warum lassen Sie uns nicht in Frieden leben?“) Mein Vater weißsagte mir die Schwierigkeiten solchgearteter Hinterfotzigkeit bereits vor 20 Jahren, als ich noch naiv alles glaubte, bei einer Autofahrt, wo ich meinte, mich wissend produzieren zu müssen. „Diese Leute kommen aus der Armut. Sie erlebten Diktaturen. Sie kommen aus dem Bürgerkrieg. Das sind Primitive, die von Werten keine Ahnung haben. Mord ist für diese nicht Mord. So wie ihre korrupten Präsidenten. Sie sind habgierig, wie Wilde, immerzu bereit zuzuschnappen und zu fressen. Von wahrer Theologie haben sie keine Ahnung.“ Heute bin ich glücklicherweise gescheiter, nach quälenden Fragen und rigoroser Betrachtung in Ayahuasca. Wenn Gott der Allmächtige – auch wenn nur in Maskerade, anders geht es ja nicht. Hmhm. Hust hust – erzürnt genau auf dich herunterschwebt, dich im genauen Blick, müßtest du doch bitte schön mal nachgucken, was für einen Riesenbock du da gerade geschossen hast, du kleiner dreckiger Wilderer! Ja, es gibt kein Entkommen! Wohin denn auch, bitte? Auch wenn es sich bei uns um Zwergenausgaben aus einer eingeschobenen Produktionslinie handelt, stehen uns ebensolche Zwergenschritte gut an. In die richtige Richtung, versteht sich. Wir werden da nicht blutrünstig auf das Schlachtfeld galoppieren. Halt gefälligst deine Schnauze und schraube deine Zornader zurück! Laß dein Blut nicht wallen! Führt zu nichts! Gelassenheit, mein Freund! Gelassenheit! So wie Djokovic. Sehr gutes Beispiel, oder nicht? Wir haben hier Shaolin in Reinkultur. Bitte lernen! Bilde dir nur ja nichts auf deinen Jähzorn ein, du kleiner Samuraisäbler. Kopfabhacker. Schäm dich! Ich habe einen Vorschlag: ihr beide fliegt nach Tokyo. Das muß es dir wert sein. Die Gattin bekommt eine Uhr nach Geschmack, Schuhe und Gewand. Und du gehst auf den Fischmarkt und frißt dich mit Austern voll, bis du platzt. Wär das was?
Ausweglosigkeit
Die Ausweglosigkeit meiner Verfassung hat in jedem Fall etwas Gutes. Die Unentrinnbarkeit des eigenen Lebens ist doch, möchte ich es nennen, staunenswert. Ich bin ein Körper. Ein „heiliges Gefäß“ nennen es die Traditionalisten. Deshalb war Suizid verpönt. Ich bin Körper, und kraft dieses Körpers manifest. Ich muß deshalb nicht notwendigerweise Spuren hinterlassen. Gut, manche Spuren sind unvermeidlich, aber einen Abdruck hinterlassen? Wer sagt das? Wer sagt, daß es darum ginge? Um das Hinterlassen eines Abdrucks? Doch Juan Matús sagt, das erst ist die wahre Kunst: spurlos wieder verschwinden, ohne gegenständliche Hinterlassenschaft. Auf jeden Fall, ohne Mist. Ohne Unrat. Ohne Müll. Ohne Verstrahlung. Die Ausweglosigkeit meines Leben-Müssens hat in jedem Fall ihr unübertreffbar Gutes. Sie zwingt mich über kurz oder lang zur Perfektion in allem. Sie zwingt mich zum Praktizieren der perfekten Form. Das geht 24 Stunden so, auch noch im Schlaf. Ich weiß ganz genau, daß Fehler in falscher Form harmonieabträglich wirken. Ich tue mir selbst damit nichts Gutes. Ich kann mir die Sucht nicht leisten. Nicht ewig leisten. Besser, früh genug und freiwillig damit aufhören, sozusagen – Nietzsche hätte bejahend geschmunzelt – als Triumph des Willens. Eine Willensübung, idealerweise getragen von Einsicht. Die Ausweglosigkeit meiner Körperlichkeit braucht mich nicht anfechten. Sie wird es auch nicht, solange ich dem Prinzip der totalen Bedürfnislosigkeit nacheifere. Das sind die wahren Meisteryogis. Diese hageren, oftmals bärtigen Gestalten am indischen Subkontinent. Wie sie sich da in unzugänglichen Höhen verstecken, einschneien lassen wie Grizzlies. Etwaiges Temperaturempfinden zählt nicht mehr. Essen und Trinken auch nicht. Die völlige Bedürfnislosigkeit, wie sie den Schritt zur Überwindung des Gefängnisses (eines, das wir tatkräftig selbst geschaffen haben) wagt und schafft. Sobald ich das Anwesend Sein nicht mehr als unentrinnbares Gefängnis, sondern als Einladung zum Staunen (Fragen, Schweigen, Beten; vielleicht auch noch Arbeiten) ansehe, schaffe ich es, die an mir zehrende Diskrepanz einer Ladung permanent virulenter Widersprüche gewissermaßen über Bord zu kippen. Ein heroischer Akt des Über den eigenen Schatten Springens immerhin. Ich will’s nicht verschreien. Es ist der Moment, wo ich mich erwiesenermaßen erstmals wohl fühle in meinem Zehenspiel im Bett. Und siehe da: eine geradezu berstende Reihe von lieblichen Details folgt diesem Harmonieempfinden nach. Ja, sage ich mir, die Schöpfung ist perfekt. Was will ich mehr? Nichts! Ich töte nicht. Ich gehe barfuß durch den sechsten Kontinent. Seit Urzeiten. Ich lasse die Traumzeit wieder auferstehen. Das wird uns retten. Retten? Ja, so soll’s ja sein..
Doch so etwas läßt sich doch niemals mit leichter Hand schreiben. Rettung ist ein weltenübersteigendes Geschehnis, eines aus bitterer Not. Die Not ist natürlich meine moralische Armseligkeit, die über viele Wurzeln entstanden ist. Armseligkeit ist ein drakonischer Lehr- oder vielleicht noch besser: Zuchtmeister. Armseligkeit ist der Naturzustand der Geiseln, die nichts von ihrem Schicksal ahnen wollen. Ich bin doch auch nur ein Spielball lebenslanger Illusionen. Die wenigen Momente echter Wahrheit bleiben geheiligt. Der Rest ist eine Auspeitschung, wie sie Tag für Tag an uns vollzogen wird, solange, bis wir unser wahres Gesicht zeigen. Das muß erst noch geschehen. Der Hunger nach Leben ist nicht seine Gier. Wir sind mitten im ganz persönlichen Kampf. Was nützen gute Vorsätze, wenn sie von unseren verblendeten Leidenschaft im Nu vom Tisch gefegt werden? Das Unkraut wuchert. Dabei ist es ja gar kein Unkraut. Es ist nur eben nicht regelkonform. Also widme dich der Irregularität, mein Lieber. Nichts geschieht auf Befehl. Du verstehst das immer noch nur ungenügend. Du forderst. Doch was du forderst, ist nur eine Einlösung deines zügellosen, sabbernden Triebtieres. Du siehst doch, dieser Begriff ist durchaus angebracht. Und schimpfe und grolle nicht, wenn du leer ausgehst. Das ist doch nur die Einlösung deiner Großmäuligkeit. Oder etwa nicht? Doch damit sind wir leider noch nicht am Ende. Wir machen morgen weiter, wenn du den Schock überwunden hast und Zorn und Groll und Selbsthaß verraucht und ausgedampft sind.
Ultimativ
„Von oben wird Kuckuck gemacht“
Diese im Dorf Agna, Region Padua, geänderte Textpassage aus einem italienischen Weihnachtslied, das Grundschulkindern gelehrt wird, zeigt (sie hatten es auch bereits ohne Wissen der Eltern auswendig lernen müssen), wie es mit uns steht. Die komplette Unterwerfungsbereitschaft mancher Europäer gegenüber dem Islam, so wie es der Nihilist Michel Houellebecq mit Trauer bereits in „Sousmission“ prognostiziert hatte. Das Christentum hat ausgespielt, Christus, der Erlöser, wird zum Kuckuck umgemodelt, still und heimlich. Das sagt alles. Völlige Ratlosigkeit, Verzweiflung im sinnlosen, nervenzehrenden Warten auf einen überfälligen Christus.
So wie es bereits seit Jahren alles sagt, wenn Weihnachten in Angloamerika als „X-mas“ tituliert wird, das x-beliebige Fest ganz im Zeichen des Konsumismus, an dem der Bruce Willis-Schocker „Die hard“ zum wiederholten Male ganz ungeniert ausgestrahlt werden darf. Es geht nicht mehr um Advent- und Weihnachtslieder, es geht um künstlich mittels computersimulierten Kinderstimmen eingetrichterten Müll, der uns Freude anordnet, infantile Zufriedenheit mit ebensolcher Diktatur des Unglaubens.
Es geht um den Unglauben. Wie Hans Rauscher im Standard gestern freimütig bekannte: „Nicht die Zahl der Musliminnen und Muslime in Österreich ist heute das Problem, sondern die wachsende Abwesenheit und Irrelevanz der christlichen Botschaft. Keine Ahnung, ob das behoben werden kann oder ob das Christentum inmitten einer großen Tradition zu einer Nischenexistenz verurteilt ist – oder sich selbst dazu verurteilt.“ Das große Problem ist die Abwesenheit Christi in dieser unserer Hölle. Kinder sollen sich zu Weihnachten vom Christkind etwas wünschen. Erwachsene dürfen gemäß Peter Handke („Als das Wünschen noch geholfen hat“) auch. Ich erlaube mir somit heute, nach einer seltsamen, unerklärlich schlaflosen Nacht, zaghaftes Wünschen:
Als Erstes: Die Reduzierung von 8 Milliarden Menschen auf 300 Millionen, so wie zu Zeiten Christi. Es blieb bei 300 Millionen Menschen weltweit bis zum Jahr 1.000. Heute haben wir ein jährliches Bevölkerungswachstum von geschätzten 81 Millionen pro Jahr. Und da produzierten sie weltweite Hysterie wegen ein paar Corona-Toten, 3.000 pro Tag in Indien. Tote und Todesgefährdete gelten als unschick. Von den 20.000 Arabern (ungezählte Kinder) in Gaza kräht kein Hahn. Die 1.200 ermordeten Israelis sind jedoch amtlich registriert. Die USA stimmen im UNO-Sicherheitsrat (mehr als 100 UNO-Mitarbeiter in Gaza bereits ermordet) als einzige gegen eine Feuerpause. Ein israelischer Sniper erschießt in einer christlichen Kirche 2 Frauen. Der Teufel, der in der Hamas wütet und sie zu Bestien formt, schwelgt im Triumph, hat er doch auch alle Israelis, die nach blutiger Rache lechzen („Kippt doch alle 2 Millionen Palästinenser mit einer Schubraupe ins Meer!“) in seiner Hand. Das ist das Problem. Der Antichrist. Wenn mich jemand fragt: „Wissen Sie eigentlich, was Sie da sagen?“, dann sage ich: „Sehr wohl!“. Und wenn mich jemand fragt, wie soll das gehen?, dann antworte ich: „Selbstverständlich durch ein göttliches Wunder.“ Und wenn mir jemand auf den Kopf zuwirft, „das wird es nicht spielen, Sie Narr“, dann sage ich, „von Spiel ist ja auch keine Rede, doch werfen Sie nur einen Blick in die Kinos und ins Internet. Dort gibt es Revivals von Chixculub en masse, und Leonardo di Caprio spielte auch erst jüngst in „Don’t look up!“ mit. Wenn es Gott nicht am sprichwörtlichen Tag des Gerichts, den alle Mormonen und auch meine baptistische Schwiegermutter herbeisehnen, tätigt, werden wir es à la longue selbst tätigen. Warten Sie nur ab. Oder Mutter Natur. Sie gehorcht auch Gott. Doch ob wir Gott gehorchen, wage ich zu bezweifeln.“ Und wenn mich jemand zynisch ironisch anblickt und fragen zu müssen vermeint, „wie, Sie Klugscheißer, handhaben Sie dann das mit Ihrer Familie?“, dann sage ich, „natürlich, meine gesamte Familie auch, in einer Sekunde. So einfach. In einer Sekunde. So wie es die Henker dazumals den Delinquenten erklärten: „In einer Sekunde erkennen Sie ohne jeden Gedanken, die Falltüre unter ihnen hat sich geöffnet und Sie fallen. In der nächsten Sekunde sind Sie tot.“ Es geschieht ohne Gedanken, ohne Angst. Wenn alle tot sind, gibt es keine Ankläger. Vor allem, wenn es durch göttliches Wunder geschieht, also ohne Qualen, ohne Leichen, ohne Tötungsakt.“ Das ist mein erster Wunsch. Ich wünsche mir ein massives göttliches Wunder, das 7,7 Milliarden Menschen direkt und 300 Millionen indirekt betrifft. Die Befreiung aus der Hölle.
Mein zweiter Wunsch ist Versöhnung mit allen Todfeindinnen und Todfeinden, egal ob sie mir bekannt sind oder nicht. Versöhnung auf spezielle Weise, durch direkte unleugbare Anwesenheit von Dir, RUACH. Eine Versöhnung mittels göttlichem Mediator, über Sprache oder stumm.
Und mein dritter und vorerst letzter Wunsch („aller guten Wünsche sind drei“) ist ein frommer, nämlich der, allen persönlich bekannten Toten, den lieben wie den unliebsamen, nochmals zu begegnen, für ein kurzes Plauscherl im himmlischen Jerusalem. Soviel muß drüben doch noch möglich sein. Somit ganz im Gegensatz zu Simone de Beauvoir, die froh war, als Jean Paul Sartre tot war und sie sich sicher war, ihm nie mehr begegnen zu müssen.
Somit: Machen Sie’s gut!
P.S.: Es gibt noch einen vierten Wunsch, off records: Endlich wieder ein Besucher in Mank oder in Otorongo, der das 12 Kugel Problem angeht und vielleicht auch noch löst. Zur Erinnerung: Eine Flasche Jhonny Walker, wenngleich nicht Blue Label, ist ausgesetzt.
Unpäßlichkeit
Dieses Gekrache ging mir immer schon auf die Nerven. Der blanke Irrsinn. Und diese unsäglichen Neujahrswünsche, derer du dich nicht erwehren kannst. Kurzum, Silvester war nie der stillste Tag des Jahres, und erst recht ist er ein Schlag ins Kontor jedes Christen, für den die Weihnachtszeit noch bis Dreikönig dauern wird. Dauern darf. Doch nein, da mengt sich diese Kracherzäsur in frommes Fühlen, völlig unstatthaft. Das reinste Grölen des faschistischen Ungeists. Krachen, Böllern, Schießen, Raketen abfeuern. Das reinste Kriegsgetöse. Die Tiere bellen und krächzen verrückt vor all dem Vibrieren in der Luft. Die Kriegsgeilheit des Volkes ist sprichwörtlich unbelehrbar. Es interessiert ja auch keinen. Hauptsache, der Gewohnheit wird Genüge geleistet. Es geht halt nichts über Gewohnheit. So trotzen wir gemeinsam dem Tod. Hab ich nicht recht? Silvester war traditionell immer Totengedenken. Die Toten des vergangenen Jahres. Dazu die Nachmittagsandacht, oft sogar mit Bibellektüre. Die Namen der Toten einer Pfarre wurden vorgelesen. Die Frauen weinten. Und heute? Gähnend leere Kirchenschiffe. Der Abgesang der Institution. Und am Abend dann geht es los, die unaufhaltsame Barbarei. Und um Mitternacht darf sich die Pummerin einmischen. Die Augen der ausländischen Touristen leuchten entzückt. Und in manchen Landeshauptstädten – so wie auch anderswo – meinen die moslemischen Randalierer, die Nacht der reitenden Leichen, pardon: des rassistischen Protests wäre angebrochen. Alles darf zu Bruch gehen, Frauen vergewaltigt, Polizisten und Rot Kreuz-Leute beschossen. Der Irrsinn galoppiert frei.
Unser Planet galoppiert nie. Er ist noch nie galoppiert, genauso wenig wie unsere Sonne. Die menschliche Willkür wird den Planeten nicht galoppieren lassen, und unsere Tollwut wird uns niemals Antwort über die Gründe unseres Rasens geben. Das All schweigt unüberhörbar. Es hat immer geschwiegen. Und wir, wir wissen nicht, wo wir sind. Das ist unser Hauptproblem. Wir wissen nicht, wo wir sind. Dieser Umstand wiegt noch schwerer als unser Unwissen, wer wir sind. Wir wissen absolut nicht, wo wir sind. Und deshalb machen wir Lärm, so als wüßten wir alles. Doch wir wissen gar nichts. Und das bißchen, was wir wissen, hilft uns absolut nicht weiter. Im Gegenteil: Es läßt uns nur noch mehr rasen. Die Frage „Wozu das alles?“ läßt uns nur noch mehr rasen. Auf den Kriegsschauplätzen dieser Welt wird es seit Jahrtausenden vorexerziert. Maximale Zerstörung. Maximaler Tod. Ich verbiete mir jede klugscheißerische Rede, jede Antwort. Ich bin fähig zu morden, also morde ich. Leider schaffe ich es nicht, diesen Planeten in seiner sinnlosen Rotation zu stoppen. Es genügt, wenn ich mich mit ein paar Daten aufgeile. Das heurige Jahr wird 366 Tage zählen. Wußten Sie das schon, Frau Lämmergeier? Frau Lämmergeier, wußten Sie schon, daß Brian Cox mit seiner Aussage, die Milchstraße zähle 400 Milliarden Sonnen, völlig falsch liegt? Nach meiner Zählung sind es 600 Milliarden. Und von wo er die eine oder zwei Billionen Galaxien her hat, was weiß der Teufel? Wahrscheinlich ist es ihm bei einer Klositzung eingefallen. Er fühlte sich im Zustand der Erleuchtung, erleichtert, wie er war. Und er vergaß nicht, sich den Hintern mit Luxustoilettpapier (nicht mit altem zerknülltem Zeitungspapier wie meine 95-jährige Taufpatin Cäcilia) abzuwischen, den Hosentürlreißverschluß hochzuziehen und die Spülung zu betätigen. Frau Lämmergeier, kennen Sie jemanden, der bereits einmal vergessen hat, die Klospülung zu betätigen? Sie wissen, bei hoffnungslosen Patienten auf der Psychiatrie kann das vorkommen. Doch gönnen wir es dem alterslos jungenhaften Herrn Cox. Er hat wenigstens ein Thema, über das er enthusiastisch selbstverliebt vor Publikum und Fernsehkamera schwadronieren darf. Dieser staatsbeamtete Freigeist. So wie schon vor ihm Stephen Hawking. Der durfte sich auch jede Ungeheuerlichkeit erlauben. Und es war nicht nur eine. Also, Frau Lämmergeier, Sie haben mich gefragt, was als nächstes nach Vollendung der 500er-Schwächenliste? Also wenn Sie sich darüber trauen und vor eigener Tollwut nicht zurückschrecken, dann bitte das 12-Kugel-Problem. Doch bitte ohne Schummeln! Versprochen? Bitte nicht nachlesen und auch nicht den Gatten fragen! Und wenn Sie dann noch über genügend Ressourcen zu verfügen meinen, dann bitte machen wir uns her über diesen Spezialkomplex „Zorn, Wut, Ärger, Groll und Haß“ Und „Rache“ darf als 5B fungieren. Einverstanden? Doch ich warne Sie! Das wird auf Ihre Nerven gehen. Massiv. Und zum Schluß schreiben Sie dem Dalai Lama ein Brieflein mit einer konkreten Frage: „Eure Heiligkeit, was wird geschehen, wenn Sie einmal nicht mehr sind?“ Weil diese Frage brennt mir ein bißchen mehr unter den Nägeln, wissen Sie? Um Herrn Bergoglio sorge ich mich nicht. Das ist ein Steher, ein Jesuit, wissen Sie? Der unterhält Verträge mit Gott. Beneidenswert, oder?
Lebensretter
Otorongo in der Regenzeit, das bedeutet überquellende Lebensfreude und Geschäftigkeit in der Baucar-Kolonie direkt an der Quebrada Otorongo, so wie in der aufgestauten Quebrada selbst eine geschützte Heimstatt der Taricayas und deren wachsender Familie entstanden ist. Bereits die kleinen neu geborenen Zwutschkerl wissen, wo sie sich auf den drei Flößen zu platzieren haben, ohne den Chefs in die Quere zu kommen. Und schon dürfen sie ihre phallischen Hälse ausfahren und der Sonne entgegenrecken. Die heuer bereits üppig ausfallende Regenzeit läßt alles im Übermaß sprießen. Hoffen wir, daß es sich auch am Boden, im Gebüsch, ähnlich verhält, und reichlich Nachwuchs bei Hunz und Kunz nachkommt. Die Regenzeit ist besinnliche Zeit. Stellenweise merkst du, selbst eingeborene Hornochsen, für die es angeblich nur Coca Cola, sinnlosen, Ärger erregenden Müll, Fiestas und Pollo a la brasa gibt, sind in manch geglückten Momenten zu Gedanken fähig. Das heißt noch lange nicht, daß sie deshalb schnurstracks in die Kirche marschieren würden, nein, sicher nicht, doch sie besinnen sich gerade noch rechtzeitig, weil sie an sich merken und fühlen, Freundlichkeit kostet mich heute nichts, und vielleicht morgen auch noch nichts. Mit Freundlichkeit läßt es sich problemloser durch den sowieso viel zu heißen Tag kreuzen, und was kostet mich Humor? Humor muß ich erst lernen, irgendwie schon, und vielleicht könnte mir einer erklären, was Humor überhaupt ist, ich meine Humor, von dem manche Besserwisser behaupten, man könne ihn ohne Alkohol erlangen. Humor, so sagen sie, wäre auch kostenlos. Das glaube ich aber nicht. Humor ist auch anstrengend, und alles, was mir eine Anstrengung abverlangt, ist sowieso von vornherein verdächtig. Verdächtig sind mir sowieso alle Pappenheimer dieses Landes, Nachbarn, Kinder und Gattin/Gatte, denn die Geldscheine kannst du hier nicht offen herumliegen lassen und dein Portemonnaie noch weniger. Sie lügen dir offen ins Gesicht, so als hielten sie ein blutiges Messer in der Hand, von dem sie behaupten, sie wüßten nicht, wer es ihnen grad soeben in die Hand gedrückt habe, und außerdem ist das Blut hier auf der Klinge Hühnerblut, das ist ja wohl offensichtlich. Die Henne habe sich kopflos, blutspritzend aus dem Staub gemacht. So liegen die Dinge, Herr Nachbar. Wenn Sie mich im Bett Ihrer Freundin vorfinden, Compadre, bitte verstehen Sie die Situation nicht falsch! Ihre Freundin leidet unter hysterischen Muskelver-krampfungen. Das kann zum Erstickungstod führen, wenn man nicht sofort energische Gegenmaßnahmen ergreift, und das bedeutet im Klartext von Bauch zu Bauch übertragene Beruhigungsatmung. Deshalb liege ich auf der guten Frau, auf die Sie im übrigen stolz sein dürfen. Nur keine voreiligen Schlüsse. Wenn Sie Ihre Bankomatkarte nicht im Geldbörsel vorfinden, fragen Sie doch zuerst mal bei der Bank nach. Vielleicht haben Sie sie bei der letzten Geldabhebung vergessen. Wozu denn, glauben Sie, blinkt es überall am Bankomat, Schritt für Schritt? Die Bankomatapparate der BCP oder die Sevillana fressen auch manchmal Bankomatkarten, so wie die Anordnung der Geldscheine, wie sie ausgespuckt werden, das reinste Chaos darstellt. Verstehen Sie mich? Ob die Scheine geordnet sind, interessiert kein Schwein. Sie sagen, alle Gesichter dieser amerikanischen Männer in eine Richtung? Abraham Lincoln überall vorne weg? Was meinen Sie damit? Haben Sie keine anderen Sorgen? Ordnung? Was verstehen Sie darunter? Der Müll im Hafen? Was, bitte, meinen Sie mit Müll? Bitte merken Sie sich eins: Ich bin der Besitzer dieser Plastikflasche, auch wenn sie, leider, bereits leergetrunken ist. Ich kann mit ihr machen, was ich will. Und außerdem: Sehen Sie hier irgendwo eine, wie sagen Sie?, Mülltonne? Ich sehe hier nur Freiheit pur. Und der Fluß darf meine Coca Cola Flasche als Andenken behalten. Ist doch was Schönes, oder?
Also, ich habe verstanden. Man sollte seine Freiheit beanspruchen und sie genießen. Der Polizeikommandant als unbescholtener Drogenkurier mit einem oder gar zwei plastikverschweißten Ziegeln weißen Pulvers im Rucksack, so fährt er auf seiner Maschine sportlich zügig mit zufriedenem Gesicht aus dem Wald heraus, und andere Herren gehen ebenso gewissenhaft ihren Aufgaben nach. Die Polizisten am Kommissariat können ein Lied davon singen. Es erhebt sich nur eben die Frage, was hat der Kolumbianer am stillen, friedlich-heißen Sonntagnachmittag in unserem Dorf verloren? Weiß er denn nicht, daß heute kein Schnellboot mehr geht? Seelenruhig geht er mit diesem Luxuskoffer über den Hauptplatz. Wir Beamte, denen zeitlang ist, möchten ja auch nur ein kurzweiliges Gespräch führen. Na gut, nach dem, was er uns im Koffer gezeigt hat, hätten wir uns die Inspektion sparen können. Zum Glück hat er kein Foto von uns gemacht. Aber Scheiße, er hat unser Namensschild gelesen. Hoffen wir nur, er hat ein schlechtes Gedächtnis. Wir waren ja nicht unfreundlich. Waren wir? Aber Pablo, unter uns: Hast du sowas schon mal gesehen? Nein, Juancito, nur im Film. Mit Schalldämpfer, gell? Ja, nettes Gerät. So etwas gibt es in ganz Peru nicht. Na gut. Schwamm drüber. Doch dem Kommandanten sollten wir es schon erzählen. Der wird es regeln. Ja, Vertrauen gegen Vertrauen.
Nicht alle haben das Glück, ein ruhiges Leben führen zu können. Der Mehrheit geht es so. Manche werden als Raubtiere geboren, manche als Räuber, und bald sind sie Mörder. Die kleineren werden Diebe und Lügner. Und manche, so wie Tina, haben einfach nur Pech. Sie geraten mit der Vorderpfote in die Antriebskette des Motokars. Sie kommen nicht weg, denn sie sind oben angebunden. Die Kette durchtrennt Muskeln und Sehnen. Der Knochen liegt frei. Ein Blutbad und Gejaule. Cori und Bronco gaffen verdattert. Der Brotgeber der Hunde denkt sofort an Sterbehilfe, doch das wird bis zum Krankenhaus nicht ohne Blutspur abgehen. Hätte er eine Schußwaffe bei der Hand, würde er es an Ort und Stelle erledigen, nervenschwach wie er ist. Doch die Hundemutter seit 50 Jahren, die beste Ehefrau aller, spricht ein Machtwort. Daniel Ruiz Pezo, der vaterlose Freund der Söhne, startet durch, auch wenn das Trittbrett bereits in Blut schwimmt. Cori und Bronco dürfen zurück laufen. Im Krankenhaus ist ein Chirurg frei, welch ein Glück. Einer, der sich auf das Nähen versteht. Mit dem verunfallten Hund verdient er sich einen Mehrtageslohn. Das analphabetische Volk, Frauen und Kinder, die mit hoffnungslosen Gesichtern auf ihren Turnus warten, beobachten die Vorgänge ohne jeden Gedanken. Diese Menschen haben gelernt, nichts zu denken. Gedanken können gefährlich sein. Ein Auftragskiller, erst recht ein kolumbianischer oder, seltener, mexikanischer, der am helllichten Tag seiner Arbeit nachgeht, fragt die Umstehenden in völliger Ruhe: „Hat jemand von euch etwas gesehen?“ Das ist seine Standardfrage an die Mordzeugen. Die Leiche liegt mit Kopfschuß und offenen, gebrochenen Augen am Boden, Er weiß, er kann sich auf die peruanischen Pappenheimer verlassen. Und das weiß auch die Polizei. Die macht sich nicht einmal die Mühe, nach einer Personenbeschreibung zu fragen. Außerdem wissen die Beamten des Morddezernats, die Zeugen verfügen nicht über die Worte für eine adäquate Beschreibung. Der Killer fährt in allergrößter Ruhe von dannen, vielleicht sogar in einem Linienboot. Der Chirurg näht die Hündin also zusammen. Die Fleischwunde heilt mühsam wieder zusammen, nicht jedoch Sehnen und Muskeln. Tina humpelt ab da, doch sie beschwert sich nicht. Es ist ohnehin schlimm genug, daß sie von Ausheilung gar nichts wissen will. Wichtig ist ihr nur die Mitgliedschaft im Minirudel. Ärgerlich! Sie gehört also einfach ab heute in die Kategorie der Bein- oder Fußverunstalteten. Das ist bei Hunden nicht anders als bei verunstalteten Hühnern oder gar Küken, und erst recht nicht anders als bei den Baucaren, denen, wenn es der Sturm so will, ein ganzer Ast mit 10 Nestsäcken hinunterplumpst. Und 40 oder 50 Nesthocker fallen in derselben Nacht den Katzen zum Opfer. Keiner der Arbeiter verfiele auf die Idee, mitten in der Nacht Nachschauen zu gehen. Doch Jabaal, der Afghane, der vor 2 Jahren zu Besuch war, er schon. Er brachte die Brut der Fledermäuse in seine Hütte. An der Brutpalme fiel ein ausgedörrter Massivast am Stamm hinunter, und im Hinunterrasseln löste er mit seinem Gerasple einen Dominoeffekt aus, und eine Minikolonie von Fledermausbabies wurde aus schmalen Schuppenspalten freigelegt. Ein paar starben. Jabaal jedenfalls zeigt ungefragt und sofort Charakter und rettet die Kinder. Vermeint, sie retten zu müssen. Er bereitet ihnen in der Hütte mit seinen Kleidern eine Heimstatt für die Nacht. Es sind mindestens sechs, wenn nicht mehr. Am nächsten Tag sind alle weg, die Eltern waren im Dunklen geschäftig, und Jabaal gibt sich verdutzt. „Ich habe nicht das Leiseste gehört…“ Gutes Karma. Gutes Karma. Der Afghane war wirklich ein eigener Typ. Unvergeßlich. Er hatte ein paar erstaunliche Dinge auf Lager. Tina jedenfalls hinterließ eine Blutspur, die Frauen aus dem Dorf und erst recht deren sprachlose Kleinkinder durften mit großen Augen beobachten, wie ein Hund für eine Operation auf einem Operationstisch vorbereitet wurde, und überhaupt, daß es so etwas auch gibt. Ja, so etwas gibt es auch. Ich habe auch schon eine Tamshiyaceña ein Faultierbaby an der eigenen Brust säugen gesehen, ganz selbstverständlich, mitten am Fluß, und einen Mushmuki-Affen, der, ohne sie anzusehen, eine Spinne wie nebenbei grabschte und fraß, während die Spinne noch eine Küchenschabe in ihren Maulgreifzangen hatte. Und ich habe weibliche Taranteln bei Nacht gesehen, bereit, ein Menschenbaby heimlich zu töten. Diabolische Wesen. Organhändler soll es angeblich auch geben bei uns. Was heißt, soll? Die Einheimischen fürchten sie. Warum die Verbrecher das tun, und was überhaupt sie tun, das vermag das Volk nicht zu beantworten, genauso wenig wie sie die Frage interessiert, was die Welt eigentlich ist. So wie damals, bereits 2003, als mein Taxifahrer beim Friedhof (wir waren bereits beim Heimkommen) stehen blieb und mir rechtschaffen erklärte, ich solle ihn nicht für dumm verkaufen. Es ist unmöglich, daß wir auf einer Kugel leben, denn dann würden jene unten doch hinunterfallen. Damit war alles gesagt, zumindest an jenem Tag. Doch Tage später eröffnete mir der Bürgermeister, ich möge nicht zuviel Unruhe ins Volk bringen, denn wenn ein Hiesiger hörte, es gäbe eine Heimat, wo es im Winter so kalt würde, daß der Pimpilin beim Lulu-Machen einfrieren könnte, dann weiß der Peruaner aus diesen Breiten nicht mehr, wo ihm der Kopf steht, und vielleicht erzählt er seiner Gattin auch während des täglichen Beischlafes vom Gehörten, und daraus ergäbe sich vielleicht ein Ehe- oder Sexualkonflikt, und bitte, es müsse auch niemand wissen, was Minus 15 oder Minus 20 Grad besagen will. Es genügt doch, daß hierzulande Tamshiyaceños bei Plus 15° an Lungenentzündung sterben. Und was die vier Jahreszeiten in Europa, von denen er schon einmal gehört habe, bedeuten, das könne er, der Bürgermeister und vormalige Hauptschullehrer, beim besten Willen nicht erklären, es sei auch nicht Lehrstoff. Das also ist die Regenzeit im glorreichen, regengetränkten Jänner.