Tamshiyacus Friedhof liegt oben am Ortsausgang, gute 100 Meter oberhalb der letzten Huetten, dort wo die Dschungelpiste eine Kureve zieht und es links zu Don Agustin und der Tiwinsa weggeht. Ein fruchtbares Stueck Erde goldbraunen, unvermischten Lehms, von Steppengras bewachsen. Am Friedhof ist immer Ruhe. Es gibt keine Mauern, kein Eisen, nur Holz und 2 Gruften aus der Vorzeit. Der Ort liegt leer, die Kreuze verfallen, wenn niemand sich um die Grabstelle kuemmert, das Gras waechst ueber die Eingrabungsstelle. Die Holzbalken werden praktischer Verwertung zugefuehrt, z.B. als Griffe fuer Scheibtruhen. Bis heute haben noch alle einen Sarg bekommen. Das wenige Holz wird von den Verwandten zusammengetragen. Es ist ein einfacher Behaelter ohne Intarsien.
Es gibt Besucher aus der Heimat, die in Tamshiyacu begraben werden moechten. Es kostet nichts.
Der Tod hat nichts Schreckliches. Binnen 24 Stunden muss der Leichnam unter der Erde sein, so schreibt es die oertliche Verordnung vor. Das Velorium ist eine Mischung aus Gebeten, Besaeufnis und Kartenspiel. Eine Fiesta eigener Art, die zumindest einen Strassenzug einbindet.
Die Holzkreuze tragen oft keine Namen. Es fehlt die Zeit oder das Geschick. Nur wenige Frauen besuchen unterm Jahr den Friedhof. Er bleibt leer, auch zu Allerheiligen und Allerseelen. In der Vorzeit war er der Ort der Mutpruefung. Die verwegenen Jungsporne, die Magier werden wollten, verbrachten bei Neumond eine Nacht am Grund, in Anrufung des Teufels, des obersten Magiers. Wir wissen nur von den gescheiterten Versuchen.
Bisweilen schwemmt die Regenflut einen nicht tief eingelegten, zerfallenen Sarg und mit ihm ein bleckendes Gesicht frei (die Eingrabungstiefe ist nicht geregelt, es gibt auch keinen Totengraeber). Dann treten die Geier und andere Verwerter auf den Plan. Wenn das geschieht, schreitet niemand ein, doch alle wissen davon und erzaehlen einander in den Kuechen. Der Volksmund behauptet, es gaebe auch Grabraeuber. Leute, die die Knochen zu Pulver mahlen, das fuer die Hexerei dient. Auch der Schaedel findet seine Verwendung. Das mag der Grund fuer besorgte Freunde sein, die rechtzeitig vorsorgen und um ein komplikationsloses illegales Flussbegraebnis bitten. Was hat mir der Buergermeister da schon dreinzureden?
Tamshiyacus heutiger Friedhof ist der dritte. Die anderen beiden, jene aus der Gruenderzeit vor 124 Jahren, waren zuvor unbekannt, der eine auf den Gruenden des jetzigen Hospitals, der andere am Kolleg. Beide bei den Bauarbeiten aufgespuert. Wenn man an der Spitze der Schiefebene steht und nach Westen blickt, ist der Grosse Fluss zum Greifen nahe.
Tamshiyacus Friedhof ist letzte Ruhestaette fuer Mestizen. Die Indios, natuerlich, liegen im Wald oder hingen in den Baeumen, unter anderem bei Agustin und in Otorongo. Spurlosigkeit dem toerichten Auge, das einmal bricht.
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Sehr geehrter Herrr Himmelbauer!
Eine beeindruckende Welt in der Sie leben. Ich fange an Sie zu beneiden.
Herzliche Gr?sse
K. Maier