Don Juan definierte innere Stille als einen besonderen Seinszustand, in dem die Gedanken ausgeschaltet sind und man aus einer anderen Ebene heraus und nicht durch das alltaegliche Bewusstsein agiert. Er betonte, innere Stille bedeute die Unterbrechung des inneren Dialogs, der staendig alle Gedanken begleitet, und sei deshalb ein Zustand umfassender Stille.

"Die alten Zauberer", sagte Don Juan, "sprachen von innerer Stille, denn es handelt sich um einen Zustand, bei dem die Wahrnehmung nicht von den Sinnen abhaengig ist. Waehrend der inneren Stille ist eine andere Faehigkeit am Werk, die der Mensch besitzt und die ihn zu einem magischen Wesen macht. Genau diese Faehigkeit ist eingeschraenkt, aber nicht durch den Menschen, sondern durch einen aeusseren Einfluss."

"Innere Stille", fuhr er fort, "ist der Punkt, von dem alles in der Zauberei ausgeht. Mit anderen Worten, alles, was wir tun, fuehrt zu diesem Punkt, der sich wie auch alles andere in der Welt der Zauberer erst dann zeigt, wenn uns etwas Gewaltiges erschuettert." (C.C., das Wirken der Unendlichkeit, Frankfurt/Main 1998, S.136)

Agustin Rivas als Paradedragoner haelt sich an die Richtschnur und verhaelt sich dementsprechend. Die Begegnungen mit ihm sind in der Regel erschuetternd, so zufaellig er einem auch auf seinem Motorrad ueber den Weg rennen mag. Es kommt eine Wortmeldung und eine Grimasse, die der Verstand nicht so einfach packt. Und so geht es in einer Tour. Man hinkt hoffnungslos nach und fleht instaendig um ein Time out. Man denkt, gut, ich fluechte mich in die Nacht, in eine Zeremonie, da wird er mit etwas Anderem beschaeftigt sein. Er wird sein Ayahuasca geniessen, sich den Visionen hingeben, mit Marlene turteln und musikalisch Fahrt aufnehmen. Nein, Fehleinschaetzung. Er hat einige im Visier. "Frau, singen bitte!", kommt es hinter dem Mesatisch hervor.

"Ich kann nicht! Spaeter vielleicht!"

"Nun, wer singt noch? Mal schauen…" Und man zieht den Kopf ein.

Selbst in der schwersten medizinischen Droehnung treibt er seinen Schabernack mit einem, einen wohlgezielten. Er hat die Zuegel in der Hand und liest wie in einem offenen Buch. Alles ist wohlkalkuliert, ohne Eigenduenkel und ohne Kalkuel. Es ist gaenzliche Preisgegebenheit hin zur Eingebung. Er exerziert die Hingebung vor. Wenn einen die Trance ergreift und man unfaehig wird zu denken, also der innere Dialog endlich aufhoert, begreift man, dass er die Hand ueber einem haelt, aber nicht er ist es.

In Ayahuasca kommt es zu einer Dimensionsausweitung. Der Vorhang vor der Breitbandleinwand geht auf. Ein Stueck weit wird man aufgesaugt. Der Krieg rueckt nahe heran, und es wird turbulent. Am Ende ein Schlachtfeld. Die meisten hingestreckt.

"Wir haben noch genug Zeit in dieser Nacht. Es ist noch frueh! Eine Stunde Meditation, bitte!" Wer schlaeft ein?

Bei Meister Agustin darf man sich nie zu frueh freuen. Besser, ueberhaupt nicht. Es ist eine schweisstreibende, staubige Sklavenarbeit unter gluehender Sonne, und er steht hinter einem, die Peitsche in der Hand. Mit Genuss zertruemmert er das Ego, das man ueber alle Winkelzuege sogar noch in seiner Gegenwart aufblaeht. Dem Alten werd‘ ich’s zeigen! Er kriegt mich nicht herum! Schliesslich hab‘ ich bezahlt fuer die 14 Tage! Agustin legt es auf einen Scherbenhaufen an. Deshalb reitet er auf seinem Steckenpferd, der Feldarbeit, herum. "Warst du heute schon am Feld? Was hast Du mitgebracht? Zeig her!" Und er lugt in den Korb, in dem sich natuerlich alles Andere als Yuca-Wurzeln und Platanos finden. Oder er entfuehrt einen auf die beruehmte "Banda", das stechmueckenverseuchte andere Ufer, Schwemmland, in dessen unzugaenglichem Hinterland noch die Alligatoren und Boas lauern. Dort, wenn nicht bereits anderswo, gibt er einem den Rest, wenn nur mehr ein Gedanke im Gehirn sich regt: "Nur fort von hier!"

Agustin Rivas leistet sich jedes Stueck. Fuer die Prinzipientreuen ist er ein gefundenes Fressen, und er schlaegt dann treuherzig die Augen auf, wenn sie mit ihm Schlitten fahren wollen, gibt klein bei und blickt verwundet, ein verletzter Alter, bittet einen vielleicht auf die Seite und beschwert sich hinter vorgehaltener Hand. So laesst er andere die Drecksarbeit der Entruestung machen, und wieder einmal stieben in Yushintaita die Funken.

Es gibt zahllose Moeglichkeiten, sich oder andere bis aufs tiefste zu erschuettern, um den erwuenschten Zustand der inneren Stille zu erreichen. Die innere Stille waechst heran.

Drei Wochen nach der Begegnung mit dem Hexer geht einem langsam ein Licht auf. Ein halbes Jahr spaeter trifft man ihn wieder. Unschuldig blickt er einen an, als erinnere er sich an nichts.

"Wovon sprichst Du eigentlich?"

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