Mein Freund, der Dompteur, kaum war er dem Waisenhaus entkommen, begab sich, ein paar Jahre der Lehre lagen dazwischen, auf Reise, in den Osten. Zuerst wollte er nur in die Tuerkei. Dann wurde es der Iran, Aghanistan, Indien, bis er in Sri Lanka landete. Die Palmen an der Kueste des Indischen Ozeans taten es ihm an. Er schlief an den Straenden, den Wind und die ewigen Wellen in den Ohren. Sein Essen bekam er von aermlichen, immer freundlichen Einheimischen. An den Tempelanlagen ging er vorueber, nie hinein; ebenso an den Bibliotheken, die ihm sein Schicksal, auf einem Palmblatt vor hunderten von Jahren eingekritzelt, vorlesen haetten koennen. Was er tat, daran erinnert er sich nicht mehr. Er lag eine Ewigkeit unter dem Sternenzelt, im Sand. Nichts und niemanden fuerchtete er.

Er kehrte zurueck, nach einer Ewigkeit, zu Fuss und auf dem Ruecken von Kamelen. Wieder durchquerte er Afghanistan. Die Fakire am Strassenrand wollten ihn zum Tee einladen, er lehnte ab. Nicht die geringste Gastfreundschaft wollte er annehmen auf seinem Weg zurueck in den Dunst der industriellen Schacherer. Den Kaiber-Pass ueberquerte er zu Fuss, zum ersten Mal mit einer Waffe in der Hand. Es war eines Nachts, als ihm war, als saehe er in das Auge eines Tigers, der hungrig um seinen Schlafsack herumtrottete. Der Freund, immer mit der Hand am Gewehrkolben schlafend, bewegt sich nicht, beobachtet ihn mit halbgeoeffneten Augen. Der Tiger trottet von dannen, bedaechtig, ohne noch einmal den Kopf nach ihm zu wenden.

Am Ararat zog er vorbei auf der Ladeflaeche eines Schaftransporteurs. In Anatolien luden sie ihn ueberall ein, zu Tee und Schaffleisch. Das Gewehr verkaufte er dem Oberhaupt einer Grossfamilie, der ihm dafuer eine seiner Toechter schenken wollte. Der gute Geselle wusste, nehme ich sie, werde ich hierbleiben. So nahm er sie nicht, obwohl beide weinten, er und sie. Das war 1975.

Er blieb am Balkan und begann zu pendeln. Sofia und Istanbul. In den Hinterhoefen der Basare am Goldenen Horn verweilte er, wenn er seine Ware uebergab. Trank Tee und sah den Frauen beim Weben zu. In den Tagen zwischen den Touren machte er Abstecher zu den Thermen von Pamukkale, den Ruinen von Troja und den Hoehlen von Goereme. Dort sah er den Fischer von Rimini, wie dieser „Medea“ inszenierte, dabei nie seine Sonnenbrille abnahm. In den Naechten unter den Oel- und Olivenbaeumen blickte er wieder zum Zelt empor und schwor sich, nie wuerde er von hier lassen. Doch es dauerte nur eine Woche, da sah er einen Zerfleischten am Wegrand, Woelfe seien es gewesen, sagten die verschreckten Bauern, und sie signalisierten ihm mit den Armen: „Fort! Fort!“ Spaeter las er, es sei ein streunender Franzose gewesen, der wohl mit Opium gehandelt habe, einer, den man schon seit Jahren in der Gegend gesehen hatte, und der sich gerne in Ruinen aufhielt. Zurueck in Istanbul, ging er zur Botschaft, deponierte einen Brief an die Legion, er wolle eintreten. Zu dieser Zeit ging er mit einem Messer. Ein Zotteliger, der in jede Zeit gepasst haette. Zwei Monate spaeter las er in der „Huerryet“, die Franzosen bereiteten Versuche auf Mururoa vor. Und sie zuendeten. Er sah den einbrechenden Wasserkreis des Atolls in einem Strassencafe gegenueber der Blauen Moschee und dachte nur: „Schade!“

Spaeter, in Sofia, bot ihm ein Haendler eine Kobra an. Jener hielt ihn fuer einen Fakir, den es so weit hierher verschlagen haette. Mein Freund kaufte sie ihm ab, fuhr mit ihr zur Grenze und liess sie frei, aus dem Sack. Dann fuhr er nach Ankara. Dort lernte er eine Deutsche kennen, eine nette Maid, er ging mit ihr auf einen Kaffee, obwohl er den damals nicht mochte. Er brachte sie zum Hotel, wollte sich von ihr verabschieden, da treten zwei Spiessgesellen aus dem Schatten, jeder ein Messer in der Hand. Mein Freund, gelassen, zieht die Luger aus dem Schulterhalfter, ein Geschenk aus Sofia, haelt sie dem einen an die Schlaefe. Der Andere nimmt reissaus. Nicht lange dauert es, ein Polizeischwadron nimmt ihn fest. Sie buchten ihn ein, ohne Prozess. Die Freundin muss das Land verlassen. Unser Freund, der Gute, wandert in ein unbekanntes Gefaengnis an der Westkueste, fuer ein Jahr. Sie rechnen nicht damit, dass er jemals wieder herauskommt. Morgens um vier ruecken sie aus, barfuss, zum Salzabbau. Er ernaehrt sich von Heuschrecken, Grillen und Schlangen. In den Mauern lernt er schnell, nicht zu schlafen. Neben ihm morden die Spiessgesellen, um Rechnungen zu begleichen, mit Dornenblaettern, und um die Hierarchie zu festigen. Als er das System kennt, nach einem Jahr, treten seine Freunde auf den Plan, die einzigen Freunde, die er im Leben hatte. Richtig plazierte Summen lassen die Waerter zum richtigen Zeitpunkt wegschauen. Er wandert zurueck zum goldenen Horn, zu Fuss, und mit einem Reservepass ueber die Grenze. Zum letzten Mal.

Mein Freund, der Dompteur, der von der Wueste fort und auf die hohe See geht. Er ueberstellt Segelschiffe in die Karibik, alleine. Er begegnet einer „Kaventmann“, einer Riesenwelle, rattert an ihrem Ruecken hinunter, das Boot haelt. Nur ein einziges Mal erbricht er, auf ruhiger See, auf einem Kreuzer. In den Stuermen hat er Anderes zu tun, so alleine. Auf den Kapverdischen Inseln macht er Zwischenstation, bevor er wieder zurueckkehrt, in den Bosnienkrieg. Er evakuiert die Fluechtlinge per Schiff. Dann erst kehrt er in die kleine Republik zurueck, ein Diener des Medusenhauptes, der nie erstarrt. Furcht kennt er nicht.

Spaeter schlaegt jemand sein Buch auf, in einem Lindenhain des Schwedenlandes, und laedt ihn auf eine Partie ein. Die erste, Koenigsindisch mit Schwarz, haelt er remis, und die Weissroecke, die ihm so gern ueber die Schulter lugen, fragen sich, wie kann das sein. Sein Gegenueber besteht auf einer zweiten Partie, und mein Freund willigt ein. In den stillen Pausen des Lebens, er nunmehr mit Weiss, spielen sie Damengambit, und mit jedem Zug, mit dem sich das Werk entwickelt, treten neue Neugierige hinzu. Nicht mehr der Dirigent, den unser Dompteur pflegte, in dessen letztem Jahr. Die Neugierigen wispern, denn sie sehen nur einen, der am Brett sitzt, und sie sehen nur weisse Figuren aus Glas. Mein Freund, ein Wortkarger sein Leben lang, sagt, Moment mal, erhebt sich, um einen Teich zu graben. Er tut es fuer eine, die ihm kein Leid mehr anzutun versteht, denn diese Zeit ist vorbei. Die Blinden werden sehend. Und so kommt unser Freund, der Dompteur, zu einem Abstecher in den Dschungel, um die Tiger wiederzusehen. Und in der Tat, sie tauchen wieder auf. Sie muessen es gerochen haben. Und alle Zaungaeste, die das Schauspiel bemerken, halten inne, auf ihrem eigenen Marsch durch die Glut der Salzwueste, wie Ines, die Gute, deren Kreuz aus Olivenholz er bedaechtig in den Haenden haelt. „Wie alt, glaubst Du, Ines, ist dieses Holz?“

„Ihr seid das Salz der Erde, die Hefe im Teig. Ihr seid die Menschenfischer. Dir, Petrus, uebergebe ich die Schluessel fuer diese Kirche am Felsen, und keine Pforte der Hoelle wird sie ueberwaeltigen.“

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  1. den tr?umern in uns allen

    gerade in der gr??ten verzweiflung

    hast du die chance,

    dein wahres selbst zu finden.

    genauso wie tr?ume lebendig werden,

    wenn du am wenigsten damit rechnest,

    wird es mit den antworten auf jene fragen sein,

    die du nicht l?sen kannst.

    folge deinem instinkt

    wie einem pfad der weisheit,

    und lass hoffnung

    deine ?ngste vertreiben.

    und die zeit ist nicht abgelaufen …

  2. Die Lehre eines Untoten

    Sechs Jahre sind es erst her, daß Walter bei uns vorbeischaute. Es kommt mir vor wie vor 10 Jahren. Er ging auf eigenen Füssen, so wie seine Begleiterin aus dem Norden Deutschlands. Beide sind nicht mehr, und doch: sie sind. Bisweilen mit Wucht. Ich kann ihnen nur ins Gesicht starren, während mir ihre Worte im Schädel dröhnen. Die Erinnerung läßt sich nicht abwenden. Ich lasse mich bei lebendigem Leib häuten, wenn ich vor meiner Erinnerung davonlaufe. Erinnerung ist alles. Sie ist unzerstörbar. Das magische Buch des Lebens, – die entscheidenden Sätze, manchmal unscheinbare. Aber sie bleiben hängen.

    „Es ist so, als würden sie mich bei lebendigem Leib sezieren. Es war doch eine gute Idee, alle Tabletten mithergebracht zu haben. Wo wäre ich ohne das Morphium?“

    „Junge, Du führst dich auf als wärst Du alleine im Zimmer. Siehst Du nicht, wie es Ines geht?“

    „Könntest Du mir im Notfall ein Gewehr besorgen?“

    „Jede Frau nimmt ein Geheimnis mit ins Grab. Die Männer auch, aber aus anderen Gründen. Die Frauen, weil sie niemanden haben, dem sie die Wahrheit gestehen könnten. Die Männer, weil sie wissen, eine Ehe ist nur eine Arbeitsplattform auf hoher See und die Gattin hat keine Ahnung, wie schnell es gehen kann. Eine Frau hat keine Ahnung, wie es ist, wenn einem die Kugeln um die Ohren pfeifen.“

    „Ich war Einmannsegler. Aber keine Badewannnen. So habe ich die Bosniaken über Dubrovnik nach Bari geschippt, mitten im Krieg. Ein einträgliches Geschäft. Manchmal war es knapp, aber sobald du auf See bist, erkennst du sehr schnell, du hast den Wind mit dir. Der Wind hält dir die Kugeln vom Leib, die sie dir vom Ufer aus nachballern. Er stoppt sie mitten im Flug. Sie verlieren an Kraft. Du kommst dir vor als könntest du sie mitten im Flug mit der Hand herunterfischen. Mag sein, daß du den Schuß nicht hörst. Die Meeresbrise macht dich unverwundbar. So hab ich das Meer am Schlag lieben gelernt, ich, eine Landratte, die mit dem Blick auf die Salzburger Alpen groß geworden ist. Ich hatte nie Angst auf See, und daß ich alleine segeln würde, war von vornherein klar, denn wie du mittlerweile begriffen haben wirst, ich bin ungesellig und ungenießbar. Ich bin mit den Überstellerbooten immer von der Côte d´Azur aus losgesegelt. Das war Aberglaube, aber ich habe nie davon gelassen. Nur einmal bin ich von Rotterdam los. Prompt gab´s Sturm. Ich bin mir sicher, du bist dir im klaren, daß ich von einem Sturm auf Hochsee rede. An Schlafen ist da nicht zu denken. Das kannst du am nächsten Tag. Nichts seliger als zwei Tage nach einem Sturm durchzuschlafen, ganz alleine. Die glücklichste Zeit meines Lebens, unter anderem. Ich habe viele schöne Zeiten verbracht. Ich war immer frei. Zwei Jahre war ich auf Haiti. Wie ich ankam – das Boot hatte ich auf den Bahamas übergeben -, sagte ich mir, hier bleibst du eine Weile. Und so geschah es. Zwei Jahre sind es geworden. Weißt du, warum ich wieder weg bin? Wegen des Rums! Ich hätte mich zu Tode gesoffen. So mußte ich Klugheit walten lassen, und das ging so weit, daß ich auch das Segeln ganz ließ. Nie mehr wieder in die Nähe von Haiti, sagte ich mir. Die Menschen dort, arm, aber glücklich. Sie haben nichts, leben von der Hand in den Mund. Die Folklore, die Magie, der Voodoo. Der allgegenwärtige Tod. Darüber brauchen wir nicht reden. Es ist sowieso unbeschreiblich. Nur soviel: Wenn Du eingeladen wirst, dann ist das eine ganz große Ehre, und wenn Du dann dabei bist, bleibt dir sowieso nichts Anderes übrig als mitzumachen, denn sonst verhext dich der Oberhexer, und morgen bist du tot. So habe ich das Ziegenbocksblut getrunken, das sie mir angeboten haben. Eine Frau mit weißen Augen ist dann hergekommen zu mir und hat mir etwas gesagt, besser: gelallt, geschrien. Frag mich nicht, wie ich sie verstanden hab`, aber diese Frage hat sich nie gestellt und wird sich nie stellen. Ich weiß, du bist nicht neugierig. Das, was sie mir sagte, hat mich neugierig gemacht. Klar, soviel wirst du dir denken können, es hatte mit meinem Tod zu tun. Nicht damit, wie ich jetzt daliege, sondern mit Danach. Das ist es auch, was mich die Schmerzen ertragen läßt. Ich lasse mich am lebendigen Leib verbrennen. Na und?“

    "Dann war ich Fließenleger, noch einmal, und dann Masseur. Ziemlich bekannt. Du hast ja auf dem Foto gesehen, was für ein Riegel ich war. Karajan gehörte zu meinen Kunden. Ich habe seinen Verfall miterlebt. Er hatte bedingungsloses Vertrauen zu mir. Aber die Revolver räumte er dennoch nicht weg, wenn ich bei ihm in Anif war. Er hatte in jedem Zimmer einen liegen, geladen, offen. Er redete nicht so viel. Ich hätte nicht sagen können, was er so unter meinen Händen dachte. Da hat mich auch nie interessiert, bei niemandem. Einmal hat er mich gefragt: „Waren Sie im Krieg, Herr Engetsberger?“ „Na, freilich“, habe ich geantwortet. „Ah ja“, war alles, was er darauf sagte. So ist er gestorben, und in ein paar Wochen werde ich ihm nachfolgen. An ihn werden sie sich ein paar Jahre erinnern, an mich nur ein paar Wochen. Was soll´s. Wäre ich auf hoher See gekentert, hätte ich ein Seemannsbegräbnis bekommen und wäre spurlos verschwunden. Wenn du Seemann bist, gefällt dir dieser Gedanke. Immerhin, jetzt habe ich zum Schluß noch den Dschungel gerochen und du bist kein Schwein. Immerhin.“

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