Nach dem besonders fuer Brasilien katastrophalen Tiefstand des Wassers im vergangenen September beschert uns das heurige Jahr reichlich Regen, besonders im Gebiet der Zubringerfluesse naeher den Anden. Der Pegel steht so hoch wie seit 10 Jahren nicht. Unter den schwer herabhaengenden Schwaden da und maechtig sich auftuermenden Wolkenhaufen dort wird, in einer Blickwendung, das Leben besinnlicher. Die Praesidentschaftswahlen, mit denen eine neue Aera in Peru eingelaeutet werden soll, sind, zumindest hier in der Einschicht, spurlos vorruebergegangen. Der breite Strom, der an der Kante steht, legt seine Hand auf die Ufer. Unter dem Ponton des Dorfes, der den Bootsbesitzern – Fischern und Bauern – als Sicherungsstelle dient, wurde eine 15 Meter lange Boa Negra vom jungen Waechter gesichtet, um ein Uhr morgens, als sie sich aufmachte, als der Regen vorueber war. Jetzt, da die ufergelegenen „Platanales“ ueberschwemmt und mit haengenden gelben Blaettern dastehen, ergibt sich ein bekoemmliches Jagdgebiet fuer ehemals Verschollene.

Andere gehen fort fuer immer, muede Gewordene, so wie das Dorf um Mitternacht, wenn der Strom abgeschaltet wird, schlagartig in einen bewusstlosen Ruhezustand verfaellt und nur mehr das Schnarchen der Hingestreckten aus den abgeschotteten Huetten dringt, die stockdunklen Strassen geisterleer.

Gruendonnerstag, die katholische Gemeinde tritt in einen neuen Zyklus ein. Pater Jos? hat sich Muehe gegeben. Er waescht 6 Maennern und 6 Frauen die Fuesse, wobei er seinen Assistenten zwischendurch instruiert. Die Kinder tollen waehrend der Messe herum, moechten sich beim Kommunionempfang mit in die Schlange einreihen. Er erklaert der Gemeinde, dass mit dem Gloria die Glocke angestimmt wird, sie, die dann bis zur Osternacht stumm bleibt. „Die Glocken fliegen nach Rom“, sagte der vormals glaeubige Volksmund am Alpenbogen.

Vor einem Jahr starb der polnische Papst, er, der sich die letzten Jahre so gequaelt hatte. Sein Nachfolger, ein Mensch der Versoehnung letztendlich, gedenkt ohne Allueren seines Vorgaengers, in dessen Schatten er womoeglich zeitlebens stehen wird. Die Gedanken fliegen nach Rom und weiter nach Jerusalem, zurueck in jene Zeit …. Wie gedraengt die Stunden am Ende waren.

Was ist das, ein Erloesungswerk?

Diese menschliche Qual, etwas Unabaenderbares in seinem Hereinbrechen zu sehen. Erst recht in diesem Drama waren seine ihm treuen Begleiter von Blindheit geschlagen – wir wissen nichts von den Ahnungen der Frauen, Maria, seiner Mutter, und Magdalena -, das Abendmahl, der Kunst eine Ikone, der Versenkung das Innbild der Mystik, der Haendler, der zu handeln hat, wie er den Saal verlaesst, die anderen danach, wie sie hinaufwandeln zum Garten Gethsemane, die Juenger schlafen ein, trotz seiner Worte. Trotz der bereits gedraeuten Front der Schwaerze, die sie umfing, sobald sie den Saal verliessen.

Wer weiss, was in ihm vorging.

Wir reden vom „Osterlamm“, dem unschuldigen Lamm, das fuer uns hingegeben wurde; das Lamm, das sich hingab, zur Vergebung der Suenden. Heute ist es ein Schokoladeguss unter faerbigem Staniolpapier. Die Dogmatik und alle an sie angelehnte Rede spricht zu diesem Anlass in einem Ausdruck des Unvermoegens vom Versoehnungswerk des Schoepfers mit der Menschheit, die Versoehnung, die in der Aufopferung des einzigen Sohnes bestand, zur Vergebung der Suenden, jenen, begangen im freien Willen, mit dem die Kreatur Mensch ausgestattet ist. Es ist eine Andeutung, die nicht vertieft und schon gar nicht zu Ende gefuehrt wird. Sie muss das Leiden umgehen, indem sie zulaesst, dass der Handel den Konsum vorschiebt, den einen und wahren Gott, den Schmerztoeter.

Die Nacht des Abendmahls war die Nacht der Auslieferung, der demuetigenden Entkleidung, der Anspuckung, der Geisselung beim Schein der Fackeln. Der Beginn der Transformierung. Petrus, der, so die Dichtung, einem Haescher ein Ohr abschlaegt und sich die Replike des Herrn einfaengt (eine Replike, die ewig halten wird), verleugnet nur kurze Zeit spaeter seinen Meister 3 mal und laeuft, als ihm der Hahn die Wahrheit entgegenkraeht, in die Wildnis.

Was mit den uebrigen geschah, den Frauen, mit Johannes, wir koennen es nur traeumen. Fackelschein und Dunkelheit, bebende Herzen.

Leib und Blut waren bereits hingegeben, bevor sie ihn entleibten. Leben fort, auf diesem Erdenball, in den Kelchen, stillen Tabernakeln, beim Schein des Ewigen Lichts.

Karfreitagsstille.

Um 15 Uhr, „um die neunte Stunde“, haucht Christus sein Leben aus. Fuer die Roemer ein politischer Fall, dem Statthalter ein unangenehmer, den er durch sein Haendewaschen abgegeben hatte. Die Pharisaeer, die eigentlichen Betreiber, erhalten Macht ueber ihn, und haben nichts Anderes im Sinn, als ihn zum Verstummen zu bringen. Der Moerder Barabbas kommt frei (2000 Jahre spaeter spielt ihn Anthony Quinn), zwei andere Meuchler werden mitgerichtet. Die roemischen Knechte wissen, wie der Koerper festzunageln ist. Sie taten es tausendmal und taten es weiter.

Der Weg hinauf nach Golgotha muss ein Inferno gewesen sein. Durchbrechender Wahnsinn in den Augen derer, die ihm den Tod wuenschten, bodenlose Verzweiflung jener, die machtlos waren. Die Kehrtwendung desjenigen, der vor wenigen Tagen noch auf einem Esel und auf Palmenzweigen in die Stadt eingezogen war, der Messias fuer jene, die an seine Worte und Taten glaubten. Eine zeitenthobene Ekstase im Erwarten einer oeffentlichen Hinrichtung, die Heerscharen anzieht, so wie in Paris zu Zeiten der Franzoesischen Revolution. Die pure Hohn, die hervorbricht, als sie sich fragen, was auf dem Richtkreuz anzubringen sei, „Koenig der Juden“.

In diesen 2 Stunden, die vielleicht vergingen, als sie ihm das Kreuz auf seinen geschundenen Koerper aufluden, und dem Moment, als er verlosch, kam die Geschichte zum Stillstand und wich der Vollendung. Es war bereits vollbracht, als er den ersten Schritt tat, hinauf zur „Schaedelstaette“. Die heilige Veronika stand ihm bei, der heilige Simon von Syrene, die einzigen, von denen uns die Evangelien in diesem Abschnitt berichten.

Sie haben Mel Gibson gescholten wegen der Art der Inszenierung. Das stand von vornherein fest. Eine Widrigkeit. Aber die Idee kam nicht einfach so ueber ihn. Er selbst erlebte eine Bekehrung. Vielleicht bleibt dieses Drama der Qual eines der wenigen Zeugnisse der Existenz Hollywoods.

Mel Gibson will uns sagen, seht, so ist der Mensch. Welches Leid tut er seinem Mitmenschen an, dem, der sagte, „Liebe deinen Naechsten wie dich selbst.“

Doch fuer den Christen – und es ist keine Schande, sich zu bekennen – ist es der Weg zur Erloesung. Es ist der Kern seines Glaubens und das Fundament, glaeubig zu sterben.

Die Zeugen, die die Evangelien aufnehmen, sind wenige. „Wahrlich, noch heute wirst Du mit mir im Paradiese sein“, sagt er dem rechts neben ihm Haengenden, dem, der ihn um Minuten ueberlebt, und dem sie deswegen die Gebeine brechen.

„Wahrlich, dieser Mensch war Gottes Sohn“, erkennt der roemische Hauptmann.

Der Vorhang im Tempel reisst entzwei, die Erde verdunkelt sich.

Er stieg hinab ins Reich der Toten, um sich mit ihnen zu versoehnen, waehrend oben der Wind in der hereinbrechenden, bleiernen Dunkelheit durch Stunden hindurch Staub aufwirbelte. Das Heulen des Hundes von Baskerville.

Dorthin, dorthin ging Goya.

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