Die Kuppel des Petersdoms hat unsere Ostersonntage gepraegt. Die Segen der Paepste, „der Stadt und dem Weltkreis“. Rom liegt immer unter der Sonne, vielleicht, weil sich die Geschichte mit ihr versoehnt hat. In Rom formte sich das Christentum zur Bewegung, nach dem zuvor geleisteten Blutzoll der vielen namenlosen Maertyrer. Der Sinngehalt des seit Karol Wojtyla geuebten Brauches, das Karfreitags-Kreuz bei wenig Licht im Kollosseum zu tragen, hat Wertvolles, zumal in diesem unserem Zeitalter jeder nur moeglichen Teufelei.
Rom, die Stadt der braunroten Ziegeldaecher, der gurrenden Tauben, der Springbrunnen. Wahlheimat der grossen Dichterin. Die still arbeitende, visionaere Seherin in den Mauern der ewigen Stadt. Die Gedanken der Koenigin muessen weit ueber ihr Werk hinausgegangen sein. Ihre Buecher lesen sich wie ein Prolog zum eigentlichen Entwurf. Allein, es fehlte ihr die Fassung. „Todesarten“ sollte der Zyklus der Hauptwerke lauten. Es scheint, als versank sie in der Anschauung des Leides. Im Mitleid. Max Frisch streut in „Mein Name sei Gantenbein“ nur eine Andeutung ueber seine damalige Gefaehrtin ein, eine Andeutung des einer Heroine nicht gerecht geworden Seins. Thomas Bernhard schwieg sich ueber „die Bachmann“ aus. Er wusste in seinem so klaren Geist, jedes Wort auch immer waere eine Zumut gewesen. (Bernhard seinerseits aber hatte eine ausgreifende Ahnung.) Es scheint, als waere das Zusammenleben mit den Dichtern eine Verletzung des Zaubers gewesen, den die Matrone verkoerperte. Ein Preis, den sie in ihrer Unschuld entrichtete, und den sie nicht mehr zurueckfordern konnte. Etwas trieb sie in die Tablettensucht, der sie schlussendlich zum Opfer fiel, im von einer Zigarette entflammten Bett. Auch alle ihre Begleiter sind schon seit Jahren tot.
Sie begann ihren Weg im Wien der Nachkriegszeit mit einer Dissertation ueber Heideggers „Metaphysik“. „Warum ist ueberhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?“ Die Wiener Empiriker, die sich bereits in den Anfaengen ueber diesen Satz lustig machten (nicht Wittgenstein!) und jene, die es noch heute tun, wo es politische und wissenschaftliche Mode ist, von „Faktizitaet“ zu sprechen (Donald Rumsfeld: „They wanted to fire me, but i’m still here. That’s a fact.“ Rede vor seinen Truppen am Tag seines Besuches von Abu Ghraib), hatten mit dieser Studentin in all den Jahren ihres Wirkens nichts im Sinn. In Deutschland, wohin sie nach dem Studium schnurstracks ging, war das anders. Dort, wo eine visionaere Philosophie im Saatfeld der Frankfurter und erst recht rund um Ernst Bloch aufkeimte. War es in Bonn, wo sie ihre beruehmte Lesung mit Gedichten gab, jene Lesung, die das Fernsehen aufnahm, dieses einzigartige Zeugnis der Stimme der Freiheitskaempferin? „Wenn Boehmen liegt am Meer.“ Die Rede, die alle Zuhoerer Zeit ihres Lebens in Bann schlug.
„Warum ist ueberhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?“ wandelt unverbruechlich und Hand in Hand mit der wichtigsten Frage, die uns ansteht, „Wie sollen wir zusammenleben?“
Der Nihilist, der die Bombenzuendung freigibt oder der von einer nuklearen Intervention im Iran oder sonstwo spricht, blendet irrglaeubig alle Aspekte in dieser Entscheidung aus, bis auf den der eingebildeten Omnipotenz, Derivat eines persoenlichen Prozesses des Leidens. Deswegen weint er auf seinem texanischen Grundstueck, wenn ihn der Zaunbesucher mit dem Mikrophon in der Hand ueberrascht, „Glauben Sie an Gott, Mr.President?“ Wir machen aus Etwas Nichts.
Die Wiener Empiriker mokierten sich ueber die Begiffe „Sein“ und „Nichts“. Das seien inhaltsleere Begriffe, und damit nicht einmal mehr Begriffe, sondern „Worthuelsen“. Freilich, wer haette es diesen Beton-Vordenkern veruebeln wollen, sie wollten nur mit dem Klerikalfaschismus von Ignaz Seipel und der Kirche ueberhaupt aufraeumen. Zeitgleich wie Hitler in den Jahren seiner zerbrechenden Traeume einer Malerkarriere in Wien. Sie wussten nichts von der japanischen Zen-Kultur. Nichts. Und haetten sie davon gewusst, sie haetten sie nicht verstanden, weil sie es nicht fuer der Muehe wert gefunden haetten, sie als Schueler zu praktizieren. Deshalb bedurfte es zweier anderer Wiener, die nach England gingen, um diesem praepotenten Spuk zumindest ein Gegengewicht vor die Fuesse zu werfen. Elias Canetti vor und Gunter Anders nach den japanischen Bomben.
Es ist so: Die, die sagen, nach Auschwitz sei keine Geschichte mehr denkbar, und jene, unter ihnen Gunter Anders, der Prophet, die sagen, mit den Sprengkoepfen in den Silos gaebe es keine Geschichte mehr, diese Leute haben ein anderes Verhaeltnis zum Tod als jene, die an Karriereschritte und Kontostandvermehrung denken. Der Prophet steht nahe den Flammen oder bereits in ihnen.
So wie sie: Ingeborg Bachmann war eine formlose Kriegerin, der alles zuflog. Sie wusste sich nicht zu schuetzen. Sie hatte weitreichende Visionen und Ahnungen, die sie bei Tag ueberfielen. Deswegen war sie leutscheu. Sie hoerte ein Lied aus dem Radio von nebenan, und ihr Geist flog davon. Kindergeschrei, und ihr Herz war erfuellt. Sie glitt nicht in naechtliche Depressionen wie Christine Lavant, ihre Bundesgenossin. Eine Zeit lang halfen ihr die Zigaretten, dann war der Geist zu stark.
Dies ist nur ein Versuch. Was haette ihr Pater Pio geraten, haette sie ihn in seiner windumtosten Zelle am Apeninn besucht, so wie es der junge Wojtyla tat, und dem er seine Endstation weissagte. Rom, ewige Stadt. Ihre Heimat, gnaedige Frau!
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Dem Autor gebuehrt Lob und Dank fuer diesen wunderbaren Artikel.
Endlich jemand, der fuer diesen so hell leuchtenden Stern am deutschsprachigen
Dichter-Himmel – Frau Ingeborg Bachmann – die Nebelschwaden des Vergessens
und Verkennens beiseite schiebt.
MUCHAS GRACIAS – im Namen der Leser und Verehrer dieser Dichterin
H.B.
Welche Qual!
Eine Handreichung
Es sind nur Wenige, von denen ich spüre, sie rühren mich an, von drüben, und natürlich kann ich mich diesem Angriff von drüben nicht entziehen. Wie denn auch? Wir kennen das. Die Auferstehung der Toten. Meine Toten sind nicht tot. Nicht die Freunde, nicht die Patienten, nicht die Verehrten. Und schon gar nicht diese Person. Wenn ich an sie denke, muß ich weinen, nun, beinah, aber es schnürt mir den Hals zu und raubt mir die Sprache. Deshalb, hier und jetzt, dieser Ausbruchsversuch. Eine nochmalige Würdigung, mehrere Jahre später. Mit dem Alter, der erhofften Reife, kommt Bedächtigkeit. Heute halte ich den Gefühlen besser stand. Ich bin ehrlich geworden. Ehrlicher.
Es geht mir um diese Dame aus Klagenfurt. Die größte Dichterin, die Österreich jemals hervorgebracht hat: Ingeborg Bachmann. Die Unschuld vom Land. Die vergewaltigte Unschuld. Die Frau, die sich – nicht nur, aber doch wesentlich auch – wegen der Männer, die sich an ihr geleibt und gefrönt hatten, selbst vernichtete. Man sagt, sie wäre eine Nymphomanin gewesen. Wer will hier richten, wenn eine Frau sexuelle Freiheit sucht und sich dafür zuerst selbst mit Amphetamincocktails gefühlsunempfindlich macht und dann selbst in Brand steckt, mit der brennenden Gauloise im Bett? Das geschah in der Nacht vom 25. auf den 26.September 1973. Als sie wie durch ein Wunder wieder zu Bewußtsein kam, rief sie ihre Haushälterin an. Die rief die Rettung und eilte zur Wohnung, Via Giulia 66, Rom, Tiberufer. Die Ärzte wußten von ihrer Amphetaminsucht, die das Gehirn bereits nachhaltig angegriffen hatte, nichts. Es kam zum neurologischen Schock, epilepsieähnlichen Konvulsionen. Ein zu 40% verbrannter Koerper. Hans Werner Henze, der Komponist, laeuft schreiend hinaus, als er die Freundin zerstört sieht. Der Todeskampf im Sauerstoffzelt dauerte 22 Tage, dann ging Ingeborg Bachmann fort, am 17.Oktober 1973. Erst vorgestern erinnerte ich mich, daß damals die "Mutter meiner Muttersprache", Helga Aigelsreiter, unsere Deutschlehrerin im Gymnasium, eine Prinzipientreue wie keine zuvor und keine danach, im Unterricht, während sie, wie es ihre Art war, im Stechschritt vor- und zurück ging, die Hände rituell gefaltet, einen Kommentar losließ, so nebenbei, gedankenversunken, ganz offenkundig aus einem inneren Drang heraus: "Meine Herren, gestern hat Österreich seine größte Dichterin verloren, Ingeborg Bachmann." Es dauerte dann nochmal fünf Jahre, bis ich "Malina" las, der in Wien spielt, und dann gleich noch drauf die gesamte Prosa aus dem Nachlaß, besonders "Franza" und "Simultan". Dieser ihr Schreibstil war so herrlich entspannend. Kompletter Redefluß, nichts gedeichselt und gedrechselt, und ganz deutlich autobiographisch, so ganz unverfälscht. Dramatisch, aber unverfälscht. Wie sie den Kriegsinvalidenpreis in Bonn vom Deutschen Bundestag ausgehändigt bekam, formulierte sie in ihrer Dankesrede diesen unvergessenen, auf ewig bestehen bleibenden Satz: "Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar."
Die Bachmann bezahlte für dieses Credo einen hohen Preis. Ihr Leben. Sogar Peter Sloterdijk war es in einem mir als historischer Vortrag im Festsaal des Wiener Rathauses im Gedächtnis gebliebenen Randkommentar anzumerken, daß die Bachmann ihm etwas bedeutete, als er in einem Brückenschlag zwischen Wien, dem Ort seines Vortrags, und Rom von "Roma, urbs eterna, der Stadt Ingeborg Bachmanns" sprach, und das habe ich Sloterdijk schon immer hoch angerechnet, daß dieser angesehene Denker mit seiner Nuschelstimme und dem kleinen Schnurrbärtchen und seinen Schweinsäuglein immer diesen treuherzigen Dackelblick beibehält, wenn er um Gerechtigkeit ringt, denn das ist kein Killer, der da spricht, sondern ein Ehrlicher, der nicht taktiert. Das wäre ihm lächerlich. Im Geist dieses Denkers war die Bachmann in diesem Moment bestens aufgehoben, und dafür danke ich ihm, denn diese Wundmale, die ich an der Bachmann bei jedem Gedanken, bei jedem Foto, sehe, berühren mich sosehr, ich denke mir, "mein Gott, was für eine Frau muß das gewesen sein", und "warum nur tat sie sich das alles an?, diese sexuellen Entweihungsakte." Was wäre, wenn all diese Fotos, die eine lächelnde Sphinx zeigen, lebendig werden?
Wo lebte Ingeborg Bachmann? In welchen Welten? Was nur machte sie durch? Was erlitt sie? All diese Fotos. Herzzereissend! Ich kann es nicht anders nennen. Was war nur die Mission dieser "Vestalin", dieser "Hohepriesterin"? Die Männer lagen ihr zu Füssen. Sie winkte sie hoch und lieferte sich ihnen aus, sie gab sich selbst ihnen zum Fraß. Ich kann es nur so nennen. So sehe ich es. Es war … Selbstaufopferung. Priesterliche Selbstaufopferung. Es gab hier, im Leben der Bachmann, etwas durch und durch Metaphysisches. Ihr Blick nach hinüber. Ich bin mir sicher.
Nur allzu berechtigt klangen diese niedergeschriebenen Worte: "Es ist immer Krieg. In jedem Moment ist Kampf. In jedem Augenblick kann Vernichtung geschehen. Sogar und erst recht zwischen Mann und Frau." Von daher, doch wohl auch, die starke Vertretung durch Feministinnen in der sogenannten "Bachmann-Forschung".
In "Malina" gibt es eine Passage, eine Traumsequenz, der "Vater" ein SS-Killer, der seine Tochter ermordet. Ihr wahrer Vater, ein braver Schuldirektor im Kärntner Gailtal, fühlte sich nicht brüskiert, denn er himmelte seine Tochter an. Welchen Vater also meinte die Bachmann 1971, zwei Jahre vor ihrem Tod? Welche Väter?
Sie liegt am Klagenfurter Zentralfriedhof begraben, zusammen mit ihren Eltern. Das Elternhaus in der Henselstraße besteht noch immer, bewohnt von der Familie; ein Teil des römischen Mobiliars dorthin gerettet.
Ich hatte einen sehr guten Freund aus Völkermarkt, Josef, er ist heute ein Parademediziner. Wir waren wirklich gute Freunde. Eines Abends, nach einem gemeinsam besuchten Vortrag von Reinhold Messner über den Nanga Parbat im Wiener Konzerthaus, beim Hinausgehen, überfällt er mich mit der Vision, wir schafften das auch, zu zweit den Nanga Parbat hinauf. Ich war baff. Heute schätze ich diesen Ausspruch als Vertrauensbeweis über alle Maßen. Doch damals mußte ich meinen Freund perplex enttäuschen. Ich servierte ihm einen Gegenvorschlag: "Laß uns lieber die Bachmann in Klagenfurt exhumieren und bringen wir sie nach Rom!"
Heute weiß ich es besser. Sie wollte in Klagenfurt begraben sein. Dort war ihre Heimat. Sie wollte zurück.
Die Heimat der Bachmann. Wer hat sie je gesehen?
Und so steht sie heute am Firmament, ein Fixstern. "Anrufung des Großen Bären".
„Ich habe aufgehört, Gedichte zu schreiben, als mir der Verdacht kam, ich ‚könne‘ jetzt Gedichte schreiben, auch wenn der Zwang, welche zu schreiben, ausbliebe. Und es wird eben keine Gedichte mehr geben, eh‘ ich mich nicht überzeuge, daß es wieder Gedichte sein müssen und nur Gedichte, so neu, daß sie allem seither Erfahrenen wirklich entsprechen.“
„Meine Existenz ist eine andere, ich existiere nur, wenn ich schreibe, ich bin nichts, wenn ich nicht schreibe, ich bin mir selbst vollkommen fremd, aus mir herausgefallen, wenn ich nicht schreibe. […] Es ist eine seltsame, absonderliche Art zu existieren, asozial, einsam, verdammt, es ist etwas verdammt daran.“
„So kann es auch nicht die Aufgabe des Schriftstellers sein, den Schmerz zu leugnen, seine Spuren zu verwischen, über ihn hinwegzutäuschen. Er muß ihn – im Gegenteil – wahrhaben und noch einmal, damit wir sehen können, wahrmachen. Denn wir wollen alle sehend werden. Und jener geheime Schmerz macht uns erst für die Erfahrung empfindlich und insbesondere für die der Wahrheit. Wir sagen sehr einfach und richtig, wenn wir in diesen Zustand kommen, den hellen Wehen, in denen der Schmerz fruchtbar wird: „Mir sind die Augen aufgegangen“. Wir sagen das nicht, weil wir eine Sache oder einen Vorfall äußerlich wahrgenommen haben, sondern weil wir begreifen, was wir doch nicht sehen können. Und das sollte die Kunst zuwegebringen: daß uns in diesem Sinn die Augen aufgehen.“
„Der Tod wird kommen und kein Ende setzen. Denn weil das Gedächtnis der Menschen nicht reicht, ist das Gedächtnis der Familie da, eng und beschränkt, aber ein wenig länger.“