Shapishico ist der Freund der Kinder, die in seinen Wald kommen. "Shapishico", rufen sie, "ich komme". Er versteckt sich derweilen, hinter Wurzeln und Staemmen. Manchmal kommt er hervor, haengt an einer Liane. "Mami, Mami", ruft Abraham, und die Stimme versagt ihm in der Aufregung, er kann seinen Augen nicht trauen. "Schau, dieser kleine Mann!" Nur ein paar Armlaengen vor ihm haengt er wie ein unschuldiges, verspieltes Kind an einer Liane und schaukelt, schaukelt weiter und springt ab, alles wohlkalkuliert und harmonisch, setzt auf und ist vom Boden verschluckt. "Was hast du gesehen, Abramito?" fragt ihn seine nachkommende Mutter am Ende der Karawane. "Einen kleinen Mann! Hier hat er gespielt."
Shapishico hat es mit den Kindern. Er marschiert als Baeumchen auf, vor dem Kleinkind, das am Boden des offenen Lagers seiner Eltern, Bauern, hockt und dort spielt. Er kommt heran und entfuehrt es. Vier Tage lang fuehlen sich die Eltern von allen Geistern verlassen. Ein Tiger kann es nicht gewesen sein, er haette das Kind gerissen, wir wuerden Blut finden und Spuren. Auch keine Boa. "ER hat es entfuehrt!" Aber sie denken es vielleicht nur, setzen die Suche mit ihren Nachbarn fort, traenenaufgeloest. Tage danach finden sie das Kind am selben Fleck sitzen, verzagt, aber zugaenglich. Der Brujo blaest es mit Mapacho ab, damit es wieder menschlich wird. Das Kind findet seine Sprache wieder. "Ein Baum hat die ganze Zeit zu mir gesprochen. Er hat mir immer zu essen gebracht. Er war lustig." Das Kind ist nicht uebernaechtigt, hat keine Gelsenstiche, keine Verstopfung. Was spaeter aus ihm wird, wer weiss es? Was wird aus Abraham? Ich habe ihn ins Herz geschlossen.
Shapishico ist ein Verschmitzter. Er liebt es, die Erwachsenen zu erschrecken. "Onkel, wir kommen!" rufen sie vorwitzig in seinen Wald hinein, als sie sich auf den Weg machen zur Forstarbeit, lassen die Machete an den Wurzelstuempfen klingen. So marschieren sie dahin, kraeftige Junker im Saft. Bis ein Stamm sie erschreckt. "Huh!" Und Brady nimmt reissaus, bis Otorongo zurueck. Nicht einmal haelt er inne. Oskar passiert das nicht mehr, seine Begegnungen mit dem Geist des Urwalds sind beinah Legion. "Warum hast du von mir erzaehlt?" fragte ihn spaeter seine Geliebte, die Shapishica, und ward nicht mehr gesehen. Oskar, ein Gezeichneter.
Wer etwas auf sich haelt, um den macht Chullachaqui einen Bogen. Die Begegnungen mit ihm sind ein Geschenk fuers Leben. Augustin el Agucho, der Meisterfurzer von Gottes Gnaden, hatte es mit ihm nur einmal, und er hoert bis heute nicht auf, von damals zu erzaehlen. Und es wird ein Bericht, bei dem jedes Wort auf die Goldwaage kommt. "Ich habe mit keinem Auge gezwinzelt, von dem Moment an, als er aus dem Baum trat, bis er schliesslich, hergekommen, vor mir stand. Schliesslich war er ein Geist, das war mir klar. Ein Geist kann sich mit einem Wimpernschlag aufloesen. Das wollte ich nicht verpassen."
Chullachaqui el Shapishico, der Chef des Waldes. Yushin. "Yushintaita", – "Heimstatt des Yushin". Yushin, der keine boesen Holzfaeller und Wilderer mag. Beide verwandelt er in Affen. Dessen ungeachtet schlaegern sie weiter wild drauf los und schleichen naechtens im Wald herum. Und er aergert sich nicht. Freilich, dann und wann gibt’s Tote, so wie gestern. Aber ich soll nicht laestern. Der Wald fordert eben seinen Preis, so, wie sie mit ihm umgehen. Sie toeten ruecksichtslos das Leben, ob Wild oder Baum.
Shapishico hat eine Engelsgeduld. Er spielt, spielt mit einem bis zum Wahnsinn. Es kann Besessenheit werden. Die Waldarbeiter reden mit ihm nachts. Schon wieder hoeren sie ihn. "Ah, er misst seine Kraft mit der Tangarana!" Einer wirft ihnen eine Aguaje in die Huette, nichts draussen zu hoeren. Es klopft an die Tuer, keiner draussen. Jemand geht vernehmlich durch die Kueche. Wenn kein Untoter, dann Shapishico. "Er macht seinen Spass mit uns, will uns testen. Ob wir Hosenscheisser sind!"
Shapishico treibt sein Spiel. Mal als kraechzender, schimpfender Vogel, mal als sprechender Baum. Wenn’s deftiger wird, als Geistverwirrer. Toni geht 10 Minuten tief in den Wald hinein, er kennt das Terrain rund um Yushin wie seine Westentasche. Es wird ein Herumirren fuer 4 Stunden. Shapishico hypnotisiert. Du tust etwas gegen deinen Willen. Du raisonierst in aller Unlogik. Du weisst, wo die Sonne untergeht, aber du gehst wie ein Boeser nach Osten, kilometerweit. Das ficht dich nicht an. "Ihr werdet sehen, irgendwann kommen wir auf den Weg, den ihr alle kennt." "Was machen wir, wenn wir nicht mehr vor Einbruch der Dunkelheit im Camp sind?" "Im Stehen uebernachten!" Dann hoert man den Hahn und wird wieder klar im Kopf. Drei Kilometer Abenteuer als Ausrede fuer einen Ausgang schraeg hinter dem naechsten Baum dort drueben.
Betsy Grobecker: "Ich uebersah voellig die Zeit, als ich von Otorongo los ging. Dann fand ich mich zu allem Ueberfluss auf einem Weg, der im Nichts endete. Ich ging im letzten Licht zurueck, doch war mir nicht mehr sicher. Ich hatte keine Panik. Ich sagte mir, gut, Betsy, du bist in Diaet, es ist Zeit, dass du deinen Mut beweisst. So habe ich mich hingesetzt. Du kannst dir vorstellen, ich habe kein Auge zugedrueckt. Es waere auch nicht gegangen. Die Muecken waren fuerchterlich. Mein Gesicht am naechsten Tag war angeschwollen, aber ich habe gelacht in Yushin, als ich in den Spiegel blickte. Zum Glueck hat Agustin nichts gesagt, aber du kennst ja seinen Blick. Manchmal moechte man ihm eine runterhauen. Auf jeden Fall, ich bin beim ersten Licht aufgestanden und zurueckgegangen. Es war eine Spielerei. Aber eines ist mir nicht klar: Wieso stand ich ploetzlich im Nichts?"
Shapishico zieht die Kinder an, manchmal kilometerweit. Nicht immer geht es so glimpflich aus. Manchmal arbeiten die Brujos tagelang. Der Geist ist nicht mehr menschlich, der Koerper des Kindes von den Dornen zerschnitten. Doña Eugenia wiederholt bis zum Ueberdruss: "Nimm dich vor ihm in acht! Keiner, der dir im Wald begegnet, muss der sein, als der er zu sein scheint!" Fuerwahr. Juengst begegnete Kennedy auf seinem Weg nach Otorongo seinem Vater Manrique. Es war 6 Uhr morgens. Manrique, den Canasto geschultert, winkt ihm am Ende der Bruecke Eins bei Magin Gozales zu, er moege ihm folgen, zweigt rueber zum Chakra von Martin Guerra ab, Kennedy fragt sich, was in aller Welt hat mein Vater dort drueben verloren und ueberhaupt, was hat er hier verloren? Und ausserdem, was will er ueberhaupt von mir? Wiederum sputet sich einer mit aufgestellten Haaren, um in die naechste Menschensiedlung zu kommen. Dort findet Kennedy seinen nichtsahnenden Vater.
Shapishico, der Wurzelsepp. Einer, der die Wurzeln liebt. Er verfolgt uns bis in die Traeume, – und bis in die Zeremonien.
"Betsy, was sagst Du dazu, da war einer, der mich gestern in der Zeremonie vom Dach mit einem Kuebel begoss! Mein Nachbar blieb trocken und hat von nichts eine Ahnung!"
"Das gibt’s doch nicht! Wie das? Ich bekam auch eine Ladung ab und meine Nachbarin war trocken! Das war kein undichtes Dach! Das war ein Schwall! Das heisst, er hatte es auf uns abgesehen. Die zwei zwischen uns liess er ungeschoren!"
Agustin, der Meisterfurzer (die feinen Lehrerinnen reisst er damit aus dem Doesen; "Er ist unverbesserlich!"), er tat einen Schwur. "Ich werde in jeder Zeremonie fuer dich singen!" Er tut es bis auf den heutigen Tag. Nun gut, manche, wie Kurt, das Urgestein, sagen, "der Pakt, den Agustin mit dem Chullachaqui unterhaelt, er ist etwas feiner strukturiert, als wir denken, und ueberhaupt, du weisst doch, der Hinterhaeltigste von allen ist doch Agustin selbst. Schau ihn dir nur an, er bleibt todernst, aber grad hat er Claudia, ohne mit der Wimper zu zucken, ins Bockshorn gejagt und sie weiss nicht mehr, wie sie mit ihm dran ist. Bei dir, du Schweinebacke, merke ich wenigstens an deinem hinterhaeltigen Grinsen, dass du was ausheckst, aber bei Agustin kannst du nicht sagen, was er denkt. Aber ich spuer es. Schau dir nur seine Augen an! Vielleicht ist er der Chullachaqui selbst, waehrend er gerade anderswo gemuetlich pennt! Ich glaube, hier stecken ueberhaupt mehr Leute unter einer Decke, als wir es uns ausmalen!"
Wir moegen ihn, den Fussverdrehten. Wir reden mit ihm und schenken ihm Mapachos, die wir hinterlegen. Was taete man hierzulande ohne den Tabak? Er hilft bei Entfuehrungen ins Wasserreich der Bufeos, bei Begegnungen mit den Tunchis, den Untoten, und fuer Shapi ist er allemal hilfreich. Shapi, der, der einen an den Ohren nimmt, verschmitzt, und uns etwas ins Ohr fluestert, das uns so sehr schockiert, das wir schamesrot anlaufen. 😳 Er bringt unsere Phantasie zum Schwitzen. Zeit, wieder einmal Abkuehlung zu suchen und in die Quebrada zu huepfen.