Wie alles begann

Es war zu Pfingsten 1998, der Schamanenkongreß in Alpbach. Dort waren sie alle beisammen, auffällig oder unauffällig. Die amerikanische Delegation, die afrikanische, die asiatische.

Was für ein Gedränge, welche Aufregung. Der Sonnenschein des Wochenendes über dem Alpendorf. Das Geld in Bewegung.

Delia will zu Donja Soledad.

"Donja Soledad, sind Sie jene, die Castaneda beschreibt?", fragt sie sie auf castellanisch.

"Nein, meine Liebe, pero aqui estamos hablando aleman."

Später wird sie noch Anekdoten zu ihm erzählen.

Den Tag darauf sind wir auf der Schafsalm, dem Treffpunkt mit Don Agustin. Unbekümmert kommt er mit seiner Dolmetscherin dahergewatschelt, leichtbeschwingt, verspätet. Man hat ihn falsch informiert.

Er erzählt vom Wetterzauber und lenkt unsere Aufmerksamkeit auf den Dreispitz des das Panorama beherrschenden Galtenbergs drinnen am Talschluß, über dem sich eine Sommergewitterwolke zusammenbraut. Er erzählt die Anekdote von Eduardo Calderon, "El Tuno", seinem Zunftgefährten, als sie sich maßen. Das war noch vor den Zusammenkünften in der peruanischen Ratsversammlung. Agustin faßt Delia ins Auge und zwinkert ihr zu. "Qué bueno", murmelt er. Dann berichtet er wieder von seiner Begegnung mit dem Chullachaqui, dem Schutzgeist des Waldes.

Sonntag vormittag, Besuch bei Chamolame Mpabane. Er bricht die Sitzung nach ein paar Minuten ab, zuhause sei etwas nicht in Ordnung, er müsse sich darum kümmern. Ich kehre zurück, Delia Rosenkranz im Zimmer ganz aufgeregt.

"Du kannst dir nicht vorstellen, was passiert ist. Zwölf Frauen sind durchs Zimmer marschiert und haben mich gefragt, was ich hier treibe. Ich hab‘ sie gefragt, von wo sie herkommen, sie haben gesagt, vom Bach. Und sie haben mir gesagt, ich soll mich doch trauen."

Am nächsten Tag nochmals Donja Soledad. Sie beginnt mit einem Einigungstanz und läßt einen Geistfänger hubschrauberartig über sich kreisen. Ein junger Mann klagt über Lähmungserscheinungen im rechten Arm. Sie streift ihn mit einem kurzen Blick und komplimentiert uns übrige höflich hinaus.

Jahre später, in San Antón, wird Agustin sagen, "Bitte schließt die Augen, wenn ich heile. Ich mag die Blicke auf meinem Rücken nicht."

Und so kommen wir ein Jahr später wieder zu unserem Wallfahrtsort, und Delia Rosenkranz stolpert über Donja Soledad, und sie verabreden sich für Mexiko.

Und Delia besucht sie mit dem letzten Geld, und gemeinsam besuchen sie die Herumtreiber in Yushintaita, und von da weg spannt sich der Bogen bis hinunter zur Isla Chiloé und bis hinüber ins nebelverhangene, kalt feuchte Küstengebirge, den eisigen Wildbächen, in denen sie sich mit Brennesseln peitscht, um ihre Warzen zu vertreiben, doch das Erbe läßt sich nicht vertreiben. Verleugnen ja, vertreiben nicht, nicht drüben, nicht hier. Das Erbe besteht über die Kriegsschlachten hinaus, es findet seine Verkörperung, selbst wenn alle Geschlechter ausgelöscht sind, es findet sich über den Tod des Meisters hinaus, es findet sich im Leser, im Text der geistgegebenen Schrift.

Und so kehren sie zurück, aus dem Fegefeuer. Elena "La Gorda", Carlos Aranja, die vielen, in unsere offenen Arme.

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