San Juan 2007: Wettermaessig hatten wir bis jetzt ein regulaeres Jahr. Ausreichende Niederschlaege, ueppig wuchernde Vegetation, vom Regen und vom nicht unterzukriegenden Verkehr abgenuetzte, mit Schlagloechern durchsetzte Betonstrassen in Iquitos. Eine peruanische Regierung immer noch ohne sonderliche Identitaet. Neu aufflammender Narcoterrorismus. Lima, die Hauptstadt, die immer mehr Las Vegas aehnelt.

Heute morgen endeten die 4-taegigen Morgenlaeufe unserer Dorfjugend, die sich um 3.30 Uhr morgens in Gruppen auf den Strassen, den lichtlosen, zusammenfand und, martialische Gesaenge skandierend, wie ein militaerisches Trainingsbataillon im Stampfschritt durch die Gassen zog. Keiner, den das nicht aus dem Schlaf hochriss, zumal die eigenen Soehne schon laengst mitmachen. Ab 7 angefangen. So lernt unsere Jugend frueh das entscheidende Vokabular, das aus jungen Spunden echte Maenner macht.

Auch die Baptisten haben Hochsaison, ich berichtete es schon frueher, und weil die mit ihnen konkurrierenden "Pfingstler" das nicht gerne sehen, initiieren diese ihrerseits Versammlungen und Morgenpredigten am geschaeftigen Markt, wo sie seltsam herumstaksen und weinend und gestikulierend von Christi Erbarmen und seinem Sterben erzaehlen. Damit sinkt der sonstige Geraeuschpegel der Marktfrauen bedeutend, ja sie unterlassen sogar den Tratsch mit den Kunden. So muss es frueher zu Zeiten der Inquisition gewesen sein. Fuer die Polizei ist es eher ein Vergehen, wenn der Tourist nicht respektvoll beim allsonntaegigen Hissen der Nationalflagge und dem Absingen der Nationalhymne am Hauptplatz stehenbleibt.

San Juan und seine Ritualspeise, die "Juanes", das Essen der Armen, geduensteter Curryreis mit eingelegtem Huhn, Ei und Olive, alles zu einer Birne umwickelt von einem Platanoblatt, eben das Haupt von Johannes. In manchen Restaurants von Iquitos wird der "Juane" tatsaechlich noch auf einem Silbertablett serviert, wie zu Sálome’s Zeiten.

Der Kopf des Johannes dient rituell noch einem anderen Kulturandenken, dem der Kaempfe mit den Yaguas aus der ersten Haelfte des Jahrhunderts. Den Schrumpfkopf-Yaguas. Juengst erzaehlte mir einer, der es wissen muss, welche Preise im Land des Dollars heute fuer einen authentischen Schrumpfkopf auf dem Schwarzmarkt geboten werden. So wie fuer eine Anakondahaut.

Johannes, der gleichaltrige Cousin Christi. Sein Verbuendeter. Er war kein Charlton Heston (so wie auch Moses kein Charlton Heston war und auch nicht Ben Hur), aber er war auch nicht alt. Er war struppig und baertig, und er war illuminiert. Er sah die Endzeit angebrochen, die hoechste Zeit fuer ein Reinwaschen und ein Bereuen der Suenden. Die letzte Gelegenheit. Was mag ihn so gedraengt haben? Realitaetssinn! Das Erkennen der Realitaet.

("Der Fehler an uns Menschen ist und ist es seit urdenklichen Zeiten gewesen, dass wir glauben, wir befaenden uns im Reich der Unsterblichkeit, ohne das deutlich zu sagen. Wir verhalten uns, als wuerden wir niemals sterben. Das ist eine infantile Anmassung. Aber noch verderblicher als das Gefuehl der Unsterblichkeit ist das, was sich damit einstellt. Es ist das Gefuehl, dass wir dieses unvorstellbare Universum mit unserem Bewusstsein erfassen koennen." D.J. zu C.C., wie bekannt).

Johannes war faehig, dieses sein Erkennen seinen Zuhoerern zu vermitteln. Deswegen sprachen sie von ihm zuerst als dem "Prediger in der Wueste".

"Umkehr, Umkehr, Umkehr! Kehrt um!" Mehr brauchte es nicht. Offenbar war das Wort "Umkehr" jenes, das Herodes Antippas am meisten stoerte. Johannes war hellsichtig, deswegen das kreidebleiche Gesicht des Thyrannen, als der Taeufer ihm vorgefuehrt wird und ihm auf den Kopf den doppelten Ehebruch mit Herodias, der Gemahlin seines Halbbruders, auf den Kopf zuwirft. Der gefesselte Intimfeind.

Johannes war der Ausloeser. Als ihm sein Cousin und Dorfnachbar entgegentritt, in der Menge, um sich so wie alle anderen auch von ihm taufen zu lassen, und er sich zu ihm hinabbeugt und ihm auf den Kopf zusagt, "eher muesste ich mich von dir taufen lassen, denn wer bin ich, dass ich dies an dir taete?", und sein Gefaehrte ihm eine Antwort gibt, die wir nur erahnen koennen, da wurde aus dem Gesandten ein Seher, und deswegen malten die Italiener die Taube in den Himmel. Die Taube ueber diesem Bruederpaar.

Don Hilario Tananta Muyuna begeht heute, zum Fest des Inti Raymi und Johanni seinen 94.Geburtstag. Der nunmehr aelteste Buerger des Dorfes. Er liegt auf dem Sterbebett, klaren Geistes, versehen mit den Sakramenten. Er wird unbeschwert gehen. Danke fuer alles, Hilario!

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