An allen Ecken der Erde schreit das Unrecht zum Himmel. Oft wollen die, die dieses Schreien stoert, es zum Verstummen bringen. Auch unsere Bequemlichkeit stoert das Schreien, das Weinen.

Manchmal ist es nur ein Roecheln, ein Stammeln, ein Ausbruch ueberbordenden Gefuehls wie bei einem geistig behinderten Menschen, der nur zum Lallen imstande ist. In Kambodscha, als Millionen starben, verschluckte der Dschungel alles. Es war ein unwichtiger Flecken der Erde. In Polen war es der Krieg, obwohl die Alliierten genau Bescheid wussten. In Ciudad Juarez, Mexiko, wissen es alle, auch das Land jenseits der Mauer, das, welches jedes Telefongespraech in Lateinamerika rastert.

In Ciudad Juarez werden hunderte Frauen, wenn nicht mehr, systematisch entwuerdigt, vergewaltigt, ihrer Kinder beraubt. Die Uebeltaeter sitzen an der Spitze: Politiker, Militaers, Polizei, Berufskriminelle. Sie arbeiten mit Zwangsprostitution – auch jener der Kinder -, Unter-Drogen-Setzen, Mord, Organausbeutung. Sie lassen die Muetter Schandtaten begehen, damit diese ihre Kinder freibekommen. Das sind die ganz oben. Ein Netzwerk, das schon Jahre funktioniert.

Keiner traut sich eigentlich mehr nach Mexiko Stadt. 26 Millionen Einwohner. Ein Inferno. Und kein Tourist reist nach Ciudad Juarez, es ist nicht empfehlenswert. Nur mutige Journalisten, die ihr Leben riskieren. Keine politische Delegation, aus keinem Erdteil. Keine Frauen-Ministerin aus Europa, beispielsweise.

Nur eine ergriff juengst das Wort. Die, die sich die Bezeichnung „Oesterreicherin“ bei der Ernennung zur Literatur-Nobel-Preistraegerin verbat und die – natuerlich, ist man geneigt zu sagen – auch nicht zur Verleihung in Stockholm erschien. Sie, die Matrone der oesterreichischen Literatur, vielleicht darf man sagen, der deutschsprachigen.

Sie ist hochgewachsen, hat einen kraeftigen, weit ausholenden Schritt, traegt ihr Haar bisweilen ueber der Stirn hochgesteckt, was ihrem energischen Gesicht eine charakterliche Aehnlichkeit mit jenem der Paula Wessely verleiht. Ihr energisches Auftreten, der Gang und die Art, wie sie die Ereignisse rund um sich beeinflusst, selbst im Alltag, laesst viele wegschauen. Deswegen haben viele ein Problem mit ihr. Sprechen wir nicht von ihrem Oeuvre.

Sie sagte, die Tatsache, dass niemand der immerhin zahlreichen Frauenbeauftragten in Europa die Zustaende in Ciudad Juarez aufgreife, und das seit Jahren, sei ein Uebel, ein Skandal. Dieser Kommentar zeigt nur den Horizont der Dichterin. Und er bezeugt ihre Treffsicherheit, denn immerhin war Mexikos Erde, wenngleich in anderer Form, bereits schon einmal Schauplatz eines Welten- und Epochendramas (und damit ist nicht jenes der Habsburger gemeint). Und Mexiko-Stadt ist eine Zeitbombe. Aber der Kommentar der Jellinek bezeugt nur eines ganz Zuvorderst: Frauliches Mitgefuehl, Mitleid, Betroffenheit, ein Herz fuer die leidenden Frauen und Kinder, die unter diesem graeulichen Missbrauch, diesem Verbrechen an der Menschlichkeit, an jeder einzelnen Seele, leiden.

Danke, Frau Jellinek, fuer Ihr Wort! Bitte hoeren Sie nicht auf, aufzustehen und hinzuweisen, auf das Uebel; mit ihrem gestreckten Zeigefinger.

0 Antworten

  1. Im Kampf gegen die Droge nimmt niemand gern oeffentlich Stellung. Vielleicht noch in Europa und in ausgewaehlten Bueros in den USA, doch in Lateinamerika sicher niemand. Sogar ein Kraftakt von 25 Milliarden Dollar, die die Bush-Administration in Mexiko, Kolumbien, Ecuador und Peru in den naechsten 5 Jahren zur Drogenbekaempfung investieren will, bleibt unkommentiert. Es ist verstaendlich. Dieser Geldhappen wird in hungrigen Maeulern verschwinden und zuletzt im trockenen Wuestenboden versiegt sein, als haette es ihn niemals gegeben. Wer sich zu einer kompromittierenden, politisch korrekten Stellungnahme hinreissen laesst, wird hinkuenftig strampeln muessen, um nicht vom Futternapf ausgeschlossen zu werden. Politik, Militaer, Polizei und die Kartelle werden sich diesen Kuchen gemeinsam teilen und nur ein paar kleine Lichter werden als Bauernopfer ins Gras beissen muessen.

    Die Droge ist einer der zeitgemaessen Kriege unserer Kultur, vielleicht sogar der repraesentativste von allen. Denn er beantwortet z.B. die Zentralfrage unseres Planeten: "Wie sollen wir zusammenleben?" Eine Frage, die sogar den neodarwinistischen, im Elfenbeinturm lebenden Universitaetsprofessoren, die schon einmal in den Strassen ueberfallen wurden, unter den Naegeln brennt. In der Welt der Droge ist diese Frage klar beantwortet: Am Anfang steht der Loyalitaetseid, eine sizilianisch-japanische Erfindung (in Lateinamerika bis vor kurzem noch unbekannt, doch nunmehr eifrig plakatiert), die mit abgschnittenen Gliedmassen und ausgestochenen Augaepfeln operiert. Du nimmst die Scheine und stehst im Dienst. Die Feinde deines Dienstgebers sind deine Feinde. Du erfuellst stumm deine Pflichten. Menschenleben spielen keine Rolle. Wenn von dir gefordert wird, das Kind eines Polizisten zu entfuehren, so tust du es, ohne zu fragen. Wenn man dir eine Pistole mit Schalldaempfer in die Hand drueckt mit dem Auftrag, beim naechsten Gewitter, naechtens, den Buergermeister deines Dorfes zum Verstummen zu bringen, so tust du es trotz aller Schweissperlen auf deiner Stirne. Die Machtverhaeltnisse brauchen dich nicht zu interessieren. Du erfuellst deinen Auftrag, ansonsten bist du erledigt, und das heisst in der Welt der Droge, du darfst an einem gottverlassenen Ort rituell dein eigenes Grab graben, waehrend der Henker hinter dir steht. Du verschwindest spurlos. Deine Witwe erhaelt Nachricht: "Er war ein Verraeter".

    Die Moerder des Kartells von Sinaloa, die "Mara Salvatrucha", entfuehren und toeten Polizisten, schneiden ihnen die Koepfe ab und postieren sie auf Pfaehlen mitten auf den Hauptplaetzen, samt einem Schild: "Damit ihr lernt, was Respekt heisst!"

    Mexiko ist mittlerweile der zweitblutigste Staat Lateinamerikas, hinter Brasilien. 10.000 Ermordete im Drogenkrieg seit 2001, alleine 1.300 Tote im vergangenen Jahr 2007. In Ciudad Juarez immer noch die Praxis der Geiselnahme und Ermordung von Frauen als Druckmittel gegen Politiker und Polizisten. Ueber 500 Frauen sind so seit 1995 spurlos verschwunden, in einer einzigen mittelgrossen Stadt. 20 rituelle Exekutionen in einer Woche rund um Mexiko City, Opfer der zunehmenden Bandenkriege. Der Leiter der Praeventivabteilung von Mexiko Stadt, Edgar Eusebio Millá, am 6.Mai auf offener Strasse von Unbekannten im Vorbeifahren erschossen.

    80% des in den USA konsumierten Marihuanas stammen aus Mexiko. Die Haelfte des in den USA zirkulierenden Heroins waechst auf den Mohnkulturen in Oaxaca, Guerrero und Sinaloa. 70% der in den Diskotheken von L.A. eingeworfenen Metamphetamina stammen aus Laboratorien gleich ueber der Grenze, Tijuana und Nachbarorten.

    Die Vereinigten Staaten, die sich im Kielwasser von gewissen Chefideologen wie Lionel Huntington nicht nur militaerisch und wirtschaftlich, sondern sogar "kulturell" schlechthin als die "fuehrende Nation" des Erdballs waehnen – fuehrend im Sinne von "fittest", fittest im Sinne von "faehig zu ueberleben" -, sie koennen es sich nicht erlauben, diese Drogen freizugeben, denn das waere ein nicht wiedergutzumachender Makel in der Maquillage, die in diesem armseligen Land der Zuegellosigkeit das Nonplusultra darstellt. Sie muessen sie bekaempfen um jeden Preis, und das lassen sie sich tatsaechlich Milliarden kosten. Doch manche behaupten, die Distribution im Zielland ist ebenso aufwendig wie die Hinueberschiffung, und sie haben recht. Das "Einfache Nuesse-Prinzip": "Die Kolumbianer kontrollieren weltweit die Produktion, die Mexikaner weltweit die Verteilung und die Amerikaner weltweit die politische Absicherung" wirkt nach Meinung mancher Journalisten, die sich damit befassen, wie ein ausgekluegeltes Spinnennetz, das bis in Praesidentialbueros reicht oder zumindest bis vor kurzem reichte, denn nunmehr scheint Anarchie auszubrechen. Nach der Zerschlagung der Kartelle von Medellin und Cali sind 300 operative Nachfolgeorganisationen entstanden. In Mexiko nicht anders: Die Kartelle des Carrillo Fuentes und des Arellano Félix (Auftraggeber fuer hunderte von Morden), ehemals in Culiacán, Sinaloa, ansaessig, zogen einfach nach Tijuana an die kalifornische Grenze um, dorthin, wo schon Chapo Guzmán sass, angeblich der Mann, der seine Faeden sogar bis hinueber in die DEA-Bueros zieht.

    Das Prinzip der sizilianischen und japanischen Camorra- und Yakuza-Loyalitaetseide wird ein weltweites Prinzip werden. Es wird keine Nachverhandlungen und Rechtfertigungen geben. Felipe Calderón, Praesident Mexikos, Verhandlungspartner Washingtons, berief 70.000 Soldaten in Funktionen der Polizei, um der teilweise bereits offenen Strassenkaempfe Herr zu werden. Analytikern wie Ted Galen Carpenter zufolge stehen knapp die Haelfte von ihnen bereits im Sold der Kartelle. Die Kartelle zahlen einfach besser. Damit geniessen diese Familienvaeter Doppelsolde. Aber der Schwur, er gilt nicht auf die Verfassung, denn die Verfassung arbeitet nicht mit abgeschnittenen Koepfen. Somit wird es dann mit der Zeit nicht mehr eine Auseinandersetzung mit dem Staat, der irgendwann, irgendwo sowieso keine Bedeutung mehr geniesst, sondern mit den rivalisierenden Organisationen. Organisationen, die vielleicht sogar innerhalb der Polizei operieren, so wie in Peru.

    Und in diesem Krieg der Rivalen heuern sie die wahren Verrueckten an, die nicht mehr kontrollierbaren Killer wie "Anton Czighurr", von Jorgi Bardem zuletzt oscarpraemiiert in "Kein Land fuer alte Maenner" dargestellt. Psychopathen, die sich ihren Weg mit Spezialwaffen ueber jeden Dazwischenkommenden freischiessen, ansatzlos, und ganz zum Schluss sich selbstaendig machen, alle drei Auftraggeber sind in Sekundenschnelle schon ausgeloescht, mit 2 Millionen im Aktenkoffer.

    Das ist das Schauspiel, dem bald keiner mehr im Logensitz beiwohnt. Elfriede Jelinek, einzige mir bekannte Kaempferin fuer die Frauen von Ciudad Juarez, so lese ich, veroeffentlicht ihre Buecher nicht mehr in Verlagen, sondern auf ihrer eigenen Homepage. Man sagt, sie ginge nicht mehr aus dem Haus, – Menschenscheu. Ihr letzter Roman: "Gier". Ich empfinde etwas fuer diese Dame, diese Geheimnisvolle. Sie weiss, wieviel die Uhr geschlagen hat.

    So wie Thomas Bernhard, als er seinen Roman "Die Ausloeschung" fertigstellte und sich zum letzten Mal niederlegte. Wie schade! Wie unwiederbringlich!

    Irgendwann, bald, wird der Nobel-Preis zum letzten Mal an einen wahren Menschen vergeben werden. Danach kommen nur mehr Neutronenbombenerfinder und Menschenkloner. Und dann, was kommt nach dem Dalai Lama? Eine brennende Frage, oder nicht?

Schreibe einen Kommentar

Weitere Artikel