Wahrscheinlich wird eine Zeit kommen, in der die 10 Gebote vollkommen unbekannt sein werden, vielleicht in kürzerer Zeit.
Was töten wir doch alle, mit Hand und Zunge. Diese Schlachthäuser und Schlachtfelder. Die Tiere, die uns vorangehen, Hektoliter von Blut jeden Tag, in jedem willkürlichen Schlachthaus.
In Wien hieß die Haltestelle immer "Schlachthof Sankt Marx". Eine Institution, die, als sie leer stand, für Pop-Konzerte genützt wurde. In Wien sind Heilige und Kruzifixe Requisiten der Fleischerei, in alteingesessenen Betrieben der Markthallen, natürlich nicht in den "modernen". "Schlachthof St.Marx" war eine ins Lautsprechersystem einprogrammierte Station, eine Institution im Bewußtsein der Wiener, bis der Name einem "Stadtvater" wohl sauer aufstieß. Nach etwas Herumexperimentieren mit anderen Namen ist man heute bei "Vienna Bio-Center St.Marx" gelandet, – für die Reisenden, die vom Flughafen an dieser Station vorbei müssen.
Wie menschenentehrend ist der Anblick einer in die Knie einbrechenden Kuh.
Früher schlugen sie in manchen Dörfern den Säuen die Schädel mit einem Hammer ein.
Wieviele Säugetiere sterben jeden Tag, um von uns verzehrt zu werden, jedes einem Tötungsakt unterzogen.
Noch immer ist der Krieg die Quintessenz der Politik, so wie das Menschenopfer im Film. Wie viele Schauspieler geben sich dafür hin, einen Sterbenden zu mimen, zerfleischt und zerrissen von der Superwaffe irgend eines vorgeblich Unsterblichen. Mit welcher Hingabe werden die Trickeffekte des Zerstörens der menschlichen Integrität in Szene gesetzt. Wie wollen sie uns doch die Attraktivität der Linearität von Geschossen suggerieren. Wie obszön und moralisch korrumpierend das Mitansehenmüssen dessen, was sie uns vor Kriegsbeginn demonstrieren. Die neuen Fernlenkgeschosse, im Infrarotlicht dahersausend, der Panzer, der vor uns explodiert. Nicht zeigen sie die zwangsverpflichteten Soldaten darin, die Zivilisten in den Gebäuden.
Am Boden sieht alles dann anders aus. Die Mütter und Väter brechen weinend über den Körpern ihrer Kinder zusammen.
Ein einziges Kriegsopfer ist eine Bürde für die Menschheit.
Ein einziges Mordopfer ein Albtraum an einem gezeichneten Ort.
Ein geschlachtetes Tier bitteres Blut der Seele, das man um Verzeihung bitten möchte.
Ein durch ein Wort blutendes Herz Gegenstand nächtlicher Reue.
Irgendwann büßt man, wir alle, die Vertriebenen aus dem Paradies. Und wir lassen nicht ab. Blindwütig. Immer noch machen sie Planspiele, immer noch filmen sie von oben, denn das Inferno am Boden könnte ihnen ein vom Irrsinn verzerrtes Kindesgesicht vorsetzen. Systematisch deformieren sie die Kinder mit ihren Video-Tötungsspielen. Niemand bemerkt das Trauma, das im Kind eingepflanzt wird, wenn es bemerkt, daß es den Erwachsenen oder bereits deformierten Spielgenossen egal ist, ob es lebt oder verschwunden ist.
Der Tod ist nicht der Jäger dieses Lebens, wir sind nur seine bornierten Erfüllungsgehilfen. Keine größere Illusion als jene des "Nur der Stärkste überlebt!" Als ob es auf dieser Welt ein Überleben gäbe. Ich möchte die Staatsmänner, die Krieg führen, einmal von Maximilian Kolbe sprechen hören, von Alois Jägerstätter. Ich möchte den amerikanischen Präsidenten sehen, wie er einem strahlengeschädigten Nachkommen eines Hiroshima-Opfers die Hand gibt. Dann ziehe ich vor ihm den Hut und glaube ihm sein Bekenntnis. Und werde nicht mehr daran denken, daß in jeder Stunde der Hinrichtung eines Delinquenten (und wie viele von ihnen in der Geschichte waren unschuldig?) das rote Telefon bereitstehen müßte, die Linie frei, zum Bett des Gouverneurs, der wohl schlief, als man die Giftnadel in die Vene des Verurteilten senkte, vor Zeugen, Jahre nach jener Zeit, als man noch vor eben diesen Zeugen Strom durch den gefesselten, sich aufbäumenden und aufblähenden Körper der entweihten Kreatur jagte.
"Werdet wie die Kinder", sagt Christus. Wer spricht heute davon? Dieses Paradies ist nur den wahren Träumern vorbehalten. Den Gereinigten und Märtyrern unserer Zeit.
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"Also, for some people it is helpful to reflect on the sufferings of the three bad levels of transmigration: hell-beings, hungry ghosts, and animals. If it is difficult to believe that there are hell-beings, consider the many sufferings that animals undergo. With our own eyes we can see their manifold sufferings, but we should consider whether, born in that sort of situation, we would be able to stand such suffering. We can decide that we already have many predispositions in our minds established by non-meritorious actions – which were motivated by beginningless ignorance – that will result in rebirth as animals. Up to now, we have just looked at animals, but now we should imagine ourselves living as one of them; we should consider whether we could bear it or not. When we think in this way, we develop a sense of not wanting to be reborn as an animal. What brings about these results are acts of harmfulness and violence against others."
(The Meaning of Life, Boston 2000, S.81)
Wüßte ich nicht aus einem Moment der Gnade, in diesem Leben zu sein, vielleicht verfiele ich dem Trug, im Traum versinken zu können. Doch glücklicherweise bewahrt mich etwas vor dem endgültigen Trug, dem endgültigen Irrtum. Noch ist die Selbsttötung keine ernsthafte Option, und sie soll es nie sein. Da sei das zeitgerechte Lernen vor, – der Glaube an die persönliche Ansprache durch die Übermacht. Nennen wir sie die Übermacht. Das, was uns ins Leben gerufen hat.
Oft genug habe ich diese Ansprache ignoriert. Zumindest seit der Zeit, als auch ich, der Weinerliche, zum Entschluß kam, eine harte Schale könne nichts schaden. Die harte Schale trug ihre Früchte: Zynismus, Besserwisserei, Selbstverliebtheit, autistische Züge, Verstocktheit. Ja, es wurde noch schlimmer: Tierquälerei, Tiertötung. Ein getriebener Täter. Ein Meuchelmörder eben. Einer, der eine Taube vom Baum schießt, am Sonntag, direkt nach einer Messe. Die direkte Gegenthese zur Hand des Heiligen Geistes. Gerade eine Taube mußte es sein. Fliegen in Unzahl und Maikäfer. Ausgerechnet Maikäfer, die unschuldigen. Die mittlerweile ausgestorbenen Maikäfer. Aber es wurde noch schlimmer, und das macht schwer zu schaffen. In Ayahuasca wird es direkt quälend, dieses unmittelbare Gewahrwerden, wie weit die Verfehlungen gingen. Mord- und Totschlag, durch Taten und Worte. In Ayahuasca steht eines Nachts die eigene Hölle vor Augen und ergreift uns. Darum geraten solche Nächte zu einem fürchterlichen Exorzismus. Der Teufel hat uns verschlungen und hält uns in seinen Krallen. 30 Menschen beginnen zu brüllen, sie rasen geradezu. Der Shipibo beginnt mit seinem Kriegsgesang. Die Nacht wird noch schwärzer. Es donnert und blitzt. Schwerer Regen setzt ein. „Ich kann nicht mehr“, stöhnt eine ältere Frau. „Es ist so grausam.“ Andere heulen. „Du Schwein! Du Schwein!“ „Ja, ich war ein Teufel“, bekennt ein anderer am nächsten Morgen. Er ist nicht allein. Das Brüllen der Russen ist elementar. Eine Russin rast durch die Malocca. Entstellte Laute entringen sich ihrer Kehle. Sie droht sich auf den Leiter der Zeremonie zu werfen. Der zieht eine Schraube an, sein Assistent und Schüler, ein Meister, unterstützt ihn zudem mit einem eigenen wilden Mariri. Die Frau fällt zu Boden, ein Weinkrampf beutelt ihren Körper. Sie erbricht an Ort und Stelle, dann bleibt sie liegen, in schwerer Trance. Andere ziehen mit Urlauten mit. Nach 4 Stunden hat der Spuk ein Ende. Alle schlafen an Ort und Stelle ein oder geben sich ihren Visionen hin. Am Morgen ist der Zeremonienmeister verschwunden, wie ein Geist. Eine Rede erübrigt sich.
Aber an dieser Stelle kann und will ich es mir nicht mehr verhehlen.
Wir haben ein ernsthaftes Problem.
Wir sind alle Mörder. Wir treten das Fünfte Mosaische Gebot mit Füßen. Die meisten kennen es nicht einmal. „Du sollst nicht töten!“ Aber wir töten Tag für Tag. Wir schlachten Tiere. Man muß den Harekrishnas Recht geben, wenn sie sagen, das Christentum sei in diesem Punkt verlogen, da es göttliches Gebot nur auf Menschen bezieht, aber nicht auf alle Lebewesen.
Die tagtägliche Übertretung dieses Gebotes ist unser Grundproblem. Wir bekriegen einander täglich, mit Giften, Blicken und Worten. Die Hölle ist dermaßen alltäglich, daß wir ihr nach und nach und vollends anheimfallen. Wir töten das Leben neben uns, angefangen bei den eigenen Kindern.
Das Töten ist unser Grundproblem. Ein real exisierendes, dem Menschen überlegenes Wesen treibt sein mörderisches Spiel mit uns. Er läßt uns töten, und schlußendlich verspeist er uns selbst, uns, die Mörder, seine Handlanger.
Dieses Wesen, das uns alle in Geiselhaft hält, impft uns sein Bekenntnis ein. Das Bekenntnis eines Teufels. „Das Leben ist Fressen und Gefressen Werden. Das mosaische Gebot ist eine rettungslose Illusion. Sie ist für niemanden von Belang. Die einzige energetische Realität ist meine Freiheit zu töten.“ Und das zeigt er uns vor, in allem. Öffentliche Exekutionen mit der Guillotine wie zu Zeiten der französischen Revolution, als zehntausende zur Enthauptung Ludwigs des 16. und seiner Frau Marie Antoinette auf die Place de la Concorde strömten. Systematische Erschießungen ukrainischer Bauern durch die deutsche Armee. Standrechtliche Erhängungen von Partisanen vor versammelten Landsern. Der Orkus der Kriege, die bis heute nicht aufgehört haben. Die Drogenkämpfe in Mexiko haben seit 2006 mehr als 36.000 Menschenleben gefordert, darunter auch Frauen und Halbwüchsige, und das nur 200 Kilometer entfernt vom Heilgtum Mexikos, der Schwarzen Madonna von Guadalajara.
Der Mensch glaubt nicht an Gott. An einen Abgott vielleicht, so wie an das goldene Kalb, den Baal, den dieselben Israeliten anbeteten, während Moses, der Befreier, oben am Sinai war und die Gebote in Steintafeln erhielt. So die Überlieferung.
In unserer bodenlosen Ratlosigkeit haben wir das Töten zum Inbild der eigenen Freiheit erhoben. „Tötet nicht Gott uns und alles, was er geschaffen hat, alles Leben?“ So fragen wir, und im nächsten Atemzug legen wir ein Bekenntnis ab. „So wollen wir ihm zuvor kommen. Er hat uns die Freiheit dazu gegeben.“ Doch wir formulieren es sogar noch schlimmer: „Ich nehme mir die Freiheit zu töten.“
„Ich habe die Freiheit gegenüber der eigenen Leibesfrucht!“ Das sogenannte Recht auf Abtreibung. Die Freiheit über den eigenen Körper. Doch die Konsequenzen treffen uns, Frauen wie Männer, mit verheerender Wucht. Sie stürzen uns in den Orkus. Gerade dieser Orkus tut sich unleugbar mit Gewalt auf in Ayahuasca. Mutter Ayahuasca ruft uns zur Rechenschaft. Und sie läßt uns leiden, erleiden, nichts Anderes als die Qualen des Opfers, die Qualen der Opfer.
Die Geschichte der Menschheit, zumindest die jüdische, beginnt mit einem Brudermord – Kain und Abel -, und endet mit einem Opfertod auf Golgotha, einem Kreuz. Dasselbe Kreuz, das man in den europäischen Fleischerläden findet. An die Auferstehung glaubt mittlerweile niemand mehr.
Das Töten ist ein fürchterlicher Abgrund. Gerade in diesem Moment meines Schreibens erschlage ich präzise, doch ohne weiters zu denken, eine Stechfliege an meinem Fuß, als das Saugsekret des Insektes zu brennen beginnt, und ich denke, ich gebe die tote Fliege einem Fisch im Bach zum Fressen.
Wie tief nur sind wir vom Leben verschlungen und wo endet es wirklich?
Du sollst nicht töten
Das, was wir hier alltäglich anstellen, entzieht sich der Beschreibung. Was hülfe auch eine Beschreibung, die ohnehin nur vorläufige, wenn doch alles den gleichen Weg geht, den Weg zurück in die Dunkelheit? So rief es einst, 1994, auf einer Bootsfahrt unter der brennenden Mittagssone von Sikinos Dr.Hervé, ein Arzt aus Straßburg, aus. „Der Tod macht alles zunichte! Selbst das größte Werk, die größte Anstrengung. Er läßt nichts übrig! Was für ein niederschmetterndes Drama, – die menschliche Vergeblichkeit!“ Und Dr.Hervé’s Gesicht zeigte einen ganz und gar unerwarteten Schmerz, gänzlich ungeschminkt.
Was bringt uns die Beschreibung, wenn sie nichts an unserem Leben, erst recht unserem Schicksal ändert? Und unser Schicksal steht fest. Ja, es steht fest. Wir mögen die Augen davor verschließen und uns mittels jeder nur erdenklichen Zerstreuung darüber hinwegzuschwindeln versuchen, doch es ändert nichts an unserer Bestimmung, und diese Bestimmung hat ein Gesicht. Sie hat ihren Moment, und es ist ein einzigartiger Moment. Vor diesem Moment schützt uns auch nicht eine Aussage wie jene, die Karol Woytyla tätigte, als er darlegte, nichts bringe den Menschen von seinem letztendlichen Schicksal ab, unsterblich zu sein. Der Pole im Vatikan lebte natürlich in einer eigenen Geisteswelt, in einer durchaus radikalen, und es lohnt, ihm nachzufolgen, um einen dermaßen prononcierten Vertreter des christlichen Glaubens besser verstehen zu lernen. Was er mit jener Aussage verdeutlichen wollte, war der Glaube des Christen an die letzten Dinge oder, um es würdiger auszudrücken, die letzten Wahrheiten, – die Eschatologie, wie es im Fach-Jargon heißt, die Wahrheiten des ewigen Lebens, eines Lebens über den Tod hinaus.
Es ist nur allzu verständlich und unverrückbar evident, daß solches Reden, Reden vom Leben nach dem Tod, heute, in diesen so herrlich modernen, fortschrittlichen Zeiten, wo das höchste Gebäude dieses Erdenballs, der Burj al Khalif in Dubai, bereits die 800 Meter überschritten hat, geradezu inkriminiert wird. Wenn der Inhaber des Stuhles Petri die Aussage trifft, es sei das Schicksal des Menschen, unsterblich zu sein. Aus dem Mund eines Papstes wird dies, in diesen aufgeklärten Zeiten, in der der wissenschaftliche Atheismus oder Agnostizismus das Maß aller Hoffähigkeit darstellt, unmittelbar als anstößig empfunden, ja geradezu als herätisch, als größenwahnsinnig, als unlogisch, als lächerlich und bizarr. Doch auch der Mönch aus Amdo, Tenzin Gyatso, der von den braven Österreichern so hochgeschätzte Dalai Lama, nennt es nicht viel anders. Die Seele lebt ewig, solange sie nicht ins Nirwana eingeht und dort die ewige Erlösung findet.
Aber all dieses Reden erspart niemandem den bitteren Kelch, den Canossagang auf Knien hinunter in den letzten Seufzer, in den letzten Aufschrei, nach dem der Wind der Ewigkeit alles fortfegt. Und gerne dürfte man fragen, was bleibt von uns, unserem Tun? Es sind nur ein paar Namen, die länger bestehen bleiben. Alles andere verfällt zu Staub. Von der „Universität des Wissens“, von der manche Forscher – selbst die theologischen – träumen, nur so lange die Rede wie es Speichermedien gibt. Ansonsten und darüber hinaus, wie es lapidar bei Shakespeare heißt, ist der Rest Schweigen.
Schweigen doch erst recht von dem, was zu Lebzeiten des Menschen Sache war, … seinem unheiligen Treiben, in größter vorstellbarer Selbstverblendung. In Geisterverwirrung, in Geistesverirrung, in der ihn nur mehr ein Gedanke vorantreibt: „Wie dem Ganzen ein Ende bereiten?“ Und hier besinnen wir uns dessen, was wir eigentlich im Leben gelernt haben, unserer ureigenen Gewalt, der Gewalt über den Tod. Gewalt über das Leben hatten wir nie, denn das Leben besteht seit undenklichen Zeiten, und es fährt fort, sich trotz aller Modernität, aller promethischen Gentechnologie selbst auszuspeien. Jeder von uns, ohne jede Ausnahme, findet sich ins Leben geworfen (wollen wir es nicht salbungsvoll-triefend „ins Leben gerufen“ verleumden), findet sich bereits existierend, in einer Weise, die nicht rückgängig zu machen scheint. Das Leben ist immer schon der Fall, und wenn wir bei der Sprache bleiben, müssen wir sagen, es gibt nichts außer das Leben. Das Leben hält uns geradezu gefangen. Es unterwirft uns seinem Gesetz, einem, so scheint es, unpersönlichen, und da setzt der Mensch an.
Der Mensch steht auf, blickt sich um und erkennt, daß er frei ist. Es ist ihm offenkundig. „Ich bin in die Freiheit entlassen“, denkt er sich. „Ich denke! Ich fühle den Schmerz. Ich spreche. Ich spreche, also bin ich. Ich töte, also bin ich. Ja, ich töte, also bin ich. Ich töte aus Lust, also bin ich. Ich töte meinen Feind, also bleibe ich am Leben. Es bereitet mir Lust, den Blick meines Feindes brechen zu sehen. („Es bereitet mir Vergnügen, den Blick und die Brust des Gegners einfallen zu sehen, wenn er realisiert, daß er verloren ist“: So Robert James Fischer, US-amerikanischer Schachweltmeister, 2009 auf Island verstorben). Es bereitet mir Lust, ihm im Kollisseum von Rom den Kopf abzuschlagen. So bin ich Herr über Leben und Tod. Es steht in meiner Macht. Zu töten gibt mir Sinn.“
So redet nicht nur Tom Cruise, der Scientology-Anhänger, als „Profikiller“ in „Collateral“. „Das Leben ist sinnlos. Wir sind vollkommen bedeutungslos. Dieser Planet ist inmitten des unendlichen Sternenstaubs vollkommen bedeutungslos. Meine Arbeit ist es, die Bedeutungslosigkeit meiner Opfer zu finalisieren.“ Klar, das sind Worte aus dem Drehbuch eines Michael Mann, dem verstörenden Hardliner unter den Gewaltregisseuren Hollywoods. Eines Regisseurs, der in „Public enemies“ das Leben des Bankräubers John Dillingers letztes Jahr mit Jonny Depp in der Titelrolle elegisch, also oscarverdächtig, verfilmte, natürlich, wie könnte es anders sein, mit den Tötungs- und Sterbeszenen als szenische Mittelpunkte.
Es hat nicht nur den Anschein, nein, es ist erdrückend, wie man uns in den Strudel der visuellen Gewalt hineinzerrt. Die Katastrophen alleine genügen nicht, nein, es muß der willentliche Tötungsakt sein, der Kontrapunkt zum passiven Erleiden. Profikiller werden zum alltäglichen Phänomen, nicht nur filmisch, nein, leider, leider. Sie sind Realität, allüberall, aber gerade in Südamerika nehmen sie überhand. Handlanger im Dienst von Reichen, die für einen Judaslohn andere umbringen, meistens mit einer Handfeuerwaffe.
Aber das Töten, das ureigenste Menschen- und Tiergeschäft, beschränkt sich nicht auf technischen Götzendienst. Es hat uns uneingestanden im Griff, sowie wir durch die Welt wandeln und rechts und links die Bäume niederfallen, dem allumfassenden Kahlschlag zum Opfer fallen. Wie viele hassen geradezu den Wald? Wie viele hassen geradezu die Tierwelt? Alles, was sich nicht domestizieren läßt, rotten wir aus, die Gorillas zuvorderst. Ja, wir rotten aus, jeden Tag. Fehlt nicht mehr viel, und der Mensch steht mit seinen Tierfabriken alleine da, mitten in der Betonwüste, oder in der Staubwüste, oder in der Sand- und Steinwüste, so wie Taklamatan, die schon vor Peking steht. Und der Rest bleibt das Reich der Insekten und all der anderen „niederen“ Tiergattungen, jener, die sich unserem Auge und damit unserem Haß, unserer Vernichtungswut entziehen.
Unser ganzes Zusammenleben beruht auf dem Tötungsakt. Wir bringen zum Schweigen. Das Auge des Menschen, dieses tierisch bleckende, stierende, strafende Auge, das hinausgafft in die Welt, ohne ein Gegenüber zu finden, es treibt die Zügellosigkeit über alles Maß hinaus und beobachtet in selber Weise stierend die Folgen seiner Zügellosigkeit: Die Heerscharen von abgetriebenen Föten, die kontaminierten Kinder Nordvietnams, die bis in unsere moderne Zeit immer noch, und das seit hunderten von Jahren, an Hunger krepierenden Kinder Afrikas; die ölverseuchten Küsten samt ihren ölverklebten Kormoranen; die Folterzellen von Guantanamo, in denen nicht nur Schuldige bis aufs Blut gequält werden. Und all die Morde im Familienkreis.
„Du sollst nicht töten“, lautet das fünfte mosaische Gebot. Doch als er vom Sinai hinabstieg mit den beiden Steintafeln im Arm, so die Überlieferung der Thora, was sah Moses? Die kurze Zeit seiner Abwesenheit hatte genügt, daß sie wieder in den Götzendienst zurückfallen und das „goldene Kalb“, „Baal“ anbeten konnten. Und da, so die Thora, verfluchte er sein eigenes Volk, die Israeliten, und die Jahre des Herumirrens in der Wüste – so die Überlieferung weiter – sollten vorderhand kein Ende nehmen.
Ja, wieso sollte es uns anders ergehen? Uns, die wir doch an gar nichts mehr glauben? Zumindest wird so geredet. Etwa Stephen Hawking, der allseits akklamierte Astrophysiker, der sich als Vertreter des Laplace’schen Determinismus versteht: „In Erkenntnis des wissenschaftlichen Determinismus soll Napoleon Laplace gefragt haben, wie Gott in dieses Bild passe. Darauf Laplace: „Diese Hypothese habe ich nicht benötigt, Sire.“… Obwohl wir glauben, dass wir entscheiden können, wie wir handeln, zeigen die Erkenntnisse der Molekularbiologie, dass biologische Prozesse den Gesetzen der Physik und der Chemie unterworfen und daher genauso determiniert sind wie die Planetenbahnen. Jüngere neurowissenschaftliche Experimente bestätigen die Auffassung, dass unser materielles, den bekannten naturwissenschaftlichen Gesetzen unterworfenes Gehirn – und nicht irgendeine Instanz außerhalb dieser Gesetze – unser Handeln bestimmt.“ (Stephen Hawking, Der große Entwurf, Hamburg 2010). Hawking, der bewegungsunfähige, doch im Denken ganz und gar umtriebige Rollstuhlfahrer aus Cambridge, mit dem wir uns (so Gott will) noch mehrmals befassen werden, lebt uns geradezu das eigentliche Dilemma vor: Der Mensch ist (zum Leidwesen der Kirche) seit Kopernikus nicht mehr der Mittelpunkt des Universums. Das Universum selbst wird von immanenten Gesetzen regiert, und so auch wir. Der menschliche Wille ist nur eine Frage von Gesetzen, die, sehr zu unserem Leidwesen, unser Fassungsvermögen übersteigen. Die einzigen Fragen, die uns somit nur noch bleiben („Warum gibt es etwas und nicht einfach nichts? Warum existieren wir? Warum dieses besondere System von Gesetzen und nicht irgendein anderes?“), werden wir mit Hilfe der modernen Naturwissenschaften lösen, denn, so Hawking bereits auf Zeile 18 seines Buches, „die Philosophie ist tot.“
Nein, Professor Hawking, die Philosophie ist nicht tot, und auch nicht die christliche Philosophie. Denn die erste Frage, die Sie formulieren, wurde bereits in der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts formuliert, von einem unscheinbaren Wandersmann aus Tübingen: „Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?“ Ich nehme nicht an, daß Sie Ihre Frage von dieser Formulierung abgekupfert haben. Sie hätten Martin Heidegger lesen sollen, Herr Professor, und Sartre darüber hinaus. Sie haben, Herr Professor, mit Verlaub, zwei Ehen an die Wand gefahren. Sie sind nicht der einzige. Höchste Zeit also, uns in Jurte zu kleiden und Asche auf unser Haupt zu streuen. Was finden Sie am mutigen Versuch des Erzbischofs von Wien, Christoph Schönborn, den christlichen Schöpfungsglauben vor den Klauen des wissenschaftlichen Neodarwinismus zu retten, denn so anstößig? Wenn Sie gestatten, würde ich die Frage an Sie umwenden, mit allem Verlaub: „Was meinen Sie, Herr Professor, ist Ihre Krankheit eine persönliche oder eine unpersönliche?“
Meine Krankheiten sind persönliche, Herr Professor. Ich habe eine Ahnung, was ich gravierend falsch gemacht habe in meinem Leben. Entschuldigen Sie bitte den kleinen Ausfall.
In einem (nebst vielem anderem) hat Hawking jedenfalls recht: Die erste Gefahr, wenn wir einmal bei unserer Sozietät bleiben, sind die Atomwaffen. Hawking weiß, wem wir die Malaise schulden: Unserem Drang nach Erkenntnis, gepaart mit unseren bestialischen Trieben. Ja, auch Albert Einstein, nach Entscheid der UNO der „herausragende Geist des 20.Jahrhunderts“, kannte diese Malaise nur allzu gut. Auch in seinem Haushalt ging das Porzellan in Scherben, und auch er war einer der gelehrigsten Zauberlehrlinge, der Geister rief, die wir nicht mehr los werden, trotz aller Friedensbemühungen.
Wann endlich halten wir inne? Wann endlich bringen wir die Erde zum Stillstand? Die menschliche. Mehr braucht es nicht.
Wann endlich halten wir still in unserem Tun?
Wann endlich wird es still?
(Ostermontag 2011)
Merke, Mensch: Nicht töten sollst Du!
„Ich stehe vor dem Fortgehen. Bald bin ich nicht mehr. Nicht mehr so, wie Du mich kennst. Dann bin ich fort, und niemand wird mich erreichen können. Wir können uns nicht der Lächerlichkeit preisgeben. Woher nehmen diese gewissen Leute die Sicherheit, daß wir uns drüben alle wiedersehen? Es ist unerträglich, diese Indoktrination über den Tod hinaus. Paula Wessely hat es einmal so formuliert. Ich erinnere mich.
Wenn ich im Leben – und es hat lange gedauert – eines gelernt habe, dann jenes, daß fast alle den Mund zu voll nehmen und dir den Kopf einschlagen wollen, wenn du ihre unverrückbare Meinung anzweifelst. Das hat in der Kindheit begonnen und dauerte die gesamte Schulzeit über an. Dann kam der Krieg, wo du sowieso nicht einmal einen Mucks machen durftest, und dann der Terror der Großstadt. Und in der Kirche Fragen stellen war sowieso verboten. Als Frau ist man entmündigt, außer, man prostituiert sich. Das war von Anfang an undenkbar.
Ich weiß nicht, was ich im Leben gelernt habe, doch ich habe keinen Zweifel über meinen Glauben. Es sind Einsichten, die mir durch das Beten geschenkt wurden. Was die Welt selbst bedeutet, kann ich beim besten Willen nicht sagen. Nur eines, sie ist schreckenerregend. Das Morden. Der Haß. Das Schreien. Die Gewalt. Und doch muß ich eines gestehen: Ich liebe Schweinefleisch. Habe ich zum Frühstück nicht meine Wurst, klappe ich zusammen. Ich kann dagegen nichts machen. Nicht viel, nur einen Happen, das genügt. Ich habe meinem Mann immer gratuliert, wenn er Wild nachhause gebracht und es dann fachmännisch als Meisterkoch, zu dem er sich in der Pension entwickelt hat, zubereitet und stolz serviert hat. Tiere zu töten steht für mich außer Frage, doch was der Mensch dem Menschen antut, ist unbeschreiblich. Das reine Grauen. Erst recht der Haß, der vor dem Töten kommt.
Es ist seltsam, wenn ich mich besinne. Was habe ich gelernt? Was hat mich interessiert? Ich habe gelernt, daß wir uns selbst fremd sind und um uns selbst kämpfen müssen, wollen wir nicht verloren gehen. Ich habe gelernt, daß uns Egoismus umbringt. Ich habe gelernt, daß niemand bereit ist, laut einzugestehen, daß wir nichts wissen. Es ist alles ein unerträgliches Mordtheater. Selbst das eigene Kind kann dich umbringen. Der Mann die Frau, der Bruder den Bruder, die Nachbarin die Nachbarin, aus Eifersucht, wegen einer unerlaubten Liebe. In der Schule lernen wir lesen und schreiben. Das muß genügen. Was kann man darüber hinaus mit Sicherheit behaupten, und warum ? Der Rest ist Dressur, Schläge auf den Kopf, Schläge auf die Handfläche, Schläge auf den Popo. Demütigung. Auf Erden wird doch nichts sosehr mit Füßen getreten wie die menschliche Würde. Zuvorderst die der Kinder. Was der Mensch dem Kind antut, ist ein Verbrechen, aber das noch größere ist jenes, das er dem ungeborenen Leben antut, indem er es abtreibt. Ich richte nicht. Wie denn auch? Aber ich weiß es. Hier sind wir in den Fängen des Teufels, der sich gegen Gott richtet. Dem Teufel ist die Schöpfung und mit ihr das Leben nicht heilig. Er glaubt, er könne alles tun. Und das hört der Mensch, die Einflüsterung des Bösen. Der Mensch glaubt, er könne alles tun. Sprichwörtlich alles. Das kann nur in einer Katastrophe enden. Katastrophe, das heißt Tod. Angesichts dieser Ungeheuerlichkeit kann ich heute, da ich nicht mehr gehfähig bin, nur mehr im Bett liegen und beten. Vor dem Angesicht Gottes hat nichts Bestand.“
(Die Beichte einer Frau)