In "Das Sein und das Nichts", geschrieben mitten im Krieg, 1943, ein Werk, gute 700 Seiten stark, hinterfraegt Sartre die Modalitaeten des Seins. Er unterscheidet zweierlei: Das Sein an sich und das Sein fuer sich. Das Sein an sich ist die Art zu sein des unbelebten Objekts, das in absoluter Weise, ohne Nuance, nur eines ist. Der Mensch, im Gegenzug, unterscheidet sich vom Objekt, indem ihm bewusst ist, dass er ist, mithin existiert. Er ist also fuer sich. Solcherart Bewusstsein schafft Distanz zwischen einem Menschen, der nur ist, und einem, dem bewusst wird, dass er ist. Somit ist jedes Bewusstsein Bewusstsein von etwas (die Idee der Intentionalitaet nach Husserl) und der Mensch in dieser Welt fundamental offen, "unkomplett", "ausgerichtet auf", existierend mit einer Projektierung ausserhalb seiner: In ihm gibt es ein Nichts, "Ein Loch im Sein", etwas, das ihn empfaenglich macht fuer die Gegenstaende der Welt. "Der Mensch ist, was er nicht ist, und ist nicht, was er ist", sagt Sartre, und fuehrt spaeter aus: Fuer die Bewusstheit gibt es nur eine Art zu existieren, naemlich, Bewusstsein zu haben, dass sie existiert." Waehrend das Artefakt als praezises Objekt vorgestellt wird und seine Essenz in seinem Zweck besteht, existiert der Mensch ohne Funktion, mithin ohne Essenz. Von daher kommt Sarte zu dem existentialistischen Schluss, – dem existentialistischen Paradigma gewissermassen: Die Existenz des Menschen geht seiner Essenz vor. Der Mensch ist somit frei, seine Essenz zu waehlen. Anders als in der philosophischen Tradition (etwa bei Hegel) schreibt also Sartre dem Menschen das Vermoegen zu, seine Essenz frei zu waehlen. Der Mensch ist absolut frei. Er ist nichts Anderes als das, was er aus seinem Leben macht, das Leben ein Projekt. Erst das Ueberschreiten einer gegenwaertigen Situation mittels eines Projektes ist Transzendenz.

Der Existentialismus Sartres wendet sich somit gegen den Determinismus, der davon ausgeht, dass der Mensch ein Spielball der Verhaeltnisse waere, deren er nicht Herr wird. Sartre behauptet vielmehr, der Mensch sei faehig, in der Reihe von Ereignissen seines Lebens jene auszuwaehlen, die er als bestimmend ansieht. Fuer Sartre ist die Freiheit des Bewusstseins ein Wert. Damit stellt er sich auch gegen das Freud’sche Konzept des Unbewussten, dem Stolperstein des Bewusstseins. Nein, der Mensch ist kein Spielball seiner Triebe, sagt Sartre, er entscheidet vielmehr, ob er sich von Traumatas verzehren lasse oder nicht. Das Unbewusste schmaelert in keinster Weise die absolute Freiheit des Menschen.

Wir sind zur Freiheit verdammt. Sich zu engagieren ist nicht Ausdruck, sich unentbehrlich zu machen, sondern Ausdruck, Verantwortung zu uebernehmen. Sich nicht zu engagieren ist immer noch Engagement. Der Sartre’sche Existentialismus ist atheistisch, was heisst, fuer ihn exisitiert Gott nicht. "… und wuerde er existieren, so wuerde das nichts aendern", denn der Mensch ist die einzige Quelle von Werten und der Moral. Der Mensch ist verdammt, seine eigene Moral zu erfinden und dazu verdammt, sie zu definieren. Das Kriterium der Moral treffen wir nicht auf dem Niveau von "Maximen", wie sie etwa Kant fordert, sondern mittels "Akten". Die Hinfaelligkeit des Lebens besteht letztendlich in der Einsicht, dass nur die Absicht zaehlt, nie das Resultat. Und so praegt der pfeifenrauchende Philosoph aus Paris im Bedenken, worin die Entfremdung des Menschen von seiner Freiheit denn schlussendlich bestuende, in seinem Theaterstueck "Geschlossene Gesellschaft" den klassischen Steh-Satz: "Die Hoelle, das sind die Anderen." Die Hoelle, das ist der Wille der Anderen.

Sartres Bekanntheit ausserhalb der Philosophie ruehrt bezeichnenderweise jedoch nicht sosehr von seinen philosophischen oder Theater-Werken (obwohl man ihm 1964 den Nobelpreis fuer Literatur antrug, den er ablehnte) als von seinem politischen Engagement her. Nach seinen Erfahrungen in der franzoesischen Resistance bekannte er sich frueh zum Marxismus und wird daher gemeinhin der franzoesischen extremen Linken zugezaehlt. Das alleine wirkte schon polarisierend. Als er mit Simone de Beauvoir 1960 in Havanna auf Ché Guevara traf, bezeichnete er diesen nach ihrem mehrstuendigen Gespraech als den "komplettesten Menschen, der mir je begegnet ist". So war es nur ein Steinwurf, dass Frankreichs Studenten diesen Ikonoklasten von nebenan 1968 auf ihre Schilde hoben, so wie es die Frankfurter mit Marcuse, Habermas und Bloch taten. Der Beginn des Missbrauchs im Alter fuer einen Slogan und einen Kopf. Schicksal eines, der im oeffentlichen Licht steht, obwohl er sein Leben am Schreibtisch verbrachte.

Simone de Beauvoir, eine der ersten Heroinen des europaeischen Feminismus, teilte gut 53 Jahre Leben und Bett mit dem "Gloeckner von Notre Dame". Am Ende, als er bereits in Montparnasse unter der Erde lag, veroeffentlichte sie ihre Memoiren des Lebens mit ihm, ungeschminkte und ankritisierte. Es war das Schlusskapitel einer zweiten Existenz hinter dem Vorhang, aber keiner Existenz wie bei Burton/Taylor; keine Gewalt, kein Alkohol. Der kam erst, als auch sie des Lebens muede ward und mit Zigaretten in den Schlussakkord eintauchte, wie die Biographen schreiben. Als der Mann ihres Lebens 1980 gestorben war, schrieb sie in einem Brief an André Glucksmann: "Sein Tod trennt uns. Mein Tod wird uns nicht vereinen. So ist es. Es ist schon schoen, dass unser beider Leben sich so lange regeln liess."

Simone de Beauvoir verblich am 14.April 1986, fast auf den Tag genau sechs Jahre nach Sartre. Sie traegt den Ring, den ihr Nelson Algren nach einer Theaterauffuehrung, der sie mit Sartre beigewohnt hatte, geschenkt hatte.

Gemeinsam fanden sie die letzte Ruhestaette am Friedhof von Montparnasse in Paris.

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  1. "Wenn wir bei irgendeinem erscheinenden oder auch nur moeglichen Ding oder Ereignis unter der Oberflaeche nach der wahren Identitaet forschen und es moeglich waere, dort eine deutlich unterscheidbare individuelle Essenz auszumachen, koennten wir sagen, dass dieses Ding wirklich oder im hoechsten Sinne existiert. Wenn etwas tatsaechlich so waere, wie es zu sein scheint, wuerden Anschein und Realitaet uebereinstimmen, und man muesste sagen, das Ding existiere tatsaechlich so, wie es erscheint. So ist es jedoch nicht. Die Dinge sind nicht so, wie sie erscheinen, und deshalb existieren sie nicht wirklich. Ihr Erscheinungsbild und ihr wahres Wesen stimmen nicht ueberein. Diese Diskrepanz beruht darauf, dass die Dinge sich anders darstellen, als sie sind. Wuerden sie sich authentisch darstellen, koennte keine Diskrepanz bestehen.

    In diesem Sinne werden die Dinge als "unwahr", "unecht" oder "vorgetaeuscht" bezeichnet: Man kann nicht sagen, dass sie wirklich existieren. Damit wird ausgesprochen, dass es ihr wahres Sein in Wirklichkeit nie gegeben hat. Es liegt in der Natur der Dinge, dass sie zwar da sind, ihr Sein oder ihre Existenz sich jedoch nicht darstellen laesst. Es ist aber nicht so, dass sie existieren, solange wir sie nicht erforschen, und erst nicht existent werden, wenn wir sie unter die Lupe nehmen!

    Ein Vers in Maitreyas Schmuck der klaren Erkenntnis lautet: "Hier gibt es nichts, was wegzunehmen waere." Das bedeutet: Was hier widerlegt wird, naemlich das wahre Sein, ist nicht etwa zunaechst vorhanden, um dann irgendwie der gedanklichen Zergliederung zum Opfer zu fallen. Es bedeutet vielmehr, dass alle Phaenomene von Natur aus abhaengig sind und immer waren, weshalb sie von Anfang an "leer" von eigenstaendigem, unabhaengigem Sein sind. Waeren die Dinge nicht in diesem Sinne leer, ohne eigenstaendiges Sein, koennten sie gar nicht erst entstehen und ins Sein treten. Phaenomene koennen nur in Abhaengigkeit von anderen Phaenomenen entstehen und ins Sein treten, sie brauchen Bedingungen. Nur autonome Wesenheiten wuerden nicht von Bedingungen abhaengen.

    Wahres Sein kann also nicht etwas sein, das zuerst existiert und spaeter eliminiert wird. Da die Dinge leer von wahrem Sein sind, ist das, was wir "Leerheit" oder "hoechsten Aspekt" nennen, nicht etwas Neues, das erst vom Geist hinzugefuegt wird.

    Das eben angefuehrte Zitat geht weiter: "… und nicht das Geringste, was hinzuzufuegen waere". Damit ist gesagt, dass die beiden Wirklichkeitsebenen – die relative oder konventionelle Wahrheit oder Seinsweise und die absolute oder hoechste Seinsweise – nicht durch das erleuchtete Wirken des Buddha oder das Karma gewoehnlicher Wesen zustande kommen. Die Dinge sind einfach von Natur aus so.

    Ein Geist, der nach dem wahren Sein der Dinge fragt und sich nicht mit der oberflaechlichen Erscheinung zufriedengibt, ist ein Geist, der auf der hoechsten Ebene forscht. Wir koennen ihn als "hoechsten" Geist bezeichnen. Und was solch ein Geist herausfindet, wird "hoechste Wahrheit" genannt.

    Wenn der gewoehnliche, das heisst nicht forschende und nicht analysierende Geist die Phaenomene betrachtet und in dieser aeusserlichen Betrachtungsweise etwas fuer wahr befindet, sprechen wir von "relativer Wahrheit". Der Ausdruck "relativ" bezieht sich auch auf die Faktoren, die uns die Wirklichkeit verdunkeln oder verbergen. "Relativ" meint hier die Unwissenheit, die unsere Wahrnehmung der hoechsten, urspruenglichen Natur der Wirklichkeit truebt. Was sich dieser relativen, unsere Wahrnehmung der hoechsten Wirklichkeit verschleiernden Unwissenheit als wahr darstellt, wird "Relative Wahrheit" genannt. (Harmonischer Geist, Vollkommenes Bewusstsein, Muenchen 2007, S.86-88)

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