"Werde hier nun einige Worte niederschreiben, wie sie mir aus dem Herzen kommen. Wenn ich sie auch mit gefesselten Händen schreibe, aber immer noch besser, als wenn der Wille gefesselt wäre. Offensichtlich zeigt Gott manchmal seine Kraft, die er den Menschen zu geben vermag, die ihn lieben und nicht das Irdische dem Ewigen vorziehen. Nicht Kerker, nicht Fesseln, auch nicht der Tod sind imstande, einen von der Liebe Gottes zu trennen, ihm seinen Glauben und den freien Willen zu rauben. Gottes Macht ist unbesiegbar. […]
Wenn man für jeden Menschen sich solche Mühe geben möchte, von der schweren Sünde und daher vor dem ewigen Tode zu erretten, als man sich Mühe gibt, vom irdischen Tode mich zu erretten, so müßte wahrscheinlich schon der Himmel auf dieser Welt sein."
(Aus den Aufzeichnungen des Franz Jägerstätter im Gefängnis in Berlin/Tegel, Juli/August 1943)
Franz Jägerstätter wurde am 20.5.1907 in St.Radegund als uneheliches Kind der Bauernmagd Rosalia Huber und des Franz Bachmeier geboren. Die Eltern konnten, wohl aus Armutsgründen, nicht heirateten. Sein Vater ging weg, die Mutter heiratete den Bauern Jägerstätter, der das mitgebrachte Kind adoptierte. Franz wuchs allerdings beim Stiefgroßvater auf, der ihm Lesen und Schreiben beibrachte und ausgewählte Bücher aus seiner umfangreichen Bibliothek nahebrachte. In der Jugend zeigte sich die stürmische Lebenslust. Jägerstätter besaß das erste Motorrad im Dorf, ging dann auf den steirischen Erzberg, wo wilde, keinesfalls katholische Sitten herrschten. Als sein Stiefvater sah, daß der Verbindung mit seiner Frau keine Kinder entsprangen, vermachte er seinen Hof seinem Adoptivsohn. Da war Jägerstätter schon Vater von Hildegard, die er mit der Bauernmagd Theresia Auer gezeugt hatte, wiewohl ihm die Mittel fehlten, einen ordentlichen Hausstand zu gründen. Dann, bereits Bauer am Hof, heiratete er die um 6 Jahre jüngere Franziska Schwaninger. Der Verbindung entsprangen 3 Töchter, Maria, Aloisia und Rosalia. Alle seine Töchter wie auch seine Frau leben heute noch.
Im Jänner 38 hat er einen Traum. Er sieht Menschen in einen Zug einsteigen, viele. "Dieser Zug fährt in die Hölle", hört er eine Stimme. Er bringt den Traum mit dem Nationalsozialismus in Verbindung. Im Dorf tragen sie ihm das Bürgermeisteramt an, wegen seiner Geradlinigkeit und dem Glauben eines Rechtschaffenen. Er lehnt ab. Als es zur Abstimmung über den Anschluß kommt, gibt er die einzige Nein-Stimme ab. Sie wird unterschlagen. Später bezeichnet er diesen Tag als den "Gründonnerstag Österreichs, denn an diesem Tag ließ sich die Kirche Österreichs gefangennehmen." 10 Einwohner von St.Radegund werden anonym als Gegner des Regimes denunziert, doch der Bürgermeister läßt den Brief verschwinden. Im Sommer 1940 ergeht die erste Einberufung an ihn. Am 8.Dezember tritt Jägerstätter dem "3.Orden des heiligen Franziskus" in Enns bei. Im April 41, nach erfolgter Grundausbildung, ergeht von der Dorfgemeinde ein Schreiben an das Militär, in dem er als "unabkömmlich" eingestuft wird. Er kehrt nach St.Radegund zurück und beginnt als Mesner zu arbeiten. Der Umgang in der Kaserne und die Kenntnisnahme des bereits laufenden Euthanasieprogrammes bestärken ihn in seiner Haltung. Kirchengläubige werden verfolgt. Er gibt eine öffentliche Erklärung ab: Ein gläubiger Katholik dürfe keinen Wehrdienst leisten. Seine Umgebung will ihn umstimmen, anfänglich auch seine Frau: Er müsse Verantwortung für seine Familie tragen. Auch der Linzer Bischof Josef Fließer argumentiert in dieser Linie. Franziska Jägerstätter beginnt ihn zu verstehen, wissend, was auf ihn und sie zukommt. Am 23.Februar 1943 wird er nach Enns einberufen. Am 1.März stellt er sich, erklärt umgehend seine Haltung. Am nächsten Tag Überstellung nach Linz. Im dortigen Gefängnis erfährt er, auch andere wurden wegen Widerstands inhaftiert. Am 4.Mai Überstellung nach Berlin Tegel. Am 6.Juli verurteilt ihn das "Reichskriegsgericht" in Berlin Charlottenburg wegen "Zersetzung der Wehrkraft" zum Tod. Am 9.August 1943 stirbt Jägerstätter unter dem Fallbeil.
Am 9.August 1946 wird die Urne mit der Asche des Märtyrers nach St.Radegund gebracht und dort beigesetzt. Erst 1950 wird der Witwe eine Rente nach dem österreichischen Kriegsopferfürsorgegesetz zugestanden.
Bischof Fließer lehnt 1946 einen Artikel über den Hingerichteten in seiner Kirchenzeitung ab. Es kommt zu heftigen Diskussionen, ob Jägerstätters Name am Kriegerdenkmal des Heimatdorfes eingraviert werden soll.
Die "Rehabilitierung des Anstößigen" kommt erst 1964, und das jenseits des Atlantik, in Gang. Gordon C.Zahn schreibt sein "In solitary witness. The life and death of Franz Jägerstätter", ein Werk, das die amerikanische christliche Friedensbewegung "Pax Christi" inspiriert und den vietnamkriegskritischen, ehemaligen "Kommunistenscharfmacher" und Pentagonmitarbeiter Daniel Ellsberg, Autor eines bezeichnenden Buches über die Anomalien der Entscheidungstheorie, in seinem Engagement gegen den Krieg in Fernost bestärkt. In Österreich dreht Axel Corti, leider viel zu früh verstorbenes Flaggschifft österreichischer Filmkunst, mit dem Volks- und Charakterschauspieler Kurt Weinzierl in der Hauptrolle, sein irritierendes "Der Fall Jägerstätter". Ab 1990 geht der Fall in die Breite und wird politisch. Das Berliner Landesgericht hebt 1997 das Todesurteil gegen den Märtyrer auf. Am 20.Mai 2007, heuer, verleiht Bundespräsident Heinz Fischer der Witwe Franziska das Goldene Verdienstkreuz der Republik Österreich. Bereits 1997 war der Seligsprechungsprozeß auf Diözesanebene in Gang gesetzt worden, wobei der Linzer Bischof Manfred Scheuer als Postulator fungierte. Am 1.Juni 2007 autorisiert Benedikt XVI. die "Veröffentlichung der kirchlichen Anerkennung des Märtyrers Franz Jägerstätter". Am 26.Oktober 2007, dem österreichischen Nationalfeiertag, verliest der Kurienkardinal des Vatikans, José Saraiva Martins, im Linzer Mariendom das päpstliche Dekret der Seligsprechung, die von mehreren tausend Mitfeiernden, unter ihnen die Witwe Jägerstätter und seine 4 Töchter, und zahllosen Weiteren an den Fernsehgeraeten, teilweise unter Tränen akklamiert wird. Als liturgischer Gedenktag wird der 21.Mai, Franz Jägerstätters Tauftag, festgesetzt.
Das Beispiel dieses Mannes ist tief bewegend. Es ist hart wie Kruppstahl, oder wie ein Diamant. Oder wie Titanium. "Sollten wir Christen Christus nicht immer ähnlicher werden?" Wer einen solchen Glauben hat, wer es so formuliert, geht dafür auch in den Tod, an allen Gegenströmungen vorbei. Und eine grenzenlose Hochachtung (wenn dieser Ausdruck erlaubt sei) gebührt der Gattin und den vier Töchtern, denn es war gewiß eine bittere Stunde, bittere Jahre. Versetzen wir uns nur in ihre Lage.
Franz Jägerstätter entglitt den Klauen des Kriegsteufels, der nie schläft, auch heute nicht. Der 26.Oktober liegt nur 5 Tage von Allerheiligen entfernt, einem Hochfest der Kirche, das, weil Feiertag, vom österreichischen Volk als Tag des Gräberbesuches und so auch des Gedenkens der Gefallenen an den "Kriegerdenkmälern" genützt wird. Die Kriegerdenkmäler, Symbol der Aufrichtung der Kameradschaftsbünde, die es bis auf den heutigen Tag in beinahe jedem Dorf gibt. Doch wer sind die Kameradschaftsbündler, diese Jungen, die sich als Fahnenträger verdingen, diese neuen Chargen, die bei den Umzügen mitgehen? Denn der Krieg liegt 62 Jahre hinter uns. Bald werden die letzten Zeitzeugen wegsterben. Aber der Kriegsteufel bleibt.
"Gründonnerstag der Kirche". Die Kirche ließ sich gefangenehmen. Und das Gewissen jener, die zwar wußten – oder fühlten -, was ein Gewissen ist, die aber zu feig waren. Denn es war das Schafott, das auf sie wartete.
"Sollen wir Christen Christus nicht immer ähnlicher werden?" Wie sagte es der Gefängnisgeistliche, den sie ihm zugestanden? "Ich habe den einzigen Heiligen in meinem Leben sterben gesehen."