Wir sind wahrnehmende Wesen. Die Fuelle der Wahrnehmung, wir verknappen sie durch unsere Interpretation, die in ein soziales Regelsystem eingebettet ist. Die Vorschreibungen der menschlichen Sozietaet, die uns vom ersten Atemzug an in Beschlag nehmen, formen unsere Wahrnehmung und ihr Verstaendnis, sie formen unser gesamtes Weltverstaendnis. Und von dort wird es zu einem Lebensverstaendnis. Und die menschliche Sozietaet geht sogar soweit, vom Lebensverstaendnis ueberzugreifen auf das Todesverstaendnis. Deswegen spricht sie immer noch Todesurteile, leichthaendig, autoritaer und zynisch.

Die menschliche Sozietaet gleicht einem Strudel, einem kreiselfoermigen Gully, einer Badewanne. Komm, lieber Freund, geniess das heisse Bad, suhle dich in der Waerme, solange du kannst, denn irgendwann zieht dir irgendwer den Stoepsel raus, und dann faengt es zu gluckern an. Und zum Schluss sitzst du im Trockenen (oder bist tot). Du musst verstehen, die Lage ist bedenklich. Es ist besser, sich nicht gegenseitig auf die Fuesse zu treten. Schaff dir rechtzeitig eine Knarre und ein gutes Vorhaengeschloss an, auch einen Rechtsanwalt, und lass dir nichts gefallen. Sei gemein, dann hast du’s gut. So kriegen wir den Laden halbwegs hin. Die armen Schlucker, vergiss sie. Denk daran, wie du dein muehsam Zusammengespartes nutzbringend anlegen kannst. Denn die Zeiten koennen hart werden. Zur Not, lieber Freund, koenntest du einen Eintritt bei den Marines in Erwaegung ziehen, frag doch mal bei "Blackwater" an. Besser dem Feuer mit Feuer begegnen, und zur rechten Zeit lernen, wie man eine gute Kanone bedient.

Das ein Monolog aus dem Jahr 2007. Ein typischer Monolog, Abbild einer Zeit. Ein kollektiver Monolog, nicht einzigartig. Ein erzwungener, ein verblendeter. Kein wissenschaftlicher, kein philosophischer. Kein weiser.

Weisheit ist gefragt.

Wir sind wahrnehmende, bewusste Wesen. Wir tragen den Geist in uns, in jeder Zelle unseres Koerpers. Aber etwas macht uns unfaehig, unsere magische Anlage zu verwirklichen. Wir finden uns sogar in Situationen, wo wir unfaehig sind zu denken. Die Konzentration ist die Essenz in der medizinischen Wissenschaft. Alleinsein die guetliche Beigabe.

Eine Nacht war anders im Dschungel. Andere Geraeusche, niemals gehoerte. Andere Grillen. Die Luft droehnte bereits am Abend von ihrem Schrillen. Die Baeume redeten anders.

"Was wird sein im Jahr 475.281?"

Ist eine solche Frage erlaubt? Ist eine solche Frage relevant? Beantwortbar ist sie nicht. Wie sollte sie also relevant sein? Welchen Bezug hat sie zum Jetzt? Heute ist Sonntagmorgen, 15.Oktober 2007. Aus den Lautsprechern und Radios der Strassen dringt elegische chinesische Musik von Klavichords und Harfen zur Stimme von Tina Pauker, und hier heroben am Hauptplatz die seit Tagen besonders in Mode befindliche mexikanische Volksmusik. Amazonien hungert nach Regen, und der Strom verhaelt sich kontrazyklisch: Er sinkt immer noch, obwohl er seit einem Monat schon deutlich haette steigen muessen. "Muessen…"

Was wird sein im Jahre 475.281? Die Frage sei erlaubt zum Sonntag. Ich weiss, wo ich hinwill. Die Zahl sprengt die Vorstellung. Der Homo Sapiens, unsere Rasse, existiert seit 30.000 Jahren. Unser Weltverstaendnis, das kannibalische, seit 100 Jahren. Was soll man also mit einer solchen Zahl? Halten Sie gefaelligst den Mund, Schreiberling!

Aber die Zahl ist real. Die Zeit wird kommen. Vielleicht nicht das Jahr, aber die Zeit. Vielleicht wird die Erde immer noch um die Sonne kreisen, es ist nicht sicher. Ob es Leben gibt zu dieser Zeit, wer weiss? Wird man dann noch von Zeit sprechen, von Christus? Wer wird sprechen? 475.281 Jahre sind nichts im All, und sogar am Ruecken der Erde nichts. Sogar auf ihrem Ruecken nichts. Aber auf unserer tickenden Zeitbombe viel. Sehr viel. Zu viel. Bis dorthin wird die Bombe explodiert sein. Nicht eine.

Diese Zahl setzt alles ausser Kraft, und das ist mein Anliegen. Ich moechte den Augenblick erleben, wo alles ausser Kraft gesetzt ist. Wenn die Welt anhaelt. Wenn mein innerer Dialog stirbt. Als der "Fette Junge" ueber Hiroshima explodierte, gab es eine tausendstel Sekunde, wo alle, die da unten dem historischen Schicksal geweiht waren, wussten, was passiert. Es war die Vorahnung des Lichts, noch bevor das Licht sie umhuellte. Es war eine tausendstel Sekunde, und nicht Minuten des Grauens wie in den Gaskammern, als sie zusammengepfercht, kaum faehig zu atmen, realisierten, was das Zischen aus den Einlassduesen zu bedeuten hatte.

Sind wir nur faehig, im Augenblick des kollektiven Todes einander die Hand zu geben?

Seneca sagte bereits vor 2000 Jahren, schau nur, die Menschheit giert und schusselt, und das letzte, was sie realisiert, ist das Tageslicht. Das Licht des Gestirns ueber ihr.

Das menschliche Tun ist ein Ausbund bodenloser Narretei. Die magischen Zeiten der Mayas, Atzteken und Inkas, jener, die die Zeit anzuhalten verstanden, sind vorbei. Vorbei die Zeiten der Aegypter, Sumerer und Inder. Vorbei die Zeit der chinesischen Mauerbauer und der japanischen Tempelbauer. Vorbei die Zeit der "Espadachins", der "Samurais", der "Kukovans", der fliegenden Menschen. Vorbei die Zeit der Atlanter und ihrer Sklaven, der Lemuren. Vorbei die Zeit Ramtas, des Lemuren, der ein 3 Meter langes Schwert handhabte, als er sein Volk befreite (Erzaehlung Agustins).

Unser Tun ist Ausdruck der Zeit, und die Zeit rinnt uns davon, wie Sand zwischen den Fingern. Wir altern und werden knoechern. Wir wandeln als lebendige Leichname – nur die Kinder, mit ihren aufmerksamen Augen, sagen es uns nicht – und wenden uns nicht ab von unserem Tun. Was wir tun mit diesem bodenlosen Unsinn, ist eine Verknappung der Zeit.

Wir handhaben die Verknappung seit Jahren. Die Abtreibung und Verwertung der Leibesfrucht, nur eines der Damoklesschwerter eines Albtraum-Jahrhunderts, ist seit mehr als zwei Jahrzehnten industrialisiert. Die Zuechtung von Kaelbern und deren Schlachtung Teil eines kulinarischen Sprachspiels. Jeder Hungurahui-Frucht-Baum, den sie hier faellen – und so viele wie heuer waren es noch nie -, ist ein Diebstahl an den eigenen Kindern. Im Jahr 2025 wird das Erdoel zu Ende gegangen sein, und die Chancen stehen nicht schlecht, dass alleine das verhaengnisvolle Oel aus der Menschheit den Garaus machen wird. Der Irak ist doch das Vorzeigebeispiel. Aber wir bauen weiter 8- und 10-Zylinder-Luxus-Schlitten, 500 PS-Sportmaschinen, die der Formel 1, diesem unsaeglichen Treiben, entlehnt sind, die wir dann im Paradies der Reichen, Monte Carlo, durch den Tunnel unter dem Casino durchheulen lassen, wenn wir auf Weltalltechnologie-Bremsscheiben runterbremsen. Die Verknappung der Zeit oben in der Atmosphaere gebiert andere Kaelber: Eisbloecke, die aus heiterem Himmel herunterfallen, auf eben diese Luxusschlitten. Der Verknappung der Zeit zollen alle Gletscher dieser Erde bereits ihren Tribut, und es gibt keinen Flecken auf diesem unserem Heimatplaneten, dem einzigen, was wir haben, der nicht nach Luft, nach klarer Luft, und nach Regen, dem ewigen Segen, schreit. "Luft! Luft! Ich ersticke! Wasser, bitte! So moege es doch endlich regnen! Stoppt die Maschine! Wo ist der Notausgang?"

Wie sagt Al Gore? Wir muessen schnell gehen, wir muessen weit gehen und wir muessen gemeinsam gehen!

Niemand wird moeglicherweise messen, wann 475.281 gekommen ist. Kein Enterprise-Logbuch wird festhalten, wir durchtauchen gerade den Guertel des Orion und streben den Pferdekopfnebel an. Sternzeit 475.281.

Das ist nur einer der amerikanischen Traeume jenseits aller Realitaet: Im Wohnzimmer mit Breitleinwand-Ausblick eine Abenteuerreise mit "Worp 10", zehnfacher Lichtgeschwindigkeit, bequem im Chefsessel zurueckgelehnt, bereit fuer eine kleine Missachtung des Befehls der "Sternenflotte", wie es sich ein Ranger schon mal leisten kann.

Zur Sternzeit 475.281 sind wir alle noch da, auf diesem Planeten Nummer 3 von Solaris. Immer noch. Auf Atombasis, wenngleich mehrfach transformiert, geht keiner verloren. Aus Staub bist du geboren, zu Staub kehrst du zurueck. Erdenstaub, Sternenstaub.

Es gibt mehr Tote als Lebende auf diesem Planeten. Zum Glueck! In allen Lebensketten verhaelt es sich so. Die Toten schauen uns ueber die Schulter. "Sohn, tu das nicht! Tochter, halt ein! Du wirst es bereuen, so wie ich, als es zu spaet war!" Vielleicht verzweifeln sie, so wie die Untoten hier im Dschungel, die "Tunshis", weil sie uns nicht erreichen koennen, und doch so nah sind.

Aber wir gebaerden uns grossmaechtig und zuegellos, mein Gott, es ist unbeschreiblich.

Sternzeit 475.281. Wir eilen dahin, an der Anglerschnur von Solaris. Solaris, in einem Seitenarm rotierend so wie 100 Milliarden andere brennende Koerper, entflieht doch nicht der Via Galactica. Eine Kraft im Zentrum haelt sie gebannt auf ihrer Spur. Und Galactica, die unaussprechliche, zieht dahin, mit einem Mass jenseits des Begreiflichen, dorthin, wo kein Raum und keine Zeit. Wie ihre 100 Milliarden Geschwister. Und ein Staubkorn redet von Zahlen. Oh herrlich, Zahlen sind beliebig steigerbar. Es gibt immer ein n+1!

Die Nacht hat ein Ende, Nebel zieht herauf. Der Leuchtturm von Spiby Point wird eingehuellt, es wird kalt. Die betrogenen Seeleute, immer noch nicht verweste Untote, materialisieren sich, fordern ihr Recht, am Jahrestag des Untergangs ihrer "Heaven’s Maiden".

Nur in der Konzentration liegt das Glueck, sagte schon Marc Aurel. Schau, dein Freund, er stirbt. Schon uebergibt er dir seinen Sohn zu guten Haenden. Kuemmere dich um Pablito, Freund, Gott hat dich mir in den Weg geschickt. Freund, es geht mit mir zu Ende, ich bin vielleicht HIV positiv. Ich habe wieder geraucht und getrunken, gelebt wie ein Hund. Morgen nehmen sie mich auf im Asyl des Klosters San Martín de Porres. Ich komme nicht vor 6 oder 8 Monaten heraus. Kuemmere dich um Pablito, ich bitte dich. Erzaehl ihm von mir.

Gerne, Willy. Ich versprech es dir. Spaetestens zu 475.281 werden wir uns die Haende reichen.

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  1. Im Anfang war das Wort

    Ein paar Dinge haben mich wieder aufstehen lassen vom nächtlichen Bett. Im Deutschen wird „Ding“ ja relativ flexibel verwendet, und gleich dafür bin ich dankbar. Ich bin überhaupt dankbar, daß ich des Deutschen mächtig bin und in Österreich, dieser lieblichen Alpenrepublik, geboren wurde.

    Also, ein paar Dinge haben mich nicht schlafen lassen, und das liegt nicht am Alter. Außerdem hat mich ein junger Mann aus Dresden gebeten, in meinem Elan nicht nachzulassen. Auf den jungen Mann höre ich gerne, denn er ist traurig und wütend, und ich kenne die Gründe für seine Gemütsverfassung. Es sind jetzt acht Jahre, daß er mich begleitet. Er hat etwas auf dem Kasten, und obendrein ist er stigmatisiert. Ich als ewiger Pater Pio-Verehrer bin da sowieso „sensibilisiert“ (ein Wort mit vielen „I’s“), wie man im Deutschen sagt.

    Also fangen wir an. Ich wende mich also dem Anfang zu. Dem Anfang wie dem Beginn. Mein Lehrmeister unterscheidet zwischen diesen beiden Begriffen penibel, zurecht, doch der Fokus meines Blickes und dessen Richtung erlauben es, hier beide Begriffe anzusetzen.

    Anfang und Beginn, sozusagen aus Interesse geboren.

    Ich bin der Meinung, alles hatte einen Anfang und einen Beginn, doch nichts hat ein Ende. Das ist kein philosophisches, sondern ein theologisches Statement. In gewissem Sinne ist es auch ein schamanistisches Thema, denn es war vor zwei Jahren „Gegenstand“ einer Ayahuasca-Vision. Ganz zuvorderst aber, genau betrachtet, ist es ein persönliches, ein existenzielles Statement.

    Ich möchte also zu Anfang und Beginn meditieren, mit Ihrer Erlaubnis, jetzt, zu dieser späten Stunde, kurz vor Mitternacht. Bei einem kosmologischen Thema darf Zeit keine Rolle spielen. Dafür sind Form und Stil essentiell, denn die Schöpfung hat Form und Stil.

    Ich denke also an die Schöpfung, die Schöpfung des Vaters. Ich bin Katholik. Ich glaube an den Dreifaltigen Gott. Im römisch-katholischen Glaubensbekenntnis wie im „Vater unser“ des Nazareners ist vom „Vater“ die Rede. Ich habe weder einen Grund, diesen Begriff zu verschweigen, noch mich an ihm zu stossen oder ihn durch „Mutter“ zu ersetzen. Daß Gott kein Geschlecht hat, ist jedem Kind klar. Ersparen wir uns also billige Polemik. An Polemik bin ich generell nicht interessiert, schon gar nicht im Feld des spirituellen Leibes des göttlichen Heilands. Das Forum von Otorongo wird gewöhnlich von weltoffenen, intelligenten Zeitgenossen gelesen. Seine Absicht ist es, die Wahrheit zu erforschen; jene Wahrheit, die in der Physis liegt und gleichzeitig über sie hinausschreitet, oder, um es genauer auszudrücken, die über die Physis hinausweist.

    Die Schöpfung hatte, wie allgemein aus dem Religionsunterricht bekannt, einen Anfang. Das ist, wenngleich unter anderer Terminologie, auch „state of the art“ in den verschiedenen Zweigen der Physik. Für diese gegenständliche Meditation greife ich zum Diskurs der Theoretischen Physik. Die theoretischen Physiker, so wie ich sie kenne, sind allesamt interessante Menschen. Keiner ist ein Scheusal, und keiner ist irre. Keiner ist Amok gelaufen. Viele haben eine künstlerische Ader. Sie meditieren Zen, sind Schachspieler oder studieren gerne Menschen in U-Bahn-Stationen. Alle stottern oder geben sich zumindest so als wären sie Stotterer. Man muß ihnen zuhören. Dann öffnen sie ihre Schatzkiste. Der berühmteste unter ihnen ist vollkommen stumm. Verbal stumm. Seltsam: er ist stumm, doch fragt er nach dem „Logos“. Dieser Mann ist extrem schüchtern. Menschen sind ihm ein beinahe unausstehliches Gräuel, und dennoch ist er verpflichtet, sich mit Menschen abzugeben. Als Engländer ist er der klassische Misanthrop, – kein unsympathischer. Wenn man ihn sieht, befindet man sich augenblicklich in einer Situation der kognitiven Dissonanz und des emotionalen Sekunden-Stupors. Die Frage, die einem sofort durch den Geist zuckt: „Wie kann so etwas möglich sein?“ Das ist eine metaphysische Frage. Mit ihr fängt, laut Heidegger, alles Fragen an. Andere Herren der Geschichte denken ähnlich. Heideggers Vorfahren lebten vor 2.400 Jahren, aber er hat auch unter den heutigen Zeitgenossen Freunde und Schüler. Einer von ihnen ist Herr Augustinus (bereits bekannt), der von mir so hoch verehrte Mönch aus Stift Geras. Jener Mann, der mein Herz so tief berührt hat, als ich ihn weinen sah.

    „Wie kann so etwas möglich sein?“ Das ist die moderne Formulierung der Frau von der Straße. „Daß sowas möglich ist, sakra noch einmal!“ Und frau schlägt die Hände über dem Kopf zusammen.

    Heidegger formuliert es gewitzter: „Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?“ Die Grundfrage. Die Frage aller Fragen. Ein Rattenschwanz an Besserwissern macht sich über diese Frage, hämisch oder verächtlich grinsend, lustig. Diese Frage ist eine Scheinfrage, sagen sie. Mit ihr wird im Grunde nichts gefragt, denn sie hantiert mit inhaltsleeren Begriffen.

    Doch das Problem mit diesen akademischen Quälgeistern ist ihr Autoritätsanspruch. Sie wollen dem Mitmenschen das eigenständige, autochthone, also aus sich geborene Denken verbieten. Mit „aus sich geboren“ meine ich, ein Mensch stößt auf Fragen, mit denen er die längste Zeit schwanger gegangen ist, ohne daß er dies bewußt bemerkt hätte.

    Die Grund-Frage lautet also nicht: „Warum bin ich?“ Auch nicht: „Warum bin ich ich?“ Und auch nicht: „Kann ich überhaupt sicher sein, daß ich ich bin?“ Und auch die Grund-Angst ist nicht die erste aller Ängste: „Bin ich vielleicht ein Wegwerfprodukt? Bin ich vielleicht nur Müll? Sollten wir nicht endlich einmal fundamental über das globale Müllproblem sprechen? Sollten wir nicht vielleicht einmal die Option erwägen, den Menschen als Müll zu verstehen?“

    Die wahre Grund-Angst, das ist das „Ich bin“. Der „Urschrei“, wie Ebner sagt. Das „Urwort“. Der Urschrei, das Urwort, im Angesicht des Schöpfers. Ich bin. Ich bin, weil DU bist. Ich kann mein Wort nur an jemanden richten. Nur der Mensch hat das Wort. Es wurde ihm gegeben. Es wurde ihm eingehaucht, auf daß er „DU“ sagen kann. Er sagt zuerst „DU“. Dann erst sagt er „Ich“. Und als drittes sagt er: „Ich bin“. Er sagt zuerst „DU“, weil in dem Moment, als er zur Sprache findet, jemand vor ihm steht. Jemand, der sagt: „Sei!“

    Wir sind also. Hallo! Guten Tag! Ich wünsche Ihnen einen guten Tag! Ich wünsche Ihnen eine gute Stunde!

    Es gibt viele viele Menschen, die mit der Erkenntnis, sein zu müssen, ein schweres Problem haben. „Wieso muß ausgerechnet ich all dem ausgesetzt sein? Niemand hat mich gefragt, ob ich mir das antun möchte.“ Eine Reihe von Mitmenschen hat so gesprochen. Fast alle sind nicht mehr.

    Dann sind wir wieder fort, wie ein Rauch, wie Nebelhauch. „So schnell kann es gehen“, sagte meine geliebte Anna. Wir sind fort, doch nicht der Mensch, nicht die Schöpfung, nicht der Kosmos. Der Kosmos. Der göttliche, von Gott geschaffene Kosmos. Das All. Das All ist alles. Doch Gott ist nicht das All, nach christlichem Glauben.

    Auch das ist ein wesentlicher Punkt, an dem man Halt machen muß. Was bedeutet das? Wie kann man so etwas sagen: „Gott ist nicht das All?“ Was ist er dann? Und wenn das All nicht Gott ist, was ist dann das All, der Kosmos? Ich schätze und bevorzuge das Wort „All“. Es hat einen unerhörten Nachhall. Aber hier gerade zu sagen, es habe einen „unerhörten“ Nachhall, das gerade ist meine Angst, mein Zweifel. Mein tröstender Glaube sagt mir jedoch, das All hat einen Nachhall. Und das ist kein infantiler, halbneurotischer Kinderglaube. Freud ist seit 1939 tot. Sein Hausarzt Max Schur gab ihm die Giftspritze. Das hat, wenn ich heute an den guten Herrn und Wahrheitssucher denke, Priorität. Freud starb auf eigenen Wunsch. Das relativiert das, was er geschrieben hat. Aber es gab daneben Gedanken, die er nicht schriftlich festhielt.

    In all diesen gefahrvollen Anschlägen werden wir geprüft. Dann steigt eine Einsicht hoch: „Der Glaube tröstet.“

    Warum schuf Gott die Schöpfung? Woraus schöpfte er? Was ist das? Was ist das? Das war die letzte Frage von Fred Leuchtenmüller. „Hoi, was ist das?“ Dann starb er. Amen.

    Ich persönlich bin ein Pflegekind eines 82-jährigen Herrn, der hier in meiner Nähe wohnt. Sein Lieblingsspruch: „Wer zuletzt lacht, lacht am besten.“ Den Spruch habe ich übernommen. Ich möchte nicht wie Otto Weininger sterben, durch einen selbstgesetzten Schuß ins Herz, und mein Totenfoto das Gesicht einer durch und durch gequälten, finsteren Kreatur zeigen. Weininger beging mit 23 Suizid, weil er fürchtete, ein Mörder zu werden. Er haßte Frauen und Juden. Das war 1903, im Sterbehaus Beethovens in Wien. Vom Selbstmord Otto Weiningers wurde das nekrophile Wien lange Zeit massiv geprägt.

    Der Spruch meines Ziehvaters hat etwas Verschmitztes an sich. Ich danke dem Herrn, daß sein göttlicher Plan auch Verschmitztheit und Lachen beinhaltete. Wir können somit festhalten: Der göttliche Plan ist ein Heilsplan. Er enthält alles, was Liebe in sich trägt. Das Böse ist nicht Gott.

    Wenn Gott nicht das Böse geschaffen hat, von wo kommt es dann her? Das Böse ist doch eine Tatsache. Mir wurde die Gattin weggeschossen. Wer maßt es sich an, so zu reden: Das Böse existiert nicht? Das soll mir einer ins Angesicht sagen. Ich schieße ihm eigenhändig mit einer 45er den Kopf weg. So sprach ein Herr aus Attnang Puchheim.

    Ich habe das früh gelernt: Mit kräftiger Stimme und einem anerkennenden Lächeln dem Gegner für seinen Sieg in der Schachpartie zu gratulieren. Das habe ich gelernt. Ich schaue den Leuten generell in die Augen, erst recht beim Handgruß. Leute, die wegschauen, sind bei mir „unten durch“. Es gibt solche Leute. Das ist vielleicht symptomatisch wie vieles andere auch. Ich werde nicht nach dem Motto sterben: „Egal, wer mir dann gegenübertritt, ich habe ein paar Fragen an ihn.“ Es ist vielleicht besser, mir das Sterbemotto hier und jetzt, zu Mitternacht, zurechtzulegen, denn vielleicht sterbe ich wie Fred Leuchtenmüller und Rosina Himmelbauer im Schlaf. Gott erbarmt sich unser, und manchen schenkt er eben einen gnädigen Tod.

    „Merken Sie nicht, daß Sie kompletten Unsinn reden, Herr Himmelbauer?“

    „Stört Sie der Begriff, Herr Legrand? Der Begriff „Gnädig“?

    „Mich stört alles an Ihnen, damit Sie es wissen. Schleichen Sie sich aus meinem Gesichtsfeld! Wie können Sie so vermessen sein und davon quasseln, der Tod sei gnädig? Der Tod ist eine ausgemachte Schweinerei. Der, der sich den Tod ausgedacht hat, ist ein Mörder, nur damit Sie es wissen! Haben Sie das kapiert?“

    Gut, lassen wir das Eingeschnapptsein, lassen wir „V wie Vendetta“, das maskierte, eingefrorene, maliziöse Lächeln eines verunstalteten Einzelkämpfers. Mein Freund aus der zerbombten Stadt hat mich gebeten, wieder nach altem Stil über Castaneda zu schreiben. Bitte gerne!

    Also. Castaneda starb 1998. Sein letztes Buch, „Das Wirken der Unendlichkeit“. Auf Englisch „The ultimate journey“. Auf Französisch „Le voyage définitif“. Die definitive Reise.

    Nichts interessiert mich mehr als das: Die definitive Reise, die uns allen bevorsteht. Ob jeder für sich reist oder Romeo und Julia Hand in Hand, wer kann das schon sagen? Interessiert das jemanden? Eine nicht unbekannte Dame sagte nach dem Tod Jean Paul Sartres: „Es genügt, daß ich all die Jahre mit ihm zusammengelebt habe. Wir werden uns nicht mehr wiedersehen, soviel steht fest.“ Im Brustton der Überzeugung. Sie war Atheistin. Mittlerweile liegt sie bei ihm, in Paris, ganz friedlich.

    Es gibt also genug Polemiker, die sagen, die Mädels, die verwirrten, jene rund um Castaneda, begingen nach seinem Krebstod Selbstmord. Sie wollten mit ihm gehen, diese Irregeleiteten.

    Ich bin der Meinung, das wird sich alles zeigen.

    Castaneda stand also mit Carl Sagan auf Mount Palomar. Sie blickten durch das Teleskop. Sagan konnte seinen Schnabel nicht halten. Er fühlte sich von diesem peruanischen Guru angestachelt. Er meinte, er befände sich im eigenen Terrain. Jetzt wäre es an der Zeit, Castaneda mal eins vor den Latz zu knallen. Und er legte los. Die Faktizität des Kosmos. Der Urknall. 13,8 Milliarden Jahre.

    Springender Punkt. Sagan ist tot. Castaneda tot. Und wenn nicht tot, so zumindest unerreichbar. Sagan aber ist tot. Irdisch. Vielleicht hat er sich verbrennen lassen. Macht nichts. Springender Punkt: Er kann sich zu Mount Palomar und zum Urknall nicht mehr äußern. Das war der Inhalt der Replik Castanedas in Buchform. Prolog zu „the ultimate journey“. „Die Welt applaudierte dem Mann, der herausfand, daß alles einen Anfang hatte, vor 13 Milliarden Jahren, und die Welt hielt das für Wissenschaft. Der Mann sonnte und wärmte sich im Applaus, lächelte gnädig, und dann starb er.“

    Castaneda hingegen meinte, das All existiere schon immer. Es existiere seit ewig.

    Das ist der springende Punkt: Wir können uns diese Ewigkeit nicht vorstellen. 13 Milliarden Jahre hingegen sind eine konkrete, wissenschaftlich mathematische Zahl. Die können wir uns vorstellen.

    Ach ja?

    „Was heißt das: „Ach ja…? Tun Sie nicht so besserwisserisch! Sie werden den Urknall doch nicht leugnen können! Und außerdem, alles hat einen Anfang und auch ein Ende. Ist Ihnen das nicht mittlerweile klar geworden?“

    „Nein, das ist mir durchaus nicht klar geworden. Klar ist mir hingegen geworden, daß es ewige Einflüsterer gibt, die mir ständig einreden, was ich zu glauben habe.“

    „Sie sprechen von diesem erzkonservativen Polen, der Präservative in Afrika verboten hat?“

    „Nein, von dem nicht unbedingt. Als Einflüsterer schon gar nicht. Aber er hat einen Jahrhundertausspruch getan, der doch verdient, angestrichen zu werden.“

    „Sie meinen den vom Ewigen Leben?“

    „Ja, genau!“

    „Starker Tobak, nicht?“

    Sie nennen den Beginn also den „Urknall“. Das ist der Vulgärausdruck, den Fred Hoyle heranzog, um damit seine überbordende Skepsis gegenüber einer ihm absurd erscheinenden Idee wie dem punktuellen Beginn des Kosmos zu unterlegen. Hoyle meinte, eine punktuelle, unendlich dichte Singularität, die den Kosmos in einer nicht beschreibbaren Explosion gebiert, könne nicht existiert haben, noch dazu, wo diese Existenz alleine schon nicht beschreibbar ist. Soviel war Fred Hoyle klar. Deshalb war auch er anfangs ein Vertreter der „steady state-theorie“. Dann, als die Hintergrundstrahlung gemessen wurde, die Temperatur des Kosmos, die Infrarotlichtverschiebung der Galaxien, schwenkte er um. Das All muß somit begonnen haben. Wie, bleibt unbeschreibbar, und damit unvorstellbar. Aber, und damit dürfen wir wieder zurückschwenken zu unserem Cajamarqueño Castaneda, die muntere Wissenschaft will alles auf den Punkt bringen, und der Punkt sagt in diesem Fall: Aber Hallo! Alles hat einen Anfang, so auch das Weltall.

    Doch hier dürfen wir halt machen. Inwiefern ist das alles für uns relevant? Inwiefern ist das alles für mich relevant? Wovon sprechen wir eigentlich?

    Ja, wovon sprechen wir eigentlich? Das ist wohl eine Grundfrage unseres ganz persönlichen Lebens. Gute Nacht! Und schlafen Sie gut!

  2. Der selbstverursachte Untergang

    Ein physikalisches Weltgewissen in Menschengestalt, wenn es so etwas überhaupt gibt. Ein Mensch, der bedenkt, was er redet. Was er reden möchte, denn Stephen Hawking, unser "Sunnyboy" aus Cambridge, der trotz seiner jetzt 74 Lenze scheinbar ewig Junggebliebene, kann nicht sprechen. Schon seit langem nicht. Wir wissen es.

    Stephen Hawking müssen wir ernst nehmen, und beinahe alle tun es. Das, was er zu sagen hat, ist von Bedeutung. Nicht seine wissenschaftlich- theoretischen "Phantasmen" rund um Schwarze Löcher. Das ist einstweilen für uns nicht von Belang. Von Belang ist die kurze Strecke. "Kurze Strecke", das heißt im Horizont der Hawking’schen Gedankengänge die nächsten 100 Jahre. In den nächsten 100 Jahren, so Hawking, müssen wir vorsichtig sein. Und dann, nach 100 Jahren, müssen wir weg.

    Vor einigen Jahren klang die Botschaft aus dem "Mund" des Professors noch harscher. Spätestens 2060 müßten wir den Sprung schaffen, denn dann würde es Schwefel vom Himmel regnen. Schaffen wir den Sprung nicht, sind wir als Spezies verloren. Im Weltbild des Physikers und Darwin-Anhängers kein Unding, sondern reale Möglichkeit. Hawking zählt die Möglichkeiten nüchtern auf, und gerade diese Nüchternheit seines Geistes, seiner "Zunge" erlaubt es uns, ihm nicht gleich wieder, wie es unser unauslöschlicher Trieb zu sein scheint, dagegenzuhalten.

    Nüchternheit: Das Atompotential. Naturwissenschaftliche Unfälle. Freigesetzte, mutierte, gezüchtete Viren. Das Klima. Gerade heute veröffentlichte die US-Klimabehörde für Wetter- und Meeresforschung (NOAA), daß die weltweite Durchschnittstemperatur im Jahr 2015 um 0,9 Grad Celsius über dem Mittel des 20. Jahrhunderts gelegen habe. Der bisherige Hitzerekord aus dem Jahr 2014 sei um 0,16 Grad übertroffen worden. Der globale Temperaturrekord sei noch nie so deutlich gebrochen worden, hieß es in einer Mitteilung der NOAA. Für zehn der zwölf Monate in 2015 verzeichnete die US-Behörde Rekordtemperaturen. Besonders herausragend ist dabei der vergangene Monat: Er war nach Messungen der US-Klimabehörde weltweit der heißeste Dezember seit Beginn der Aufzeichnungen. Die Durchschnittstemperatur über Land- und Ozeanflächen habe um 1,11 Grad Celsius (2 Grad Fahrenheit) über dem Durchschnittswert des 20. Jahrhunderts gelegen, teilte die Behörde mit.

    Deshalb, ja, gerade deshalb, und nicht nur deshalb, müßten wir 2116 den Sprung schaffen, den Sprung weg von Mutter Erde. Bis dorthin würden wir technologisch nicht in der Lage sein und deshalb "vorsichtig" sein. Keine vorschnellen Katastrophen. Globale Katastrophen. Das ist optimistisch formuliert. Hawking ist Diplomat. Es hatte noch nie Zeit zum Streiten. Er mag Diskussionsforen nicht. Zurecht. Was er zu sagen hat, genügt in einem kurzen Statement. Das ist ob seiner Logik zumeist ohnehin unanfechtbar.

    Er meint, die Entwicklung der Menschheit habe passiert und werde weiterhin passieren müssen sogenannte "Filter" der Evolution. Die Tatsache, daß wir trotz aller Unwahrscheinlichkeit entstanden sind, war ein solcher Filter. Der nächste sei unsere Destruktivität. Wir würden den Sprung nicht schaffen als destruktive Wesen. Und der dritte große Filter, neben all den kleinen Unwägbarkeiten, würde dann die neue Heimat sein. Was wird uns dort erwarten, wo wir hin müssen?

    Das sind nachvollziehbare Gedanken. Gedanken, die in gewisser Weise nichts mit dem gegenwärtigen Tollhaus, den höllenähnlichen Zuständen allerorten zu tun haben. Es sind Gedanken des Voranschreitens.

    Wie schreiten wir voran: Klimatisch? Biologisch? Das sind die beiden Säulen. Außerhalb dieses aufgeheizten, beängstigenden Diskurses gäbe es noch eine dritte Säule, nämlich die Beantwortung dieser Fragen aus einer Haltung des Glaubens. Doch das verlangt der Wissenschaft nur ein saures Lächeln ab. Zu peinlich! Zu dogmatisch! Nicht nachvollziehbar! Nicht konsensfähig!

    Wir haben alle Agenden auf dem Tisch. Wer zeigt sich der Größe dieser Agenden gewachsen? Wer wagt zu sprechen? In diesen dermaßen beängstigenden Tagen, in denen ich praktisch jede Stunde zähle, kann ich nur dem Wort eines Heiligen vertrauen, das er unter Tränen äußerte: "Die Welt wird nicht untergehen!"

    2016, zeigt der Kalender an. Das ist heuer. Der Erste Weltkrieg wurde von 1914 bis 1918 in Europa, dem Nahen Osten, in Afrika, Ostasien und auf den Weltmeeren geführt und forderte rund 17 Millionen Menschenleben. Damals bevölkerten rund 1,5 Milliarden Menschen den Globus. Heute sind es beinahe fünf Mal so viel. Eine Katastrophe vergleichbaren Ausmasses könnte somit – läßt man Dominoeffekte und Vernetzungseffekte aufs Erste beiseite -, nach einfacher Proportionsanlegung, 100 Millionen Menschenleben fordern. Und das Siechtum würde nicht vier Jahre dauern. Halten wir uns vor Augen: Ebola und die Pest sind nicht ausgelöscht. Auf beide Virenstämme sind bereits Antimittel hin entwickelt worden. Doch Hawkings Unruhe richtet sich auf ungekannte Gefahren. Das unbekannte Virale.

    So wie auch meine Angst sich auf das Ungekannte richtet. Wir können über das Ungekannte Mutmaßungen anstellen, doch erlebt hat es keiner. Wir könnten, ja, wir könnten Halt machen. Ja, wir könnten es. Alle halten inne. Aber nein, keiner hält inne. Nicht einmal jene, die Hand an sich legen. Mitten in der lautesten Nacht des Jahres brach für unzählige Frauen in Deutschland die Welt zusammen. Niemand hörte ihre Schreie. Niemand hört die Schreie der Bäume. Keiner das Klagen der Wale.

    Und keiner die Stimme von Stephen Hawking. Wahrlich, keiner.

    Bis heute lebten, nach mathematischer Reihe, rund 110 Milliarden Menschen auf Planet Erde, System Solaris, Galaxis "Milchstraße". Diese Hochrechnung beginnt mit zwei Menschen im Jahr 50.000 v. Chr., während man heute annimmt, dass die Menschwerdung bereits vor 200.000 Jahren oder früher in die Entstehung des modernen Menschen gemündet hat. Die frühen Menschen spielen in der Gesamtzahl jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Trotz der langen Zeitspanne, der geringen Lebenserwartung und entsprechend hohen Geburtenraten entfallen auf die 42.000 Jahre bis zum Beginn der Seßhaftwerdung vor etwa 10.000 Jahren nur rund 1 Prozent der Gesamtzahl, während mehr als die Hälfte allein auf die letzten 2000 Jahre entfällt.

    110 Milliarden Menschen, die substantiell auf diesem Mutterboden verbleiben und immer verbleiben werden. Und ihre Stimme? Was erzählen uns diese 110 Milliarden Stimmen? Doch wohl eines, so wie es bereits die Sphinx mit Ödipus tat: "Mensch, nimm dich in acht!"

  3. Mittagsruhe

    Die Mittagsruhe gilt in allen Klöstern als obligat. Das ist vernünftig und macht das Klosterleben sympathisch. Sie dient der ruhigen, ungestörten Verdauung und gleichzeitigen Erholung. Der Mittagsschlaf bringt uns zur Besinnung und sorgt für seelisches Wohlbefinden. Wohlan!

    Der Mittagsschlaf, die heißgeliebte Siesta, läßt den Lauf der Zeit ins Leere laufen. So scheint es. Natürlich, die Zeit läuft niemals ins Leere, sondern immer in die Fülle, denn Gott ist nicht die Leere, sondern unermeßliche Fülle, wie es uns sein Sohn gepredigt hat. Freilich, ich versteh’s, auch mir ist die Leere "bisserl" lieber, denn aus der Leere erwächst mir keine Forderung zur Selbstrechtfertigung. So vermeine ich zumindest. Doch betrachte ich’s mit etwas Mut und Konzentration und etwas weniger Hysterie, dann darf auch Herr Hasenfuß gestehen, reise ich zu unserer Nachbarin, der allerehrwürdigsten Frau Andromeda, so fasse ich sie, ja, sie, die Schönheit, und nicht die Leere ins Auge.

    "Die Andromedagalaxie ist rund 2,5 Millionen Lichtjahre von unserem Sonnensystem entfernt. Sie hat einen Halo-Durchmesser von etwa einer Million Lichtjahren. Damit ist sie das größte Mitglied der Lokalen Gruppe. Die Andromedagalaxie hat eine Gesamtmasse von etwa 800 Milliarden Sonnenmassen. Sie und die Milchstraße sind die beiden massereichsten Galaxien der Lokalen Gruppe." (Zitat Wikipedia)

    Gestern sah ich mit den Kindern "Interstellar", von Christopher Nolan, u.a. mit Matt Damon, der einen der Selbstzerstörung sich preisgebenden Wissenschafter, den man aus einem jahrzehntelangen Tiefschlaf erweckt, gibt. Matt Damon verzweifelt an der grenzenlosen Einsamkeit (er ist alleine auf einem lebensfeindlichen, öden Planeten gestrandet) und an der Verfaßtheit des Menschen, der, wie er in seiner Einsamkeit vermeint, im Grunde ein Tier mit Instinkten ist, generell. Freund Lukas, dem ich diesen Beitrag widme, hat den Film gleich in den ersten Tagen, als er in Österreich ausgestrahlt wurde, begutachtet. Kommentar: Null. Lukas denkt tief und sehr phantastisch und hält sich dabei bedeckt. Er zieht das Unmögliche in Betracht und macht darin ernst. Das ist bei Christopher Nolan nicht anders. "The Black Knight returns", mit Christian Bale: Eine Neutronenbombe in New York. Und jetzt, "Interstellar": Globale Klimakatastrophe, die NASA entwickelt zwei Pläne, Plan A und Plan B. Plan A: Zeitbiegung mittels eines von Aliens in der Nähe platzierten Schwarzen Loches oder eines Wurmlochs. Plan B: Menschliche, befruchtete Zellen auf einem neuen, Leben ermöglichenden Planeten ausbrüten.

    "Ja, wenn alles nur so leicht wäre", ist der situationsgebeutelte Zeitgenosse geneigt, auszurufen. Ist es denn so schwierig? Wie gehen wir mit all dem um, das uns um den Kopf und in ihm herumschwirrt? Und wir sind immerhin noch die "Halbgebildeten". Jene, die von Andromeda wissen. Die Mehrheit der Menschheit weiß nichts von Andromeda. Die Mehrheit dieser als Menschen gedachten Wesen weiß nicht, daß wir 7,2 Milliarden bewußte Blasen auf einem ihnen unbekannten, unerklärbaren Planeten verkörpern. Die Mehrheit der Menschheit weiß nicht, was Lichtgeschwindigkeit ist. Sie weiß nicht, daß ein Blick hinauf in den Äther zu Gott Aton ein Blick zurück in die Vergangenheit ist, exakt 8 Minuten und 20 Sekunden in die Vergangenheit, so wie ein Blick in den Nachthimmel ("Guter Mond, Du stehst so stille…") einem Blick in die Vergangenheit gleichkommt, denn bereits Schwester Mond ist uns unerreichbar einen Augenblick entrückt, unwiederbringlich um einskommadrei Sekunden entrückt.

    So rede ich, ein Niemand. Es soll mich zum Denken anregen.

    Ich bin ein Verfechter der Vergangenheit. Ich habe die Vergangenheit die meiste Zeit über im Blick, auch beim Autofahren.

    Es gibt ein paar helle Geister, die, wie bekannt, proklamieren, es gäbe nur das "Jetzt". Die große amerikanische Nation, wie Gottfried Hellnwein es einmal plastisch ausdrückte, kennt nur das "Now". Das Interesse am "Jetzt" ist nur allzu verständlich. Doch leider, Herr Schneider, ich traue der Vergangeheit tausend Mal mehr als dem hochgepriesenen "Now". Das "Jetzt" kann ich nicht fassen. Der Abstand des Bildschirms, auf welchem ich diese Siestagedanken dahinhoppeln lasse, beträgt, wie ich gerade nachgemessen habe, 65 Zentimeter. Das Licht zwischen meinem Auge und dem Bildschirm ist den 461 Milliardsten Teil einer Sekunde unterwegs. Ich benötige noch ein paar Sekunden mehr, um zu realisieren, daß ich einen Tippfehler (nach alter Rechtschreibung; die neue habe ich aus prinzipiellen Gründen nie akzeptiert) begangen habe, und noch ein paar Sekunden mehr, bis ich ihn korrigiert und auf seine Richtigkeit überprüft habe. Ich lebe selbst hier, am Steuerpult meiner Autokontrolle, in der Vergangenheit, und halte es deshalb für rechtens, der Vergangeheit ein Vorrecht einzuräumen. Und ich erinnere mich ständig. Ich habe in meinem Leben 105.850 Träume geträumt, die alle ihre Bedeutung im göttlichen Heilsplan einnehmen. Ein Grund, mich anzustrengen.

    "Erinnerung ist alles", sagt La Madre. "Erinnerung und ein bißchen Ehrlichkeit. Und ein bißchen weniger Hysterie", fügt sie hinzu. "Wenn Du Gott näherkommen willst, versuche Dich zu erinnern. Dann wirst Du erkennen, wie er die ganze Zeit in deinem Leben am Werk ist. Das ist ja ohnehin ungeheuerlich genug. Oder was meinst Du?"

    Neue mathematische Schätzungen gehen davon aus, daß bisher auf diesem unserem Planeten 110 Milliarden Menschen gelebt haben. Die Substanz dieser Menschen ist nicht verschwunden. Das ist z.B. ein Gedanke, der mich lehrt, wie ich der eigenen Ignoranz beikommen kann. Die Substanz des Menschen verschwindet niemals. So wie es verklärte Astronomen und Populärwissenschafter, wie der gern gesehene und gelesene Hoymar von Dittfurth, es immer wieder betonten und klarlegen, wir sind Kinder des Sternenstaubs. Wir tragen alle 80 stabilen Elemente der Periodentafel in uns. Wir leben im Geist ewig und existieren als Kerne so lange wie der Kosmos.

    Dieser Gedanke besänftigt mich und nimmt mir etwas die Angst vor dem, was ich in meinen Albträumen heraufdämmern spüre. Und so hüpfe ich wie ein aufgescheuchtes Huhn, dem gleich auch noch der Kopf abgehackt oder umgedreht wird, die Sprossenleiter hoch und gleich auch wieder vor Schreck hinunter. Die Frage, was wird in 10 Jahren sein? Was in 30? Was in 50? Was in 100? Was in 500? Was in 1.000 Jahren? Was in 10.000 Jahren? Was in 100.000 Jahren? Was in einer Million Jahren?

    Und eine Million Jahre ist in den Äonen der Erdgeschichte ein Klacks. Gott Aton entstand vor 4,5 Milliarden Jahren und wird in seiner jetzigen Form annähernd noch einmal 4,5 Milliarden Jahre lang dieser unserer Mutter Leben ermöglichen. In dieser gesamten Spanne, die für uns Menschen unfaßbar ist, wird Gott Aton nur ein Promille seiner gesamten Masse durch Sonnenwinde verloren haben. Ein Promille.

    Der Gott wandert, und wir wandern, während wir uns gegenseitig umbringen, in seinem Bann mit ihm.

    "Die Sonne durchwandert derzeit ein etwa 30 Lichtjahre großes Gebiet, das wegen seiner erhöhten Dichte Lokale Wolke oder Lokale Flocke genannt wird. Ebenfalls in der Lokalen Flocke befinden sich die benachbarten Sterne Altair, Wega, Arktur, Fomalhaut und Alpha Centauri. Die Lokale Flocke ist ihrerseits eingebettet in eine weitgehend staubfreie Region mit geringerer Teilchendichte, die Lokale Blase. Die Lokale Blase hat in Richtung der galaktischen Ebene eine Ausdehnung von mindestens 300 Lichtjahren. Sie befindet sich nahe dem inneren Rand des Orionarms der Milchstraße. Bis zum benachbarten Perseusarm sind es etwa 6.500 Lichtjahre, bis zum Zentrum der Galaxis etwa 28.000 Lichtjahre. Ein Umlauf, mit etwa 250 km/s, dauert 210 Mio. Jahre (Galaktisches Jahr).

    Die Sonne durchmisst außerdem den Gouldschen Gürtel, eine großräumige Anordnung von jungen Sternen (etwa 20–60 Millionen Jahre alt) und Sternentstehungsgebieten mit mehr als 2000 Lichtjahren Ausdehnung. Da diese Sterne viel jünger sind als die Sonne, kann sie nicht zu den Objekten des Gouldschen Gürtels gehören." (Zitat Wikipedia).

    Ja, was bin ich anderes als eine Schneeflocke, ein Tropfen im Weltenmeer? Oder, wie es der unvergleichliche Nagual aus der Wüste von Sonora, der große Don Juan Matus formulierte: Eine Kerzenflamme im Angesicht von Sonnen.

    Und jetzt, wie Agustin, der große Agustin, es zeitweise hinaustrompetete: "Wer möchte Kaffee?"

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