Diesen strahlenden Morgen nach eiseskalter Nacht – wieviele hier im Land der Armut werden sich in dieser Nacht eine Lungenentzündung geholt haben? – wollen wir beginnen in Andacht, und diese Andacht gilt der Stadt der Heroen, der ehemals durch eine Mauer geteilten Stadt, oben im Norden. Der Gründerstadt der „Love-Parade“, der Gründerstadt des aufgeklärten sozialen Liberalismus.
Selbst wenn ich diese Stadt auf immer in Schwarz-Weiß sehen und so mich an sie erinnern müsste, sie bliebe mir ein Born der Freude, diese Stadt mit ihren vielen Parks, wo Menschen lustwandeln und dem Essen und der Liebe fröhnen. Eine Stadt, durch die du wie auf Schienen durchgeschleust wirst, dich niemand anhupt oder böse ansieht. „Reisender, kommst Du von weitem, ruhe dich aus bei uns.“
Eine Stadt der Zeitlosigkeit, vielleicht das Atout im Ärmel eines lokalen Verwalters, der für die Erde zuständig ist. Ein amerikanischer Filmschauspieler fliegt zum ersten Mal in sie ein und sinnt im Flieger über sein Altern, seine Stimme getränkt von den vielen Jahren aufregenden Lebens. Dieses Mal gilt es keinen Fall zu lösen, nur das eigene Testament zu verfassen. Er fliegt ein, am Rollfeld erwarten ihn zwei Brüder, der eine Regisseur, der andere Schriftsteller. Sie fragen ihn: „Mister Falk, sind Sie einverstanden mit einer Hommage an diese Stadt? Auch Engel werden wir zeigen. Wir benötigen nur Ihre Präsenz, because we think, the angels do already know your thoughts.“ Darauf der vieles gewohnte, populäre Schauspieler: „Did you really mention angels?“ Darauf der um keine Antwort verlegene Regisseur: „Yes, the ones like Bruno Ganz and Hanns Zischler.“ „Oh yes, i understand.“ Peter Handke, wie immer bebrillt, wie immer hochgewachsen, daneben, wie immer ohne Kommentar.
Ein Film über die Zeitlosigkeit wird nur einmal in 50 Jahren geboren. Vielleicht täusche ich mich. Vampirfilme würde ich zumindest nicht dazuzählen. Vielleicht ging Ingmar Bergmann auf Farø in den letzten Jahren seines Lebens mit einem solchen Entwurf schwanger, nach all den Jahren auf der Felseninsel. Vielleicht begannen die Steine zu ihm zu sprechen.
Zu Peter Handke sprechen sie schon lange, ich bin mir sicher. Und keiner wie Wim Wenders fragt sich: „Was soll wirklich werden?“
Und so gelangt er „Im Lauf der Zeit“ (Vogler/Zischler) zum vorliegenden Projekt (Ganz/Zischler/Falk).
Wenn mein Busenfreund aus der Stadt der Engel sagte, über Buenos Aires schwebten die Dämonen (Voladores), dann hatte er ebenso im Vermächtnis hinterlegt: „Geht nach Berlin, the sky is open there“.
Das, liebe Freunde, ist die Stadt der Transformatoren. „Willst Du ein Schutzengel werden, dem das Sehen der Farben entsagt ist?“, so wird uns ein korrekter Himmelsbeamter eines Tages fragen, auf „Ground Zero, Midnight“. Einige von uns werden nicken und sich in einem Augenaufschlag wiederfinden, hoch oben, auf der Plattform eines Bürohauses, ein Mann neben uns will springen. Was tun in diesem Moment?
Und wir werden zu wandern beginnen durch Lesesäle, Operationssäle, Kindergärten, Schulen, Gefängnisse, Bordelle, Kirchen und Kinderzimmer. Und wir werden wandern und keinen Teufel sehen. Wir werden zu den Heiligen Städten auf den Indischen Subkontinent fliegen und den Erwachten suchen. Und so werden wir sehen, als Engel. Und vielleicht, ja, sogar, früher. Als Engel zu Lebzeiten. Halleluja.
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Nichts verlöscht 😌
Wo findest du Zuflucht, mein Freund? Zuflucht in dieser stürmischen Zeit? Beängstigend stürmischen Zeit. Wo Feuer und Regen vom Himmel fallen, und Stürme mein Haus abdachen und fallende Bäume mein Auto zerquetschen oder Hagelschlossen das geheiligte Blech verbiegen, ganz zu meinem Verdruß. Wo finde ich Schutz, wo Sicherheit? Meine Angst wächst mir über den Kopf, besonders Nachts, wo das Grillengezirpe meinen Schädel durchdringt und ich mich unruhig hin und her wälze. Wo finde ich jenen Schutz, der mir alles bedeutet? Die Zuwendung, die mich besänftigt? Das Nest, in dem mein Schluchzen, wie es mich haltlos überkommt, wieder zur Ruhe findet und mein tränennasses Gesicht sich langsam wieder eintrocknet, unter Zuhilfenahme meines Schnäuztuches. Verschämt, und doch auch wieder nicht verschämt, übe ich mich in kalmierendem, wie zur Entschuldigung vorgebrachtem Lächeln. Ein Versuch inmitten der soeben überstandenen Katastrophe, denn diese haltlosen Nervenattacken könnten mich, ich ahne es untrüglich, leichterdings fortspülen. Wo finde ich Halt in diesem wilden Dahinjagen? Halt, bevor es mir den Schädel zertrümmert, mitten im Río Urubamba vor Aguas Calientes, wo es nur mehr gurgelt, brüllt und machtvoll rauscht, und inmitten all dieser Massen diese riesigen, massiven Brocken aus Basalt und Granit. Welche Zyklopenrasse hat hier nur gespielt, vor Äonen meinetwegen? Was nur mache ich, wenn mich dieser Strom fortreißt? Dann ist es um mich geschehen! Dann hilft nicht mehr Beten, denn mitten im Inferno des wild dahinschießenden Flusses habe ich alles Denken verloren. Es wird dann nur mehr verzweifeltes Kämpfen um irgendwelchen Halt geben. Möge sich mir ein Engel erbarmen in jenen Momenten, wo nur mehr das reine Glück entscheidet, ob ich überlebe oder mit dem Kopf gegen einen Felsen pralle. Wo ist Zuflucht, die mir vergibt in meiner Schuld? So riefen die Bewohner von Schuld. Doch 200 Menschen starben, ertranken. Fortgespülte Leichen, manche bis zum heutigen Tag nicht mehr aufgefunden. Wer vergibt mir meine Schuld und läßt mich nicht sterben für meine Vergehen? Wo findet mein Herz Ruhe, dieses rastlose, furchtsame Herzlein. Sei’s drum, auch wenn man mich einen Hasenfuß nennt: Das ändert nichts am dramatischen Charakter der Dinge, wie sie gerade passieren; wo Menschen sich an losrollende Flugzeuge am Tarmac von Kabul klammern, aus Angst vor den finster dreinblickenden Taliban, die sich, Allah möge davor sein, wieder wie vor 45 Jahren am öffentlichen Abtrennen von Frauenköpfen üben werden, Mörderbanden, die sich auch noch in jenen Staaten des Öls finden, wo Menschenleben aus Indien und Indonesien nichts zählen, Menschenleben, die in die Tausende gehen. Wohin also fliehen? Zu ihm, predigt mein Mönch aus Amdo. Zu ihm, dem Erwachten. Zu Gauthama Siddharta. Zu seiner Lehre von der Vergänglichkeit von allem, was ist. Zu seiner Gemeinschaft, der Gemeinschaft der Praktizierenden. Zu jenen, die gemeinsam beten. Zu jenen, die sich verbunden fühlen mit der Lehre, mit dem Erleuchteten, und mit der Gemeinschaft. Zuflucht in der Nächstenliebe, Zuflucht im Mitleid. Ich finde Zuflucht im Mitleid. Welch ein Nadelöhr!, möchte ich da gerne ausrufen. Fürwahr, Mitleid, wie ich es übe, hilft. Das Mitleid, das ich übe, hilft meinem Mitmenschen und genauso mir. Aha! Das gibt mir zu denken. Der Buddha sprach nicht umsonst von diesen Dreien. Das klingt mir bekannt, möchte ich sagen. Gab es denn nicht einmal, vor 2.000 Jahren, den guten Hirten? Gab es denn nicht IHN, dessen Worte wie Brosamen wirkten? Und baute er nicht seine Kirche auf jenem Felsen, der zurecht der „Felsene“ hieß? Fürwahr, auch dieser Herr wußte, wovon er sprach! Ja, er wußte, wovon er sprach. Inmitten all dieses Mahlstroms, der uns alle auf die eine oder andere Art verschlingt, sosehr wir uns auch mittels streng reglementierter Gewohnheiten dagegen sträuben. Das Sträuben auf vielfältigste Weise. Fürwahr: vielfältig. Der Exzentrik sind keine Grenzen gesetzt, und so auch nicht meinem Denken und Reden. Ich kann mich gebärden, wie ich will. Hauptsache, es gelingt mir, den Tod für ein weiteres Jahr zu düpieren.
Und sollte es einmal soweit sein, kann es nur mein Triumph sein, mein stiller, leiser, mein letzter Triumph: Der Tod mußte sich schon die Mühe machen, um mich zu holen. Jawohl! Und danach habe ich kein Problem mehr. Dann – so sprach kürzlich meine Schwester, eine ziemlich heilige – habe ich es geschafft. Ein phänomenaler Satz, dem doch wohl Berechtigung innewohnt. Dann habe ich es erstmal geschafft. Dieses Gesetz habe ich nicht erfunden, auch wenn es unzählige Kreaturen erschlägt. Unzählige, ja beinahe unendlich viele. Was soll das? Ich lasse mich nicht davon beirren. Ich bewege mich im kleinen Kreis, und so wurde es mir auch aufgetragen. Ameisen wurden nicht zur Welteroberung erfunden, Pinguine auch nicht. Selbst der Papst muß aufpassen, wo er hintritt. In La Paz darf er nach einer Stunde schon wieder abheben, er, der Arme mit nur einem Lungenflügel. Der Chef des CIA, William Joseph Burns, darf inmitten des Chaos von Kabul in aller Ruhe mit dem einstweiligen Chef der Taliban konferieren. Offenkundig haben die beiden ein Thema. Mit diesem sehr wohl. Mit Herrn Putin jedoch nicht. Mr.Burns ist nicht für alles zuständig. Das geht ja gar nicht. Es ist alles viel zu kompliziert. Mit bald acht Milliarden Menschen wird alles sehr schnell sehr sehr kompliziert. Acht Milliarden Menschen, die eine Höllenangst mit sich herumtragen, die Angst vor dem Sterben. Zu Napoleons Zeiten, vor 220 Jahren, war es nur eine Milliarde. Zu Napoleons Zeiten gab es noch Wälder und der Amazonas war völlig unerforscht. Der Amazonas, Afrika, Tibet. Und von Grönland und der Antarktis wußte die Menschheit nichts. Doch der Korse trug bereits die Leidenschaft des Mordens in sich. Eine Leidenschaft, unermeßlicher Wahn, von dem er sich bis Moskau tragen lassen wollte. Und von den 610.000 Soldaten seiner stolzen „Grande Armée“ überquerten beim Rückzug im Jahr 1813 nur 23.000 Geschlagene die westliche Weichsel. Kutusows Befreiungsarmee der vaterländischen Front zählte da bereits etwa 210.000 Verluste. 210.000 Russen, darunter auch Jünglinge, hatten ihr Leben geopfert, um ihre Heimat, die unendliche Taiga, vor einem Größenwahnsinnigen zu schützen und zu befreien. 797.000 Tote insgesamt. Eine Schätzung. Heute genügt ein atomarer Sprengkopf, Wasserstofffusion, in zehn Kilometer Höhe, und wir haben innerhalb von zwei Sekunden 20 Millionen Tote. Über New Delhi. Doch wer schützt heute noch seine Heimat? Ein einsamer Müllsammler an deutscher Autobahn? Ja. Doch auch sie, die Idealisten, die Müllsammler, kommen dem nicht mehr nach. Und Angela Merkel geht in Pension. Die Frau, die Christian Kern bei dessen Antrittsbesuch samt ungeschickt gewählten Worten in Berlin, am Vorplatz mit rotem Teppich, öffentlich anschnauzte, sie wäre nicht hier, um über Fußball zu reden. Doch manche vergessen nicht, liebe Frau Merkel. Wie lange werden wir nicht vergessen? Der Mensch denkt, Gott lenkt. „Onkel“, sagte mir mein Neffe, der seine 27-jährige Frau bei der Geburt seiner ersten Tochter soeben verloren hatte, „die Ansprache des Pfarrers beim Requiem war eine Farce, um es gelinde auszudrücken. Am nächsten Tag bin ich aus der Kirche ausgetreten.“ So sind die Dinge. Schwerwiegend, bedenklich und strapazierend. Bedenken wir, was wir denken. Sofern wir überhaupt dazu in der Lage sind. Soviel zu hier, jetzt und heute.
„Ein wichtiger Aspekt der Achtsamkeit gegenüber uns selbst ist, uns von Schuld zu befreien. Schuld ist in der Regel eingehüllt in Unsicherheit und Selbstzweifel, sodass wir meinen, wir wären eine schlechte Person. Doch das sind wir nicht. Schuld und Unsicherheit bedingen sich gegenseitig. In der Tibetischen Sprache gibt es kein Wort für Schuld. Im Buddhismus finden wir kein Konzept für Schuld, doch wir finden sehr wohl Scham und Reue. Diese beiden Begriffe bedingen jedoch nicht Schuld. Schuld ist ungesund für unser Immunsystem, für unseren Selbstwert und für andere lebenswichtige Systeme unseres Körpers. Schuld ist auch ein Desaster für unsere Gefühle und unser Wohlbefinden. Überzeugen Sie sich selbst von den Schäden in Verbindung mit Schuld und im Gegensatz dazu von der Freiheit, die sich zeigt bei Abwesenheit von Schuld. Wenn Sie Schuld antreffen, halten Sie sich deren zerstörerische Kraft vor Augen. Lassen Sie sie los. Schuld ist eine hinterhältige Langzeitgewohnheit. Bleiben Sie hartnäckig. Geben Sie nie auf! So sei es!“ (Tenzin Gyatso)
Der Himmel über Otorongo
Unser Klosteranwesen beschert seinen Besuchern und Bewohnern oftmals nächtliche Gnaden, die nicht mit den Segnungen der „Madre“ in direktem Zusammenhang stehen müssen. Die Segnungen der Königin der Nacht sind etwas Außerirdisches, Himmlisches. In der Art, wie sie uns Frieden schenken, zeigen sie sich heilig. Diese Segnungen sind Friede und Einsicht. Die optimalen Geistesbefindlichkeiten für innerliches Beten. Die Harmonie mit der nächtlichen Natur fordert von uns Ehrlichkeit. Der Entschluß zur Ehrlichkeit vermittelt mir augenblicklich Konzentration. Und Konzentration vermittelt mir Einsicht. Meine Einsicht läßt keinerlei Lüge mehr zu. In Windeseile darf ich mich symbolisch ausbeuteln von jedem Staub, jeder Unhaltbarkeit, jeder provisorischen Infantilität. In der Stille der Nacht, wo nur Insekten in einem Meer rufen, fällt jede lächerliche Tändelei ab. Es ist jener Moment, wo ich zu sprechen beginne. Etwas in meiner Brust hebt an.
Ich erkenne das Ausmaß des Krieges, das Ausmaß der Bedrohung. Und mit einem Mal wird ersichtlich, daß jene maßgeblichen Menschen, denen der Himmel wahrhaftig etwas bedeutete, wußten, wie ernst diese Situation der Bewußtheit sich darstellt. Die Inkorporierung des Geistes, die uns zwingt, den Geist anzuerkennen. Die eigene Geistigkeit anzuerkennen. Ich erkenne jetzt mit Schaudern, daß dies die erste Frage ist, die an mich ergeht. Ein Ergehen ohne Zwang, ohne Drohung, ohne Brechreiz. Nur voller Ernst. Der Krieg erfaßt uns alle, auch die Kinder. Dieser Krieg ist mörderisch. Er kennt keine Gnade. Er kennt nur Entscheidungen. Entscheidungen auf Leben und Tod. Greife ich zur Waffe oder greife ich nicht zur Waffe? Leiste ich Verzicht oder urrasse ich in animalischer Gier? Was nehme ich wahrhaftig ernst, wenn nicht das Sterben ringsum? Zu wem bete ich inmitten des Höllenlärms der untergehenden Welt? Wann stehe ich auf? Zu wem spreche ich dann? Zu wem spreche ich dann, die wichtigsten Worte meines Lebens: „Ich widersage dem Wirken dieser Bestie!“ Dieses Bekenntnis aus tiefster Seele?! So wie Pater Pio, der wie kein anderer im Feuer stand. Nein, ich greife nicht zur Waffe. Nicht mehr. Der Haß erlischt. Unwissenheit klärt sich. Die Verblendung erlischt. Wahrhaftig, die Verblendung erlischt. Sie fällt ab. Ich bin allein, doch Gott ist mit mir. Jemand sieht mich. Ein Mensch sieht mich. Und Andere.
Das Gezettere verlischt, das Speien, das Kreischen, das Schreien, das Wüten, das Brüllen. Ein Granateneinschlag direkt neben mir. Ein Attentat in der Moskauer U-Bahn. Oder in jener von Brüssel. Dutzende Tote. Die Orte des Verbrechens, allüberall. Ich gehe mit dem Kreuz am Revers. Jemand grüßt mich verständnisvoll. Ich grüße dankbar zurück, den Kopf neigend. Wir stehen auf historischem Boden. In tausend Jahren werden sie immer noch wissen, dies hier ist heiliger Boden, hier im Herzen von Vindobona.
Eine Dame schreit: „Ich hasse dich! Du Mörder! Ich will weg von dir, schon die längste Zeit. Du bist unfähig, mir die Befriedigung zu bereiten, die mein Körper braucht. Ich verhungere, hörst du mich? Ich verdurste! Du Schwächling!“ Der Mann tut, was er kann. Währenddessen, woanders, ein Bauer, der den Rußlandfeldzug überlebt hat, kaum 38 er, stirbt am Heiligabend an Blutkrebs, acht Kinder zurücklassend. Seine Frau brauchte ihn Tag und Nacht. Das brachte ihn ins Grab und war allen, die es von nah miterlebten, eine Warnung. Die Atomsprengung zerstört Haus und Hof. Die Kernreaktion verbrennt alles. Und so manche eine fragt sich: „Habe ich das nötig? Habe ich das wirklich nötig? Diese lächerliche Lust? Habe ich diesen Geschlechterkrieg nötig, wo doch alle Männer Verbrecher sind?“
Das erinnert mich an Leupold-Löwenthal, einen meiner Lehrer. Ein Charakterkopf. „Die Besetzung durch die Russen in Österreich, im Osten, war eine Zäsur. Dramen pur. Sie kennen vielleicht ein paar Episoden, ein paar Geschichten. Ich kenne auch ein paar. Shakespeare hätte genügend Stoff vorgefunden. Frauen, die wahre Lust erlebten, durch eine Kompanie. Österreichische Frauen. Später fühlten sie sich schuldig. Sie wurden nicht alt. Dramen. Manche blieb auf dem Tisch. Eine Frau, eine Patientin, verabschiedete sich von mir auf dem Tisch, vor der Narkose. Unenträtselbare Komplikationen. „Von mir haben Sie gelernt, Herr Doktor, nicht wahr? Seien Sie ehrlich!“ „Ja, sagte ich, wie ein Militär. Grad daß ich nicht salutiert hätte. Und sie blieb auf dem Tisch. Ich wußte sofort, warum. In solchen Momenten spüren Sie die Bürde, was es heißt Seelenarzt zu sein.“
Bei anderer Gelegenheit, es war wie immer sein Samstag in der Berggasse, nuschelte er wie aus bestem Wiener Stehgreif. Da erkannte ich, daß er ein unausrottbares Faible für Waldbrunn und Farkacs hegte, und Oscar Bronner obendrein. Die Doyens des Wiener Kabarett. Es war klar, er war der Meinung, das wäre er sich als Psychoanalytiker in Wien, der aus Exzentrik im Dunstkreis Freuds leben wollte (so wie Marcel Prawy im Dunstkreis der Staatsoper), schuldig. Das nuschelnde Einwerfen von Geistesblitzen, die weit jenseits jedes akademischen Sachverstandes angesiedelt waren. Gleichzeitig im Wissen, daß ihm niemand eine Replik, sosehr sie auch gepaßt hätte, unter die Nase reiben würde. „Der Freud, wie Sie ja alle hinlänglich wissen, war ein Streithansel. Ziemlich hinterfotzig, ziemlich kratzbürstig. Er war ein Getriebener. Hätte er nicht die Zigarren gehabt, wäre alles anders gekommen. Nun ja. Er stand zu seinem Haß. Dazu brauchen Sie Standvermögen. Der Freud fand nichts dabei, die Welt rings um sich anzuzünden. Er kannte die Narren und die Möchtegernmörder. Vergessen Sie das nicht. Auf Freud in Wien vergißt man nur allzu leicht. Aber ich kann Ihnen sagen, er kannte alle Mörder, und noch mehr, alle Frauen, deretwegen die Männer zu Mördern wurden. Seine eigene Frau, die Martha Bernays, muß gelitten haben unter ihm. Ich glaube, sie wußte genau, wen sie sich da eingehandelt hatte. Keinen Wiener Erzbischof und auch keine Georgische Sphinx. Die Frauen von solchen Wirrköpfen folgen einem Drehbuch, wie Sie sich denken können. In dem Drehbuch steht der Paragraph: „Und sie tritt ab…“
Der verirrte Möchtegern
… Er meint, er dürfe alles sagen. Er meint, ihm gehöre das Wort. Er meint, er stünde im Geruch der Wahrheit, das, weil er dem „Stellvertreter Christi auf Erden“ nahe steht. Er hält seinem Dompfarrer, der sich gerne als Partytiger gibt, bei dessen Ausspruch „Ich hege kein Mitleid mit Ungeimpften“, indirekt die Stange, indem er das fliegende Wort von „Impfung ist ein Akt der Nächstenliebe“ ohne Dezenz in die Welt hinaustrompetet. Er fordert Nächstenliebe, ohne im Geringsten zu merken, daß eine solche Forderung zu einem Akt der Liebe Vergewaltigung ist. Dabei war die Position des Vatikans zu Fragen der Impfung vor der Pandemie noch eine ganz andere, nämlich aus Prinzipiengründen, enthalten doch manchen Vaccine Stammzellen, also Material aus abgetriebenen oder abgegangenen Föten.
Der Herr in Purpur meint, seine Position ermächtige ihn zu allerhand, auch zu Empfängen bei Bundespräsident, Bundeskanzler und Innenminister. Er fühlt sich ermächtigt, quasi unumschränkt ermächtigt. Klar, er handelt entsprechend den Weisungen der Regierung, also werden die Kirchen für eine Weile geschlossen. Später werden sie geöffnet, alle tragen Masken, der Priester reinigt sich vor der Kommunionverteilung theatralisch die Hände und überreicht die Kommunion, also den Leib Christi, mit maximal ausgestreckter Hand. Diesem Verhalten liegt ein geschriebenes Regulativ zugrunde. Das ist der Punkt. Eine Verhaltensanweisung. Diese Verhaltensanweisung hat ganz und gar nichts mit Christus zu tun. Das ist der wesentliche Punkt. Christus bleibt außen vor. Christus, der Abwesende, der Ohnmächtige, Christus, der Lügenchristus, so hat es den Anschein. Das Virus vielmehr ist heutzutage Realität, und es urrasst wie wild in der Kirche, ließe man es von den Zügeln. Das ist dasselbe wie ein Kobel von Hornissen, in der frischkühlen Kirche an einem Nachmittag im Hochsommer freigelassen. („Merken Sie das denn nicht?“). Christus da vorne am Hochaltar wird die Hornissen nicht domestizieren. Das ist doch verständlich, oder? Doch da gibt es ein Detail: Wer hier greift zu solchen Vergleichen? Wie auch immer: Das ändert nichts am sulzig-sophistisch-doktrinären Kommentieren des Herrn Schönborn, der in diesem Theater des Hochmuts und der faschistischen Jagdinitiativen nur allzu gern den maskierten obersten Kirchenhüter abgibt. Doch er hat sich nie dafür eingesetzt, Herrn Schüller dessen „Monsignore“ zurückzuerstatten, dieser Feigling. Eine Bande von hinterhältigen Dogmatikern, denen Frauen das Gräuel, weil die Verkörperung der Lust schlechthin sind, und die eigene Meinung Anderer totknebeln. Die kirchenkritische Meinung interessiert sie nicht. In ihrer Selbstgerechtigkeit meinen sie, das gehöre zum Leidensweg Christi. Deshalb halten sie sich ein Department für Dogmatik und ebenso eine Rechtsabteilung, als verlogene Mummenschanzler, die sie abgeben. Daß hier Lügen im Getriebe sein könnten, ist sowieso tabu. Sie führen ein Theater auf mit Gerüchen, Musik, Lichtspielen, Gesang und Roben, ja sogar Theaterdonner. Das ist ihr Brevier: eine Staatsoperette. Doch viele, viele, haben erkannt, was hier gespielt wird. „Wer glaubt er denn, wer er ist?“ Diese Frage von ausgesprochenen Kirchengegnern an den Dorfpfarrer kenne ich seit 55 Jahren. Doch das Phänomen, daß dies auch die neue Frage eines getauften Katholiken an den selbstherrlichen, verstörend wirkenden Pfarrer sein darf („Was glaubt er denn, wer er ist?“), dieses Phänomen ist nicht älter als 15 Jahre. Seit 15 Jahren verliert die katholische Kirche in galoppierendem Tempo ihre Kirchgänger. Die Gläubigen exilieren in Scharen, auch, weil sie sehen, daß ja niemand mehr, kein Mann, bereit ist, auf diese kriminelle, unmenschliche Forderung nach Abstinenz von Frauen einzugehen. Und weil sie wissen, welche zum Himmel schreienden Perversionen zu Hunderttausenden (man kann und darf es sich gar nicht vorstellen, das Ausmaß dieses Verbrechens) in den Mauern dieser sogenannten „Mutter Kirche“ begangen wurden. Das Verbrechen, das unter Wehgeschrei gesühnt werden wird. Durch einen Exorzisten, A Ladies Man. Dazu infrage kommen: Mister Richard Burton, Commander of the Order of the British Empire; Mister Leonard Cohen, Caballero of the Princess of Asturia; Charles Bukowski alias Hank, San Pedro.