Am Grund der Tiefsee, in tiefer, ewiger Dunkelheit, grundelt, ungestoert von der Pestilenz dieses Erdballs, manches Lebewesen selbstversunken vor sich hin. Blinde Haie fressen, ebenso wie aasfressende Riesenwuermer, herniedergesunkene Walkadaver. Riesige Meeresasseln, 50 Mal groesser als zu Lande, marschieren als 40 Zentimeter grosse, kiloschwere Ungetueme dahin. Durchsichtige leuchtende Gespinste kreuzen den Weg von Mister Niemand. In den Wracks gesunkener Schiffe, halb vom Schlamm aufgesogen, nisten sich Wesen ein, denen es die Nacht bei angenehmen Temperaturen angetan hat. Wir wissen nicht, was das Leben in der Tiefsee bedeutet, doch es muss ekstasegleich sein. Ein Leben ohne Menschen und ohne deren Fangnetze, die sie von Trawlern hint’nach schleppen. Zum Glueck nur bis auf 500 Meter Tiefe. Warum ist nur diesen Schinderknechten in ihren Blechbuechsen, die den Meeresboden auf Garnelensuche systematisch abbuersten, sodass das Blut aufspritzt, noch nie eine US-amerikanische Nautilus ins Garn gegangen? Eine Begegnung der "Dritten Art". Was lernen U-Boot-Kapitaene in Maryland zu dieser Eventualitaet? Gefangen im Schleppnetz. Eine andere Eventualitaet ist von vornherein auszuschliessen: Auf 500 Meter, maximale Tauchtiefe der mit 16 Trident-Raketen zu je 5 bis 8 Sprengkoepfen mit 20 bis 40 Megatonnen Vernichtungskraft bestueckten groessten Atom-U-Boote der Amerikaner (groesster Stolz der Navy, groesster Finanzbrocken des Pentagons, groesste permanente Forschungsinvestition in den geheimen Labors), wird es zu keinem extraterrestrischen Angriff kommen, nicht von inkognito dort unten dahingrummelnden Aliens und nicht von anderen Nautilen, Kopffuesslern, die gerne ihr Territorium verteidigen. Wenn eine amerikanische Bockwurst aus Maryland auf 500 Meter hinabsteigt, haben es Blauwal, Pottwal und Nautilus schon laengst vermeldet. "Lasst sie in Ruhe, die Sardinenbuechsenmenschen, sie haben’s schon schwer genug."
500 Meter Meerestiefe ist Jagdgebiet, oft noch weniger. Die Riesenkalmare werden wegen ihrer 2 Fangarme bis zu 15 Meter lang. Ihre unzerstoerbare Nautiluskapsel maximal 2,25 Meter. Der Kalmar hat die groessten Augen des Tierreichs. Er arbeitet nicht mit Sonar wie die von Amber gehirnstrotzenden Pott- und Blauwale, deren Augen putzeklein wie die von Kindern wirken. Er sieht noch in der Dunkelheit, den Rest besorgen die hochsensiblen zehn Arme. Der Riesenkalmar, Neptun’s gehaetscheltes Liebkind, galt lange Zeit als Seemannsgarn. Die Narben der Saugnaepfe an Pottwalhaeuten fuehrten zur Annahme, der Kalmar werde bis zu 60 Meter lang. Das war in den Anfaengen, als man noch nicht verstand, dass die Narben der Pottwale mit den Jahren mitwachsen. Der Kalmar hat zaehe, muskelbepackte Flossen, die ihm zu enormer Jagdgeschwindigkeit verhelfen. Erst letztes Jahr gelang es einem japanischen Meeresforscher – einer der wenigen, die ihr Leben sinnvoll verbringen – zum zweiten Mal, einen jagenden Riesenkalmar zu filmen. Die Bilder lassen einem den Atem stocken und unterstuetzen Berichte von Augenzeugen aus Kriegstagen, wonach flosstreibende Schiffsbesatzungen von Fangarmen in die Tiefe gezogen wurden. Der Riesenkalmar treibt sich gerne in nordeuropaeischen Kuestengewaessern herum, Irland, Norwegen, Spitzbergen, Island, Neufundland. Nachts geht er – alle Anzeichen deuten darauf hin – sogar auf Mondbeschau. Er muss wohl mondsuechtig sein. Ein irischer Fischersmann auf Heimkehr, so wird berichtet, wahrscheinlich bereits abgefuellt mit waermendem Grog, trat an die Reeling, um sich zu erleichtern, und traute seinen Augen nicht, als er sah, was ihm da im Mondlicht Glaenzendes unter der Oberflaeche entgegenstarrte. Er brauchte seine Zeit, um zu begreifen, dann schlug er Alarm. Vom hinzugelaufen kommenden Kumpel stammt der Ausspruch "Das Ding stob aus dem Stand davon wie eine Rakete, so schnell konnten ihm unsere Augen gar nicht folgen."
2007, schlussendlich, ging an der Kueste der Antarktis einem neuseelaendischen Seehecht-Trawler der wahre Tiefsee-Koenig an den Koederhaken, zufaellig, und niemand vermochte zunaechst zu sagen, was fuer ein Monstrum das war. Ein zart rosafarbener, anders als alle bisher bekannten Exemplare gebauter Kalmar, dessen Nautiluskapsel alleine 5 Meter lang war, mit 2 horizontalen Flossenpaaren, die beiden zentralen, mit messerscharfen Widerhaken besetzten Fangarme alleine gute 15 Meter lang. Das ganze Ding 500 Kilo schwer. Sie brauchten 2 Tage, um es an Bord zu hieven. Der Kapitaen spaeter: "Ein Querschnitt durch den Festkoeper haette 2 grosse Traktorreifen ergeben." Ich vermag mir gut vorzustellen, wie nun die Kalkulationsmaschinen in Japan und Neuseeland zu laufen beginnen. 300 Kilo Nutzfleisch zu 100,- Dollar das Kilo, bescheiden fuer Tokyo-Verhaeltnisse, ein nettes Argument fuer einen Ausflug zur Antarktis. Vielleicht haben wir Glueck!"
Die Tiefsee, ein stilles Gewaesser. Kein Radio, kein Fernsehen, kein Verkehr. Keine Amoklaeufer. Keine Geldtransfers. Zivilisiertes Meditieren. Meditieren als Medium fuer nicht begriffene Wunder.
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Godzilla
Aus der Tiefe wird es erweckt, ein Meereswesen. Ein ungesehenes Meereswesen. Ein Meerechse. Eine, die sich aufzurichten vermag. Der König der Monstren. Dieses Jahr wird Godzilla die westliche Welt – was auch immer diese sein mag – heimsuchen. Die Kinobesucher werden verschämt im Dunklen grinsen, ihr Popcorn literweise crunchend. Die Meeresechse, eine Atommutation aus dem Jahre 1953. Dieses Mal sucht sie nicht Tokyo heim, sondern die Schildkröteninsel. Und die Heimsuchung hat es in sich. Die Großstädte werden krachend in Schutt und Asche gelegt. Der Schwanz der gepanzerten Echse wuchtet alle Gebäuderiesen um. Wir haben es diesmal mit einem Wesen zu tun, das an die 300 Meter – wenn nicht mehr – mißt. Ihr Rücken gleicht einem zersplitterten Felsengebirge aus Stahl. „Wir haben etwas aufgeweckt…“, wird ein Wasserträger der Filmhandlung zitiert. Es mit einem Nuklearsprengkörper zu „vernichten“, mißlingt. Das alles in malerischer Südsee. Godzilla macht sich auf den Weg. Es geht gegen die lästigen Störefriede, und er mischt „The American Dream“ gewaltig auf. Es steht offenkundig schlimm um die Nation. Die Elitefallschirmspringer, die sich bei Nacht geschlossen aus dem Transporter hinunterstürzen ins zerstörte San Francisco, sie wissen nicht, was sie da unten, im gespenstischen Dunkeln, wo alles in Staub getaucht ist, erwartet. Sie trauen ihren Augen nicht.
Das hat man davon, wenn man mit Atomsprengköpfen zündelt. Nicht auszudenken, das käme uns eines Tages auch einmal unter. Godzilla marschiert zu Abwechslung ins christliche Europa, und nicht nach Tokyo, und auch nicht auf das Staatsgebiet von Uncle Sam, der sosehr nach einem militärischen Ernstfall giert.
Ja, Godzilla ist möglich. In diesem Jahr, 2014, dem Jahr der Olympischen Winterspiele in einem Ort namens Sotschi und der noch ausstehenden, auf tönernen Füssen stehenden Fußballweltmeisterschaft in einem von sozialen Spannungen brennenden Subkontinent ist vieles möglich. In diesem Jahr, das noch viele Überraschungen für uns bereit halten wird. Viele kleinere und größere Explosionen. Bürgerkriege und Unfälle. Banküberfälle im kleinen wie im großen Stil. Dieses Jahr, in dem die Ukraine nicht aus den Schlagzeilen verschwinden wird. Dieses Land, in dem die Menschen im Winter im Dutzend erfrieren. Dieses arme, ausgeblutete Land. Diese armen Menschen im Winter, gedemütigt, getreten, geschlagen, erschossen, beraubt. Die Krim, einfach so annektiert. Brüssel, diese Hochburg der Dekadenz, muß erst seinen Entenbraten verspeisen, bevor es sich zu einer ernstzunehmenden Stellungnahme aufraffen könnte. Ein Mulimilliardär, laut Forbes 2,6 Milliarden Dollar schwer, Dimitry Firtasch, ein Kapitalverbrecher aus dem Banken, Medien- und Gassektor, selbstverständlich enger Vertrauter des Schwerverbrechers Janukovitch, wird vom FBI seit Jahren wegen internationaler Korruption und Geschäftsabsprache gesucht. Interpol in Brüssel und Wiesbaden schläft derweilen. Der Herr bewegt sich in Wien wie zuhause. Er IST hier zuhause. Er hat hier seine Konten. Er hat hier sein Penthouse. Das FBI nimmt ihn hopps, mitten auf der Wiedner Hauptstraße, Wien Margarethen, trotz aller Bodyguards. Schlußendlich sind wir in Wien und nicht in Kiev. Und das FBI hat ein paar Agenten vor Ort. Keine Schlafmützen. Der Herr hinterlegte gestern eine Kaution von 125 Millionen Euro und ist wieder auf freiem Fuß, bis er in die USA ausgeliefert wird. Der Herr hat einen Rechtsanwalt, den ehemaligen freiheitlichen Justizminister Böhmdorfer. Der Scharfmacher des perversen Vampirs und Nihilisten Jörg Haider, der Österreich mit der Hypo Alpe Adria in den Orkus führen wollte. Ich zweifle nicht im geringsten, daß dieser Herr Firtasch auf geplatzten, nicht mehr eintreibbaren Krediten des größenwahnsinnigen Kärntner Institutes sitzt. Und er hält sich gleich auch noch einen Mediensprecher aus dem Vertrautenkreis der ÖVP-Granden. Es ist einfach nur mehr zum Haareraufen, mitansehen zu müssen, wie hier jedes Maß von Anstand in allergrößter, selbstzufriedener Borniertheit mit den Füssen getreten wird. Mord und Totschlag, großflächiger Finanzbetrug im kapitalsten Ausmaße, und politische Achsen. Der Großfürst des aalglatten Bösen, Wladimir Putin, wie er wie eine Krake leibt und lebt. Gott behüte, er beginnt zu wüten. Das arme Europa. Die verzagten, gutgenährten Mäusebiber in den Gourmettempeln von Brüssel. Wie reagieren sie auf solche unverfrorene Dreistigkeit? Auf diesen politischen Pokerspieler, der sogar die Atomkarte aus seinem Ärmel vorsätzlich hervorlugen läßt.
Und jetzt stellen Sie sich vor, liebe, hochverehrte Leserinnen und Leser des Otorongo-Forums, wir hätten hier bei uns Atomzustände wie die armen Amerikaner in Manhattan. Godzilla kommt duch ein paar nette WTC-Eins-, Zwei- und Sieben-Pulverisierungen zum Erwachen und beginnt, schwanzausschlagend herumzuwüten. Europa, der Kontinent der Hosenscheißer. Man kann es nicht mehr anders bezeichnen. Alle Regierungspolitiker mit gestrichen vollen Hosen. Keiner auch nur mehr eine Idee einer Vision, wohin wir eigentlich hinstreben sollten. Alle rettungslos verstrickt. Alle nur mehr inhaltsleere Sprechblasen von sich gebend. Der Realitätsverlust fröhnt krasseste Urstände. Die Mäusebiber, die vielleicht gelegentlich einen Gedanken an nettes „Bodyshaping“ im verspiegelten Luxusfitnesszentrum verschwenden, was passiert? Bei nächster Gelegenheit machen sie Hopps und liegen am Boden, mit kleineren oder größeren Blessuren. Alles mit Helmkamera gefilmt. So wie die heldenhaften Fallschirmjäger, die sich mit Feuermarkern an den Extremitäten in die Tiefe stürzen. Die Helmkamera ist eingeschaltet. Das gehört heute zum Standard. So wie die Autokamera für den Versicherungsfall. Besser, auf Sendung sein. „Oh, weh, sieh‘ einer an, was ist denn das am Himmel? Das darf doch wohl nicht wahr sein! Mich laust der Affe! Ein Komet!“
Godzilla… Der Name hat Qualität. „Was für ein Schmarren“, wird manch einer denken, wenn er den dunkeln Saal verläßt. „Aber gut gemacht. Da gibt’s nichts!“ Godzilla doch einmal in unseren Städten? Gott behüte! „Wir können doch froh sein, Herr Nachbar, nicht?, daß dieser Fall nicht eintreten wird. Ist dieser Gedanke nicht beruhigend? Wir haben schon viel auszuhalten. Wir brauchen nicht auch noch dies.“
Neuroparasiten
Das ungekannte Land der Natur läßt mich schaudern. Schaudern lassen mich die Kreaturen. Nicht ob ihres Aussehens, sondern von dem, was sie tun. Ja, es läßt mich schaudern und nicht staunen. Es ist die Richtung des Verhaltens. Das zielgerichtete Verhalten. Nicht schaudern läßt mich das, was im Reich der Säugetiere passiert, – der Mensch einmal ausgenommen. Schaudern läßt mich auch nicht, was im unübersehbaren Reich der Insekten passiert. Erschaudernd, ehrlich eingestanden, wirken die Parasiten. Nicht die pflanzlichen. Die tierischen. Jene, die als Virus beginnen und als Bandwurm enden. Jene, die nicht nur einen Wirten benutzen, sondern mehrere. Die Flußkrebse zuerst, dann den dreistachligen Stichling, und dann irgendeinen Vogel. Sie bringen ihre Wirte dazu, "Selbstmord zu begehen", wie die Wissenschafter in Deutschland, die sich damit befassen, es nennen. Das Flußkrebslein verliert seine Vorsicht, so wie später der Stichling, der es frißt.
Ein Virus ist submikroskopisch, wie man uns gelehrt hat, und es ist ein Einzeller. Es ist in der Lage, das Genom seines Wirten zu verändern, indem es dasselbe "umprogrammiert". Das Horrorkabinett der Natur schlechthin, hält man sich die Größe dieser Lebewesen vor Augen. Ein Wesen ohne Gehirn und ohne Magen, so wie auch der finale Bandwurm jener Spezies, an der gewisse Biologen wie Manfred Milinski vom Max Planck-Institut im deutschen Plön studieren. Sie studieren fasziniert und fragen, warum wird der Mensch von solchen Viren nicht befallen? Und sie stellen fest, 60% der Menschen sind von einem Virus befallen, das bei Katzen gehirnneurologisch einwirkt. Im Gehirn. Verhaltensändernd. Es gibt Forschungen, so lesen wir, die darauf schließen lassen, daß der Mensch von Viren befallen ist, die sein Verhalten verändern. Er wird risiko- und kopulierfreudig. Er wird aggressiv. Er scheut vordem Gescheutes nicht mehr. 60% der Menschen. Eine lapidare Zahl. Jeder schreckt vor dem Gedanken, der dahinter steht, zurück. Ein Virus, das in unser Gehirn vordringt, doch nicht bei allen aktiv wird. Das erinnert an Aids. Wie soll man sich vorstellen, wofür der Mensch bereits Wirt geworden ist? Was ist unser Ich-Bewußtsein? Tatsächlich nur eine Illusion? Selbstbetrug? Diese submikroskopischen Wesen existieren sonder Zahl. Sie haben kein Gehirn, doch sie verhalten sich zweckgesteuert. Zweckorientiert. Was ist somit dieses Bewußtsein? Das ist mir eine fundamentale Frage, die mich in Bann schlägt. Was agiert hier? Doch wohl Absicht. Doch wo ist diese Absicht lokalisiert? Kann man überhaupt von Lokalisierung sprechen? Was lenkt diese Absicht?
Vor diesen Fragen schrecken die Evolutionsbiologen verschämt zurück. Dasselbe macht Schwerenöter Dan Brown in "Inferno". Ein Virus, das 50% der Menschheit genomtechnisch selbständig sterilisiert. "Airborne", wie er voller Bewunderung feststellt. Ein von einem genialen Gentechniker, der sich um die Zukunft der Menschheit sorgt (selbstverständlich hat er es bereits zum Milliardär geschafft, – Dollarmilliardär. Dan Brown tauft ihn Bertrand Zobrist), gezüchtetes Virus, nahe der Hagia Sophia unter Wasser freigesetzt, vor erst einer Woche. Heute ist es bereits am amerikanischen Kontinent, und das heißt nichts anderes als weltweit. Durch die Luft. Das schnellste Transportmittel. Ein solches Virus wäre doch was für china, Afrika und Südamerika. Ja, läßt Dan Brow Bertrand Zobrist gegenüber der WHO-Direktorin nahe des Central Parks in einer Conference Hall sprechen, niemand will von dieser Zeitbombe sprechen. Alle verniedlichen sie. Dabei ist sie bereits am Explodieren. Und dann, so sorgt sich Dan Brown, bricht das Inferno los. Dann gelten keine Werte mehr, so wie bei "Weltkrieg Z". Die Werte, die dann gelten, sind keine Werte mehr, weil sie im allgemeinen Morden untergehen. Überleben, so die geviften Evolutionsbiologen, ist der oberste Wert. Ihm wird alles untergeordnet, jede Verhaltensstrategie. Das ist das Bekenntnis, die Ideologie, die man als Philosoph genau betrachten muß. Die Evolutionsbiologen entwinden sich diesem Blick, diesem Fragen. Warum ist "Überleben" der oberste Wert? Weil damit das Weiterleben der Art gesichert wird, antworten sie. Also nicht das Individuum, sondern die Art. Genau: Die Kinder sind wichtig, nicht die Eltern. Die Eltern sterben, die Kinder werden zu Eltern. Der Einzelne hat nur statistische Bedeutung. Seine Persönlichkeit ist ein Kunstprodukt. Ein nachrangiges.
Hoppla, sagen da die Mediziner. Einspruch, Euer Ehren. Für uns kommt zuerst die Gebärende, dann das Kind. Bei Komplikationen wird das Leben der Mutter gerettet. Nachrangig das des Kindes. Die Luftfahrtbehörde stimmt dem zu. Ja, Sauerstoffmasken zuerst für die Erwachsenen, dann für die Kinder, bekommen wir bei jedem Flug vorgezeigt. Doch die Evolutionsbiologen interessiert der Flugzeugabsturz nicht, nur das Überleben. Überleben wofür, darf man sie somit fragen. Ganz einfach, antwortet der Biologe: Überleben zur weiteren Fortpflanzung. Wer sich nicht fortpflanzt, geht am Lebenssinn vorbei.
Dem Evolutionsbiologen geht es also um eine Erstreckung des Lebens in die Zukunft, die unabgeschlossene Absicherung des Lebens. Leben, so sagen die Hohepriester der Evolution, ist Selbstzweck. Es braucht nicht weiter hinterfragt zu werden. Wie man überlebt, ist nachrangig. Moral ist nur ein Instrument der Evolution. Wenn sie das Überleben nicht mehr abzusichern vermag, wird sie obsolet. Deshalb, so das Bekenntnis der Virusforscher, ist das Studium der Viren dermaßen interessant, erst recht das der viralen Parasiten. Parasiten sind vom Standpunkt der Evolution interessant, erst recht jene, die im Zuge ihrer Transformation mehrere Wirte wechseln und darüber hinaus das Genom der Wirte modifizieren, bis hin zu Modifikationen der Gehirnaktivität. Sie schläfern das Gehirn ein. Sie lassen den Wirten den Sinn, den Instinkt für Gefahr verlieren. Menschen, von einem solchen Virus, das Katzen einschläfert, befallen, begehen vermehrt Selbstmord.
Die Frage sogleich: Wo und wie wurde diese Aussage geboren?
Was also treibt uns voran? Und nicht nur uns. Was treibt die Natur voran, bis hin zu den allerkleinsten Lebensformen? Dürfen wir hier von einem "Horrorkabinett" sprechen?
Fragen wir uns selbst, und die Antwort zeigt uns ein schemenhaftes Gesicht. Ein schreckenerregendes.
Ebola
Das Ebola-Virus brach zum ersten Mal 1976 in Afrika aus. Bis Ende 2001 starben knapp 1.000 Personen an ihm, Afrikaner aus dem Busch. Das Virus ist tropikal. Es geht ausschließlich gegen Primaten (Gorilla und Schimpanse) und den Menschen. Seine Mortalitätsquote liegt je nach Virusstamm zwischen 50 und 90%. Hämorraghisches Fieber führt zu inneren Blutungen, vor allem im Magen-Darm-Trakt, der Milz und der Leber. Das Virus vermehrt sich in den Zellen rasant, sosehr, daß es Zellkristalle bildet. Die Inkubationszeit liegt zwischen 2 und 21 Tagen.
Die hohe Mortalität läßt die Virologen in ihren hochtechnischen Speziallabors zu dem Schluß kommen, daß das Virus gegenüber dem Menschen ungenügend angepaßt ist, da es den Menschen, seinen Wirten, von dem es lebt, umbringt. Es gibt in Europa nur zwei Quarantäne-Einrichtungen für Ebola, in Paris und in Berlin. Der Träger des Virus wurde als der Nilflughund identifiziert, mit erhöhter Wahrscheinlichkeit. Ein Tier, das die Einheimischen verzehren, ebenso wie das tropikale Dschungelwildschwein. Eine erfolgreiche Therapie ist nicht bekannt. Das amerikansche und das französische Militär arbeiten mit Hochdruck daran.
Die tödlichste Bedrohung aus dem Reich des Organischen kommt für den Menschen von den kleinsten Wesen. Das sollte uns zu denken geben. Ein unsichtbares Wesen tritt auf und richtet sich gegen die sogenannte Spitze der Evolution. Das Ebola-Virus ist nur mit dem Elektronenmikroskop visuell zu sichten. Ein ehrfurchtgebietender Anblick in einem Hochisolationstank. Die Forscher in Raumanzügen, so wie damals Dustin Hoffmann in "Outbreak", dem ersten – und bis dato einzigen – filmischen Niederschlag des Ebola-Virus durch Hollywood. Der Dramaturgie wegen wird das Virus durch einen Makaken nach Kalifornien eingeschleppt. Der Besitzer des Makaken, ein Matrose, stirbt, und das Verhängnis nimmt seinen Lauf. Wettlauf gegen die Zeit. Ein Dorf wird infiziert. Der Bösewicht, gemimt von Donald Sutherland, ein Brigadier, ordnet die "Endlösung" an. Das Dorf soll durch eine hochthermische Vakuumbombe verdampft werden. Natürlich, das Drama muß kulminieren, das Bombenflugzeug dreht aufs Meer hinaus, der Makake ist in Sicherheit, das Antiserum wird in Windeseile hergestellt, denn Hoffmann ist militärischer Virologe.
Das ist uns bisher erspart geblieben, doch in Colorado gab es vor wenigen Tagen roten Alarm wegen eines eingewanderten Schwarzen mit hohem Fieber.
Als das Virus 1976 ausbrach, war dies ausgerechnet in einer belgischen Missionsstation. Die Schwestern, die mit nicht sterilisierten Nadeln arbeiteten, infizierten die gesamte Station. Alle starben. Die Leichen wurden vom US-Militär verbrannt, die gesamte Station breitflächig eingeäschert. Die berühmte Vakuumbombe. Für Sekunden mehrere tausend Grad.
Der Tod war gesichtslos. Er war unpersönlich. Er traf die Nonnen so wie die Schwarzen. Das gibt zu denken. Eine Naturkatastrophe, die kein "Warum" kennt. Das läßt uns, die Menschen, schaudern. Etwas, das sich unserem "Warum?" entzieht. Doch ich wüßte nur allzu gern die Antwort auf diese Frage.
Das Virus ist ein Menetekel, ein Zeichen an der Wand. Eine Feuerschrift. Mensch, nimm dich in Acht. Der Tod kann Dir näher sein als Du glaubst. Fürchterlich…
Stille Wässer sind tief…
Untiefen. Strudel. Abgründe. "The Devil’s Hole" auf den Bahamas. Diese Nacht. Diese Dunkelheit. Diese Kälte. Diese Einsamkeit. Diese Stille.
Dieses tonnenschwere Leichentuch aus kaltem Wasser. Die Tiefsee.
Die Heimat der geheimnisumwobenen, nichtmenschlichen Kreaturen: Der Riesenkalmar; Pottwal. Kraken, der Riesenoktopus. Doch keines dieser Lebenwesen ist ein Mörder.
Mörder, das sind wir. Und was unsere Heimat ist, das wird sich auch erst noch erweisen. Bestien, das sind wir. Freigesetzt, zügel- und haltlos. Kreaturen, die von Überlichtgeschwindigkeit und Wurmlöchern phantasieren, während wir in einem Gefängnis mit Namen "Planet Erde" vegetieren und schlußendlich nichts Besseres mehr im Sinne haben als diesen Planeten kahlzuscheren, zu verstrahlen und mit Gift zu vermüllen. Ungehemmt. So wie wir uns, allen Sterilisierungsmaßnahmen zum Trotz, ungehemmt vermehren.
Es gab einmal eine 1a-Schriftstellerin, eine Klagenfurterin mit Wohnsitz Rom, sie hieß Ingeborg Bachmann. Eine Epochengestalt. Sie wollte die Zeit – und in gewisser Weise auch den gewöhnlichen Menschen – überwinden. Allein, es gelang ihr nicht. Männer (dazu zählte, unter anderen, Max Frisch, jedoch nicht, glücklicherweise und gepriesen sei er dafür, Thomas Bernhard) und Weltschmerz. Sie war medikamentensüchtig. Sie wollte sterben. Und sie starb, im Bett, verbrannt von einer Zigarette, die ihr das Bett in Brand steckte. Ihr unvollendetes letztes Werk hieß "Todesarten". Das von Bernhard, wiewohl vollendet, wie bekannt, "Auslöschung". Bernhard war von klein auf lungenkrank. Er hatte eine geschwächte Lunge. Er starb an der österreichischen Gasvergiftung. Bernhard liegt in Wien, die Bachmann im biedermännisch-kleingeistigen Klagenfurt.
Todesarten, – man könnte ein solches Epos auch "die Geschichte der Menschheit" taufen. Und wo damit beginnen? Ein Werk, das kein Ende hat. Die Schande ist halt nur, es wird verschwiegen. All dieses Sterben wird verschwiegen. Was alleine interessiert, das ist Action. Sinnlose Action, so wie all diese unerträglichen Spiele-Shows, all diese Seifenopern, all diese Monster-Truck-Undinge. "Wetten, daß…", das sollte das Maß der Unterhaltung werden. Allein, auch hier starb einer der deutschen Glamour-Clowns, die ihre haarsträubenden Kunststücke, wie auch immer verschroben sie anmuten mögen, immer und immer wieder dem satten Publikum darbieten wollen. Bis zum bitteren Ende. Der Tod ist nicht eingeplant. Die Toten sind unwichtig. Das ist das Credo des Faschismus.
Todesarten. Darum geht es mir jetzt. Notwendig. Unheimlich. Gerade deswegen müssen wir uns ihm stellen, – diesem "Todestrieb", wie es Freud nannte. Ein Trieb in uns, der uns zurücktreibt ins Amorphe, ins Gestaltlose. Ins Sprachlose. In die Auslöschung, in den Zerfall zu Staub. Niemand, nicht der größte Verbrecher dann mehr faßbar. Ein Horror die Vorstellung, die Organe eines Hingerichteten würden ausgeweidet. Doch gerade das geschieht. Der Hingerichtete weiß nichts mehr davon. Nichts mehr weiß Lenin von seinem Mausoleum am Roten Platz, noch weiß Hitler, daß sein Schädel verschlossen und verschwiegen irgendwo in Moskau ruht. Die Mehrzahl der geschätzten 23 Milliarden Toten dieses Planeten sind spurlos verschwunden.
Dieses Nichts, mit dem wir tändeln, wie gähnt es uns nur doch an. Und wie kommt es uns näher. Und wir spielen die Gleichgültigen. Auf hoher See gleichermaßen wie in hohen Lüften. Luxusliner wie der A 380 von "Emirates". Christiano Ronaldo nimmt in der First Class der Emirates in 11.000 Metern Höhe eine Dusche und genehmigt sich danach an der Bar einen Drink. Pelé gesellt sich zu ihm hinzu. Die Herren erkennen einander auf den ersten Blick.
"The Maiden of the Sea", das größte Passagierschiff auf allen Meeren. Unsinkbar. Unzerstörbar. Alles, was das Herz begehrt, inklusive Hostessenservice.
Todesarten. Nicht nur für Mediziner ein desillusionierender Gedanke. Wir sollten in uns gehen. Innehalten. Ein Tanz auf dünnem Eis, den wir da jeden Tag vollführen. Fahrlässig. Fahrlässig! Wir lassen jemand anderen fahren. Und der fährt mit unserem Leben. Er rast geradezu mit unserem Leben. Legt sich halsbrecherisch in die Kurve. Reißt vor der Ziellinie das Vorderrad hoch. Wir glauben wirklich, wir könnten uns kleine Nachlässigkeiten erlauben. Wir glauben wirklich, wir hätten alle Zeit für diesen Genuß. Es ist doch bezeichnend, daß wir an der gegebenen Stelle das Wort "Genuß" anstelle von "Freude" verwenden. Sinnlichkeit anstelle der Sinnfindung. Lust statt Freude. Action statt Friede. Schlammbäder unter Gekreische, Frauenboxen statt Anbetung. Anbetung? Zum Kotzen! Zum Kotzen! Schluß mit dieser Rede!
Ich bete meinen Körper an, damit Sie es wissen, mein Herr. Ich gehe mit 52 in Pension und verbringe ab da den Sommer im Bad bei kühlem Bier. ("Papa, sind das Menschen?", fragt das Kind, das zum ersten Mal das Schwimmbad betritt).
Ja, "Todesarten", das ist ein unabschließbares Werk. Ingeborg Bachmann plante es auf drei Bände, wenn ich mich recht entsinne. Die Idee dazu kam ihr in den italienischen Abruzzen, als sie alleine unterwegs war.
Es ist ein Foto von ihr erhalten, sie sitzt vor einem Schachbrett. Das Foto wurde von ihrem Bruder geschossen. Die Bachmann lächelt die Figuren an. Man sieht, sie hat noch nie gespielt. Das war ihr Verhältnis zum Leben. Unschuldig. Das Verhängnis des Todes, es war ihr, so scheint es, unwesentlich. Sie war wie Jeanne d’Arc. Eine Märtyrerin. Sie war tablettensüchtig. Schmerztabletten. Ihre Arme und Hände wurden mit der Zeit unempfindlich. Sie merkte nicht, wenn die Zigarette in ihrer Hand den Finger anschmorte. Sie drückte manchmal die Zigarette am Oberarm aus. Ein Freund, der sie besuchte, fiel aus allen Wolken, als er die Bescherung, diese Verunstaltung bemerkte.
Jeder der 23 Milliarden Gewesenen hatte seine Todesart. Glücklich jene, die einschliefen, im Bett (so wie der unvergeßliche Fred Leuchtenmüller, dem alles, sein gesamtes bisheriges Leben, zum Ende hin unfaßbar wurde, sodaß er im Supermarkt – wie in einer unwillkürlichen, durch und durch ehrlichen Zusammenfassung seiner Lebensverfassung, Unerklärlichkeit, ewiges Mysterium – unwillkürlich ausrufen mußte: "Was ist DAS?" Er meinte das Leben), oder draußen, in der frostigen Schneewächte. Ein endloser Film, seit Urzeiten. Seit vielleicht 50.000 Jahren.
Wer von diesen 7 Milliarden Menschen heute verschwendet heute einen Gedanken daran, wie es in 50.000 Jahren sein wird? 50.000 Jahre, das ist in den Strecken der Erdgeschichte nichts. Wahrlich nichts. Wo also, so fragt der Mensch, wo also steht der Richter?
Wer richtet, wenn nicht wir uns selbst? Wer, wenn nicht wir uns selbst?