Wer haette zu sagen vermocht, unter welchem Stern León, der vom Felde, gezeugt, und unter welchem er geboren wurde. Es war Fruehjahr in den letzten Kriegstagen, der Schnee wich zurueck, die Angerwiesen klatschten noch vom vertauten Weiss, die Maerzenbecher und Schneegloecklein wichen bereits "Haensel und Gretel". Leóns Mutter erkannte einen Soldaten der Besatzungsarmee. Sie taten ihr nichts. Sie stand unter dem Schutz des Galans. Offenkundig musste es ein Offizier gewesen sein. Sie gab sich ihm hin und so zeugten sie ein Kind. Es war eine verzweiflte Liebe, voll der Illusion, unter freiem Himmel, im duftenden Heu. Dann war es gewiss, er musste zurueck, zurueck in die Weiten des Ostens, aus denen er gekommen war, wer weiss, von woher. Er schrieb ihr alles auf, seinen Namen, seine Heimat, auf Kyrillisch, und sie bewahrte es auf, ihren groessten Schatz, bis zu dem Moment, als sie des Kindes unter ihrem Herzen gewahr wurde. Der Geliebte umarmte sie ein letztes Mal und musste fort, kehrt, und er kehrte nie mehr wieder, so wie keiner mehr wiederkehrte, der dieses Land der Verlierer gesehen hatte.

Uns so erblickte im darauffolgenden Herbst, fruehzeitig, León das Licht der Welt, und die Frau taufte ihren Sohn nach dem russischen Dichter. Sie gab den Namen des Vaters bekannt und sie forderte die Taufe, und diese wurde ihr nicht verwehrt. Es war Krieg und sie haette nichts weiter gebraucht, als ins Feldlager der Sieger hinueberzuwandern, sie, die bereits Bekannte, erhobenen Hauptes, und haette dem Kommandanten erklaeren koennen, dieser Bub, der Neugeborene, er ist von euch und traegt den Namen eures Dichters, doch mir verwehrt der Hiesige die Taufe. Es haette nichts weiter gebraucht als dieses, doch soweit kam es nicht, und auch spaeter nicht, als León heranwuchs. Er blieb das einzige Kind seiner Mutter, und seine Mutter erkannte niemanden mehr nach dem Geliebten, dem Russen, der gegangen war. León wuchs unter freiem Himmel auf und ernaehrte sich von den Fruechten der Fluren und der Felder. Er wuchs und wurde kraeftig, etwas erfreute sein Herz. Seine Augen blickten gross, ohne Schreck, doch um die Lippen trug er zeitweilig einen bitteren Ausdruck der Enttaeuschung. Sein Haar war gekraust. Er war ein Junker unter anderen, ein Mann vom Dorf, stattlich und knoechern, der sich selbst in den Pflug einspannte, wenn es drauf ankam, und der den Traktor aus der Runse hievte. Nie geriet er in einen Raufhandel. Er fuehrte seine Zunge, ohne sich kleinkriegen zu lassen, nicht einmal von jenen, die studiert hatten. Er liebte die Diskussion geradezu, wie ein Spiel, um die Argumente seines Gegenuebers zu hoeren und zu verstehen. Dann lachte er und erwiderte, ohne Kleinmut: "Nun, aber sagen wir einmal…", "Sagen wir einmal, was waere wenn…", ja, und dann lachte er, offen oder verschmitzt, und die verheirateten Frauen, bei denen er zu Besuch war, staunten ob seiner unvergaenglichen Freude an der Eroerterung. Dabei politisierte er nie.

León fuhr einen VW, und dann, als er seine Braut kennenlernte, nutzte er ihn erst recht. León wurde nicht Bauer, sondern Auto- und Landmaschinenverkaeufer, schlussendlich Filialleiter. Er lernte seine Braut kennen, und das war sein groesster Wurf. Er lernte sie kennen, als er bereits wusste, von seinem Vater war keine Spur. Er hatte ihn gesucht in der Ukraine, mit seinem VW, und ihn nicht gefunden. Die Leute des angegebenen Dorfes sprachen hinter vorgehaltener Hand. Nein, León, keiner, der bei euch war, ist zurueckgekehrt, es tut uns so leid. Dein Vater, wir erinnern uns vage, er war kein schlechter Kerl. Du musst wissen, hier wurde die ganze Bevoelkerung ausgerottet, von den Totenkopfmuetzen, wir koennen dir nichts sagen. Aber wir sind stolz auf dich! Pass auf dich auf und verlass nie dein Weib!

Leóns Weib war die beste von allen, die er haette finden koennen. Die Tochter eines Dorfvorstehers, seine aelteste, in dessen Garten eine 1000-jaehrige Eiche, von Eisengurten zusammengehalten, stand. Er bekam Wind von der Liebe und murrte sie an, musst Du mir das antun, gerade mit dem, meine Guete, einem Russenbrat, ich weiss schon, alle sagen, er ist schwer in Ordnung, aber bitte, hast du das wirklich noetig. Das sagte er, der schon ins Alter gekommen war, als er mit ihr unter vier Augen im Schlafzimmer stand, und sie, Grete, die Beste im Dorf, die, der keine das Wasser reichen konnte, erwiderte ihm nur eins, weisst Du, Vater, in welcher Partei warst du im Krieg? Bist Du immer noch in der selben Partei? Nur eins, Vater, nur eins, noch ein Wort, und Du wirst deinen Frieden nicht finden, und der Vater, der Weisshaarige, eigentlich guetige und vornehme, fuehlte einen Stich im Herzen, wie eine Vorahnung, und er wandte sich ab, und Monate spaeter gab er seinen Segen, und in der Nacht vor der Trauung rief er seinen Schwiegersohn in die Stube und sagte es kurz, "Verzeih‘, was ich gegen dich sagte. Mein Wort zaehlt nicht mehr, ich bin alt!" Und so umarmte er ihn, den Schwiegersohn, unter Traenen, und wandte sich ab. Ja, und dann feierten sie Hochzeit im Nachbardorf, denn das eigene hatte keinen Gasthof, und dort, auf dem Tanzparkett, wirbelte der Vorsteher des Bezirksdorfes, Nachbar des Brautvaters, angeheitert und enthusiastisch die drallen Damen der Gesellschaft durch die Runde, bis es aus seinem Herzen hervorbrach, wie ist das Leben doch kurz, Freunde, und jede Suende wert. Nimm dir ein Weib zur rechten Zeit und blick nicht mehr zurueck.

Und León kehrte in sein Dorf zurueck, baute mit seiner Frau ein Haus, und seine Frau gebar ihm 4 Maedchen, und beim letzten, als er sie schelmisch angrinste, denn er wusste, Worte eruebrigten sich, sagte sie es ihm, weisst du, ich wollte nicht, dass dein Sohn einmal so leidet wie Du.

Und so erfuellte sich die Zeit und keine Kunde erreichte das Ohr, bis zu dem besagten Tag. Es war Leóns 60.Geburtstag, ein Sonntag. Er ging mit seiner Frau in die Messe, sie sassen dort, wo sie immer sassen. Die Predigt war gesprochen, und das Kirchenvolk erhob sich zum katholischen Glaubensbekenntnis. Es war in diesem Moment, dass Leóns Vater seine Stimme erhob und ihm ins Ohr fluesterte: "Komm zu mir, mein Sohn!" Und León, der vom Felde, der Gute, gehorchte, und er erhob sich, schon nicht mehr Mensch, nur Geist, und ging fort, in einem Augenblick.

Schreibe einen Kommentar

Weitere Artikel