Lauriacum, das heutige Enns, an der Einmuendung der Enns in die Donau gelegen, war das erste Lager der Roemer auf germanischem Boden, noch vor Vindobona, Wien. Lauriacum hatte strategische Bedeutung wegen der Salz- und der Eisenerzgewinnung, aber erst recht wegen der Sicherung der militaerischen Wege entlang des Donautals, dem sie bis in germanisches Herzland folgten. Die Ennsbruecke am Fusse der auf einem Felsen erbauten Stadt war steinern. Spaeter wurde sie durch eine Stahlkonstruktion ersetzt. Am Gebirgsfluss der Enns, die seit alters her als Grenze zwischen den Bundesgebieten Ober- und Niederoesterreich dient, entschieden sich Schicksale. Nach der Okkupierung der ehemaligen Ostmark durch die Rote Armee verhandelten Amerikaner und Russen die Enns als Grenze. Auf der Ennsbruecke entschieden sich Schicksale, wurden nichtsahnende Menschen, deren Gesicht dem jeweiligen Sicherheitsoffizier nicht passte, verhaftet und nach Sibirien verschleppt. In den letzten Tagen des Krieges, als bereits alles in Aufloesung und heller Flucht nach Westen, fort vor der herannahenden Roten Armee mit ihren struppigen Pferdewaegen und wendigen Kleinpanzern, begriffen war, da, in diesen letzten Tagen, als Hitler schon nicht mehr war, knuepften versprengte SS-Trupps immer noch nichtsahnende, veraengstigte Buben im zarten Alter unter 20 an der Ennsbruecke auf. Fahnenflucht. Sie knuepften sie auf im Geifer des allgemeinen Untergangs, irgendein SS-Kommandant, dessen Augen nicht mehr menschlich waren. Sie knuepften sie reihenweise auf, die, die nicht wussten, wie ihnen geschah, in einer Haeme, und zogen dann weiter.

Da kam Florian vorbei, damals bereits 34, er war blutverkrustet von einem Ohrdurchschuss, die Uniform besudelt. Ihn liessen sie passieren. Weiss der Herrgott, ob er noch die Verve zur Schauspielerei hatte und dahintorkelte, sie liessen ihn passieren, ueberall, seit er an der March gerochen hatte, dass es Zeit war, stiften zu gehen. Er begann zu rennen und zu ziehen, ohne Unterlass, Richtung Heimat. Und immer noch gab es damals Bauern, die den desorganisiert Zurueckkehrenden Obdach im Heu und einen Ranzen Brot zusteckten. Florian war muskuloes und untersetzt, ein wilder Kerl. Er sprach nie davon, ob er je auf jemanden angelegt hatte. Schon frueher schon war er dem Tod von der Schippe gesprungen, hatte im Fieberdelirium in der Wintersnacht, als sie ihn auf dem von Ochsen gezogenen Schlitten fort ins Hospital brachten, seiner in der Haustuer fleinenden Gattin zugekeucht, such dir einen Neuen, wenn ich nicht mehr zurueckkehre, und weine nicht um mich, das verbiete ich dir und bin es nicht wert. Er kehrte zurueck und ging zur Eisenbahn, als Heizer. Als Heizer fuhr er dann in den Osten, und wer weiss, welche Transporte seine Lok kreuzten.

An den gebrochenen Blicken der haengengebliebenen Jungspunde schlich er vorbei und kehrte zurueck in seine Heimat, auf seinen Boden, drueben, einen Steinwurf enfernt. Im letzten Abdruck warf er die Unifom weg und wartete, seine Frau und Kinder hatte er bereits im Wiedersehen umarmt, dann in der Au die heranschwappende Welle ab. Und die Roten taten ihm nichts. Er ueberliess ihnen seine Huette mit allem Getier. Sie sahen es seinem Gesicht an, er hatte nie auf einen von ihnen angelegt.

So zwangen sie den heiligen Florian in die Folter, er war bereits Hauptmann, zu gestehen, warum er die gefangen genommenen Christen nicht schlachten wollte, und er gestand es ihnen, unter der Folter. Ich bin einer von ihnen. Ich glaube an den Auferstandenen. Der Kommandant von Lauriacum konnte es nicht glauben, hatte er doch alle Hoffnungen in ihn gesetzt. Florian war der Leiter der gesamten Logistik. Material- und Menschenbewegungen, er fuehrte ueber alles Buch, stahl und betrog nicht. Er war ein loyaler Diener, solange, bis die naechste Welle der Verfolgung heranrollte. Da nahm er den neuen Glauben an, und es dauerte nicht lange, dass er bekennen musste. Noch in der Nacht vor seiner Hinrichtung ermoeglichten ihm seine Freunde, fuer die es einem unvergleichlichen Schelmenstueck gleichkam, sein Leben fuer eine solche Narretei wie dem Glauben an einen vom Tode Auferstanden hinzugeben, dem Kerker zu entkommen. Das Tor war nicht versperrt, ein Pferd zum Untertauchen in den Waeldern bereit, doch er, Florian, trat am naechsten Morgen gleichmuetig seinen letzten Gang an. Einen Muehlstein haengten sie an seinen Hals, ehe sie ihn die Bruecke hinab in das wilde, kalte Wasser warfen. Sein Leichnam wurde nie geborgen. Heute verehren sie ihn als den Schutzpatron der Feuerwehr, gerade in Europa. Florian, unser Haus steht in Flammen! Du Retter in der Not!

Florian wurde spaeter Politiker. 25 Jahre stand er seinem Dorf im Enns-Donau-Winkel als Buergermeister vor. Er lebte weiter in seiner Huette am Mostbach, anspruchslos und zufrieden. Sein Gemuet wurde, solange er in der Politik blieb, nie mehr ruhig. Doch er verteilte sein Erbe gerecht. Dann, beim dritten Streich, ging er, "verlosch" er, wie seine Frau, die ohne ihn nichts mehr war, es ausdrueckte, ehe sie ihm umnachtet nachfolgte. Ins "Nichts", wie er es keck und angstlos einmal bei Gelegenheit formuliert hatte. Von Bigotterie hatte er nie etwas gehalten.

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  1. Florians Sein oder Nichtsein über einem leeren Oster-Grab

    (Sonntag der Heiligen Anna, nach Ostern)

    Florian, der Kleinhäusler und langjährige sozialistische Bürgermeister eines Weilers im Enns-Donau-Winkel, gehört in die Blutslinie. Er ist nicht mehr, und doch, er ist, mehr denn je. Jetzt, gerade oder weil Ostern. Die Lüfte wehen mir sein Bild zu. Vielleicht ergeht es anderen ähnlich. Die Toten reden, – vernehmlich. Grade die Vorfahren. Die Freunde und Nahen. Wollen wir es nicht verharmlosen.

    Es macht mich still, ihn vor mir zu sehen. Er hatte ein ausgeprägtes Gesicht. Eine scharfe Stimme und einen scharfen Blick. Er lachte oft, oder besser, er lächelte, dem Kind freundlich. Er hatte klare Ansichten. Sein Urteil revidierte er nie. Dadurch wurde er zum Reibebaum. Vielleicht suchte er das geradezu. Es gab ihm Charakter und Stil. Er war ein politischer Kämpfer.

    Zuvorderst war er ein Bauernsohn aus dem oberösterreichischen Mühlviertel, einer granitenen Mittelgebirgsregion. Sein Geschlecht war von alters her Naturheiler. Weit über die Grenzen hinaus bekannte Knocheneinrenker, die mit Streckbänken und einrenkenden Hebelgriffen arbeiteten, für die man nicht zimperlich und auf jeden Fall kräftig in den Armen gewachsen sein mußte. Florian war ein unter den Brüdern Nachgeborener, somit mußte er weg vom Hof. Er war gewichtig, knorrig und untersetzt. Ein guter Arbeiter, geschickt mit den Händen. Geschickter als andere. Und ein guter Geher. Ein sehr guter. In der ersten Zeit seiner Arbeitesjugend ging er jeden Tag gut 30 Kilometer, 15 vor und 15 nach der Tagesarbeit. Andere taten es ebenso. So waren die Mühlviertler früher. Sie stand um 3 in der Früh auf und gingen um 9 ins Bett. Schließlich entschied er sich, ins Donautal hinunterzuwandern und so seiner Heimat Lebewohl zu sagen. Unten, an der Donau, fand er Leopoldine, eine Dienstmagd, ein Waisenkind, hübsch anzusehen, von dunklem Teint und pechschwarzem Haar, wie eine Indio-Frau. Was sie dachte, interessierte ihn weniger. Sie sollte sein Schicksal werden.

    Er schwängerte sie außerhalb der Ehe. Das war damals am Land ein gravierender Makel. Doch er verließ sie nicht, und außerdem liebte er sie. Er war ein Mann der Ehre, und das Zeit seines Lebens. So heirateten sie nach der Geburt des Sohnes, den sie Karl tauften, und zogen in eine ärmliche Keusche am Most-Bach. Dort, nachdem alle Kinder geboren worden und das letzte, ein Bub, Erwin mit Namen, nach 2 Jahren wieder gestorben war (seine letzten Worte: "Mutter, wein‘ nicht um mich, ich muß heut‘ noch weit reisen, da brauch‘ ich leichte Schultern"), kamen sie zur Besinnung und fingen eines Tages, beim Betrachten ihres Lebens, zu weinen an. Und die Kinder weinten aus Angst mit. „Es war das einzige Mal, daß ich meinen Vater weinen gesehen habe“, sagt Karl später. Dann kam Hitler und Florian ging zu Bundesbahn. Er wurde Heizer. Den Dienstantritt konnte er nun bereits mit einem Rad zurücklegen, jeden Morgen. Er fuhr die Strecke Kleinreifling-Steyr-St.Valentin-Linz, und er fuhr sie bis spät in den Krieg hinein, immer als Koks-Heizer. Dann erreichte ihn die Einberufung, bereits in den letzten Monaten. Er fuhr mit einer Lok bis in die Ukraine. Dann, im April, löste sich alles auf. Er erzählt, es fiel ein Schuß, der ihn umriß, aus dem Nichts. Er bleibt im Gras liegen, im Schock. Später, nach geraumer Weile, rappelt er sich hoch. Die Uniform blutstrotzend, doch keine Leibeswunde. Die Ohrmuschel durchschossen. Die Wange nicht einmal ein Kratzer. Das Gewehr weg. Sie hatten ihn offenbar gemustert und für tot befunden. So zieht er los gen Westen und geht die Strecke, ohne innezuhalten, bis er an die March gelangt. Er watet durch sie hindurch. Drüben atmet er zum ersten Mal aus. Mich wird niemand mehr töten. Dieser verrückte Hitler, der uns alle hineingeritten hat. Im Weinviertel stecken ihm Bauern einen Ranzen Brot zu, den ersten. Er gelangt an die Donau. Da er nicht schwimmen kann, zieht er hinüber nach Enns. Taumelnd erreicht er dort die Ennsbrücke und überquert sie von Westen her. Der SS-Scharfmacher, der ihn waidwund sieht, läßt ihn ohne Kommentar passieren, während er andere Deserteure des letzten Aufgebotes gnadenlos aufknüpft. So kehrte Florian heim und wurde Sozialist. Er verstand sich mit den Russen. Sie musterten ihn, in seiner Keusche, wo sie schliefen. Wir haben ihn nie gefragt, niemand von uns, auch nicht Karl, sein Sohn, und von der Großmutter hörten wir nie eine Rede, aber an seinem ganzen Wesen war abzulesen, er hatte nie auf einen Menschen angelegt. Es war nie dazu gekommen. Zur Bahn durfte er nicht mehr zurück als Parteigänger, und so ging er zu den Roten, und die dankten es ihm 26 Jahre lang. Der Krieg zerrüttete dennoch die Familie. Florians Wesen änderte sich. Er wurde jähzornig. Die Eheleute entfremdeten sich, und die Kinder, bereits Jugendliche, wurden auf ihre Art verstört. Die Töchter, in ihn verliebt, sahen sich genötigt, die Mutter, die Schwermütige verteidigen zu müssen, und begannen auf ihm herumzuharken, wurde zu wahren Bißgurten, trotz allen Risikos einer Tätlichkeit. Doch dazu ließ sich der Familienvater nie hinreißen. Da litt er lieber. Am Herzen, oder schlich sich von dannen, zu einer Geliebten, die er nicht verheimlichte.

    Florian duldete außerhalb der Familie keine Widerrede, erst recht nicht die politische. Er begann auswärts zu leben. Zuhause, dem Heim der unverstandenen Gattin, grollte er wie ein wütender Hund. Der Krieg holte ihn ein. Hilflos, mit Macht. Die Fratzen des Hasses. Er witterte überall Verrat. Duckmäusertum war ihm das widerlichste. Es ließ ihn geradezu spucken. Er suchte die offene Auseinandersetzung, gerade mit seinen beiden ältesten Töchtern. Die Söhne drehten sich mürrisch weg. Doch ob all der Unbill verrichtete er seine Pflichten wie eine Uhr. Die Morgenmaat mit der Sense um 4.

    Florian hatte seine Weltanschauung, zumindest, was den Krieg und Österreich anging. Er war Sozialist. „Die Russen haben uns befreit, mit ungeheurem Blutzoll. Ich wäre genauso wie Figl nach Moskau gereist, um mit den Russen unsere Freiheit zu verhandeln. Der Hitler hat uns den Krieg vorgeführt. Wenn wir überhaupt etwas vom Krieg gelernt haben, dann darf das doch nur sozialistische Brüderlichkeit sein, grad wegen der menschlichen Ungeheuerlichkeit. Das ist ohnehin nur allzuschwer zu erreichen. Aber das hinterrücks Meucheln, wie es die Amerikaner vorexerzieren, das wird uns noch alle einmal endgültig umbringen. Ich traue den Amerikanern nicht. Und wenn Du mich fragst, gibt es Gott, so sag ich dir ganz klar, nein! Eine Erfindung des Menschen, der damit etwas im Schilde führt. Das Sterben ist der Schlußpunkt. Du fragst mich, was ist danach? Ganz einfach, nichts! Wenn Du mich fragst, warum gehe ich Sonntags in die Kirche, dann merke dir, als Bürgermeister steht man auch in der Kirche in der Pflicht. Und wenn Du mich fragst, warum gehe ich zur Kommunion, dann sage ich dir, es ist Nostalgie. Ich möchte mich mit der Poldl und den Töchtern aussöhnen und bitte IHN dabei um Hilfe, aber ich schaffe es nicht."

    Florian starb beim dritten Herzinfarkt, im Ehebett, dem er nicht entfliehen konnte. Der Opfertod eines Kämpfers in einem Armenhaus. Ein Kreuzritter, der an Überdruß starb. Er ging unwiederbringlich. Er war ein getriebener Heros, dem es um gerechte Pflichterfüllung ging. Er wuße, er war ein Arbeiter. Er schonte sich nie, bis zuletzt. Er lebte das Leben in vollen Zügen, bei Speck und Most und Tarock. Als er ging, ging alles in die Brüche. Seine Frau folgte ihm 7 Jahre später nach, in geistiger Umnachtung, nach Wochen mit wundem Rücken im Ehebett, gegen die ältere Tochter, die aus Wut gegenüber dem Vater zeitlebens eine eiserne Jungfrau bleiben sollte, kratzend und spuckend und ausfällig schreiend. Eine Keusche ohne Zukunft, die zur Ruine verfällt. Doch sein Erbe, ein verwobenes, voll von Getriebenheit, dauert fort. In seinen Kindern und Enkelkindern.

    So wird es einmal sein, wenn wir als 79-Jährige mitten am stillen Nachmittag zur Frau reden: „Ich möchte nochmal zum Grab des Vaters fahren.“ „Warum denn“, antwortet die Frau, „wir waren doch ohnehin grad vorgestern dort.“

    Danke für alles, Großvater. Unersetzbar bist Du!

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