?Alles entgleitet mir. Was mach? ich denn nur?? Ihre dunklen, angsterf?llten Augen leuchteten fragend aus ihrem bleichen Gesicht hervor. ?Den Glauben meiner Kindertage habe ich schon vor langer Zeit verloren, aber geblieben sind Schuldgef?hle, und immer die Angst, etwas falsch zu machen.?

Sie sagte es fast unh?rbar leise, und ihr faltiges Gesicht schien bei diesen Worten verlegen zu l?cheln, so als sch?mte sie sich, ein solches Problem ?berhaupt noch zu haben,- in ihrem Alter! Aber sie litt an ihren Angstanf?llen schon ein Leben lang, und je schw?cher ihr K?rper und je m?der ihr Geist sich f?hlte, desto ohnm?chtiger und wehrloser empfand sie sich gegen?ber ihren religi?sen Zw?ngen.

?Ich komme mir so schlecht vor, wenn ich es tue.?

?Es? ? das war eine Litanei von Gebeten, die sie jeden Morgen f?r alle m?glichen Leute aufzusagen hatte, das war der pflichtm??ige Besuch des ?Me?opfers? in der katholischen Kirche am Ort, das war die Wiedergutmachung all der Minuten, da sie ?unand?chtig? den priesterlichen ?Amtshandlungen? am Altar ?beigewohnt? hatte.

Sollte es dieser bald 80j?hrigen Frau nicht endlich erlaubt sein, einmal des Morgens ohne Angst sich zu erheben und die Glocken im Kirchturm h?ngen zu lassen? Aber wie?

Ich wu?te, da? sie sich angew?hnt hatte, auf ihrem Balkon die Meisen zu f?ttern. Nat?rlich war ihr bekannt, da? die Natursch?tzer davon abrieten: Man verw?hnte die V?gel nur, man brachte das Verh?ltnis unter den Arten durcheinander, man griff in die Aufzucht der Jungtiere ung?nstig ein. Doch all diese Bedenken kamen nicht auf gegen die Freude dieser Frau an dem Anblick ihrer kleinen gelbschwarzen Freunde. Noch vor Sonnenaufgang kamen sie zu ihrem Futterh?uschen, so da? sie oft genug wach wurde gar nicht vom L?uten der Glocken, sondern von den h?mmernden Klopfger?uschen, mit denen die V?gel an den Holzkanten des H?uschens die Schalen der Sonnenblumenkerne und Bucheckern zu ?ffnen versuchten.

?Sollten wir das Beten nicht einfach den V?geln ?berlassen?? fragte ich sie.

?Wie?? Sie schaute mich ungl?ubig an, voller Furcht, f?r ihr so notvolles ?Problem? auch noch verspottet zu werden. Ich aber meinte meine Frage ganz ernst.

?Sie kennen bestimmt ein wenig die Bibel. Wissen Sie, da? es ein Gebet darin gibt, das die Tiere und V?gel auffordert, sie sollten beten zu Gott? Doch, das gibt es, den Psalm 148! Wie w?re es, Sie beten ganz einfach mit den Tieren? Im Grunde tun Sie das doch schon. Sie m?chten sie gl?cklich sehen, und Sie freuen sich, wenn sie gl?cklich sind. Und was f?r ein Gebet k?nnte sch?ner sein als das Gl?ck der Kreaturen??

Gewi?, dieser Frau hatte man als Kommunionkind bereits beigebracht, da? Gott gestreng sei, da? er Opfer und Einschr?nkungen von uns Menschen verlange. Wie aber, es w?re ein weit wahrerer Gottesdienst, dem Beispiel der Tiere zu folgen? Sie opfern nicht, sie besuchen nicht zu besonderen Zeiten besondere Orte, die sie als Tempel und Kirchen bezeichnen, sie sprechen nicht bestimmte Formeln, um fromm zu sein, sie sind nur einfach da, eins mit der Macht, die sie in ihr Dasein rief. Und manchmal, vor lauter Gl?ck, singt es in ihnen. Dann bebt ihr Herz, und dann betet ihre Seele. Wir m??ten?s nur wagen, ein wenig gl?cklich zu sein, und es breitet sich ein Gef?hl der Dankbarkeit ?ber die bl?henden B?sche der Fliederb?ume, ?ber die leuchtenden Bl?tenpyramiden im Bl?tterdach der Kastanien, ?ber die wei?gl?nzenden Stauden der Holunderb?sche ? welch ein ewiger Morgen der Kreatur! Welch eine bes?nftigende, g?tige F?rbitte auch ?ber alles Versagen und ?ber alle m?gliche Schuld! Das fr?hliche Gezwitscher der Meisen k?nnte dieser Frau helfen, sich tiefer geborgen zu f?hlen als in dem vergeblichen Flehen ihrer angsterf?llten Kirchengebete.

Eugen Drewermann 1998

0 Antworten

  1. Liebe® Aisha!

    Ihre Gedankenkraft ist bemerkenswert! Manchmal geistern einem seltsame Gedanken und eine Vielzahl von Personen der Vergangenheit durch den Kopf, nicht? So wie Eugen Drewermann. Und wie leicht macht einen das froehliche Gezwitscher der gefiederten Boten, denen der ganze Himmel gehoert, sogar noch im Sturm. Sie selbst, aisha, scheinen auch zu den gesegneten Boten zu zaehlen.

    Herzliche Wochenendgruesse in ihr Deutschland!

  2. Gebt Euren Kindern schoene Namen,

    darin ein Beispiel nachzuahmen,

    ein Muster vorzuhalten sei.

    Sie werden leichter es vollbringen,

    sich gute Namen zu erringen,

    denn Gutes wohnt dem Schoenen bei.

    Friedrich Rueckert

    Auch Ihnen, lieber Dr. Himmelbauer, eine beschenkte Zeit.

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