Die Sehnsucht h?lt an – Erinnerungen an eine Reise
Coco blickt neugierig in die Welt. In Viejos ?ppigem Haarschopf hat es sich sein neues Nest gebaut. Und Viejo tr?gt es geduldig durch die Gegend. Eine bessere Adoptivmutter konnte das kleine Affenbaby nicht finden. Viejo, obwohl erst Ende 30 von allen ?der Alte? genannt, ist eine Seele von Mensch, komponiert wunderbare Lieder f?r die Heilungsrituale, unterst?tzt uns, wo er kann und tritt allm?hlich in die Fu?stapfen Don Agustins, seines gro?en Vaters. Noch wartet der Sohn auf dessen Segen. Ich w?nsche ihm seine Liebe.
Und Cocos Mutter? Hm. An Gringos verkauft oder ?ber ihrem Baby weggeschossen, geh?utet und verspeist. Es wird gepl?ndert, gejagt und wild gerodet um Yushintaita und Otorongo. In den N?chten lauschten wir vergebens dem Gebr?ll des Jaguars, der Otorongo seinen Namen gab. Er wei?, wer sein gr??ter Feind ist. Daf?r h?rten wir tags?ber Sch?sse oder das berstende Krachen alter Urwaldriesen, die chancenlos zu Boden st?rzten, um zu l?cherlicher Holzkohle verkokelt zu werden. Affen und Boas, Oppossums oder Vogelspinnen an Souveniersammler verkauft, erschossen und gek?pft, pr?pariert f?r das Handgep?ck, verspeist und ausgelassen. Wir finden sie wieder in Belen, dem gr??ten Heilpflanzenmarkt Perus, inmitten des Armenviertels von Iquitos, wo wir unsere Brustbeutel und Armbanduhren noch zugriffssicherer verstauen als sonst, eingedost als Boafett f?r schmerzende Glieder, den abgehackten Kopf im Spiritusglas gleich ein Regal h?her, die Vogelspinne aufgespannt im Doppelglastr?ger f?r 15 Dollar.
Auch das ist eine Realit?t von Yushintaita und Otorongo und der gro?en Landzone im Besitze von Agustin, die sie verbindet, dass sie sich gerade deshalb als Reservate verstehen, als ?kologische und spirituelle Oasen, als Widerstandscamps gegen Raubbau und Misshandlung der Natur, so gering der Einfluss Don Agustins ?ber die Z?une der Niederlassungen hinaus leider auch ist..
Wer das Elend im Lande sah, die verfallenen H?tten am faulig stinkenden Bootssteg in Iquitos, die Armut, die in Tamshiyacu aus allen Poren kriecht, kann denen nicht mehr b?se sein, die f?r eine Handvoll Dollar ein Affenweibchen jagen. Man ist eher motiviert, die Projekte von Don Agustin und Wolfgang Himmelbauer zu unterst?tzten.
Als unser langsamer Holzkahn in Tamshiyacu eintrifft, st?rmt ein Heer von Kindern und Frauen auf uns zu. Das Gep?ck wird uns aus den H?nden gefleht. Ein, zwei Soles f?r das Tragen zum Camp, oft die einzige Einnahme f?r eine Familie in Tagen. Die Rucks?cke auf den R?cken der Frauen sind uns peinlich. Soviel unwidersprochenes Patriarchat ist gew?hnungsbed?rftig.
Es schmerzt, die schweren Rucks?cke auf den R?cken der Kinder zu sehen. Den Rucksack behalten, unm?glich, ja unverst?ndlich. Ein Kind an jeder Hand, an uns geschmiegt, mein Gott, soviel Vertrauen, soviel offen gezeigte Sehnsucht nach Zuwendung kenne ich kaum mehr aus dem Land, aus dem ich komme. Manchen von uns brennen die Augen. Das Gewissen meldet sich, Erz?hlungen ?ber die Ausbeutung und Ausrottung der einheimischen Bev?lkerung seit der Zeit der spanischen Eroberer und der ?ra der Kautschukbarone Anfang des 20. Jahrhunderts tauchen auf. Jetzt beuten US-amerikanische Firmen und die internationale Pharmalobby die Sch?tze des Regenwaldes aus, der globale Naturheilkunde ? Boom f?hrt bereits zur rapiden Verknappung von Heilpflanzen aus der gr?nen Apotheke ?der Selva?, bedroht Pflanzenarten, es kann kaum noch nachwachsen, was gerodet wird, die Nachfrage gef?hrdet den Heilpflanzenbestand wie Brandrohdung. Eine Pharmafirma aus den USA hat Ayahuasca unter Lizenz gestellt. Eines Tages werden die Schamanen Lizenzgeb?hren abf?hren m?ssen, wenn sie ihren Meistertrank verabreichen.
?Tja aber ohne Euch kommt kein Geld in Gegend,? sagen sie, ?Ohne uns w?ren die gro?artigen Schul- und Kulturprojekte Don Agustins nicht entstanden.? sagen wir, haben recht, mildern aber eigentlich nur unsere Schuldgef?hle.
Wir werden zu einer berechenbaren Geldquelle.
Auch das ist eine Realit?t von Yushintaita und Otorongo.
Der Himmel hat sich verd?stert, dunkelgrau und violett t?rmen sich die Wolkenhaufen in den schw?lhei?en Amazonashimmel, der erste Gewitterregen prasselt auf die Kolonne herab. Gewitter ?ber dem Regenwald, wir werden ihn noch oft erleben, befreiend und gewaltig. Manchmal bebt die Erde wie zur Zeit ihrer Entstehung.
Endlich am Ziel.
Jemand von uns prellt die Kinder um ihren Lohn. Sie trugen die Lasten umsonst.
Das ist eine Realit?t von uns, Kolonnialherrnall?ren! Einer anderer, der es mitgekriegt hat, steckt den Kindern betroffen die M?nzen in die Tasche. Trotzdem finde ich uns zum Kotzen.
Yushintaita das kleine Paradies in der gr?nen H?lle, die uns 2 Wochen sp?ter in Otorongo noch viel rauer auf den Leib r?cken wird. Die Camps. Das sind Momentaufnahmen, die mir noch nach Monaten durch die Erinnerung schweben: das laute Dr?hnen des Regenwaldes, Dutzende Br?llaffen, Hunderte Vogelstimmen gleichzeitig, Millionen von Grillen, einfallende schwarze Sturzkampfbomberstaffeln von Moskoitos wie Zahnarztbohrer um die Ohren kreisend p?nktlich um 18 Uhr zum Sonnenuntergang, sich unbarmherzig durch 2 Lagen Kleidung bohrend, unter der bei Dampfsaunaklima die ewigen Schwei?b?che rinnen, nasse T-shirts am Tage, klamm-feuchte Laken bei Nacht, handtellergro?e Urwaldspinnen auf dem Moskitonetz, darunter die allabendliche Prozedur, den Aussatz unz?hliger M?ckenattacken mit Teebaum?l zu bes?nftigen, Flederm?use im Pr?zisionsflug durch den Schlafraum, unidentifizierbares Geraschel im Palmblattdach, Legionen von Kakerlaken im Lichtkegel der Stirnlampe beim abendlichen Z?hneputzen am Waschplatz, ?berw?ltigende Sternenhimmel prangend von noch nie entdeckten Sternenbildern, die besten Ananasspalten meines Lebens mit einem Aroma wie Parf?m vermengt mit dem ?tzenden Latrinengestank, der sich in der dumpfbr?tenden Hitze des aufsteigenden Mittags ?ber dem Camp auszubreiten beginnt, opulent beladene Tische mit allen K?stlichkeiten von Garten Eden, Bratfischen mit Bergen von Reis, Yukkawurzeln, Schildkr?teneiern und Papaja schon zum Fr?hst?ck, Schokotorte zu Don Agustins Geburtstag, in der Welt der praktizierten Magie wohl eher gezaubert von den unerm?dlich flei?igen Frauen aus dem Dorfe als redlich gebacken, der herbe Rauch des schwarzen Urwaldtabaks, dem Mapacho, aus den wundervoll in Tamshiyacu geschnitzten Indiopfeifen, die wir uns Mittags nach dem Kaffee beim Schreiben unserer Tageb?cher schmecken lassen. Selbst ein passionierter Nichtraucher wie ich, verf?hrt von dem sympathischen Zauberlehrling und Zwillingsbruder von Indiana Jones, Wolfgang Himmelbauer ? wie zutreffend doch der Nachname, wenn man seinen 5 st?ckigen Tempel in Otorongo sieht – f?ngt an zu qualmen, wer vor hatte, zu fasten wird schwach, haut rein, was das zeug h?lt, selbst Vegetarier machen nicht mehr halt vor den knusprigen Bratenst?cken eines Oppossums. Dass mir das zuhause ja niemand erz?hlt!
Wir kommen den elementaren Kr?ften der Natur immer n?her, auch unserer eigenen archaischen Verfassung. Sich von zivilisatorischer Scham zu befreien, hat etwas elementar Entlastendes. Verzicht auf Sp?lklosetts zu Gunsten langer Reihen von Latrinen, nicht mehr nach Geschlechtern getrennt, das befreiende Erbrechen in die Plastiknachtt?pfe zwischen unseren Beinen w?hrend der Zeremonien, nicht mehr dar?ber nachzudenken, was wohl die anderen denken, nackt im Schlamm, nackt im kleinen See, nackt im Regen. Wir werden ein bisschen mehr Teil der Natur, kommen uns, unserem K?rper n?her, wohl eine wichtige Voraussetzung, um die geistigen und vision?ren R?ume der alten Meisterpflanzen zu betreten. Niemand wei? das besser als Don Agustin, der braun gegerbte Meistermagier des Lichts, selbst zum Baum geworden, den er im stillen Gebet umarmt. Nach der Einnahme von Oje, der wei?en Latexmilch wissen wir, warum Don Agustin die Geister aller Himmelsrichtungen bat, dass niemand in den kommenden Stunden sterben m?ge. Einen Tag lang wandelten wir als explodierende Verdauungstrakte an der finsteren Grenze. Die Reinigung war durchschlagend in beide Richtungen, Helden gab es keine mehr. Am Tage darauf f?hlte ich mich porentief rein.
Der Baum, der nicht in der Erde verwurzelt ist, hat keine Chance in den Himmel zu wachsen. Die Vorbereitung auf den Mittelpunkt des Aufenthalts, die Zeremonien bei Don Agustin und sp?ter in Otorongo bei Wolfgang, l?uft viel ?ber den K?rper.
Don Agustins Meisterpflanze ist Medizin, keine Droge, man kann von ihr nicht abh?ngig werden. Auch die Kinder trinken ihren Saft. In der brasilianischen Santo Daime Kirche wird sie ausgeschenkt statt Rotwein. Auch Jesus soll sie mit seinen J?ngern zum Abendmahl getrunken haben, meint Don Agustin.
Wir erfahren viel ?ber ihre Geschwister. Don Agustin setzte die verschiedensten Varianten an, die auch bestimmte Eigennamen tragen wie etwa ?das Goldene? oder ?das Liebliche? oder ?das Milde?, je nach dem Prozess der Gruppe. Die Seele der Meisterpflanze und ihre Wirkungsweise h?ngt von der Art der Herstellung ab, der Beimischung an Zusatzsubstanzen, die die eigentlichen Visions?ffner sind. Der Lianensaft selbst ist nur das Transportmedium, entscheidend aber wird sie gepr?gt von der spirituellen Entwicklung des Zauberkochs, der sich w?hrend der Tage der Zubereitung einer bestimmten Di?t unterziehen muss und sich der praktizierten Sexualit?t enthalten.
Auf den Ablauf der Zeremonien m?chte ich nicht genauer eingehen, um das Geheimnis und das Mysterium der wundersamen N?chte in den feierlichen Tempeln von Yushintaita und Otorongo zu sch?tzen. Die Erfahrungen, die von den Einzelnen gemacht werden, sind allerdings unterschiedlich. Manchmal kommen mir Beschreibungen in Literatur und Reiseprospekten sehr romantisierend vor. Um es klipp und klar zu sagen: Nicht jeder hat ?berw?ltigende religi?se Visionen. Nicht jeder schaut Gott und reist in das Land der Toten. Manche w?nschten sich die Visionen sehnlichst, erlebten aber ausschlie?lich eine Blackbox. Stundenlange Schw?rze ohne Bilder, ohne innere Stimme, ohne Entdeckung, ohne Information, ohne weiterf?hrende Exploration des seelischen Innenraums oder der eigenen spirituellen Reichweite. Sie haben wirklich nur Erbrechen wie Presswehen, aber geb?ren sich nicht, massive Durchf?lle, Schwindel und Gangst?rungen wie ein Matrose auf Achterdeck bei Windst?rke 9, bis schlie?lich nach 4, 6 oder 8 Stunden die Wirkung abflaut.
Auch das ist eine Realit?t von Yushintaita und Otorongo.
Dass das kein Zuckerlecken ist, kann man sich vorstellen. ?brigens auch f?r die nicht, die sehr intensive Erfahrungen machen. Der Prozess ist anstrengend. Wer keine Visionen hat, hat sie deshalb nicht, weil sich sein Ich unbewusst noch zu schwach f?hlt, um zu sehen, was sein bewusstes Ich gerne sehen m?chte und von daher besteht ein unbewusstes tieferes ?Nein!!!? Der Pflanzengeist richtet sich danach. Von ihm bekommt man das, was man ehrlicherweise will. Man kann auch nur einen oberfl?chigen Farbtrip buchen, wenn man nichts anderes m?chte, als auf den Wellen bunter Tr?ume dahinzut?nzeln. Wer einen wirklichen Durchbruch m?chte und eine faktische Begegnung mit der geistigen Welt oder seelischen Tiefenstrukturen, der bekommt sie auch.
Er muss ihn allerdings auch aushalten. Nach schamanischem Gesetz kommt man nur durch den Tod zum Leben, die Reise durch die Nacht f?hrt ans Licht. Kurzum den eigenen Schatten im Spiegel der gro?en Madre zu entdecken und das m?hsam verdr?ngte Elend, das die Seele ein paar Jahrzehnte in ihren Panzerschrank eingeschossen hatte, ersch?ttert und g?tig in den Arm zu nehmen, das ist die Heldenreise, die geboten wird. Madre ist g?tig, selbst der kaprizi?se Chullachaqui wird vom Verf?hrer zum F?hrer, wenn er redliches Bem?hen sp?rt.
Schamanen sind aber keine Psychotherapeuten. Nicht selten ist die Frustration gro?, wenn die Erfahrungen der Zeremonialn?chte am n?chsten Tag mit Don Agustin besprochen werden. Viele erwarten eine Deutung ihrer Visionen nach westlich psychoanalytischem Modell, so ?hnlich wie der Psychoanalytiker Tr?ume bearbeitet. Dies findet nicht statt. Es liegt nicht an der Weigerung Agustins oder dass er damit nichts anzufangen w?sste. Es liegt an einem v?llig anderen Welt- und Prozessverst?ndnis. Don Agustin versteht die Bilder der Visionen konkret. Er versteht sie nicht symbolisch. Die vision?re Verschmelzung mit dem mythologischen Jaguar, ist f?r ihn kein Symbol, das wir deuten m?ssten, wie ein Traumsymbol. Es bedeutet nicht die Verschmelzung mit unserem vitalen Selbstkern oder so etwas ?hnliches. F?r Agustin und die Schamanen wohl der ganzen Welt, sind die Erfahrungen, das was sie sind, eine tats?chliche und reale Verwandlung in ein Tier. Mit den Kr?ften dieses Tieres werden neue Erfahrungen gesammelt oder neue Kr?fte gewonnen. Mit ihnen macht man Exkursionen in eine andere Welt, trifft dort b?se Geister, holt verlorene Seelenteile zur?ck oder ist in der Macht, Krankheiten zu heilen.
Manche f?hlten sich deswegen kontinuierlich frustriert, weil sie nur in die Blackbox guckten oder ihre Visionen nicht verstanden. Unabh?ngig davon, ob man sie unbedingt verstehen m?chte, wirken sie dennoch. Heilung geschieht, auch, wenn wir sie nicht begreifen. Tr?ume haben eine wichtige regulative und heilende Funktion, etwa der kontinuierlichen Konfliktverarbeitung, auch wenn wir uns an sie ?berhaupt nicht erinnern, obwohl wir jede Nacht etwa 80 Minuten tr?umen. Selbst wenn wir uns an die Tr?ume erinnern, aber sie nicht verstehen, wirken sie dennoch, weil sie ihre psychische Funktion erf?llen. So ist es auf der geistigen Ebene mit dem Wirken der viele Tausend Jahre alten Meisterpflanze. Sie erf?llt ihre Funktion, auch wenn wir ihre Bilderwelt nicht verstehen, ihr Wirken nicht f?hlen, die ablaufenden Prozesse exotisch oder fremdartig finden, sie wirken trotzdem. Manchmal kommen die Visionen nach Wochen der R?ckkehr oder die gr?ne Christusenergie erscheint in unseren Tr?umen. Wir f?hlen uns k?rperlich angenehm ver?ndert, psychisch gewandelt, zuhause waren wir alle nicht mehr ?die Alten?.
Einige sagten dennoch, ?nie wieder!?, ich aber werde wiederkommen. Amazonien kann einen sehr sehns?chtig machen und Chullachaqui, der Herr des Regenwaldes, ruft durch die ganze Welt.
Dr. med. Dieter Katterle
Psychiater und Psychoanalytiker
Theodorstr.5
D- 90489 N?rnberg