Am 4.Juni 1938 fluechtet der Begruender der klassischen Seelenforschung, Sigmund Freud, aus seiner langjaehrigen Heimatstadt Wien und emigriert in den Londoner Stadtteil Hampstead. Es gelingt ihm nicht, seine 5 Schwestern von den Nazis freizukaufen. Vier von ihnen – Rosa, Mitzi, Dolfi und Paula – bleiben zurueck und werden spaeter im KZ Dachau ermordet. Die Last von Freuds Nemesis der letzten Tage kann nur angedacht werden. Die Schriftzeugnisse, so es sie gibt, liegen in der Kongressbibliothek von Washington unter Verschluss. 23 Tage, nachdem der Volkssender verkuendet, ab heute werde in Polen zurueckgeschossen, stirbt Freud an einer von seinem Freund Max Schur verabreichten Morphiumdosis den Euthanasietod, – Erloesung von einem 17 Jahre andauernden Gaumenkrebs-Leiden.

Wir haben keine Zeugnisse in der Hand, wie sich der Arzt ueber das vor den Augen der Welt entfaltende Schmierenstueck eines verwahrlosten Psychopathen aeusserte. Richard Erdoes, Austro-Magyar und ebenfalls nach England gefluechteter Kuenstler, spaeter Gefaehrte und Biograph der Lakota-Indios in der Pineridge-Reservation, schreibt in seinen Erinnerungen, dass er zuletzt, als ihm die Gestapo bereits dicht auf den Fersen war und ihn wie einen Hasen durch die Gemeindebauten des 15.Bezirks jagte, er in eine vom Fuehrer hoechstselbst vorgenommene Denkmalenthuellung platzte, und sich schlussendlich eines Lachanfalls nicht mehr erwehren konnte, geistesgegenwaertig genug, ihn als hysterisches Weinen zu maskieren, und einzelne Zuhoerer in sein Zucken einfallen, hingegeben den Worten des auf- und abspringenden Gespenstes. Und wie er sich wunderte, dass in der europaeischen Presse keine Wortspende zu finden war, die dieses Schmierenstueck beim Namen genannt haette.

Auch Freud tat dies nicht, zumindest wissen wir es noch nicht. Er veroeffentlichte sein letztes Buch, „Der Mann Moses und die monotheistischen Religionen“. Kritik an der Neurose in der Religion. Freud war da ein Bilderstuermer, wie Anselm Feuerbach, sein diesbezuegliches Vorbild. Aber warum, fragt man sich, ein solches Buch, und nicht ein Begleittext von „Masse und Macht“? Eine Warnung vor einem entsprungenen Irren, einem ausgeschluepften Teufelsei?

Es war eine Nemesis unter Qualen, und er wird gewusst haben, die Familie vergeht. Er geht den Schwestern vor. Die SS trug bereits den Totenkopf auf der Schirmmuetze. Freud war ein Kulturheros, ein Erbe der deutschen Dichtung, ein skeptischer Universalist im Ansatz, ein atheistischer Wissenschafter mit Phantasie. Er erlaubte sich keinen Ausritt, nicht mehr, vielleicht wegen der vielen Zerruettungen mit seinen Kollegen. Aber er hatte die Klaviatur fuer Jahrzehnte vorgegeben und so blieb es noch nach seinem Tod. Es war die komplette Pandemie Europas, unter dem Ochsenziemer eines Speichelspuckenden, dem der Irrsinn aus den Augen bleckte und der sich abends, in der Reichskanzlei, mit Schauspielerinnen in sexuellen Perversionen erging, die der Psychoanalyse die Luft abdrehen wollte.

Die Psychoanalyse hatte nie einen leichten Stand, weil sie so dermassen verunsichert. Erst recht nicht in der alten Heimat, Wien. Einen Steinwurf von Berggasse 19 entfernt, stilisierten sich die Inhaber der diversen psychologischen Lehrstuehle bis hinauf in die 90er zu Verfechtern der Statistik – des Masseprinzips -, und in der Medizin hausten ueberlebende Federfuehrer der nazistischen Euthanasieprogramme.

Der juedische Architekt, den sie in Auschwitz befreiten, Simon Wiesenthal, der „unablaessige Nazi-Jaeger“, wie sie ihn abstempelten, ihn verunglimpften sie in dieser Stadt ein Leben lang. „Die Erinnerung darf nie sterben“, das hatte er sich bei der Befreiung geschworen. Der juedische Bundesklanzler, besonders in der arabischen Welt geachtet, ein Schwedenfluechtling er, er machte einen Bogen um Wiesenthal. Anders Viktor Frankl, der Begruender der „Logotherapie“, und anerkannt in San Diego, aber nicht daheim, er schrieb „Arzt in Auschwitz“. Sie mochten ihn nicht allzu sehr. Ein Zeitzeuge, der zuviel redete.

Ganz anders redete einer aus Bad Goisern, mit Wolfsmilch gesaeugt er. Er redet bis auf den heutigen Tag, doch hat er keine Freunde mehr. In Kaernten moegen sie ihn, haben ihn zum „Landeshauptmann“ gekuert, und mit dem Plazet der Dortigen darf er Schildbuergerstreiche vollfuehren und deutsch-slowenische Ortstafeln aushebeln. In den Irak darf er reisen und mit dem Diktator Tee trinken, als Gastgeschenk ein Steyrer Mannlicher, der Diktator selbst im Steirerjanker und mit Gamsbart am Filzhut.

Das Schlangenei wird in den miefigen, von Angst durchsetzten Gymnasien ausgebruetet. In jenen, wo sich der Lehrkoerper dem Kind vollkommen unverstaendlich stilisiert. Sexuelle Kompensationen. In Anstalten, aus denen Dahergeschwemmte nach zwei Jahren ausgeschieden werden, und nie finden sie das Heil im Ohr eines Freundes, der ihnen zuhoert. Sie hegen Traeume von Malerkarrieren, alles zerplatzt. Sie leben in Obdachlosenheimen und unter Bruecken. Jahre spaeter traeumen sie, sie kehren zurueck, eines Nachts, in die menschenleere Anstalt, die Baenke stehen alle am Kopf. Draussen tobt die Sturmnacht, die Wolken unter dem Vollmond treiben dahin. Die Jagdstaffeln steigen hoch, manche schaffen es nicht. Die Haeuserschluchten hallen wider vom schrillen Kreischen der Turbinen, dann wird es still, bis schliesslich, nach den Sekunden der Erwartung, oben, in 10 Kilometer Hoehe, der Donner bricht und die Sonnenglast aus dem Giftei spritzt. Die Psychoanalyse, die ehrliche, da schon laengst im Grab, oder in religioeser Versenkung. Wer weiss?

(Mit Gruss nach Nuernberg.)

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