Die Zeremonie und was dann?

Liebe Freunde und Freundinnen von Otorongo, Yushintaita, der Medizin und dieser Website.

Vor einigen Tagen, einer Woche etwa schrieb ich einen Artikel zu dem obigen Thema und sandte ihn ab, dachte ich, doch Technik ist nur gut, solange sie funktioniert.

In dem Fall klappte wohl etwas nicht, jedenfalls kam mein Artikel nie an.

Also gut, Zweitauflage, zweiter Versuch.

Seit nunmehr drei Jahren habe ich das Geschenk erfahren, mich an Zeremonien beteiligen zu dürfen.

Dafür hatte und habe ich gute Gründe.

Zunächst 2006 eine Reise nach Peru, zu Don Agustin um dort zu kämpfen für die Heilung einer schweren Erkrankung.

Dannach, reich beschenkt, noch zweimal in Europa. Einmal mit Don Agustin, einmal mit Dr. Himmelbauer.

Für mich waren diese Zeremonien vor allem natürlich in Peru eine Offenbarung die mich einerseits zerlegte und auseinander nahm, andererseits immer wieder Quellen der Kraft.

Dabei habe ich eine Erfahrung machen müssen, die sich bisher nach jeder Zeremonie wiederholte.

Innerhalb und während der Zeremonie ein grosses Gefühl von Schutz und beschützt werden und sich selber schützen können und vor allem in den ersten Tagen nach der Zeremonie das genaue Gegenteil.

Was meine ich damit?

Vor jeder Zeremonie wird auf zwei Erfahrungen deutlich hingewiesen. Zum einen, das die Zeremonie jedesmal neu und anders ist und zum zweiten, das die Medizin nach Einnahme noch ein Jahr wirkt.

Was genau heisst das? Diese Aussage ist nebulös.

Ich möchte meine eigenen Erfahrungen hier etwas darstellen, teilen und gerne auch in offener Diskussion die Erfahrungen anderer hören.

Zeremonie 1,2,3 nach Peru. Voller Kraft und Zuversicht kehrte ich zurück, wurde sofort innerhalb 24 Std in meiner Firma massivst angegriffen und war 4 Wochen später meine Stelle los. Agustin hatte darauf hingewiesen, das wir bei unserer Rückkehr mit starken Aggressionen rechnen müssen. Tja, bloss wie mit denen dann umgehen?

Zeremonie 4, mit Don Agustin in Europa. Unmittelbar nach Zeremonie wurde ich für vier Wochen krank.

Ein grosser Reinigungsprozess, bloss wer kann sich 4 Wochen krank leisten bei einem neuen Arbeitsplatz?

Zeremonie 5, Dr. Himmelbauer. Unmittelbar nach dem Wochenende kamen alte unerledigte Geschichten hoch und führten zu heftigsten Konflikten im privaten Umfeld. Im Endergebnis mit positiven Ergebnissen,

doch mehr als turbulent.

Was also kann geschehen in der Zeit nach der Zeremonie? Vielleicht will man plötzlich eine Stelle kündigen, ein neues Leben anfangen, alte Gleise ganz schnell verlassen.

Doch Vorsicht!!! Vielleicht geht es auch nur darum, sich das was dann kommt, erstmal nur im Spiegel anzusehen, Schauen, aha, das bist du, interessannt.

Ich habe feststellen müssen, das einige der wichtigsten Qualitäten in der ersten Zeit nach einer Zeremonie Achtsamkeit, Geduld, Mitgefühl gerade auch für sich selbst und für die Anderen, sowie Weisheit sind.

Letztere hat mir nach den Zeremonien oft gefehlt und zu nicht gewünschtzen Veränderungen in meinem Leben geführt.

Nun könnte Mensch zurecht foilgendes antworten.

Erstens, diese Qualitäten sind immer im Alltag notwendig, zweitens das Leben ändern wolltest du doch .

Beides wäre richtig.

Dennoch möchte ich alle einladen, gerade die ersten Tage nach der Zeremonie besonders auf sich zu achten und obige Qualitäten anzuwenden.

einfach aus eigener leidvoller Erfahrung heraus.

Vielleicht ist diese Erfahrung ja auch nur meine und für andere stellt sich dieses Thema gar nicht. Neugierig bin ich jedenfalls über eure Erfahrungen und eventuelle Antworten.

Euch allen stärkende und schützende Zeremonien

Herzensgrüsse von Munawir

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  1. Das Ayahuasca-Opfermahl

    Christlicher und häretischer Schamanismus

    „Jesus sagt: „Das ist der neue Bund in meinem Blut.“ … Mein Blut, das heißt, das bin ich selber. Er selber stiftet den neuen Bund, und er ist selber dieser neue Bund. Es gibt nur eine Stelle im Alten Testament, wo ein Mensch „Bund“ genannt wird, wir lesen sie jedes Jahr am Karfreitag: der große Text im Buch Jesaja, das vierte Lied über den Gottesknecht (Kap.52-53). Von diesem Gottesknecht heißt es schon etwas früher beim Propheten: „Ich, der Herr, habe dich aus Gerechtigkeit gerufen, ich fasse dich an der Hand. Ich habe dich geschaffen und dazu bestimmt, der Bund für mein Volk und das Licht für die Völker zu sein.“ (42,6). Der Gottesknecht ist der Bund in Person.

    Was hat Jesus sozusagen im Ohr und im Herzen gehabt, als er diese geheimnisvollen Worte über Brot und Wein gesprochen hat? Wir dürfen annehmen, daß es vor allem diese rätselhaften Worte über den Gottesknecht waren. Im vierten Gottesknechtslied heißt es: Der Gottesknecht wird „von Leiden zermalmt“. Der Gottesknecht hat sein Leben hingegeben. Dort steht auch das Wort, das für die Messe so wichtig geworden ist: Er gab sein Leben hin als Sühneopfer. Dann heißt es von ihm: „Er trug die Sünden der Vielen.“ – Wir kennen das: „Lamm Gottes, du nimmst hinweg die Sünde der Welt.“ – „Er trat fürbittend für die Sünder ein.“ „Er hat sein Leben in den Tod gegeben“ (53, 10.12). Das alles steht schon beim Propheten Jesaja. Wenn wir zusammenschauen, was aus dem Alten Testament bei dem Wort, das Jesus über den Becher spricht, mitklingt, zeigt sich: Er selber ist der Bund, der jetzt in seinem Blut geschlossen wird, das er für uns, für die Vielen hingibt.

    Ist das symbolisch zu verstehen, oder ganz real? Eine kleine Bemerkung beim Evangelisten Markus macht stutzig. Dort heißt es: Jesus reichte ihnen den Becher und „alle tranken daraus“ (14,23). Warum sagt er das eigens? Er tut es, weil das Juden sind. Für einen gläubigen Juden, der von den ersten Seiten der Bibel an weiß, daß man Blut nicht trinken darf, ist das ungeheuer schwer. Das Blut ist heilig. Das Blut ist das Leben. Das Blutverbot gehört zu den strengsten des Alten Bundes. Blutgenuß ist ein Frevel. Wir verstehen, daß es gar nicht selbstverständlich war, dieses Wort anzunehmen.

    Manchmal denke ich mir: Wie geht es Menschen, die in den Dom hereinkommen, vielleicht noch nie an einer Messe teilgenommen haben, dann dieses Wort hören: „Das ist der neue Bund in meinem Blut.“ Man trinkt daraus. „Blut Christi“ wird dazu gesagt. Man versteht, daß dann manche davor zurückschrecken und sagen: Das kann doch nicht wörtlich gemeint sein. Man kann doch nicht Blut trinken.

    Wenn wir schauen, wie die Menschen in der frühen Zeit darauf reagiert haben, stellen wir drei Reaktionen fest: Die jüdische Reaktion finden wir klar ausgedrückt im Johannesevangelium, als Jesus noch in Galiläa, in Kafarnaum davon spricht, daß er selber „das Brot des Lebens“ ist, und hinzufügt: „Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, der bleibt in mir, und ich bleibe in ihm“ (6,56). Er sagt: „Mein Fleisch ist wirklich eine Speise, und mein Blut ist wirklich ein Trank“ (6,55). Die Reaktion ist ganz klar: „Was er sagt, ist unerträglich, wer kann das anhören?“ (6,60). Und viele seiner Zuhörer, seiner Sympathisanten höen auf, ihm zuzuhören. Selbst seine Jünger sagen: „Diese Rede ist hart.“ Und sie verlassen ihn. Sie gehen nicht mehr mit ihm. So sehr, daß Jesus dann den engsten Kreis, die Zwölf, am Schluß fragt: „Wollt auch ihr weggehen?“ (6,67).

    Und die Reaktion der Heiden, derer, die nicht aus der jüdischen Tradition kommen, ist auch schockiert oder mokiert. Man macht sich lustig darüber. Der römische Satyriker Petronius († 66 n.Chr.) schreibt im Satyrikon eine Parodie auf das Abendmahl, so vermutet man, und sagt, die Christen sind Menschenfresser. Sie essen das Fleisch und trinken das Blut ihres Gottes – eine seltsame Religion.

    Was Jesus im Abendmahlssaal getan hat, ist nicht einfach verständlich. War das nur symbolisch gedacht oder ganz real? Die christliche Tradition hat es immer ganz real verstanden. Dieses Zeichen, das es bleibt, Brot und Wein, ist wirklich sein Leib und sein Blut. Der Glaube nimmt das an. Den Glauben hat der Herr uns nicht erspart. Er hat auch uns gewissermaßen die Frage gestellt: „Wollt auch ihr gehen?“ Oder könnt ihr das als ein wunderbares, ja das wunderbare Geschenk meiner Liebe annehmen? Ich gebe mich euch so sehr, daß ihr von mir leben könnt.“ (Christoph Kardinal Schönborn, Wovon wir leben können, Freiburg im Breisgau ²2005, S.53-55).

    „In dieser Stunde tritt die Hoffnung auf den „Neuen Bund“ hervor, der nicht mehr auf der immer brüchigen Treue menschlichen Wollens gründet, sondern unzerstörbar in die Herzen selbst eingeschrieben ist (vgl. Jer 31,33). Der neue Bund muß, mit anderen Worten, auf einen Gehorsam gegründet sein, der unwiderruflich und unverletzlich ist. Dieser nun in der Wurzel des Menschseins gründende Gehorsam ist der Gehorsam des Sohnes, der sich zum Knecht gemacht hat und allen menschlichen Ungehorsam in seinem bis in den Tod gehenden Gehorsam aufnimmt, durchleidet und überwindet.

    Gott kann den Ungehorsam der Menschen, all das Böse der Geschichte nicht einfach ignorieren, nicht als belanglos und bedeutungslos behandeln. Eine solche Art von „Barmherzigkeit“, von „bedingungsloser Vergebung“ wäre jene „billige Gnade“, gegen die sich Dietrich Bonhoeffer vor dem Abgrund des Bösen in seiner Zeit mit Recht gewandt hat. Das Unrecht, das Böse als Realität kann nicht einfach ignoriert, nicht einfach stehengelassen werden. Es muß aufgearbeitet, besiegt werden. Nur das ist die wahre Barmherzigkeit. Und daß Gott nun, weil die Menschen es nicht zustande bringen, es selber tut – das ist die „bedingungslose“ Güte Gottes, die nie gegen die Wahrheit und die ihr zugehörige Gerechtigkeit stehen kann: „Wenn wir untreu sind, bleibt er doch treu, denn er kann sich selbst nicht verleugnen“, schreibt Paulus an Timotheus (2 Tim 2,13).

    Diese seine Treue besteht darin, daß er nun nicht nur als Gott gegenüber den Menschen handelt, sondern auch als Mensch gegenüber Gott, und so den Bund unwiderruflich fest gründet. Deshalb gehört die Figur des Gottesknechtes, der die Sünden vieler trägt (Jes 53,12), mit der Verheißung des unzerstörbar gegründeten Neuen Bundes zusammen. Diese nicht mehr zu zerstörende Eingründung des Bundes im Herzen des Menschen, der Menschheit selbst, geschieht im stellvertretenden Leiden des Sohnes, der Knecht geworden ist. Von da an steht der ganzen schmutzigen Flut des Bösen der Gehorsam des Sohnes entgegen, in dem Gott selbst gelitten hat und dessen Gehorsam daher immer unendlich größer ist als die wachsende Masse des Bösen." (Benedikt XVI., Jesus von Nazareth, Bd.2, Freiburg im Breisgau 2011, S.152f.)

    „Ich bin ein Sünder. Wir alle sind Sünder.

    Du fragst zurecht, habe ich meine Sünden abgebüßt? Schlußendlich habe ich in meinem Leben fünf Menschen getötet und verspeist. Die Anwort ist: Nein. Deshalb hat sich der Herr mir gezeigt. Er hat sich mir liebevoll zugeneigt, indem er mir sagte: „Tue Buße durch deine Arbeit. Ayahuasca wird dich reinigen. Daß deine Absicht ungebrochen ist, ersehe ich an deinen Taten.“ Doch ich bin hinfällig. Deshalb ist mir der Herr nochmals erschienen, im Abendmahlsaal. Er sagte mir: „Ja, ich habe auch deinen Wein getrunken.“ Die Gnade, die er mir dadurch erwiesen hat, ist unermeßlich.

    Gott ist in allem. Wir sind nie allein. Warum er uns geschaffen hat, ist ein ewiges Mysterium, das wir nur im Himmel verstehen werden.

    Der Gehorsam des Ayahuasca-Trinkers – ich nenne es lieber seine Disziplin – besteht darin, den Trank einzunehmen wie den Kuß einer Geliebten. Man verzieht nicht das Gesicht, spuckt nicht aus und äußert keinen unangepaßten Kommentar. Vielmehr schleckt man sich mit der Zunge über die Lippen, eben wie nach einem Kuß der Geliebten. Und des weiteren, nicht einzuschlafen. Erst recht nicht zu schnarchen. Alles andere macht Mutter Ayahuasca selbst. Dann entkommt man ihr schon nicht mehr. Dafür ist gesorgt. Man findet sich angekettet im Schraubstock, wo sie eine exquisite Tortur mit uns durchführt.

    Gottes Geduld währt nicht ewig. Wenn der Mensch sosehr über die Stränge schlägt und Gottes Existenz dermaßen frevelhaft leugnet, schickt er die Strafe. Er vernichtet die Welt. Zahllose Male ist solches bereits vorgekommen, zuletzt vor 15.000 Jahren.

    Ich habe Retikulis gesehen, einen toten Planeten. Man hat mich dorthin mitgenommen, um mich zu warnen. Wenn schon dermaßen fortgeschrittene außerirdische Zivilisationen nicht vor ihrem eigenen Untergang gefeit waren, wie dann erst der hochmütige Mensch, der sich allmächtig wähnt?

    Ayahuasca ist ein Gottesgeschenk. Das muß man in seiner grenzenlosen Dummheit über all die Jahre hinweg langsam verstehen. Gott bediente sich hochstehender Mächte, als er diese Pflanzenwesen auf Erden einsetzte. Er wollte uns diese Ahnung vom verloren gegangenen Paradies belassen. Er wollte uns diese Möglichkeit belassen, Ehrfurcht vor seiner Schöpfung zu empfinden.

    Ayahuasca ist eine Magd des Herrn. Es wäre ein Frevel, oder sagen wir besser, Vernageltheit, nur einfach so zu sagen, Ayahuasca ist die Königin des Dschungels und Punkt. Man muß fragen, warum ist diese Liane die Königin des Dschungels, und wer hat sie zur Königin gemacht?

    An Gott nicht zu glauben, ist kein Frevel und keine Sünde. Ich habe auch Atheisten in meinen Zeremonien. Niemand ist ausgeschlossen. Doch ein böser Mensch zu sein, ist Sünde. Das Schuldempfinden ist dem Menschen möglich auch ohne Gott. So wie den Inkas und den Dschungelindios. „In Dios“, das heißt „Ohne Gott. Die ohne Gott“. So nannten die Jesuiten die nackten Eingeborenen. Jeder Mensch weiß, er versündigt sich gegen die Schöpfung, gegen die Kreaturen, den Mitmenschen. Das nennt man Gewissen. Das Gewissen wurde uns von Gott gegeben. Es ist uns eingepflanzt. Wie oft nur war ich selbst so!

    Schamane zu sein ist kein Beruf, sondern Schicksal. Gottbestimmtes Schicksal. Sich dagegen zu sträuben, ist zwar verständlich, hilft aber rein gar nichts. Vielleicht verliert man ein Bein oder ein Auge, denn Gott läßt nicht locker. Daß sich ein Schamane dem Ruf Gottes durch Selbstmord entziehen wollte oder entzog, ist mir nicht bekannt. Das ist auch definitionsgemäß unmöglich.

    Der Papst hat einen Vorteil. Er muß Beispiel sein. Er entkommt den Augen der Weltöffentlichkeit nicht. Er kann sich nicht davonschleichen und mal ein Glas heben oder eine Prise schnupfen so wie die Piloten in dunkler Nacht im Cockpit zu fortgeschrittener Nachtstunde. Und außerdem, vergessen Sie nicht, er befindet sich 24 Stunden in bester Gesellschaft.

    Der Vatikan hat mir bei mehreren Gelegenheiten unbezahlbare Ehre erwiesen. Zuerst, als Monseñore Bambarén aus Chimbote mir den frei fliegenden „Christus den Befreier“ in Auftrag gab. Dann, als sie den zweiten aus der Serie direkt nach Rom verschifften. Bitte stellen Sie sich das vor. Wenn die Herren, die tagtäglich da an ihm vorbeiparadieren, wüßten, was für ein Weiberheld der Bildhauer war. Dann, als sie mir einen Emissär schickten nach Alpbach und nach Ravenna. Sie wissen ja, der selige Johannes Paul war bei uns in Iquitos zu Besuch, auf dem Flugplatz. Wahrlich, ein großer Papst. Ich habe meine Schlußfolgerungen gezogen. Leider habe ich ihm nicht die Hand küssen können. Es waren wirklich viele Leute da. Man mußte aufpassen, nicht erdrückt zu werden.“ (Agustín Rívas Vásquez, Banco sumai icaruna, bei mehreren Gelegenheiten, 2000 – 2011).

  2. Maria Valera, Shipibo Medizinfrau

    Erst vergangenes Wochenende ist mir diese besondere Frau wieder erschienen, und "La Madre" kommentierte im Stillen die Bewandtnis des Erscheinens: María Valéra hat uns etwas zu sagen.

    Die Frau ist eine Shipibo. Sie hat ihren Sohn, das ehemalige spirituelle Oberhaupt der Shipibo-Conibo, Guillermo Arévalo Valéra, Medizinname "Kestembetsa" ("Echo des Universums"), als einziges Kind großgezogen und überallhin begleitet. Der Sohn übernahm, wie es dem Stammesgesetz entspricht, die Schutzfunktion für seine Mutter, als diese früh verwitwete. Maria Valera nimmt an den Zeremonien ihres Sohnes teil; nicht immer, doch regelmäßig. Sie nimmt dort einen Ehrenplatz ein. Sie ist die Lehrmeisterin des Meisters. Sie bildete ihn aus. Die eigene Mutter bildete den Medizinmann aus. Maria Valéra ist heute an die 90. Ihr Alter läßt sich nicht genau bestimmen, ist nur am Alter des Sohnes abschätzbar. Sie wird den Sohn spätestens mit 17 bekommen haben.

    Das erste Mal sah ich die Mutter in Don Guillermos Haus, in dessen damaligem Anwesen, "Geist der Ananconda". Sie kam die Stiege herunter, von wo auch Guillermo, der den Tag über unsichtbar bleibt, üblicherweise herunterkam, ein traditionell gekleidetes, bescheiden, ja geradezu servil sich gebendes, freundliches Mütterchen, das sich den Anschein leichter Senilität gab. Sie blickte die in den Fauteuils Wartenden nie an und war schon wieder verschwunden. Abends um halb Neun wurde sie sodann an der Hand eines Mädchens in die Malocca geleitet, wo sie sich zwei oder drei Matten rechts von ihrem Sohn niederließ. Der ganze Auftritt war, im Vergleich zu allen anderen Teilnehmern – zu meiner Zeit nie mehr als 30 -, unspektakulär, und viele wußten nicht einmal, wer die alte Dame war, die da hereingeleitet wurde. Das alles war perfekte Maskerade, trotz des hohen Alters. Ich erinnere mich, es gab Nächte, da war sie plötzlich in der Malocca, doch keiner hatte sie hereinkommen sehen, auch nicht im fahlen Licht des Mondenscheines. Keiner hatte die klappende Holztüre gehört, keiner etwaige schlurfende Schritte. Ab einem bestimmten Zeitpunkt, als ich bereits ihrer Qualitäten gewahr worden war, hielt ich es für ganz natürlich, daß sie einfach durch die Wände hindurch hereingeflutscht war.

    Ich sah Doña Maria nie trinken. Seltsamerweise bin ich nie davon ausgegangen, sie würde mittrinken; sie würde also, mit anderen Worten, sich einen Becher von ihrem Sohn einschenken lassen. Nein. Daß sie sich selbst eingeschenkt hätte, das war ja schon gänzlich ausgeschlossen. Die Medizinmänner, Guillermo, Ricardo, Pablo, – sie schenkten sich alle selbst ein, immer ohne Anblasung. Sie hielten den Becher in der Hand, andächtig, dann tranken sie, ohne einander zuzuprosten. Das Ausschenken geschah bei Guillermo immer unspektakulär. Die Stimme Ricardos, wie er mit schnarrender Stimme "Ayahuasca?" ins Rund der Malocca ruft, bleibt mir unvergeßlich.

    Die Zeremonien bei den Shipibos sind nur etwas für Erfahrene. Es gibt Besucher, die suchen gerade diese Medizin: Russen und Franzosen zuvorderst, dann Deutsche, Italiener und Kanadier; vereinzelt Österreicher; dann und wann ein Schweizer. Die US-Amerikaner sieht man beinahe nie. Diese Medizin ist ihnen zu stark.

    Die Shipibos singen zu mehrt. Alle gleichzeitig, nachdem sie sich anfangs, hierarchisch geordnet, einer nach dem anderen einfädeln. Jeder singt sein eigenes Repertoire, das, was er in den Diäten gelehrt bekommen hatte. Dann, als Vierte, hörte ich Doña Maria. Eine reine Obertonstimme. Wild. Die Männer schraubten wie auf Kommando den eigenen Einsatz zurück, ließen der Frau den Vortritt. Die nahm sich selbst auch wieder zurück. Ich wußte ohne Zweifel, sie wußte, was ihr erster Mariri bereits bei den Teilnehmern ausgelöst hatte.

    Es gab Nächte, da sang sie von draußen. Sie kam nicht herein. Sie sang draußen, im Mondeslicht, unsichtbar. Eine gellende, schneidende Stimme. Ein wenig wie ein gellendes Klagelied. Sie konnte sich in eine Furie verwandeln. Ihr Sohn gab ihr freie Hand. Sie war seine Meisterin. Sie stand in der Rangordnung ganz oben, doch rundherum legte sie keinen Wert darauf.

    Es gab einen französischen Patienten. Die Szene, wie sie durch die Wand hereinkommt, wie ein Schatten, und neben dem Mann Platz nimmt, die Taschenlampe einschaltet und wie eine Irre in der Luft herumfuchtelt, bleibt lebhaft wie gestern. Sie ringt geradezu mit dem Mann auf seiner Matte. Sie stößt ihn an, knufft ihn in die Seite. Er läßt alles willenlos geschehen. Sie ist außer sich, spuckt in die Hände und reibt seinen Nabel ein. Der Patient stöhnt, doch nicht im Schmerz. Etwas löst sich. Die Heilerin kniet sich auf seinen Brustkorb, sie fotzt ihn ab, rechts und links, mehrmals, stumm, ohne jedes Wort. Sie wummert ihm beide Hände aufs Herz. Der Mann stöhnt. Dann singt sie ihm ins Ohr, laut. Wer kann, blickt hinüber. Guillermo setzt wieder ein, Ricardo schließt sich an. Sie war die einzige Furie meines Lebens.

    Ich hatte einmal eine Gruppe bei Guillermo. Die Frauen wollten die berühmten Perlenarmbänder der Shipibos begutachten. Wir gehen zum Nebenhaus der Frauen, wie mir die Köchinnen sagen. Da kommen die Mädchen und Doña Maria. Sie wirft mir, als sie Platz genommen hat, die Bänder vor die Knie, als wäre es der größte Schund. Die Frauen fragen: "Was bedeutet dieses Muster, was jenes?" Sie nennt jeweils eine Pflanze. Ich verstehe. Licht, Farben, abstrakte Muster. Der Kosmos der Medizin ist für die Shipibos abstrakt. Das gerade Gegenteil des Vorurteils, alles müsse konkret sein, ein Abbild der Natur. Alle Teilnehmer kauften. Über den Preis, 50,- Soles, wurde nicht gefeilscht. Ich sah Doña Marias Gedanken. Sie war die Kobra. Die Frauen die Versuchskaninchen.

    Letztes Jahr im September sah ich Maria zum letzten Mal. Zuerst im neuen Haus im neuen Anwesen Guillermos, "Gallo de Oro", als sie wie immer die Stiege herunterkam. Die wartenden Gäste aus aller Welt, die um einen Spezialtermin bei Guillermo gebeten hatten, wußten nicht, wer sie war. Ich wußte, sie wollte mir etwas sagen, etwas Aufrüttelndes, etwas ganz und gar Herausforderndes.

    Dann nahm sie an der Zeremonie teil. Wir waren nur sieben Gäste, mehr nicht. Sie schleicht im letzten Moment herein, ohne Hilfe. Sie schmiegt sich an die Matte des Sohnes, des Großmeisters, der wie immer im Pyjama und in Badeschlapfen aufgekreuzt ist. Sie trinkt nicht und singt auch nicht.

    Sie hatte mich im Haus angesprochen, als sie neben mir stand. Sie schlich vorbei, geistesabwesend. Ich Trottel stand nicht auf aus dem Fauteuil, als sie stehen bleibt und mich ansieht, immer noch traumverloren. Sie war schneller, und ich ließ sie schneller sein, neben all den verrückten Russen.

    Kestembetsa ist mein Freund, aber deshalb schenkt er mir noch lange nicht einen harmlosen Trunk ein, nein, ganz im Gegenteil. Lukas war dabei. Es kommt manchmal vor, daß Teilnehmer zu sprechen beginnen, stundenlang, aus innerem Zwang heraus. Sie bekennen ihre Schuld. Das war schon bei Armando Torres so, der als Toltekenschüler bei Doña Silvia, wie er schreibt, in die Schule ging. In Ayahuasca ist der Begriff der Schuld evident und unangreifbar. Und im Anschluß präsentieren sich andere Gesprächspartner. Doch die Welten, in denen die Großmeisterin unterwegs ist, müssen schier schwindelerregend sein.

    Vor drei Nächten war sie da. Übermächtig, eindringlich und doch diskret. Dankbarkeit regte sich in mir. Ich erkannte: Eine Weltenretterin der Sonderklasse in einer mir unzugänglichen Liga. Deshalb diese Würdigung, eine versuchte, aus der Hand eines Zwergs.

    Eine Weltenretterin. "La Madre" legt Wert auf diesen Begriff, sagt sie.

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