Daisetz Daitaro Suzuki, der Zen-Meister, spricht davon, welche Provokation das Kreuz fuer den Buddhisten sei. Die demonstrative, gleichsam festzementierte Zurschaustellung der menschlichen Barbarei, dessen, wozu Menschen faehig sind. Das Kreuz, sagt Suzuki, symbolisiere nicht Erloesung, sondern Verzweiflung, ohne Aussicht auf Heil. Wenn etwas Heil verspreche, dann schon eher die Leere, denn in ihr sei auch das Uebel, das generative Leid, nicht praesent.

Paradoxerweise finden sich die naturalistischsten Kruzifixe auf den Gebetsstaeben der Paepste. Keine zurechtgesaegten Balken, sondern Baumstaemme. Ein wesensgetreuer Gemarterter in seinen letzten Momenten. Mit diesem Insignium bereiste Wojtyla die Welt und laechelte, freundlich gruessend. Fuer ihn war das alles nur Vorschein, sass er doch selbst bei den meisten oeffentlichen Messen vor Hunderttausenden tief gruebelnd und versunken, wie eine zeitlose Duerer-Studie, auf seinem Buehnen-Thron, den Kopf in der Hand. Er scherte sich nicht um Etikette. Er war den anderen einen Schritt voraus, weil er alles mit seinem Ratgeber besprach. Nicht mit seinem Nachfolger, natuerlich nicht.

Ein Mystiker – und das sollte man doch sein, wenn einen Zeugen auf dem Boden liegend vorfinden, sei es nun in Kattowicze, Maria Zell oder Yushintaita – lebt zeitweilig im All und vergisst, was sein Koerper auf Erden gerade tut. Dieses All-Leben, zu dem man oft in Ayahuasca entfuehrt wird – die Erde wird verschwindend klein im dunklen Ozean der Schwerelosigkeit -, es bereitet uns vor, schrittweise, auf den Prozess der Erleichterung, und ist man schlussendlich in diesem Prozess, der regelmaessig Meditierende, der flehentlich Betende erkennt es an seiner alltaeglichen Sonderbarkeit, kommt das Sterben naeher. Doch das Sterben traegt ein Gesicht. Das Gesicht des Erloesers.

In manchen kargen, modernen Gotteshaeusern, wie etwa jener von Langenhart im niederoesterreichischen Mostviertel, ist das Altarkruzifix golden, und der auf ihm einmodellierte Mensch eine Skizze der Moderne, wie ein Ausserirdischer. Eine solche Darstellung veranschaulicht den Triumph im Tode. Himmel und Erde versoehnen sich. Der aufrecht Stehende breitet seine Haende aus, um alle zu umfassen. Er ist das Vorbild. „Ich uebersteige das Menschliche, das bleckende Geifern von Golgotha. Der Himmel oeffnet sich.“ So wie fuer Stephanus, den ersten Maertyrer, den sie steinigten. Er fuehlt nichts mehr und hoert nichts. Die Gloriole ueber ihm oeffnet sich. Er hebt seine Arme nach oben, bereits gebrochene Fluegel, doch die wahren, die goldenen, ein Abglanz des jenseitigen Jerusalems, niemand erkennt, das er ihnen unwiederbringlich entschwebt, nicht einmal Saulus. Manche von uns werden sich umdrehen und uns zurufen: „Weinet nicht!“ Andere werden emporgetragen, ueberirdische Flammen bereits, das Menschenauge blendend, und vielleicht kreisen sie ein letztes Mal ueber das Plateau, bevor sie von der Uebermacht der verkapselten Dimensionen untilgbar vergeistigt werden. Sie werden die Arme ausbreiten im Friedensgruss und die Welt umarmen wollen. „Du liebe Mutter!“ werden sie rufen, so wie die sterbenden Soldaten. Im letzten Moment erkennen sie alles. Erde, Mutter, Geist und Wesen.

Zurueck bleibt einer, wie in Yushin, der sich, am Rande der Erschoepfung, vor dem Altar verneigt. Am neuen Morgen.

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