Heute wollen wir uns den Kapitaenen am Fluss zuwenden. Den Piraten. Denen, die in Badewannen und Stahlkesseln unterwegs sind, mit 10 oder 300 Passagieren an Bord. Denen, die tagein, tagaus unterwegs sind am Fluss. Wenn sie eine Lancha steuern, auch bei Nacht, wenn die Sandbaenke lauern und arbeitslose Polizisten, zu Piraten vermummt, die MP in der hochgereckten Hand.
Alleine die Steuermaenner in Huayquito, dem Touristenhafen von Iquitos, fuellen ein Buch; Gordo Alex und Abraham ein eigenes Kapitel.
Gordo Alex hat die Stimme einer Frau und aehnelt einem Fass. Schilddruesenfehlfunktion. Seine Unterschenkel tragen unuebersehbare Narben. Spuren der Motorschraube, als er ins Wasser fiel und von der Schraube angesogen wurde. Das Kerosen stoppte die Blutung. Gordo Alex hatte nur einmal eine Frau, doch die lief ihm davon. Mit Alex laesst sich eben leider kein Staat machen, aber er ist auch kein Betrueger. Weder im Bett noch beim Kassieren. Das hat hier Seltenheitswert. Er schaffte es bis zum Steuermann der „Transtur“-Kompanie, durfte mit dem 250 PS-Volvo-Motor dahinbrausen, solange, bis ihn der Teufel ritt, und er nicht vom Gas ging, als er aus einem Dschungelrinnsal von einer Lodge hinausbrauste, noch dazu in einer neuen Spur, dem Mangrovengewirr unverzeihlich nah. Eine der Unterwasserwurzeln riss ihm die Motorschaube in hohem Bogen von der Deichsel, und Gordo sank ueber dem Steuer zusammen. Er wusste, er konnte sich verabschieden. Heute steuert er Rikschas in Iquitos und Tamshiyacu, er ist ein Stehaufmaennchen. Frau hat er immer noch keine, wahrscheinlich haelt er sich an die kaeuflichen. Wer will es ihm verdenken.
Abraham ist aus einem anderen Holz geschnitzt. Er hat seinen Stolz und ist, vielleicht bis zum heutigen Tag, der beste Motorist. Er faehrt mit den Ohren am Motor. Der kleinste Muell, der sich in der Schraube verfaengt, laesst ihn seine 140-PS-Suzuki-Maschine stoppen. Es ist seine eigene. Das Boot ist eine Badewanne, eine Kaugummiversion, praktisch im Schnellverfahren zusamengebastelt, aus Fiberglas. Ein seltsames Schicksal liess ihn alle Boote, die er im Mietverfahren fuhr, verlieren, auch die Val Jhomar 1 und 2, die die Namen seiner Soehne in Kombination trugen. Entweder machten die Besitzer bankrott, oder die Neider versenkten das Boot kurzerhand, oder sie deponierten in der Nacht mal kurz ein Paeckchen Weisspulver und schickten die Spuerhunde. Abraham wusste, dass ihm ein Feuerspeier im Nacken sass, doch er wollte nicht hoeren. Dann kippte die Val Jhomar im Hafen, festgemacht an der Tankstellenbalsa, weil die Passagiere sich nicht nass machen wollten, als Wasser hereinschwappte, und eine Lehrerin schaffte es in ihrer Panik nicht mehr. Ein Zeitlupentod, waehrend man den schwergewichtigen baskischen Assistenzpater zu dritt hinaushievte, ein Wunder, dass er sich durchs Fenster hinauszwaengen konnte. Nur ein paar Wochen spaeter explodierten die Benzindaempfe an der funkenspeienden Batterie in unverzeihlicher Naehe und Abraham war noch so geistesgegenwaertig, den Atem des Todes zu spueren, um ins Wasser des Hafenbeckens zu schnellen. Die Haut hing ihm in Fetzen am Leib, er ueberlebte. Abraham, der hochgewachsene, den man anheuern koennte, weil er sein Geschaeft wie kein zweiter versteht. Aber er will hoch hinaus, auch um den Preis einer Liaison mit einer betuchten Gringa, und dabei vergisst er Frau und Kind. Die Realitaet holt ihn wieder ein.
Tito, der potentielle Erbe der „Transtur“-Kompanie, wurde von seinem Vater schlussendlich nicht bedacht, weil er spielt. Iquitos, bald ein zweites Las Vegas, in den Klauen von Chilenen und Spaniern, fuer die die Dschungelmenschen nur Analphabeten sind, leicht mit Lichtkaskaden zu verlocken.
Dann haben wir die Soehne von Marcelo, Percy und Saúl. Percy, der in den Steuersitz der belgischen „San Mary“ einstieg, und danach bald, als das falsch konstruierte Boot an einer Dauerhavarie wegen Ueberanstrengung zu leiden begann, wieder absprang, um seiner „Braut“ nach Lima zu folgen. Niemand weiss, was er heute dort treibt, vielleicht lebt er gar nicht mehr? Saúl, der sich binnen weniger Jahre zum veritabeln, gutaussehenden Herzensbrecher gemausert hat, steuert heute alle Boote, die sie ihm ueberantworten. Ein Fingerglied hat er sich bereits abgerissen, am Steuerrad, das, weiss der Teufel aus welchem Grund, ausser Kontrolle geraten war.
Die „Inversiones Nativa“, ein Fiberboot fuer 20 Passagiere, aus Kolumbien, am Tag der Praesidentenwahlen zum ersten Mal aufgetaucht, faehrt nicht umsonst mit einer 200 PS-Yamaha. Sie faehrt auch halbleer, etwas, das sich keiner der armen anderen Schlucker sonst leisten kann, und das naehrt weiter die Volksmeinung, die keiner, aber wirklich keiner, offen auszusprechen wagt. Hier im Dschungel, wo ein ortsfremder Polizeiabgestellter keinen groesseren Fehler begehen kann als einen schnauzbaertigen, offenkundig ortsfremden Aktentraeger um seinen Ausweis zu bitten, und der gute Mann, ein Kolumbianer, ihm erklaert, das koennte man doch am besten in seinem Kommissariat tun, wozu sich der Nachmittagshitze am menschenleeren Hauptplatz aussetzen, und drinnen darf der gute Polizeimann einen Blick in den ungeniert geoeffneten Aktenkoffer werfen. Fabrikneue 24-Schuss-Glocks und Berettas mit Laserzielerfassung, gut, ich wuensche Ihnen noch einen schoenen Nachmittag, hoffentlich hat er nicht mein Namensschild gesehen.
Aehnliches ist mancher Lancha-Besatzung passiert, jenen der „Henry-IV“ zweimal, und der „Eduardo V“ einmal. Jedes Mal gab es Tote, beim letzten Mal irrtuemlich, die Warnsalve ging durchs Oberdeck, direkt in die Arme einer Mutter. Das Kind, das sie im Arm hielt, war auf der Stelle tot. Die Flusspiraten, Polizisten in Zivil, suchen in der Nacht wieder das Weite, im Schnellboot, 300 vor Schreck starre, um einen Teil ihrer Barschaft erleichterte Passagiere zuruecklassend.
Mit Señor Rodondo aus Iquitos ginge das nicht. Er ist Eigner der Nobelausflugsschiffe, die er exklusiv amerikanischen Millionaeren anbietet. 14 Tage kosten 14.000,- Dollar. Er braucht nicht einmal diskret als Maschinisten verkleidete, ausgediente Ranger an Bord. Ueber der Steuerkabine sitzt eine Batterie von 12 2.000-Watt-Halogenscheinwerfern. Naehert sich naechtens ein Schnell-Boot in Fahrt auf unter 100 Meter, klappt eine israelische Schnellfeuer-Batterie hoch, infrarot-automatisch auf Bewegung gesteuert. Niemand geht gegen Mr.Rodondo, denn er befoerdert angeblich „Pelacaristas“, Organhaendler. Sie heuern einen 15-Jaehrigen an, der begeht fuer 200,- Dollar oder weniger in einer einsamen Huette die Schandtat, dann kommen die vermummten Chirurgen in Handschuhen, neben sich die Kuehlboxen. Von dort ins Schnellboot mit 250-PS-Evinrude-Doppelmotoren, ab in den ausgewaehlten Seitenlauf, hinein ins Wasserflugzeug, hinauf nach Kolumbien. Eine Million Dollar und mehr in den USA inklusive Brosamen fuer peruanische Maenner mit 3 oder 4 Sternen auf der Epaulette.
Ja, und noch andere befahren den Fluss, viele sind es. Die Fischer. Ihre Erzaehlungen kommen von woanders her und handeln von Liebe, Verwuenschung und Fischerglueck. Vom Leben auf Floessen. Von Flusszigeunern auf Treibholzfloessen. Sie kennen keine andere Welt. Nur den Fluss. Sie kennen sein Gesicht, wenn er sich im Sturm aufbaeumt und die Blitze in ihn fahren.
Unsere Schnellbootkapitaene fahren nicht bei Nacht. Treibholz und Ueberfall, oder einfach nur der gewoehnliche Tod in den Armen von Sirenen oder Untoten.
Keiner am Fluss geht in ihm baden, nur vorwitzige Gringos, die von Flussdurchschwimmung phantasieren. Ein erwachsener Peruaner setzt keinen Fuss ins Nass. Er schuettet sich das Wasser abends mit einem Schoepfkuebel uebers Haupt. Nur fuer die Kinder, die Buben besonders, ist es ein einziges Paradies. Mit 20 ist es vorbei, schlagartig. Juengst brachten sie in Huayquito 3 ausgewachsene Stachelrochen an Land. Die Fluegel 1 Meter im Durchmesser, der Schwanz, unter Umstaenden toedlich, einen guten Meter lang, 5 Zentimeter dick, als erstes abgetrennt. Das sagen sie keinem Gringo, wozu auch? Wir verstehen die Gringos nicht und sie uns nicht. Wenn wir unseren Muell im Fluss entsorgen, was geht das euch an? Was wollt ihr ueberhaupt von uns? Wir waren immer eure Sklaven. Am Wochenende trug der eine Kautschukbaron mit Hilfe seines staerksten Arbeiters gegen den staerksten seines Nachbarn einen Faustkampf aus. Wenn es bis zum Tod beschlossen war, mit blossen Haenden, ein Martyrium von leibeigenen Gladiatoren, waren die Wetten am hoechsten. Ein andermal machten sie Safari, gegen die Succusari oder die „Iquitos“, vom Schiff aus. Ein Sportschiessen mit unbekannten Remingtons zum Wochenende.
Amazonie, mon amour, gelitten hast Du bis auf den heutigen Tag. Einmal wird es enden.
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Was wurde aus Gordo Alex?
Wir erinnern uns, der kleingewachsene, kugelrunde Gordo Alex, der eine gutturale Stimme hat wie eine Frau, schied aus der Flußschifffahrt wegen selbstverschuldeter Havarie des Motors – abgerissene Bootsschraube beim wilden Preschen durch Mangrovendickicht – aus, – wurde zwangsweise verabschiedet. Doch das knockte ihn nicht aus. Er kaufte sich ein Dreiradtaxi, ein sogennantes Motokar, wie wir sagen, und fing an, seine Dienste zur Verfügung zu stellen. Nicht lange danach wurde, diabetesbedingt, die Amputation seines linken Beines notwendig. Das focht ihn in keinster Weise an. Er baute sich den Sitz seines Motokars sitzgerecht um und die Fußpedale auf der linken Seite zu Handschaltungen. Nicht lange danach heuerte er zudem einen Copiloten an, einen Anschieber für schlechte Wetterbedingungen. Unlängst, vor 2 Monaten, überredete er mich zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit. Ich hab es nicht bereut. Seiner Mutter gehe es nicht gut, Zucker. Ja, der Zucker liegt im Blut der Familie. Meine Mutter kränkelte von früh an. Sie konnte sich nicht um mich kümmern. Ich wuchs bei einer Mammi auf, jener, die gerade bei uns auf der Dschungelstraße zugestiegen ist und die da hinten schon wieder hineingegangen ist in den Wald. Sie war wie eine Mutter. Ich nenn sie heute noch Mammi. „Purificación“ heißt sie. Ja, meiner Mutter geht´s nicht gut. Sie liegt in Iquitos im Spital. Wegen der Kosten haben wir bereits das Haus verkauft.
Ein Waldarbeiter tritt im Nieselregen aus dem Busch. Gordo wartet bereits verabredungsgemäß, doch ohne Anschieber. Die Lehmpiste wird zu einer klebrigen Lette. An den Steigungen bei Kilometer vier gibt es kein Weiterkommen. Der von Ayahuasca übernächtigte Waldarbeiter bricht zusammen. „Weißt Du“, sagt da Gordo im wieder einsetzenden Nieseln ganz ruhig, „meine Mutter ist heute Nacht gestorben. Aber was machen wir, wir hängen hier fest. Die Leute werden wissen, wo sie den Sarg abstellen können. Ah, da kommt Señor Utia! Compadre! Hilf uns ein Stück!“ Und der muskelbepackte kleinwüchsige Compadre Utia schiebt uns über zwei Steigungen.
„Ich fahre eher wild, deshalb immer gutes Profil. Pirelli Offroad, wie du siehst. Steckenbleiben kann ich mir nicht erlauben, wenn ich allein unterwegs bin. Und dem Gast kann man es nicht zumuten anzuschieben. Was meinst du? Verlängern wir den Vertrag? Bitte zahl mir den Sarg.“
„Heute kann ich nicht fahren, Landsmann, ich bin im Bad umgestürzt und muß erst die Hüfte wieder einrenken. Morgen! Vale?“
„Gordo, betest du ab und zu?“
„Muß ich nicht, ich vergesse nie auf IHN.“
Der gute Freund ist gegangen
Gordo Alex ist tot. Grad erfuhr ich davon. Er starb vergangenen Samstag, also am 4.Jänner, in Iquitos, an Diabetes. Eine Woche zuvor hatte ich ihn noch in Iquitos gesehen, am Hafen, im Rollstuhl, dramatisch abgemagert, die Nadel in der Schulter festgeklebt. „Dialyse, Wolfgang.“ Gordo Alex ist der Einzige im Dorf, der mich immer gedutzt hat. Es bestand ein Vorverständnis des Vertrauens zwischen uns.
Alex bat mich zum Abschied um ein wenig Bakschisch, für das Taxi. Für das Wenige, was ich ihm aushändigte, geniere ich mich nachträglich. Er hätte eine kostspielige Komplettbehandlung benötigt, in einem Hospital des Westens. Allein, es sollte nicht sein. Bitter. Alex starb innerhalb einer Woche, so wie sein Stiefvater Quilmes, und so wie seine Mutter – sie auch Diabetikerin – vor gut einem Jahr.
Er saß im Rollstuhl, oberhalb der Treppen, neben dem Rundbogen des Abgangs. Seine Magerkeit traf mich wie ein Schlag. Er war gezeichnet, und ich fand keine Worte des Dankes. Seine letzten Tage. Meine Ignoranz.
Deine Stimme hallt mir nach, Gordo. Mit Dir beginnt das heurige Jahr. Du, ein Wegmacher. Mein Wegmacher. Hast mich oft genug gefahren. Dank Dir für alles!