"Meinen geliebten Kindern Hildita, Aleidita, Camilo, Celia und Ernesto!
Solltet ihr eines Tages diesen Brief lesen muessen, dann, weil ich nicht mehr unter euch bin. Ihr werdet euch beinahe an nichts erinnern. Euer Vater war ein Mann, der so handelte, wie er dachte, und der sicher seinen Ueberzeugungen gegenueber treu blieb. Wachst heran als gute Revolutionaere. Lernt viel, damit ihr die Technik beherrscht, die uns erlaubt, die Natur zu beherrschen. Erinnert euch immer, dass die Revolution das Wichtige ist und dass jeder von uns, allein, nichts ist. Vor allem aber seid faehig, tief mitzufuehlen gegenueber jedem Unrecht, das irgendwo in der Welt irgend jemandem angetan wird. Das ist die schoenste Eigenschaft eines Revolutionaers. Auf immer, meine Kinder! Ich hoffe, euch noch zu sehen. Ein grosses Bussi und eine Umarmung von Papa."
"Ich zoegerte 40 Minuten vor dem Ausfuehren des Befehls. Ich ging zu Colonel Pérez in der Hoffnung, er habe den Befehl zurueckgezogen. Aber der Colonel war wild. So war es: Das war der schlimmste Moment meines Lebens. Als ich ankam, sass der Ché auf einer Bank. Als er mich sah, sagte er: "Sie sind gekommen, um mich zu toeten." Ich fuehlte mich ertappt und senkte ohne zu antworten den Kopf. Daher fragte er mich: "Was haben die Anderen gesagt?" Ich erwiderte, dass sie nichts gesagt haetten, worauf er erwiderte: "Sie waren Mutige!" Ich brachte es nicht ueber mich zu schiessen. In diesem Moment sah ich den Ché gross, sehr gross, enorm. Seine Augen leuchteten intensiv. Ich spuerte, dass er sich ueber mich beugte und mich starr anblickte, sodass mir schwindelte. Ich dachte, mit einer schnellen Bewegung haette er mir die Waffe entwenden koennen. "Verhalten Sie sich wuerdig", sagte er mir, "und zielen Sie gut. Sie werden einen echten Mann toeten!" So also ging ich einen Schritt zurueck, zum Tuerstock, schloss die Augen und feuerte die erste Salve ab. Der Ché, mit zerstoerten Beinen, fiel auf den Boden, baeumte sich auf und vergoss viel Blut. Ich fasste Mut und feuerte die zweite Salve, die ihn in den Arm, die Schulter und ins Herz traf. So starb er." (Mário Teran, Paris Match 1977)
"Ich traf den Ché in Lima, als ich 16 war. Ich war auf der Suche nach meiner Mutter und war ihr nachgefolgt. Er lief mir auf der Strasse ueber den Weg und fragte mich direkt, ob ich ein Quartier fuer ihn wuesste. So nahm ich ihn mit zu uns. Wir hatten nur 2 Zimmer, aber meiner Mutter machte es nichts aus. Sie richtete eine einfache Matte fuer ihn auf dem Boden und er bekam das, was auch wir uebrigen assen: Kartoffelsuppe. Tagsueber verschwand er. Meine Mutter sagte zu ihm, hoer‘ mal, du kannst nicht dauernd mit dem selben Gewand herumlaufen, ich werde deine Socken waschen, nimm einstweilen die von meinem Bruder. So wusch meine Mutter dem Ché die Socken. Natuerlich wussten wir damals nicht, wer er war. Er hiess auch nicht "Ché", denn so nannten sie ihn erst viel spaeter wegen seiner Aussprache, dieser Silbe "Ché", die er ueberall einflocht, das ist etwas Typisches fuer die Region in Argentinien, aus der er kommt. "Hoer mal, ché, ich bin fremd hier, ché, weisst Du nicht vielleicht ein Quartier fuer mich, ché?" So redete er. Er war um 5 Jahre aelter als ich, ich hatte einen Heidenrespekt vor ihm wegen seines Wagemutes. Alleine so weit herumzureisen in geheimer Mission. Ernesto Guevara war Arzt. In seiner Fruehzeit arbeitete er zusammen mit Evita Perrón daran, die Lebensumstaende der Prostituierten in seinem Land zu verbessern. Doch er wude mit seinem politischen Engagement dem General Perrón unangenehm, vielleicht war dieser auch eifersuechtig auf ihn. So wurde Dr.Guevara praktisch aus seinem Land getrieben.
Er war ein Geheimnistuer. In der Frueh ging er fort, am Abend kehrte er zurueck. Wir sprachen nicht viel, aber verstanden uns. Am Sonntag gingen wir Fussballspielen. Der Ché war starker Asthmatiker. Er hustete so: "Hoh, hoh, hoh, hah", er konnte es nicht unterbinden. Somit konnten wir im Team nicht viel mit ihm anfangen und stellten ihn ins Tor. Dort musste er die Baelle fangen. Da er um einiges groesser war als wir uebrigen, war es ein Leichtes fuer ihn. Er fischte die Baelle mit seinen Armen, ohne sich viel zu bewegen. Eines Tages kam er am Abend zurueck in einem eleganten Anzug. Dann teilte er uns mit, er muesse weiter. Er notierte sich unsere Namen und unsere Adresse in Pucallpa. Er sagte mir, wir wuerden uns wieder treffen. So war es dann auch, 1952, in Pucallpa. Er kam direkt zu uns und sagte "Hallo, da bin ich wieder". Da wusste ich, er war Arzt und wollte den Armen helfen. So fuhren wir los. In Iquitos zimmerten wir uns ein Floss aus zusammenhaengenden Booten, voll mit Medikamenten, die sie ihm geschenkt hatten, und Instrumenten. Er wollte ein schwimmendes Krankenhaus fuer die Armen am Amazonasufer einrichten. Wir fuhren bis nach Leticia, dort brach das Floss auseinander. Die, die uns das Holz in Iquitos verkauft hatten, hatten uns schlechtes Material angedreht. In Leticia schenkte er mir zum Abschied seine Boina. Ich kehrte nach Pucallpa zurueck. Seine Boina war mir das Wertvollste, erst recht, als ich von seinem weiteren Werdegang in Kuba erfuhr. Die groesste Dummheit beging ich, als ich einmal einer Tischrunde in meinem Lokal erzaehlte, dass derselbe Ché mein Freund sei und zum Beweis seine Muetze hervorholte. Einer der Typen betrachtete sie staunend und ging mit ihr aufs Klo. Als er zurueckkam, war die Muetze des Ché weg. Er stritt glattweg ab, dass ich sie ihm ausgehaendigt haette. Doch zwischen seinen Beinen war die Hose ausgebeult. Wie haette ich ihm dort vor allen anderen hinfassen koennen? So verlor ich Ché’s Geschenk. Traurig. Spaeter dann trafen wir wieder zusammen, zufaellig. Ich war auf der Suche nach meinem Vater, der in Bolivien eine Papierfabrik besass. Als ich ankam, war er dabei, sie zu verkaufen. Die politischen Unruhen trieben ihn aus dem Land. Da erfuhr ich, dass Ché Guevara im Untergrund kaempfte. Ich schlug mich zu ihm durch, als schon bekannt war, dass das Militaer ihm auf der Spur war. Ich wollte ihn wiedersehen. Ich kam gerade zurecht. Er blickte mich wortlos an. Ich nahm mir ebenso wortlos das einzige Gewehr, das herumlag, und ein paar Patronen. So zogen wir weiter. Wir hungerten. Dann gerieten wir in einen Hinterhalt. Wir hatten Verletzte mit uns. Der Ché war ihr Arzt. Er liess sie nicht im Stich. Es kam zum letzten Gefecht. Ich feuerte, was das Rohr hergab, ohne zu denken, dann war die Munition verbraucht. Ich wusste, es war aussichtslos, und kroch ins Gebuesch. Sie bemerkten nicht, dass ich mich davon machte. Ich weiss bis heute nicht, wie ich bis nach Pucallpa kam. Dort erwachte ich wie aus einem Traum. Dann las ich in der Zeitung, der Ché ist tot, erschossen. Ich schrie auf der Strasse auf. Das ist eine Luege! Ich konnte nicht glauben, dass mein Freund Ché Guevara tot sei. Er war ein Heros. Der einzige, den unsere Zeit kannte. Es konnte nicht sein, dass sie ihn so einfach erschossen hatten. Ich habe geweint, zwei Tage lang. Im Jahr 2000 hat mir Silvio Manuel Perreira aus Iquitos ein Heimatlied geschenkt, es handelt von Iquitos und dem Ché. Ich habe "Iquitos" durch "Tamshiyacu" ersetzt und die Musik dazugedichtet. Fidel Castro hat von mir gehoert. Er hat mich eingeladen nach Havanna. "Da gibt es einen Mann im Dschungel, der meinen Freund Tag fuer Tag besingt, hat man mir berichtet. Den will ich doch sehen! Bringt ihn mir her!" Doch was soll ich dort? Das macht ihn mir auch nicht mehr lebendig. Und Fidel die Hand schuetteln und Champagner mit ihm zu trinken, dazu bin ich zu alt." (Agustin Rivas Vásquez, Yushintaita, 28.August 2007)
Wo waren wir am 9.Oktober 1967?