In der allgemeinen Lesestunde am Nachmittag vernehmen wir aus dem Munde von Consuelo einen Seufzer. In der „Regi?n“ ist ein Bild von Willy abgelichtet, wie er, ein Schild umgehaengt, auf der Calle Tacna in Iquitos steht, demonstrierend. Ein Bild der Armut und des Erbarmens. Abgemagert, leicht gebeugt, unrasiert. Er demonstriert fuer seine Rechte, die man ihm in unserer Dorfverwaltung nicht abgegolten habe. Er beschuldigt den Buergermeister der illegalen Abtreibungen, der Korruption. Willy wird zum Geist des Dorfes.

Vor mehr als 7 Jahren traf ihn Eugenia auf der Lancha nach Maipucco. „Wir dachten alle, er sei ein Pater aus Europa, so aristokratisch war seine Erscheinung und seine Sprache. Dann zeigte er uns, dass er aus Lima ist, fort von dieser schrecklichen Stadt, in die Stille des Waldes, aber er wuesste nicht wohin. So habe ich ihn nach Tamshiyacu eingeladen. Tatsaechlich kam er mit.“ Gilberto, damals in seiner unbeleumdeten ersten Amtsperiode, gab ihm auf Fuersprache von Eugenia, die seine muetterliche Ratgeberin war, Arbeit. Er sollte sich um die ledigen Muetter des Dorfes und aerztliche Versorgung kuemmern. Das war die Stunde, als Willy die lokale Administration des „Clubs der ledigen Muetter“ uebernahm und als Schaltstelle fuer die Verteilung von Medikamenten aus Oesterreich fungierte. Wie engagiert war er damals, als er von Delia Rosenkranz, der Guten, die Pakete erhielt. Wieviele Notgeburten betreute er in naechtlichen Fahrten auf gefaehrlichem Fluss ins Hospital nach Iquitos.

Spaeter, in der zweiten Periode, passte er Gilberto nicht mehr ins Konzept. Der Monatssold liess auf sich warten. Willy, ein Eiferer, wurde unangenehm. Eine Zeit lang machte er nicht Skandal, seine Frau hatte ihm einen Sohn geboren. Dann zog sie die Quebrada hinauf, in ein Caserio, wo sie sich als Lehrerin verdingen musste, so weit entfernt, dass sich selbst Reisen am Wochenende nicht rentierten. Willy blieb mit dem kleinen, verunsicherten Pablo allein in seiner Huette. Wenn dann die Mutter kam, wusste Pablito nicht wie sich verhalten. Einmal nahm in die Mutter mit nach Iquitos, im offenen Boot, neben 30 anderen. Waehrend wir geduldig auf den Motor warten, ruft Willy ihm laut zu, spielt mit ihm vom Ponton aus, unbekuemmert, voll Freude und Stolz, waehrend die Bootsmenge still ausharrt.

Dann kam die Zeit, wo sich die Mutter betrank, fremd ging; die Zeit, wo wir samstags um die Mittagsstunde immer die Beatles aus Willy’s Huette hoeren konnten, Instrumentalaufnahmen mit Pan-Floete und Gitarre. Damals begann das Gerede, er wuerde rauchen. Damals begann er gegen Gilberto zu schimpfen, bis er eines Tages selbst kuendigte. Das oeffnete dem Nachbarn und allen, die ihn fuer einen Spion des Buergermeisters gehalten hatten, die Augen. Pablito verschwand, Willy zog aus der Huette aus, aus eben jener, die er gruen angemalt und mit der politischen Parole „Gibacho s? cumple!“ versehen hatte. Eine kurze Zeit lang sah man ihn noch im alten Lokal der „ledigen Muetter“ hausen, dann verschwand er. Immer noch sagten die Frauen, die ihn in Iquitos herumstreunen sahen, er rauche. Die Verwahrlosung setzte ein, er wurde zum dunklen Gespenst. Einmal ueberfiel ihn in seiner Bleibe ein Kommando von dreien, ein Auftrag, wie er sagte. Die Verletzungen, die sie ihm zufuegten – das Schluesselbein wurde gebrochen -, heilten nur schwer aus. Die psychiatrische Abteilung wurde zu seiner Absteige, spaeter die Interne, wo sie seine Geschwuere behandelten. Nicht einmal Ivan V?squez, der ehemalige Regionalgouverneur und allgemeine Heros, konnte ihm mehr helfen, vielleicht, weil Willy Dynamit war.

Noch immer brennen seine Augen, redet er kultiviert. Seine sonore Stimme geht ins Ohr. Er ist sich nicht zu schade, selbst mit seiner laedierten Schulter am Hafen von Huayquito Koffer zu schleppen, fuer 2 Soles. Dann taucht er wieder in Tamshiyacu auf, zu stolz, um zu betteln. Die Leute sagen ihm nach, bei seinem letzten Besuch habe er gestohlen. Unter dem Baum an der Ecke des Hauptplatzes erzaehlt er von seinem Sohn und weint. Ehrliche Augen, vertrauend. Er will nicht, dass die Kinder des Hauses, mit denen er frueher gespielt hat, ihn so sehen. Dankt fuer eine Rasiergelegenheit und ein Essen. Er muss zurueck in sein Exil, das Krankenhaus, ein Privileg. Essen und Bett.

Sein Kampf um Gerechtigkeit fern der Heimat. Ein Spiegelbild.

Es war ein Samstag, 11 Uhr am vormittag, die Sonne brannte herunter. Wir sassen alle ungeschuetzt in dem Boot auf der Reeling, wartend. Und er gestikuliert voller Freude zu seinem Sohn, ruft ihm ueber alle Entfernung und alle Gewaesser dieser Erde zu, „Pablo, Pablito!“, waehrend seine Mutter keine Notiz von ihm zu nehmen scheint.

Willy war der Ehrengast bei der Taufe meines Sohnes. Ich hatte ihm schon vor Jahren fuer diesen Moment meinen Kaenguruh-Hut aus Kanada versprochen. Das ist nur eines der Bande, das mich mit ihm verbindet. In diesem Leben.

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