Die neuget?nchten Mauern der hinter Begunienz?unen versteckten, herausgeputzten H?user in den D?rfern unserer ?sterreichischen und deutschen Gastl?nder verwehren den Blick auf die in ihnen Wohnenden. Der Rasen leuchtet feingeschnitten. Kein Unkraut. Doch dem Fremden weht Mi?mut und Angst entgegen.
Semmeln? „?“
20 Deka Leberk?se. „Was wollen Sie?“ Der Blick der dressierten Verk?uferin signalisiert, „bitte machen Sie mir keine Schwierigkeiten.“
„Geh fahrn’s doch a St?ckerl weiter. Der Streifen da vor meinem Zaun geh?rt noch zu meinem Grund.“
Don Luis Panduro, der zottelige Schmalhans, der so gern lacht, steht eng an meiner Seite, ich lasse ihn nicht weg. Ich will nicht, da? sie mir den Freund ?ber den Haufen schie?en, nur weil er wie ein Au?erirdischer da steht. Aber keiner argw?hnt mit ihm, nicht einmal die haufenweisen Altsemester aus den haltmachenden Reisebussen an der Autobahnrastst?tte. „Sind Sie Musiker?“, fragt ein Hellsichtiger freundlich.
„Don Lucho, zw?ng dich zu mir her. Hier mu?t du f?rs Pinkeln 50 Cent zahlen.“ (Das nennt man „Sanifair“.) Bettelbr?der m?ssen schauen, wie sie durchkommen.
Dieter, der Nervenarzt, will mal kurz in die Nachrichten schauen. Erste Nachricht: Amoklauf eines 16-J?hrigen in Berlin, 20 Niedergestochene. Er dreht gleich wieder ab.
Auf den Autobahnen zu Christi Himmelfahrt unbekanntes meditatives Dahinrollen aller mit Tempo 120, sogar noch beim „gro?en Bruder“. Nur eine Handvoll Ausrei?er.
In den Nachbarwohnungen, h?ben wir dr?ben, sterben sie aus. Das Leiden geht zu Ende. Dort, wo Liebe war, folgt der ?briggebliebene kurze Zeit sp?ter.
Aber andere leben noch Jahrzehnte.
„Ilija, wie geht’s dir?“ Er hustet vom Staub der Fliesen, die er schneidet. Von seinen Fingern h?ngen Hautfetzen. Als ihn die ?sterreicher fortjagten, fiel er den Kroaten in die H?nde. Die folterten ihn gleich nahe der Grenze, weil sie ihn f?r einen Fahnenfl?chtigen hielten, der nicht am Krieg teilnehmen wollte. Dem war auch so, denn die H?lfte seiner Familie ist serbisch. Sein Bruder, der mittlere, der 2 Jahre mitmachte, ein vollkommen Wei?haariger, beteiligt sich noch heute an keiner Diskussion. Die gro?e Br?cke seiner neuen Wahlheimat Novi Sad kniet immer noch als Tote in der Donau. Die Kinder, die im Schulbus vom Kugelhagel der Apache-Hubschrauber der Amis zerrissen wurden, wurden nie gefunden. Die Donau hat sie davongetragen. Das alles geschah in moderner Zeit, im Herzen Europas, 100 Kilometer vom Ungarn-Land, 300 vom Ostarichi-Land entfernt.
Europa, du Ver?ngstigte. Innbegriff der Geschichte und der Kultur. Wer findet sich in dir, der aufsteht und endlich einmal spricht? Der spricht vom Wahn. Der spricht von der Armut hinter den Mauern, den Kasperltheatern, die etablierte und bis an ihr Lebensende versorgte Politiker in europ?ischen Parlamenten auff?hren, wo sie vor den Augen von Sch?lern auf den Balkonen und arbeitsloser, immer noch loyaler, weil gut erzogener Staatsb?rger vor den Fernsehger?ten einander systematisch und h?misch ins Wort fallen und andere Debatten vor Geisterkulissen stattfinden.
Die Geisterkulisse, die leere n?chtliche Stra?e mit Laternen, die f?r niemanden scheinen, das ist der Ort der Wahrheit, nach Srebrenica, Europas eingebrannter Tods?nde. 6000 dem Meuchelmord durch Milosevic- und Karadzic-Schergen preisgegebene Moslems, die M?nner einer Kleinstadt, verraten und verloren. Das holl?ndische UN-Kontingent, das blau?ugig einfach von dannen zog, nachdem man einander noch die H?nde gereicht hatte. Nur 10 Minuten sp?ter das Peitschen der todspeienden Gewehrsalven, schreckengeweitete Augen von M?nnern, Burschen und Knaben, Opfer eines Meuchelmords. Der Tag des Verrats, der Europas Brunnen, in die sie die Leichen warfen, vergiftete. Wir haben Leichenwasser getrunken und unseren Geist der H?me der nachhaltigen L?ge preisgegeben.
Und kein Kinderlachen befreit uns von dieser Ungeheuerlichkeit, denn wir haben keine Kinder mehr. Europa, du bettl?grige Sch?nheit. Die Angst hat nach dir gegriffen.
Helmut Schmidt, ehemaliger deutscher Bundekanzler und Gespr?chspartner Agustin Rivas‘: „Wir sind ein gef?hrdetes Volk.“