Deutschlands Dialoge

„Sprechen Sie Deutsch?“ (Noch immer Maskenpflicht in den Zügen. Ein zum Einsatz bereiter Polizist mit Waffe im Holster an einen maskenlosen Priester, der zu Gast weilt im Lande).

 

„Die Langzeitfolgen des Virus sind nicht zum Lachen“, erklärt der Sitznachbar des Geistlichen, ein 75-Jähriger. „Hätten wir keine Maskenpflicht, würde sie keiner tragen.“ Und vertieft sich in die Lektüre zum Thema „starkes Herz“.

 

„Wo bin ich hier eigentlich?“, schreit ein fülliger, mit übergroßer Sonnenbrille bewehrter, scheinbar alkoholisierter Mann, wie er dem Regionalzug entsteigt, sein Fahrrad herausschiebend. Er blickt den Stiegenaufgang samt gesicherter Rolltreppe hoch. Da gibt es kein Hochkommen. Der Mann tut mir augenblicklich leid. Er wendet den Kopf zu mir, vollkommen ruhig, hebt die Sonnenbrille und zwinkert mich an, wie in einem Film. Ich fühle mich peinlich berührt und wende mich ostentativ ab. Dem Boten des Himmels muß meine Reaktion genügen.

 

Die Anhänger des FC St.Pauli ziehen mit traurigen Gesichern aus Regensburg ab. Der Titelkandidat der 2.Liga hat soeben beim inferioren Jahn Regensburg eine wohl wetterbedingte 0:2 Niederlage kassiert. Das wird eine lange Heimreise. Doch niemand murrt. Derweilen grölen die alkoholisierten Fans des FC JR, die auch noch ihren Regionalzug nehmen werden müssen.

 

„Der Kaffee wird etwas länger dauern“, informiert uns die Kellnerin im Café. Sie ist überlastet. Der Chef selbst steht als Aushilfe an der Kaffeemaschine, doch stellt sich an wie ein Tölpel. Mein Freund, der Nervenarzt, kommentiert das Geschehen, schlußendlich ist es ja seine Geburts- und Studienstadt. „Wir schaffen uns selbst ab. Es gibt nirgendwo mehr Personal. The great reset. Und Amokläufe überall. Der Polizist im ICE kein Zufall. Du weißt ja: Würzburg. Meine Schwester will nicht mehr in dieses Café. Zuletzt flog ein flüchtender Autorowdy in der Kurve da oben über die Leitplanke, prallte gegen die Hausmauer und tötete ein vor der Haustür wartendes Mädchen. Gleich da draußen. Meine Schwester sah es von hier herinnen mit an. Ich kann sie verstehen. Doch mich hindert es nicht, regelmäßig hierher zu kommen.“

 

„Jetzt geht’s nach Österreich, dem Land der Freundlichkeit“, stellt sich der Schaffner in Passau vor. „Haben Sie auch noch eine Seniorenkarte zum Ticket?“ „Ich glaube schon.“ „Sie Schelm, ich weiß, daß Sie nicht glauben, sondern es wissen. Leute mit Kreuz, noch dazu am Sonntag, trifft man immer seltener. Und außerdem: Wie man in den Wald hinein ruft, so schallt es zurück.“ „Von wo kommen Sie?“ „Aus der Nähe von Melk. Sie wissen ja: Die schöne Wachau.“

 

„Papi, mindestens 80% der Leute haben Angst vor diesem Virus. Wenn du ihnen die Frage stellst, warum überall diese Plastikwände an den Kassen, so wie hier beim Obi, ergreift sie sofort die Panik. Da siehst du, wo dieses Land steht. Für diese Leute gibt es nur die Angst.“ „Hattest du schon mal das Virus, Abraham?“ „Nein, nicht, daß ich wüßte. Und außerdem, was soll das? Wie oft hattest du es?“ „4 Mal, aber ich habe es ausgespuckt, und bei dem einen Mal, wo sie Déngué mit dem Virus verwechselten, hat mich Mami Enia mit Rattengift und Kanalputzmittel auskuriert.“ „So ist’s recht. Aber du weißt, das kannst du deiner Schwester nicht erzählen. Sie gehört auch zu den 80%. Vor mir hatte sie auch Angst, weil ich immer maskenlos herumspaziere. Aber sag es ihr nicht!“

 

„Herr H., welcher Schamane leitet die Zeremonie?“ „Wovon sprechen Sie, junge Dame?“

 

„Christopher, dieser Audi, in dem wir da gerade sitzen, der muß doch einen Hunderter gekostet haben!?“ „Ein bißchen mehr, Wolfgang. Das gehört zum Leben.“ „Wie hoch geht er?“ „280. Dann ist er abgeriegelt.“ „Und?“ „Na gut, ich könnte, aber der Verkehr läßt es nicht zu.“

 

„Wolfgang, merk dir eins: Du bist der Hase und ich der Igel. Wenn du ankommst, bin ich schon längst da.“

 

„Herr Ober, könnte ich meine Pizza Frutti di Mare scharf haben?“ „Wenn es nichts Anderes ist…!“ Spricht’s und bringt eine Schale mit Chili in Olivenöl und Knoblauch in Olivenöl. „Warum haben Sie Ihre Pizzeria „da Valentino“ getauft, meine Herren?“ „Weil eine original italienische Pizzeria so heißen darf. Das wissen Sie doch!“

 

 

 

 

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  1. Der unbewegte Beweger

    „Besinne dich, guter Freund. Laß ab von allem. Zumindest heute. Laß ab von deinem Trinken. Es bringt dich noch ins Grab, nur allzu bald. Laß ab von deinem Rasen, laß ab von deinem Haß. Laß ab von allem, denn es bringt dich nur ins Grab. Laß ab von dir selbst. Laß dich einfach sein. Es vollzieht sich sowieso von allein. Dein Herz wird weiterschlagen, selbst wenn du schläfst. Dein Herz und dein Atem. Nimm dir die Kinder zu Herzen, auch wenn sie nicht sind dein. Nimm sie dir zu Herzen, diese kleinen, unschuldigen Kreaturen. Nimm dir ihr Bemühen zu Herzen, ihre verhaltenen Tränen, ihr Bemühen, stark zu sein. Stark in einer fremden Welt, in einer Welt des kalten Hasses, in einer Welt der Verlorenheit. Laß du dich nicht verloren gehen. Ich bitte dich, guter Freund!

    Ich hab dich nicht vergessen, du gutes Mütterlein. Wie denn könnte ich dich vergessen, dich, die du warst mein Mütterlein. Sosehr ängstigte dich das Leben, sodaß du verfielst in tiefe Dunkelheit, du, doch du warst nicht allein. Die Mutter deines Mannes, sie verlor ihre Eltern mit sechs. Und die Schwester deines Mannes, die ihren Vater bestrafte mit ihrem Haß. Da saß sie eines Tages und bewegte sich nicht mehr. „Alles so dunkel…“ Oh Mütterchen, du gingst voraus, voraus dorthin, wohin du wolltest hin, Zuflucht suchend in deiner Einsamkeit, das Paradies, wo du wußtest dein Väterlein. Und jetzt bist du drüben, und dein Mann, der sosehr um dich weinte, mit dir. Was ist nur geschehen in diesem beängstigenden Leben!? Was war dieses Leben, ein Leben, das dich ergriff in erschreckender Abgründigkeit. Wo ist Rettung? Das war deine Frage, ein Leben lang.

    Und du, mein Kind, schreite voran. Schreite voran, wo auch immer der Wind dich bläst hin. Gehe mit Gott, wir seh’n uns wieder.“

    „Und steh‘ ich auf für immer, an diesem einen Tag, und fallen werd‘ ich nimmer, vergangen alle Plag. Und so komm du herein, du holdes Lichtelein. Du Lichtstrahl aller Hoffnung, du tilgst mir alle Pein. Und wandeln will ich nicht allein, ich, ein kleiner Wandersmann. Nach Emmaus will ich wandern, vergessen alles Leid. Und sieh, da kommt ein Bruder, ein Mann, der von nichts weiß. „Warum, ihr guten Freunde, warum ihr traurig seid?“ „Fort ist uns gestorben, der Rabbi, der von sich doch sprach: „Ich bin das Salz der Erde, der gute Hirte, der euch bewahrt vor Hunger, Tod und Kälte, vor aller Verlorenheit.“ Er ist nicht mehr.“ „So will ich mit euch gehen, wenn ihr, oh Brüder, es erlaubt, und Einkehr will ich halten in jener Herberg‘, für die Nacht. Mit euch.“ Amen.“

     

    9 Die 17. Inkarnation des glorreichen Gyalwang Karmapa

  2. Wenn der Zar nicht mehr sein wird

    Gerechtigkeit ist eine der Toten. Die Toten selbst richten. Es ist ihnen erlaubt, auch wenn es paradox klingt. Doch „klingen“ hat nichts zu tun mit energetischen Tatsachen. Und das Prinzip der Wiedergeburt ist die fundamentalste aller energetischen Tatsachen. „Wiedergeburt“, so der Dalai Lama, „ist ein kosmisches Prinzip. Und es ist zugleich ewig, so wie der Kosmos schon immer bestand.“ Die Toten richten einander, die Gerechten die Ungerechten. Sie richten unter dem Verdikt des einen und wahren Richters, des eschatologischen himmlischen Richters, dem die Apokalypse eingeschrieben wurde. Die Apokalypse als Ende der Zeit.

    Man könnte sagen, mein eigener Tod ist mir bereits Apokalypse genug. Wer weiß, was mich erwartet? Jedenfalls wird es gewaltig sein und meine Stimme wird mir, wie Leonard Cohen singt, mir auf göttlichen Willen hin versagen, endgültig versagen. Dann entringt sich keine Lüge mehr meiner Kehle, keine notorische Lüge, der ich zeitlebens anhing, weil ich meinte, ich könnte alles tun und lassen. Ich, der Menschenmörder. Ich, der Kindesmörder. Dies ist das Verdikt des Zaren im Kremlin, des vom Bösen Ausgezehrten, des durch und durch Kranken, dem, der nicht mehr (schon lange nicht mehr, schon seit Urzeiten nicht mehr) weiß – und auch nicht mehr wissen will -, wer er ist, ja sogar, im weitesten Maße abgeschwächt, eigentlich sein könnte. Als wer er eigentlich angedacht war, in seiner Gewissensfähigkeit. Dieser fahle, krank wirkende Tyrann mit seinen wässrigen Augen, der meint, er müsse dem französischen Präsidenten auf 15 Meter Entfernung im Empfangssaal seines Palastes gegenübersitzen, er hat alle Hoffnung fahren lassen. Für ihn gibt es nichts, nichts außer seiner kurzlebigen Eigenmächtigkeit, und selbst diese eingebildete, praktizierte Getriebenheit verleugnet dieser Mann beharrlich. Er meint, seine Entscheidungen entsprängen reinem Vernunftkalkül, einem Verständnis von wahrer Gerechtigkeit, so wie der Mann in Weiß in Rom, sein eigentlicher „Gegenpart“, es sich erlaubt, öffentlich angesichts dieses unerträglichen Mordens bitter zu weinen, fürwahr bitter zu weinen, öffentlich, und dieser heilig fühlende „Stellvertreter Christi auf Erden“ sagen darf, wir hätten das Weinen verlernt, das Weinen über bitteres, nicht wieder gutzumachendes Unrecht, weil diese Menschen in einer schlimmeren Verfassung als jener der Sünde verharren, nämlich jener der Verkommenheit, der Verrottetheit, was sagen will, der Perversion. Perversion ist nicht wieder gutzumachen. Sie ist die eigentliche Hölle. Doch das schert diesen Mann in Moskau nicht, solange er es sich leisten kann, ungehemmt in seinem Reichtum zu schlemmen, wie ein staatsbestimmender Cäsar in einem Palast an der Küste des Schwarzen Meeres. Ein einzigartiges Wurmwesen. Ein Wesen ohne Gehirn. Und wie stirbt dieses Wesen? Wie stirbt es, trotz aller vermeintlich lebensverlängernden Maßnahmen (Sauerstoffzelt, hochionisierte Nahrung, Schwimmbad mit hochpotenziertem Wasser)? Das Böse wird diesen Mann auszehren, und sein Tod kann höchst gefährlich werden für seine Umgebung, so wie er es war für geschätzten 15.000 Sowjets, die am Katafalk des Georgiers Stalin vorbeiparadierten (Millionen) und einer Stampede zum Opfer fielen, so wie jüngst in Seoul. Der Mann wird sterben, er wird einen absurden Tod sterben, und dann wird das große Denken einsetzen, das große Bedenken, so wie es einsetzte nach Hitlers Suizid oder jenem seines Schreihalses Göbbels, der zuvor seine sechs Kinder vergiftet und der eigenen Gattin den Revolver sehenden Auges (sie blickte ihn an) angesetzt hatte. Das ist der totale Krieg. „Wollt ihr den totalen Krieg?“ „Ja!“ „Sieg heil!“ „Sieg heil!“ Wenn der Zar gestorben ist, wird das große Denken einsetzen, so wie bei seinem Freund, dem armen, größenwahnsinnigen Narziß in Mar a Lago, dem Teufel in Menschengestalt, der in den letzten Tagen seiner perversen Amtszeit noch die letzten Delinquenten in der föderalen Todeszellen mit Vergnügen exekutieren ließ. So war sein Machtrausch. Und dann kommt der Tod und mit ihm das Gesetz, das wahre, nicht von Menschen gemachte Gesetz. Und die Toten wissen, hier gibt es kein Menschenwort mehr, nein, das gibt es nicht mehr. Die Seele schweigt, doch der Geist schreit. Er rast. Er brüllt. Und dann wird er aufgelöst und verstummt. Und Kindesaugen blicken ihn an. So wird es sein. Und es wird noch in diesem Leben sein. Und zuvor kommt die geweihte Nacht, morgen. Und wir rufen überall (überall rufen sie): „Tauet, Himmel, den Gerechten, Wolken, regnet ihn herab!“ Und auch der Mann in Gelb, Dharamsala, sieht dies alles.

     

     

  3. Die Woche der Toten

     

    Die Woche der Toten beginnt nicht mit St.Wolfgang (?), auch nicht mit Samhain, und auch nicht mit Halloween, nein, ganz und gar nicht: die Woche der Toten inmitten dieses unbeschreiblichen Chaos allgemeinen Mordens und Halsabschneidens, dieses Chaos des Lärms und des Irrsinns – oder sagen wir: des allgemeinen Rasens in jedem Haus, an jeder Straßenecke, ja sogar noch inmitten des Paradieses des geheiligten Urwaldes -, sie beginnt mit Heiligabend, und warum nennen wir diesen Abend heilig? Nicht wegen des Vorlesens des Evangeliums, dem Festessen und der nachfolgenden Bescherung unter dem von Kerzen brennenden Christbaum, und auch nicht wegen der vor Freude leuchtenden Kinderaugen, nein, dieser Abend wird heilig genannt wegen dieser Person, diesem Mann, der den Anlaß gab für all dieses Rasens, diesem Mann, der sagte, er wäre gekommen, um das Schwert zu bringen. Das sagt doch alles. An diesem Mann, der, wie jeder Mensch, als Kind geboren wurde, in einem Stall zu Bethlehem (das, doch wohl, ist bewahrheitet), zerreißen sich die Gemüter, Geister wie Ungeister, nur Pflanzen und Tiere nicht. (Der Mensch ist kein Tier; das wohl sicher nicht. Wäre der Mensch ein Tier, könnte er nicht von sich abstrahieren) An diesem Menschen, fürwahr, ist nicht Fehl noch Trug, auch wenn er, gut verständlich, seit zweitausend Jahren den Stein des Anstoßes darstellt, und sogar dies, die eigene Anstößigkeit, hat er seinen Jüngern prophezeit. Ihr werdet in meinem Namen Verfolgung, Ehrverlust und Tod erleiden. So redet kein Tier. Das war der Heilsbringer. Er ist der Heilsbringer. Er ist es entgegen aller Müdigkeit, entgegen aller Lüge, aller Häme, allen Hasses. Wo ist er denn?, speien sie. Speien sie alle. „Wo sind die Divisionen des Papstes?“, speite Jossip Wissarionowitsch Djugashvili, der größte Massenmörder in der Geschichte der Menschheit (er tötete bis zu seinem Tod 80 Millionen Menschen). Und so speit der KGB-Kranke im Kreml heute, er, der personifizierte Nihilist, will heißen, der personifizierte Antichrist. Das ist der Kern inmitten des weltweiten Kriegs, des Dritten Weltkriegs auf Raten, wie der Argentinier zu sagen pflegt. Der Antichrist trompetet: „Es geht nur um das Morden. Etwas Anderes bleibt uns nicht übrig.“ Er verschweigt, daß er eigentlich meint: „Etwas Anderes bleibt MIR nicht übrig.“ Dieser verschwiegene Ausspruch, der nahtlos in mörderisches Tun einmündet, verschweigt auch die eigentlich zu behandelnde Frage, „Was ist die Finalität des Antichtrists?“ Der Antichrist hat gute Gründe, diese Frage der eigenen Finalität zu verschweigen, denn sie spricht seine eigene Geschöpfheit an. „Wie konnte ich entstehen?“ Bei Stalin war es nur eine Dimension des eigenen, biographisch bedingten Rasens, und weil er diese Frage mit seinem, wie man sagt, sphinxhaften mörderischen Lächeln beantwortete, blieben es 80 Millionen Menschen, und dann war er selbst tot. Doch bei diesem unversöhnlichen Gegner des Christus liegen die Dinge (wenn ich es so nennen darf) anders: Dieses Wesen, von dem das Christentum sagt, es wäre ein gefallener Engel, einer, der sich gegen Gott stellte, weil er so werden wollte wie Gott, diesem Wesen muß doch, definitionsgemäß, eine ganz andere Wesensnatur eingeschrieben sein, und damit auch ein ganz anderes Verhältnis zum Tod. Und gerade hierin unterscheidet sich dieses Wesen, das gemeinhin „Shaitán“ genannt wurde, von Xesú, denn der menschgewordene Sohn Gottes nahm qualvollsten Menschentod auf sich. Das war bereits Anstoß genug. Die intellektuell erfahrenen Griechen mockierten sich über diese Aussage des Paulus auf den Plätzen Athens. Ein Gott kann niemals sterben, raisonierten sie. Wenn du Gegenteiliges behauptest, bist du irre. Doch in Wahrheit irrten sie selbst. Sie verstanden nicht, was Paulus Ausspruch: Bei Gott ist nichts unmöglich, in letzter Konsequenz bedeuten mußte und sollte. Die braven, philosophiegewandten Griechen hatten nun mal ein braves Verständnis von Gott, eines Gottes (eines Göttervereins), der sich gänzlich unter menschlichen Antrieben zeigte. Doch zugleich, so sagten sie, müsse Gott unsterblich sein, so wie Thanantos, der Gott der Unterwelt, heißt, des Todes. „Was ist dein Gott?“, fragt der Fechtmeister Arya Stark in „Game of Thrones“ in einer kurzen Pause. Ihre postwendende Antwort: „Death!“ „Und was ist dein Lebensmotto?“ „Nicht heute!“ Kurz und bündig. Mein Lebensziel ist es, nicht heute zu sterben. Typisch britischer moderner Nihilismus, bekömmlich medial unters Volk gebracht, das Volk nicht Wenige. Diesen Nihilismus kenne ich nur zu gut. In der Unzeit der sogenannten Pandemie begegnete ich auf Schritt und Tritt Zeitgenossen, denen die Knie schlotterten bei dem Gedanken, der Mitmensch könnte ihnen mit einem Huster den Tod bringen. Da erst habe ich wirklich verstanden, wo wir heute stehen, und was Faschismus, insbesondere deutscher Fasdchismus, ist. Kollektive Uniformität von hunderten von Millionen Menschen, die sich einbilden, auf diese Weise dem Tod entkommen zu können. Und das hat mir auch schlagend vor Augen geführt, was Don Juan Matús mit seinem Jahrhundertausspruch („Der Untergang der Menschheit wird sein, so zu leben, als würden wir ewig leben“) nachhaltig uns klar machen wollte, nämlich den Bodensatz, das Fundament unseres Handels als – in Wahrheit – bodenlose Ignoranz. Definitionsgemäße bodenlose Ignoranz. Das ist doch beschämend.

    Christus war nicht ignorant. Das sieht, das liest man in jeder Zeile der Evangelien. Er sprach vom eigenen Tod, vom Tod am Kreuz. Er sprach nicht von der Geißelung. Diejenigen, die seine Geißelung mitansehen mußten, fielen reihenweise in Ohnmacht oder wurden irre. Das hat mir Mutter Ayahuasca heute nacht klar vor Augen geführt. Sie sagte: „Sein Tod am Kreuz war eine Explosion, hundert Mal schrecklicher als die Explosion der Tsar-Bombe. Verhehrend! Doch die Geißelung war ebenso verhehrend, vielleicht sogar schlimmer, denn sie bedeutete nicht den Tod, sondern nur unermeßlichen Schmerz. Ein geschundener Körper durch und durch. Wenn du deinen Blick hältst, wirst du zu ahnen beginnen, was hier geschah.“ Das alles sagte sie mir klar, während draußen die Böller krachten, Musik gröhlte und die irren, jede Nacht vor Einsamkeit kläffenden Straßenköter erstmals schwiegen, weil in den Straßen, direkt vor ihjrer Nase, Grananten explodierten und sie sich gut beraten sahen, sich irgendwo in den hintersten Winkel zu fliehen, vielleicht hinauf auf den Friedhof, der bereits aus allen Nähten platzt. Das also ist Heiligbabend. Hingeschlachtete Kinder. Der Kindermord von Bethlehem unter Herodes. Eine Fußballnation in Agonie. 7 Millionen Menschen auf den Straßen von Buenos Aires (die statt hat knapp 18 Millionen Einwohner; dergestalt die größte Megalopolis Südamerikas). Eisestemperaturen auf der Schildkröteninsel. Und Gräuel in jedem Winkel dieses Planeten. In Iquitos waren gestern zeitgleich hunderttausend (mindestens) Menschen auf den Straßen, die Versinnbildlichung des Irrsinns an einem Ort, den Sartre, der schielende, als die Hölle bezeichnete. „Die Hölle, das sind die Anderen…“ Nein, sie sind nicht die Hölle, sie sind nur viele, sehr viele, und mir fehlt es an allem, mit diesen Vielen adäquat umzugehen. Mit ihnen und mit allem, was sie hinterlassen. Müll und Lärm zuvorderst. Und in zahllosen anderen Städten auf beinahe allen Kontinenten ist es ebenso. „Life is life“ singen STS seit undenklichen Zeiten hierzulande. Doch gerade deshalb wird mir meine Stimme nicht versagen.

     

    Montaje de la Ciudad de Buenos Aires.png

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