Am 27.Oktober 1986 fand in der Kathedrale Santa Maria degli Angeli, der Grabeskirche des heiligen Franz von Assisi, auf Einladung Papst Johannes Paul II. das erste "Weltgebetstreffen fuer den Frieden" statt. Ermoeglicht wurde dieses Treffen zwischen hohen Geistlichen der verschiedenen Religionen durch die Neuorientierung der katholischen Kirche zu den nichtchristlichen Religionen durch den Text "Nostra Aetate" des 2.Vatikanischen Konzils.
"Unter den in "Nostra aetate" angesprochenen Religionen verdient der Buddhismus eine besondere Aufmerksamkeit, da er in gewisser Hinsicht, wie das Christentum, eine Heilsreligion ist. Doch muss sogleich hinzugefuegt werden, dass die Soteriologien des Buddhismus und des Christentums sozusagen gegensaetzlich sind.
Im Abendland ist die Gestalt des Dalai-Lama sehr bekannt, des geistlichen Oberhaupts der Tibetaner. Auch ich habe ihn verschiedene Male getroffen. Er bringt den Menschen des christlichen Abendlandes den Buddhismus naeher und erweckt Interesse sowohl wegen der buddhistischen Spiritualitaet als auch wegen seiner Gebetsmethoden…
Die Soteriologie [Heilslehre] des Buddhismus stellt den Mittelpunkt, oder besser noch: den einzigen Punkt, dieses Systems dar. Wie dem auch sei, die buddhistische Tradition und auch die von ihr ausgehenden Methoden kennen eine fast ausschliesslich negative Soteriologie.
Die "Erleuchtung des Buddha" beschraenkt sich auf die Ueberzeugung, dass die Welt schlecht und fuer den Menschen Quelle des Boesen und des Leids sei. Um sich von diesen Uebeln zu befreien, muss man sich von der Welt befreien; man muss die Bande zerreissen, die uns mit der aeusseren Wirklichkeit vereinen: die also in unserem Menschsein selbst, in unserer Psyche und unserem Koerper verankert sind. Je mehr wir uns von diesen Banden befreien, umso gleichgueltiger stehen wir den Dingen dieser Welt gegenueber und umso mehr befreien wir uns vom Leid bzw. vom Boesen, das von der Welt ausgeht. Kommen wir damit Gott naeher? Hiervon spricht die von Buddha erfahrene "Erleuchtung" nicht. Der Buddhismus ist in erheblichem Mass ein "atheistisches" System. Wir befreien uns vom Boesen nicht durch das Gute, das von Gott kommt; wir befreien uns nur dadurch, dass wir zur Welt, die boese ist, auf Distanz gehen. Die Fuelle eines solchen Abstandnehmens ist nicht die Einheit mit Gott, sondern das sogenannte Nirwana, ein Zustand voelliger Indifferenz gegenueber der Welt. Sich retten heisst vor allem: sich vom Boesen befreien, der Welt gegenueber gleichgueltig zu werden, da sie die Quelle des Boesen ist. Darin gipfelt der Prozess, den der Geist durchlaeuft." (Johannes Paul II., Die Schwelle der Hoffnung ueberschreiten, Hamburg 1994, S.142-144).
"Zum Schluss moechte ich sagen: Als Praktizierende des Buddhismus muessen wir so ernsthaft praktizieren, wie es uns nur moeglich ist. Was wir nicht koennen, ist eine andere Sache; aber im Rahmen unserer Moeglichkeiten ist es noetig und sinnvoll, die Unterweisungen in die Tat umzusetzen. Bleiben die Lehren blosses Buecherwissen, so besitzen Sie keinen Wert, nimmt man sie aber in sich auf und wendet sie an, so kann man wirklich erleben, was zum Beispiel Leerheit bedeutet. Ich weiss aus eigener Erfahrung: Als ich mit meinen Studien ueber die Leerheit begann, blieb dieses Wort nur ein Wort, obwohl ich es eintausend Mal wiederholte. Beginnt man aber mit der Schulung, denkt immer und immer wieder darueber nach, so bekommt das Wort zunehmend mehr Gewicht; es beeinflusst die Einstellung gegenueber Problemen, Glueck und Leid.
Fuer Christen und Anhaenger anderer Religionen gilt das gleiche. Man muss die Lehren seiner eigenen Religion ausueben." (Dalai Lama, Einfuehrung in den Buddhismus, Freiburg im Breisgau 1992, S.272).
"Eine unserer von der Weissen Bueffelkalbfrau uns gelehrten sieben heiligen Zeremonien ist jene des Weges der Schwitzhuette. In der Schwitzhuette treten wir nackt unserem Schoepfer gegenueber. Wir singen, wir fasten, wir trommeln, wir schwitzen. Das ist unser Weg der Reinigung, ein Weg, der fuer viele gut waere. Haben nicht auch die Europaeer des Nordens eine Kultur des Schwitzens entwickelt? Wie auch immer, in Assisi hatte ich Gelegenheit, ueber unser Ritual zu sprechen und ich nahm mir die Freiheit, die versammelten Wuerdentraeger zu uns auf eine gemeinsame Schwitzhuette einzuladen, auch den Papst. Leider folgte er meiner Einladung nicht. Der einzige, der kam, zu uns in die Reservation, war der Dalai Lama. Er kam wie ein einfacher Moench. Er fragte: "Was habe ich zu tun?" Ich sagte ihm: "Willkommen, eure Heiligkeit! Wir feiern jetzt gemeinsam einen Brauch unter Maennern. Es wird Ihnen gefallen. Wir treten unserem Schoepfer so entgegen, wie er uns geschaffen hat und krabbeln auf allen Vieren in die Schwitzhuette. Drinnen ergibt sich alles Weitere von selbst. Und so taten wir." (Archie Fire Lame Deer, Lakota, 1994)
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Der wiedergeborene Schelm. Schelm?
Eine reife Frucht fällt vom Baum, vom Baum der Erkenntnis; vom Baum des Lebens, des versprochenen Ewigen Lebens ("Ewig" groß geschrieben). Diese Frucht, dieser Apfel, war immer saftig-schmackhaft. Sie war unbehandelt, rein wie nur was. Diese Frucht ist die reine Lehre, die Lehre der Erleuchtung. Die Lehre vom Rad des Leidens, der nicht endenden Wiedergeburten. Mit einem Wort: die Lehre des Gautama Siddharta. Diese Frucht, die mir immer, seit ich vernünftig denken kann, zum Genuß gereichte, hat ein Gesicht. Sie trägt einen Namen: Der Mönch aus Amdo (wie er sich selbst bezeichnet), Seine Heiligkeit, der XIV. Dalai Lama, Tenzin Gyatso, unter talweitem Alphornschallen geboren am 6.Juli 1935, der höchste "Trülku" der Gelugpa-Schule, auch ehrführchtig benannt als der "ozeangleiche Lehrer".
An dieser Ehrerweisung ist, so ahne ich, etwas dran. Der Mann beglückt mich jedes Mal, wenn ich ihn auf die eine oder andere Weise brauche. Er gibt mir ein Maß vor, mich zu bezähmen. Es ist beinahe beschämend, mir eingestehen zu müssen, wieviel mir dieser freundlich lächelnde Herr mit seinen großen Augen zu sagen hat. Wie er mir immer, wenn ich an ihn denke, etwas sagt, und zwar etwas Frisches, Aktuelles, sehr Persönliches. Dieser Erleuchtete berührt mich über beinahe 20.000 Kilometer hinweg. "Bezähme Dich!", sagt er mir. "Du hast das und das und das nicht nötig!" Er löst jede Destruktivität auf, mehr als jeder Andere. Erstaunlich! Ich bin diesem Mann zu tiefem Dank verpflichtet. Er fungiert wie ein Stundenbrevier, wie ein zweites Gewissen. Er ist … meine Lebensversicherung. Ich denke an den Dalai Lama, und mir wird sogleich wohler. Und noch mehr: Ich denke an ihn, und eine Stimme sagt mir: "Verzage nicht! Du bist nicht allein! Er ist noch am Leben!"
Das ist der Punkt. Solange der Dalai Lama noch unter uns weilt, wird die Welt nicht untergehen. So etwas Ähnliches sagte mir auch Wucherer-Huldenfeld zu Allerheiligen, ganz lapidar, aber doch unter Tränen: "Die Welt wird nicht untergehen." Ich schenke seinen Worten Glauben. Da spricht nicht irgend jemand. Da spricht ein Heiliger. Einer, der Gott ganz nahe ist.
Tenzin Gyatso ist immer für schelmische Sager gut, die er gleich auch noch mit einem dröhnenden Lachausbruch begleitet. Mal redet er von 115 Jahren Lebenszeit, mal von 95 (dafür fehlen ihm, nach Adam Riese, noch 15 Jahre), doch zuletzt wurde es wieder stockernst, er verwandelte sich in einen Felsblock, und dekretierte (anders kann ich das Gewicht hinter diesen Worten nicht bezeichnen), er werde nicht mehr wiedergeboren.
Das ist eine äußerst schwerwiegende Sache. Der Dalai Lama schiebt den politischen Haxelbeißereien der Chinesen einen Riegel vor und nimmt ihnen so die Chance zur ideologischen Propaganda mit der Auffindung der neuen Wiedergeburt im Chinesischen Staat, denn Chinas Staatsfeind Nummer Eins ist nicht der Herr in "The White House", sondern der Mann "in Gelb", der Gelupka-Gelbmützenmann, der den Herren in Peking nur allzu deutlich ins Gewissen redet, in dieses skrupellose Gewissen, das über Leichen geht und das keinerlei Religionen anerkennen will. Und das ist ein Punkt, wo wir auf freier Strecke angehalten und gebeten werden, auszusteigen.
Was geschieht, wenn der Dalai Lama nicht mehr wiedergeboren wird? Das ist die zentrale Frage, die mich gegenwärtig mehr als jede andere bewegt. Das bringt mich augenblicklich zum Schweigen, zu tiefem Schweigen. Was dann? Beinahe mutet es mich wie ein Fanal an. Was passiert, wenn sie Tensin Gyatso zu Grabe tragen? Wo werden sie ihn zu Grabe tragen? Wie? Wer wird am Begräbnis teilnehmen? Wird es ein Massenauflauf von einer Million, so wie bei Gandhi? Wie groß wird der Schock, die Schockwelle rund um den Globus (Afrika vielleicht einmal ausgenommen)? Wird er uns Botschaften zukommen lassen? Ich weiß es nicht. Aber das ist mir die große Frage, denn ich gehe mit seinem Licht nicht unwesentliche Strecke. Was, wenn sein Tod mir diese Fackel aus der Hand nimmt? Diese Gedanken gehen weit und sie sind ernst.
Kundün
Am 6.Juli 2015, somit in ein paar Tagen, wird unsere Heiligkeit, der 14.Dalai Lama, Tensin Gyatso, 80 Jahre alt. Ein nobles Alter, ein durch und durch weises Alter, auch für einen Erleuchteten.
Heute ein Geburtstagsgruß, einer von tausenden, vielleicht zehntausenden, vielleicht sogar von Millionen. Zurecht, und mit Dank ausgesprochen, an den Hoffnungsträger dieses Planeten. Nicht mehr und nicht weniger.
Es lohnt, diesen Mann in Orange genauestens zu beobachten und jeder seiner Lautäußerungen zu lauschen. Diese Worte, dieses Lächeln, dieses Lachen! Dieses bisweilen explosionshafte Lachen. Ein Lachausbruch. 2014 war unsere Heiligkeit bei Barack Obama, im Kartenraum des Weißen Hauses. Das Protokoll verlangte es so. Kein Staatsempfang, der Mönch aus Amdo ist kein Staatsoberhaupt mehr. Seit 2011 widmet er sich nicht mehr der Politik, nur mehr der Spiritualität. Wenn einer weiß, was Spiritualität ist, dann er. Tenzin Gyatso sitzt also ganz hemdsärmelig dem stocksteifen Obama gegenüber, zumindest für das offizielle Foto, das auch nach China geht. Der Dalai Lama in Sandalen und im Arbeitergewand, wie einer bei der Heuernte im Sommer. Obama nobel, impeccably dressed, alles maßgefertigt, auch die Schuhe. Ich mag diesen Mann (den in Orange), diesen Weinbergarbeiter, einen Apostel des Herrn, den Nummer Eins-Apostel des Herrn, Zwilligsbruder von Franziskus, aber älter, und er hat noch keinen Stuß von sich gegeben wie: "Eine Ohrfeige, in Würde verabreicht, ist eine dienliche Erziehungsmaßnahme." In diese Kohlenschächte des unbewußten Trieblebens fiel der Mönch aus Amdo im Gegensatz zu seinem Hudriwudribruder in Weiß noch nie, und zwar, weil er mit nichts zurückhält. Der Mann ist Spontaneität pur, und das imponiert seinem Publikum zuvorderst. Diese kindliche Spontaneität, dieses Lächeln, dieses putzige Winken, keinerlei Stocksteifheit. Ein Mann, durch und durch plastisch, und keiner, der sich beim G7-Gipfel biertrinkend präsentiert. Er hat ebene eine Million Watt in seiner Birne.
Ich möchte doch wirklich einmal zuhören, wenn er mit diesen Leuten redet. Was bereden sie, wie redet er? Ich weiß, er tritt niemandem auf die Füsse. Er flicht Anekdoten ein, er ist diskret, freundlich, persönlich, wie ein extrem subtiler Beichtvater, aber sie kippen ihm alle aus den Schuhen, sie schusseln ihn ab, sie nehmen ihn nicht ernst, das, was er ihnen zu sagen hat, verstehen sie nicht, sie wollen sich nicht die Zeit nehmen, ihn zu verstehen, sie hören nicht zu, sie denken nicht nach, sie eilen, kaum haben sie ihm zum Abschied die Hand geschüttelt, zum nächsten Termin. Sie wollen nicht begreifen, daß er möglicherweise von unser aller persönlichem Tod spricht, dem ganz persönlichen Tod, doch, so denkt eine Staatspolitikerin, das paßt mir jetzt nicht in den Kram, ich muß nach Paris, Charlie Hebdo-Solidaritätsbekundung, und außerdem: Was will er sich in meinen ganz persönlichen Tod einmischen? Er hat doch vom Tod gesprochen und nicht vom Sterben, wenn ich mich recht entsinne? Wovon, zum Teufel, hat er gesprochen?
Ein Mann, ein Gesicht, möchte ich sagen. Ein Gesicht, zu dem ich bedingungsloses Vertrauen hege, schon mein Leben lang. Das einzige Gesicht. Der Mann, der mich lehrt, an Gott zu glauben. Den meisten Österreichern geht es so. Der Mann ist ein wandelnder Engel, ein Heiliger auf Erden.
Ich liebe es, an seinem Gesicht zu hängen. Je näher die Kamera bei ihm verweilt, umso besser, obwohl er natürlich kein Freund der Kamera, sondern des persönlichen Gesprächs ist. Er will nicht die Technik, sondern die persönliche Begegnung des Moments, dieses Moments. Er will uns berühren und nicht abgefilmt werden. "Dalai Lama, Dalai Lama", ruft ihm 2001 eine Anhängerin in der Festhalle in Graz zu, "ich habe hier ein Geschenk für dich". Er würdigt sie keines Blickes. Tenzin Gyatso braucht keine Geschenke. Er braucht Aufmerksamkeit, Mitdenken, Begreifen Wollen. Neben ihm ein alter Tibeter in den 80ern. Ein Mann, der mehr als 40 Jahre im Gefängnis der Chinesen verbracht hat. Der alte Mann sitzt oben, auf dem Podium, zu seinen Füssen, demütig, bescheiden, dankbar. Er fühlt sich wie einer der Jünger neben dem Herrn. So irgendwie. Er ist in Freiheit, endlich, nach ungezählten Jahrzehnten, und sitzt in unmittelbarer Nähe des Heilsbringers, des Ozeans der Weisheit und der Liebe.
Wir sind gesegnet mit diesem Mann. Wir alle. Gestern kam ein Mann in mein Haus, ein freundlicher, aufmerksamer Zeitgenosse. Ein Reporter des "National Gegraphic" und ein Freund des Dalai Lama. Er organisiert demnächst für Gyelwa Rinpoche eine Geburtstagsfete, in Osnabrück, wenn ich es recht in Erinnerung habe. 50.000 Besucher, sagte er.
Leben Sie lange und glücklich, Kundün. Sie am Leben zu wissen, ist mir bereits unendliche Gnade.