Die im Volksmund und in der romantisierten Aufklärung so genannten „Seelenforscher“, die mit der Couch arbeiten – also selbst auf ihr gelegen sind -, sind alle irgendwann auf den abwesenden Vater gestossen. Nicht nur viele professionelle Schachspieler – erst recht Weltmeister – sind ohne Vater aufgewachsen. Auch unter den Seelenforschern lassen sich einige finden. Tilman Moser zum Beispiel. Er ging durch seine „Lehrjahre auf der Couch“, aber das letzte Tabu (tatsächlich das letzte?) glitt ihm durch die Finger. Als er sich dessen gewahr wurde, kam der Zorn in ihm hoch und er setzte zu einem Kahlschlag an. Der, den seine Mutter in Abwesenheit seines Vaters geliebt hatte, war ein unsichtbarer. Die Inbrunst der in der Sonntagsmesse singenden Mutter war dem Kind unverständlich. Wen betete sie da an? Der Vater tauchte später wieder auf, ein Invalide auf Krücken, zeitlebens nicht imstande, den Sohn zu fuehren.

In Deutschland leben wir in einem Drama (Österreich ist nicht viel anders). Die Vaeter sind fort. „Vaterlose Gesellschaft“, sagte Alexander Mitscherlich. Das Unterhaltsrecht, das ihnen die Kinder entzieht, bringt die Väter, die einsamen, beinahe um. Horden von Kindern wachsen ohne Väter heran, und nie mehr kehren sie zurück, die Väter, auch nicht stellvertretend, in den Schulen, als gütige Lehrer, und nicht einmal in den Universitäten, den vermassten, wo man etwas mehr Intelligenz erwarten duerfte, als Mentor. In den Schulen – eine einzige Thyrannei und Neurose. Immer noch. Schon lange sind uns die Jugendlichen entglitten. Aber sie haben uns lange genug Zeichen gesetzt. Was wir heute erleben, ist eine absolute Ratlosigkeit, und je länger sie dauert, umso mehr macht sie der Feindseligkeit Platz. Wir haben keine Werte mehr, und damit keine Richtung. Wir wissen nicht, wie wir die Kinder erziehen sollen und wofür. Wir wissen nicht einmal mehr, wofuer es Bildung geben soll, wo es doch keine Arbeit gibt. Was wir erleben, ist eine einzige Diktatur des Geldes, die sich ueber jede Loyalitaet, jeden Wert hinwegsetzt. Ueber nacht kann man gekündigt werden und nie mehr zurückfinden. Wir werden zu einem einzigen Massenstaat von Vereinsamten, die nach und nach verbiestern. Wir bunkern uns in unseren Eigenheimen ein, wo wir pervertieren, den Nachbarn vermeintlich im Genick. Irgendwann wird es zum Ausbruch kommen.

Der schreiende Menschenhasser, der Kranke aus Braunau, zog die Jugend mit in den Orkus. Zehntausende verbluteten im „Volkssturm“ der letzten Tage. Zehntausende Jugendliche. Sie hatten schon keine Väter mehr, und die wenigen, die überlebten, wie hätten sie souveräne Väter werden koennen?
Heute, lange nachdem die Saat der Sieger aufgegangen ist, ist der Schrecken immer noch nicht von uns gewichen. Die Sieger fallen vor unserer Haustüre ein (in Jugoslawien) und drüben in Mesopotamien. Sie schiessen mit Uranprojektilen. Zuhause, bei ihnen, hat das Recht aufgehört, und ist der Agumentation des Geldes gewichen, – einer Killerargumentation. Eine Frau trocknet ihren gewaschenen Kater im Wäschetrockner und verlangt Millionen fuer ihren gerösteten Liebling. Die Justiz gibt ihr recht. Der Firmenchef, rasend in seiner Chefetage, feuert daraufhin den Werbechef, doch der strampelt rechtzeitig, ein paar kleine Lichter weiter unten im Kundenservice müssen dafür dran glauben. Vernichtete Existenzen.

Die Kirche, die zum Segnen eingesetzt wird, ob Panzer, Feuerwehr, Rettungsautos oder Kriegerdenkmal ist einerlei, hat ein vordringliches Interesse, ihre Position legal einzuzementieren. In Österreich gibt ihr das Gesetz das Recht, Kirchensteuersäumige zu exekutieren, und das tut sie systematisch mit Hilfe der Krankenkasse. Die Kirche heute hat ein Problem, ein selbstgezimmertes, weil Bonvivants (blutleere wie auch Sanguiniker) an nationalen Schlüsselstellen sitzen, Sekretäre mit schweren Kreuzen vor dem Talar und geregelten Essenszeiten. Männern, denen die Liebe abgeht und die sie sich somit anderswo holen. Die Rechtfertigung der Macht basiert immer auf Superioritàt, entweder der der Waffen oder der des Geldes, mit einem Wort, es ist das Argument der potentiellen Vernichtung. Politisch. Spirituell ist es ebenfalls Vernichtung. Zuerst der Ausschluß, die Exkommunikation, der Ausschluß aus der Gemeinschaft, das Lehrverbot, sprich, das Redeverbot, und schlußendlich ist es der Heilsausschluß. „Außerhalb der Kirche kein Heil. Bedenken Sie, was Sie tun. Kein Geistlicher wird ihren Sarg weihen. Ihre Kinder werden nicht mit den anderen die Erstkommunion feiern können.“
Doch die Vergiftung, von der Tilman Moser spricht, ist die des stummen Gottes, der uns leitet, indem er uns verkrümmt, weil er eine andere Liebe fordert als die menschliche, irdische. Moser nennt es Vergiftung, weil sie uns deformiert, vom wahren Menschsein, von der menschlichen Solidarität entfernt. Wir verlieren die Lebensfreude, das Geheimnis, die Unschuld. Wir treten ein in ein masochistisches Leidenstal, das Leiden wird alles bestimmend und erhält somit einen Freibrief. So wie sie damals die Juden, geistig Behinderten, Sintis und Romas aussonderten – Kinder wie Erwachsene -, so leben wir heute bereits wieder in totalitären Verhältnissen, in Zuständen der Entrechtung. Den Bischof von El Salvador, Kardinal Romero, erschossen sie mitten in der Messe. Dieser Tage jährt sich sein Gedenken. Er war ein Bischof der Armen, ein Bauernopfer. Denn die Paramilitärs, die es taten, bezogen ihre Waffen aus dem Norden, und erst jetzt wird es offiziell statthaft, seiner öffentlich zu gedenken. Die Politik des Statthaften.

Christus, unser Freund, war in nichts statthaft. Ein Wüstenprediger, verstaubt und verschwitzt. Sicher nicht der manikürte, gekämmte, bartgestutzte, blauaeugige Moechtegern-Weißhäutige. Nicht der akademische, redegewandte Hippie-Gringo, wie er uns heute millionenfach von den Wänden entgegensalbt, Dogmatik im Sinn. Er sprach Aramäisch.
Er hatte mächtige Feinde und schritt ihnen schlußendlich entgegen. Vorher säuberte er den Tempelvorhof von den Geschäftemachern. Den Geldwechslern, Tauben-, Ziegen- und Weihrauchverkäufern. Das bitte, wie oft soll man es noch sagen, sei den Heutigen in den Wallfahrtsorten ins Stammbuch geschrieben. Irgendwer, meine Freunde, hat hier Dreck am Stecken, und ihr, liebe Schacherer, könnt froh sein, dass euch die Wälle der Erstarrung, der Gewohnheit, schützen. „Jeder muss von etwas leben“, sagt ihr. Recht habt ihr. Die latente Gewalt des „Rechtssystems“. Denn heute, soviel ist wohl klar, gibt es keinen Christus, der durch die Strassen oder gar Tempelvorhöfe zieht. Es gibt ein paar, die werden ob dieser Einsamkeit irr. Manchmal stehen sie an den Ecken und halten Reden, andere schlagen sich die Stirn auf den Trottoirs der Einkaufsstrassen blutig, sie schreien, aber alle wenden die Köpfe ab. Schlußendlich landen sie in der Psychiatrie, auch dort der gekämmte, bartgestutzte, gewaschene Hippie-Gringo an der Wand, unerreichbar für die Hand des mit Medikamenten mundtot gemachten Sabbernden. Es sind mehr als man glaubt.

Der Christus, an den ich glaube, ich sehe ihn vor mir. Keiner wird ihn mir nehmen können. Er hat gelebt und ist gestorben, ein Mensch zu seiner Zeit. So bin ich ihm gleich. Doch er, der Heiland, ist auferstanden. Er heilt.

 

3 Antworten

  1. Das tröstende Wort

    Jeder Tag birgt ein tröstendes Wort, und nur das tröstende Wort ist von Wert. Das tröstende Wort ist nicht irdisch. Wie sonst könnte es die Seele heilen? Ist unsere Seele wund? Oder ist es unser Herz? Oder nur der Geist? Was blutet in uns? Was läßt uns schluchzen?

    Das tröstende Wort erreicht mich ohne Vorwarnung. Wie auch sollte ich davor gewarnt sein? Das tröstende Wort erreicht uns bei Tag, draußen, unter offenem Licht. Zeitweise lesen wir es, ja, gerade im Lesen erreicht es uns, erreicht uns die Antwort, derer wir seit Stunden bereits bedurften. Das tröstende Wort heilt vom Fluch, von der Verdammung, von der Verletzung. Dem tröstenden Wort wohnt das Heilige inne. Das tröstende Wort, das heilende Wort, es vergeht nicht. Nicht es, denn es kommt vom Himmel. Es wird uns gesandt und von einem Engel überbracht. Einer der Engel ist la madre. Sie spricht andächtig. Dann, wenn wir offen sind. Wenn wir hören. Zu hören bereit sind. Wenn wir sehen. Wenn wir demütig sein wollen und es auch schon sind. Mit Demut das Wort hören, wie es la madre spricht.

    „Verzeihe. Lerne Verzeihen. Kein Menschenwort hat Bestand, selbst das donnerndste nicht. Bedenke, was du sprichst. Nur Worte der Liebe, auch wenn sie verdeckt ist. Bist du dazu nicht imstande, schweige. Du kannst nichts endgültig regeln. Du kannst Ordnung schaffen, indem du Vertrauen ermöglichst. Laß die Menschen sein, wie sie sind. Das ist doch naheliegend, oder? Ärger zahlt sich niemals aus. Sei klug. Vergeude deine Zeit nicht. Rede gottgefällig, dann, wenn du aufgefordert wirst.“ Das ist ein Auszug aus der Litanei der Mutter. Was sie spricht, ist sofort klar. Ihre Worte lassen Zweifel nicht zu. Sie sind Medizin.

    Das verfluchende Wort verschwindet. Es ist kraftlos, auch wenn es noch so starkt gemeint ist. Letztendlich schämt man sich für den Fluch, denn er wird einst vor dem Gericht aufgelöst. Das wissen wir. Wir können uns nur schämen. Pater Pio war gegenüber dem Fluch höchst heikel. Das machte er jedem Beichtenden klar. Der Fluch ist das eigentlich Gift, die Ursünde. Über andere schlecht zu reden ist ein Vergehen gegen den Menschen und gegen Gott. Das muß man einmal verstehen. So wie man einen anderen Menschen nicht töten darf. Das wiegt sehr schlimm. Sehr sehr schlimm. Der selige Bernhard Winkler sprach es einmal gegenüber seinem besten Freund aus: „Karl, das Zölibat hat mich vor Vielem bewahrt. Wirklich, vor Vielem. Ich habe nicht abgetrieben und war nicht gewalttätig. Meine Leidenschaft war meine Arbeit, Meine Mission. Meine bescheidene Mission, von mir, dem kleinen Licht. Karl, das Verhältnis zu Gott ist alles. Er prüft alles, auch mein Verhältnis zu Menschen, alles dort, wo die Probleme anfangen. Sogar ich, das kleine Licht, werde angefeindet, weil ich mich um die Fundamente bemühe, so wie etwa um die Beichte. Heute, unter uns, kann ich dir sagen, nicht das Gebet ist das Allerpersönlichste, sondern die Beichte. Und unsere Geißel, das ist das Verfluchen, oder in der Sprache des heiligen Bernhard: das Töten. Du kennst mich besser als meine einzige Schwester. Du weißt, ich bin zum Töten und vielleicht zur Gewalt überhaupt nicht fähig. Ich nicht.“ „Ist auch gut so, Bernhard. Brauchst dich nicht genieren. Du weißt, wie ich über dich denke. Ich, der hemdsärmelige Landbaderer aus dem Mühlviertel. “ „Ja, das ist tröstlich, Karli. Wirklich tröstlich!“

     

    Der Ausdruck logos wird im sogenannten Prolog des Johannesevangeliums als „Wort Gottes“ verwendet.

    Das Johannesevangelium beginnt nicht mit der Geburt, Kindheit oder Taufe Jesu, sondern mit einem tiefgründigen Prolog in der Form eines strophischen Liedes (1,1–18 EU):

    Im Anfang (ἀρχή) war das Wort (λόγος)

    und das Wort war bei Gott,

    und das Wort war Gott.

    Im Anfang war es bei Gott.

    Alles ist durch das Wort geworden

    und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist.

    Zielpunkt dieser und der folgenden drei Strophen ist Vers 14:

    Und das Wort ist Fleisch geworden

    und hat unter uns gewohnt

    und wir haben seine Herrlichkeit gesehen,

    die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater,

    voll Gnade und Wahrheit.

    Beginn des Johannesevangeliums auf Griechisch

    Der Prolog erhält einen starken Sprachrhythmus, indem er jeden neuen Begriff im jeweiligen Folgesatz aufgreift, weiterführt und in jeder Strophe einen neuen Gedanken durchführt. Seine Begriffe und Form beziehen sich auf den ersten Schöpfungsbericht der Tora (Gen 1 EU), der ähnlich beginnt („Am Anfang …“) und Gottes Hinwendung zur Welt als ein ordnendes, die Gegensätze von Licht und Finsternis, Tag und Nacht usw. scheidendes Handeln beschreibt. So wie dieses auf das Erschaffen des Menschen als Gottes Ebenbild zuläuft, so läuft hier alles auf die Menschwerdung des Wortes zu, durch das Gott alles gemacht hat. Der Prolog legt also das Kommen Jesu Christi als Fleischwerdung des ewigen Wortes aus, das von Anfang an Gottes Wille war und seine Schöpfung vollendet.

    Der Prolog tritt an die Stelle der Abstammungslisten und Geburtslegenden im Lukas- und Matthäusevangelium. Er nimmt wie in einer Ouvertüre die Themen vorweg, die das ganze Evangelium dann ausführt: Das Wort ist Fleisch geworden, hat unter uns gewohnt und wir sahen seine Herrlichkeit. Dies wird auch als Leseanweisung für die drei Hauptteile verstanden:

    • Kapitel 2–12: das Auftreten Jesu vor Zeugen, unterteilt in Kapitel 3–6 (Reden und Wunder) und 7–12 (Streitgespräche mit Gegnern, Scheidung in Gegner und Anhänger)
    • Kapitel 13–17: Abschied von den Jüngern, unterteilt in 13 (Fußwaschung), 14–16 (Abschiedsreden), 17 (das hohepriesterliche Gebet Jesu)
    • Kapitel 18–21: Verherrlichung durch Passion und Auferstehung, unterteilt in 18–19 (Leiden und Tod), 20–21 (Erscheinungen des Auferstandenen und Sendung der Jünger)

     

    Blick auf die Stadt und die Verkündigungsbasilika

  2. Wann hat meine Qual ein Ende?

    Natürlich, jeder, der Ayahuasca trinkt, erlebt hin und wieder seinen persönlichen Schiffsuntergang. Zwar selten, doch immerhin. Ein Ritual, in dem etwas geschieht, das man sich vorderhand nicht erklären kann. Ein an mir unbekanntes Brüllen (scheinbar ohne Anlaß), und dies für gute fünf, wenn nicht gar zehn Minuten. Und das unmittelbar nach der Einnahme. Ich reite vor. Zum Glück (somit zu meiner Ehrenrettung) ziehen die Freunde aus Frankreich so wie damals Joël aus Carcasonne, nach, sobald ich mich, als das erste Grobe zunächst vorbei zu sein scheint, erschöpft nach hinten plumpsen lassen darf. Jetzt kommen die Anderen dran, die, deren Väter oder, noch schlimmer, deren Mütter sich umgebracht haben, vielleicht in einem Suizid auf Raten, mit Tabletten oder Alkohol. Die Dramen sind unbeschreiblich und sonder Zahl. Später, bereits am nächsten Tag, beginnt man zu rätseln, was denn in Herrgotts Namen dafür die Ursache gewesen sein mochte. Und ein Englein läßt mich weit, weit zurücksinnen, in die Zeit damals, als ich noch Kind war, und die Impulse mich hin und her rissen. Zeitweise zumindest. „Bist du haßfähig?“, fragt Mutter Ayahuasca irgendwann jeden. „Ja, zu meiner Schande, ich muß es zugeben, Mutter. Doch was soll daran schlecht sein?“ „Vielleicht, weil du ihn gegen die falschen Leute richtest. Und sei ehrlich, im Grunde genommen hat es keiner dieser Leute verdient, von dir in Gedanken umgebracht zu werden. Soll dein Leben daraus bestehen? Aus Mordphantasien?“ Dieses Raisonnement in Ayahuasca bringt uns zur Vernunft. Die Reden der Madre bringen einen überhaupt in der Regel schnell zur Vernunft. Im Nu verrauchen und verschwinden derartige Affekte und Spleens wie Dunst in der an Kraft zunehmenden Morgensonne. Schlußendlich wirkt alles nur mehr lächerlich, zum Genieren. „Hast Du es denn wirklich nötig, dich dermaßen selbst zu quälen? Wofür gibst du dir die Schuld? Bedenke doch, du bist dir der meisten deiner Handlungen gut bewußt und stehst auch in der Regel für sie ein. Warum also bezichtigst du dich der Fehler, die sich in deine Entscheidungen einschleichen. Du bist nicht vollkommen, nicht perfekt, und Gott Spielen ist Dir, das sei Dir angerechnet, nie in den Sinn gekommen. Warum also hadern, immer wieder hadern? Denke einmal darüber nach!“

    „Ja“, sagt ein Herr, der im ganzen Gehabe und Aussehen wie Rübezahl wirkt, „interessant, zu welchen Einsichten man mit dieser Medizin kommt. Sehr hilfreichen Einsichten, wie zum Beispiel jenen, daß ich mich nun doch einmal von all diesen schwachen Gedanken trennen und lossagen sollte. Das zählt doch einfach nicht. Das ist evident. Das hat keinen Bestand. All diese schwachen Gedanken, die zu absolut nichts führen. Ich kann die Vergangenheit nun einmal nicht mehr ändern. Ich kann nur mein Leben hier und jetzt in die Hand nehmen und mich nicht mehr beirren lassen. Das heilt diesen beinahe an Masochismus gemahnenden Fluß von Selbstvorwürfen. Mag sein, daß sie sich hinter den Stimmen von Anderen verbergen, von solchen, mit denen ich ein Problem hatte oder noch immer habe. Doch das ändert nichts an der einen Wahrheit, daß ich jetzt, in diesem Moment, in diesem Moment, wo ich und ihr alle am Leben seid, eigentlich frei bin. Ja, ich bin frei, und habe es die längste Zeit nicht bemerkt. Vor lauter Hadern mit der Vergangenheit. Schuld und nochmals Schuld. Und hätte ich doch….!“

     

    Doch die Medizin ist barmherzig. Daran erkenne ich, sie steht über mir, über dem Menschen. La Madre, so wie sie ein Verhältnis zu mir unterhält (sie erst recht zu mir, und nicht ich, der Selbstherrliche, mit ihr; es handelt sich hier nicht um ein Herrscher-Dienerin-Verhältnis und auch nicht umgkehrt, sie die Herrin, ich der Diener. La Madre ist ein Engel, eine Extension Gottes. Sie ist die Leiterin, die Lehrerin jenes Menschen, der sich ihr anvertraut. Deshalb ist das Feiern von Daimé ein religiöser Akt), ist eine unanfechtbare Autoritätsperson, für die das Erleben von Qualen, die immer relativ (also niemals absolut) bleiben, eine notwendige Passage darstellt, ein Voranschreiten (im wahrsten Sinne des Wortes) hin zu sicherem Grund. Der sichere Grund, den ich mit und in Ayahuasca zu erreichen habe, zeigt sich mir entsprechend meiner Ernsthaftigkeit nach und nach. Erst nach und nach erkenne ich, daß ich im Begriffe stehe, festes Land zu erreichen, entgegen allen wie immer gearteten Anfeindungen, den dämonischen wie den teuflisch-menschlichen. Der sichere Grund in Ayahuasca hat eigene Beschaffenheit. Es ist metaphysischer Grund, Terrain, das das Irdische übersteigt. (So wie in gewissen Kirchenliedern: „Auf dich vertraue ich, oh Herr, du bist mein Fels, mein Hort, meine Hoffnung“) Mit der Transzendierung meiner Existenz, wie ich in ihr festgehalten wurde und weiterhin werde, zeigt sich das Eigentliche dieses Rituals, das niemals Selbstergötzung oder Visionseinkauf sein kann. Das Eigentliche der Ayahuasca-Messe ist die aktive Erarbeitung eines Dialogs, das aktive Eintreten in ein Dialogangebot, wie es mir von höherer Seite (unanfechtbarer Seite) zugereicht wird. Der Dialog mit der Himmelsmacht ist es, die mir nach und nach, in der Tiefe der Nacht, die Sinnhaftigkeit all dessen, was ich erlebt und erlitten habe, nahebringt. Der Dialog selbst ist bereits sicherer Grund, die Arbeitsplattform, die niemals sinken, niemals fallen wird, auch wenn sie sich scheinbar in der Barentsee oder im Schelf des amerikanischen Kontinentalsockels erhebt. Das mag den einen oder anderen so dünken. Doch noch eher würde ich diesen Dialog oben im Hochland von Tibet positionieren, auf über 4.000 Meter, oder am Titicacasee, der ebenso hoch liegt. Unerschütterlicher Boden. Fels. Auf den Engel können wir vertrauen, so wie auf unseren Schutzengel. La Madre gesellt sich hinzu, gottgewollt. Daß ich die Purga trinke, ist gottgewollt, liegt in Gottes Vorsehung. La Purga ist göttliches Geschenk. Und damit relativiert sie meine Verzweiflung, löst meinen Krampf, flößt mir Frieden ein. Ich bin in ein Verhältnis mit einer unantastbaren, einer unfehlbaren Lehrerin gestellt. Und einen solchen geradezu pathetischen Sachverhalt kann ich nur als Gnade verstehen. Die Gnade der vollkommenen Lehre. Will ich das? Ja! Will etwas in mir das nicht? Ja, sehr wohl. Etwas in mir will diese Gnade nicht. Und deshalb die Reinigung. Ich ringe um Reinigung, ich hadere, ich zettere, ich drücke herum. Und dann sage ich kurzentschlossen „Ja!“. Und im Handumdrehen startet ihre Initialzündung. Sie wartet inmitten des Sturms wie die Göttin des Unwetters, sturmgeprüft. Es ist ja mein Sturm. Sie steht da, in voller Rüstung, martialisch, übergroß, wie ein Samurai-Riese. Sturmgeprüft. Ich weiß sehr wohl, diese Erscheinung kann ich nicht hinwegdiskutieren, kann sie nicht verleugnen und auch nicht zynisch kommentieren. Ich weiß, sie ist meine Rettung inmitten dieses Zyklons, der mich im Nu einfach in sich einsaugen und forttragen kann, so wie er Mähdrescher und Traktoren fortsaugt mit sich. Da also steht die Rettung, also knie ich nieder. Die Demutshaltung in Ayahuasca. Sie möge walten. Und sie waltet. Mütterlich, fürsorglich und ein kleines bißchen unerbittlich. So wie ein Waschprogramm, das ich nicht abstellen kann. Gut so. Alles muß raus. Davon können die Hüter der Medizin, als welche die Conibo von präsidentialem Dekret wegen tituliert wurden, ein Lied singen. Wie sagte Guillermo Arévalo Valera? „Auf einen Teufel mehr kommt es nicht an. Stirbst du in Ayahuasca, so hast du es verdient. Stirbst du nicht, bist du auf dem Weg der Genesung. Also würdige die Mutter! Iß bis zu Mittag nicht! Diesen Respekt hat sie verdient.“ Andere Indio-Meister blasen in dasselbe Horn. „Frühstück? Bei mir gibt es kein Frühstück!“ (So Don Francisco Montes Shuña). Nun gut, eine Banane vielleicht, und warmes Wasser. Labsal für einen zerlumpten Bettler am Straßenrand.

     

     

     

  3. Wer, wenn nicht Du?

    Sie verwahrlosen. Sie entleeren sich, die sogenannten Gotteshäuser. Selbst an Sonntagen gähnende Leere. Den Kirchen kommen die Kunden abhanden. Gläubige als Kunden, denn die Kirchen leben schlußendlich vom Glauben und (neben all den ausgedehnten Latifundien an Land, Wäldern und Zinshäusern) vom Kirchenbeitrag, der getrost als Steuer zu titulieren ist. Ein Skandal, von Hitler initiiert. Die Gläubigen haben das Vertrauen verloren. Das Dach steht in Flammen, nicht nur bei Notre Dame in Paris oder bei St.Stephan in der umkämpften Stadt Wien in den letzten Kriegstagen. Die Kirche stirbt. Die gähnende Leere spricht für sich selbst. Der Tiroler Bischof beklagt, er hätte gerne mit jedem einzelnen der 93.000 im Jahre 2022 aus der katholischen Kirche Ausgetretenen gesprochen, so als kenne er deren Gründe nicht, oder so als bestünde die Chance, die Gläubigen noch umzustimmen. Schade. Dieses Unglück zeigt doch nur – um es einmal, es sei gestattet, weltlich auszudrücken – die Organisation hat ihre Mitglieder verloren. Die Kunden kaufen das Produkt der Firma nicht mehr. Die Firma leidet zudem unter eklatantem Personalmangel, und das Personal ist zudem durch die Bank krank. Doch das ist leider noch  nicht alles. Bei weitem nicht alles. Die Herren Verantwortlichen verschweigen, was die schwere Krankheit darstellt. Sie verschweigen eben die Stimme des Volkes.

    Die Krankheit läßt sich im Detail diagnostizieren:

    Ein Dechant in der Finanzprokuratur der Erzdiözese Wien schreibt einem Studenten, der wegen eines ihm in die arme Studentenbude erstmals hereinflatternden Kirchenbeitragserlagscheins, in welchem von gesetzlicher Steuerpflicht die Rede ist, stante pede austritt, als Riposte: „Bedenken Sie, außerhalb der Kirche gibt es kein Heil!“ Niki Lauda trat wegen der Kirchensteuer (er bezahlte pro Jahr zwischen 100.000,- und 500.000,- Euro) aus der Kirche aus, doch das hinderte das Domkapitel zu St.Stephan nicht, dem traditionell nekrophilen Wiener Publikum seinen Sarg öffentlich auszustellen.

    Tausenden von Impfskeptikern bzw. Impfverweigerern wird von kirchlicher Seite gedroht, „Wer sich nicht impfen läßt, verstößt gegen das Gebot der Nächstenliebe.“ Das christliche Gebot wird also mit massiver Drohgebärde eingefordert. Der Dompfarrer Toni Faber, ein ansonsten liberal und frauensympathisch sich gebender Bursche, läßt sich zu einem losen Ausspruch wie jenem hinreißen: „Wenn die völlig überzeugt sind, das nicht zu machen, auf den Sankt-Nimmerleins-Tag warten wollen, dann müssen sich die im Lockdown mit Dingen beschäftigen, wo sie vielleicht ihre Gedanken noch einmal neu ordnen, vielleicht einen Schritt zurückgehen, neu überdenken und eine Alternative suchen.“ Wie liest sich so etwas heute, Ende 2023, nach dem Scheitern des versuchten großen Resets?

    Die Priester vereinsamen und werden krank, körperlich und geistig. Junge, die das Studium der Theologie erwägen, lassen ab. „Ich lasse mir doch nicht meine Sexualität vorschreiben!“ Kritische Frauen kommentieren: „Diese arme Kirche lassen sie mit dem Zölibat voll gegen die Wand fahren, und die Einzelnen, die noch nachkommen, sind sexuell verbogen und charakterlich nicht ernst zu nehmen. Und soll sie doch an der Wand zerschellen!“ Der Wiener Erzbischof fordert von den wenigen Priestern, die seit langem unter massiver Arbeitsüberlastung leiden, sich wie Mütter zu gebärden und als Stellvertreter der Muttergottes zu fungieren, da sie doch unter dem Mantel von „Mutter Kirche“ dienen. Als wenn die sexuelle Schizophrenie nicht schon genug Leid unter den „Versprochenen“ verursachte! Und wir haben zahllose Kinder von Priestern, deren Vaterschaft den Kindern verschwiegen wird. Als sie dann im Erwachsenenalter die Wahrheit erfahren, vielleicht beim Pfarrfest, kommt es binnen Minuten zur Katastrophe.

    Wir haben Priester, die an Freßsucht leiden, so wie solche, die nicht verstehen, warum „The Big C“ bei ihnen anklopft. Und es gibt genügend von jenen, die sich in elitären politischen Zirkeln bewegen, und solche, die sich auf dem Parkett der Hochfinanz tummeln. Und die vielen, die nicht mehr an Wandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi glauben, abgesehen von der verstörenden Praxis, daß der Wein aus dem Kelch bei der Kommunion nicht mehr ausgeschenkt wird. Diese Männer, die es genießen, von einer erhöhten Position aus zu predigen, ohne jede Empathie. Sie trachten nach Versklavung. Sie fordern vor dem Tabernakel eine Kniebeuge. Und das läßt einen klar denkenden Herrn denken und es sogar laut aussprechen: „Und jetzt ist Schluß!“ Und Adolf Holl, den ehrwürdigen Lehrer und Autor von „Jesus in schlechter Gesellschaft“, haben sie nie pardoniert, nein, nicht einmal posthum (wie brustschwach und feig!), und Helmut Schüller, der sich für die Verheiratung der katholischen Priester vehement einsetzt, haben sie den „Mosignore“ zurückgezogen. Wie mies. Also, lieber Herr Bischof Hermann Glettler aus Innsbruck: Was meinen Sie? Hat einer von den 93.000 im Jahr 2022 an Helmut Schüller, und wie ihn damals Herr Schönborn behandelt hat (inclusive unter der Tür durchgeschobenem Kündigungsbrief), gedacht? Wollen sie das kategorisch ausschließen? Lieber Herr Glettler, wenn Sie mit jedem einzelnen der 93.000 Ausgetretenen sprechen wollen, bitte, fangen Sie an! Alles Gute! Ich für meinen bescheidenen Teil kenne mehrere. Intelligente Leute, keine Deppen. Nicht solche, die sich durch ein Argument wie: „Bedenken Sie, außerhalb der Kirche gibt es kein Heil“ umstimmen ließen. Solche, bei denen die Manipulation durch Angst, durch Angstmache vor Krankheit und Tod und Unerklärbarkeit dieses persönlichen Lebens nicht mehr zieht. Lieber Herr Glettler, ich kann Ihnen Personen von mehreren Universitäten nennen (erst recht Frauen), die sich vernichtend zynisch über die Kirche äußern. Und die Philosophen wie Peter Sloterdijk oder Michel Houellebecq, saßen Sie diesen Herren schon mal gegenüber? Das sind Kaliber, die Sie unter Umständen stottern lassen könnten. Und das sind noch nicht einmal die Neodarwinisten, die wissenschaftlichen Nihilisten, die sogar Herrn Ratzinger staunen ließen. Sie wissen, worauf ich hinaus will. Kosmologie. Der Christus des Weltalls. „Christkönig“. Starker Tobak, sagen jene, die über die Bedeutung dieses Festes nachfragen. Setzen Sie sich doch mit Herrn Brian Cox, dem Smarty unter den Kosmologen, zusammen. Es muß nicht vor Publikum oder Kameras geschehen. Sie wissen, was er Ihnen sagen will, und Sie dürfen sich, so wie selbstverständlich ich mir auch, einen Reim auf das machen, was existiert, ohne daß wir es sähen oder wüßten. Bedenken Sie: Die Zeiten der Inquisition sind vorbei. Ich danken Ihnen!

     

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