Heiligabend 2017
Licht! Mehr Licht! Luft! Mehr Luft! Stille! Mehr Stille. Einmal endlich Stille! Danke.
Welch dichte Zeit. Welch dichte Zermonien, mit Blitz und Donner, diesmal für die Jugend. Die Jugend darf zu ihrem Recht kommen. Sie feiert zum ersten Mal im Freundeskreis, und sie liegen nicht am Boden, die Jungen. Draußen brüllt der Jaguar. Die Tür schlägt im Wind. Am Morgen, nach dem Bad, ist alles vorbei, doch die Sonne läßt auf sich warten. Bray Llucema, der Treue, der mit dem goldenen Verdienstkreuz, wartet, ich habe schon gar nicht mehr mit ihm gerechnet, über den Nieselregen hinaus geduldig, wie über Mittelsbuben zugetragen, am Brückenkopf. Keine Schlammrinne, die er nicht zu durchqueren vermag, er, der Zampano unter den Taxifahrern des Dschungels.
Yushin, der Herr, nimmt uns in die Mangel, ohne Ansehung der Person, und sein Zwingherr, ein Stockwerk höher, läßt uns wieder einmal über den Boden krabbeln. Mutter Ayahuasca hält sich diskret im Hintergrund, so als gäbe es bei diesem Schurkenstück, das da gerade bei spuklichternem Kerzenschein samt Keuchhusten vorgetragen wird, keine Regisseuse, sondern nur einen Oberbösewicht, dem es zuvorderst, klarerweise und unleugbar, an Liebe mangelt. Klar, der Teufel wurde ohne Milch lieblos gesäugt. Man muß das einmal anmonieren. Was aber nur hat der junge Bösewicht zu trinken bekommen? Wie wuchs er auf? Ich werde nicht umhin kommen, mich dieser Frage widmen müssen.
Im zeitlosen Raum schweben Menschen in ihrem Orbit. Im Sterbehospiz von Jerusalem, im Kloster von Leuven, in der Bibliothek von Alexandria, im anthropologischen Museum von Madrid, am Zócalo von Ciudad de México und im Louvre zu Paris. Nah und fern, niemand geht verloren, nicht unter den Fittichen von „Salvator Mundi“, erst recht nicht an den jahrtausendeumwehten Gestaden der Levante. Wir wissen nicht, wo wir sind, noch, in welcher Zeit. Wir sind hier, und so steht es uns hier und heute gut an, so wie Bray Llucema den Rückspiegel zurechtzurücken. Denn zeitweise nehmen tote Kinder am rückwärtigen Aufbau Platz, sie hängen da wie die stillen Raben, es ist schon Nacht, 19:00, wer erschrickt da nicht? Am Friedhof sind sie schon wieder fort, lautlos, wie fortgeblasen. Sie sprachen die paar hundert Meter kein Wort, aufgereiht wie die Raben, aufgehängt an ihren Armen, neun, sieben, fünf. Bub, Mädel, Bub. Tote Kinder. Es geht schnell, und schon sind wir fortgeblasen. Vielleicht bleibt uns noch die geweihte Nacht, diese sosehr vom allgegenwärtigen, weltumspannenden Faschismus bedrohte, die morgen schon wieder wie ein unfaßbarer Hauch vorbei sein wird. Solange uns etwas und nicht nichts bleibt, ist es gut. Deshalb der Posaunenruf, der ins Herz gerufene: „Friede dem Erdenkreis!“
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Messias in Barcelona
Ja, er ist der Gesalbte. Ein Gott auf Erden. Einer, der zwar nicht mitten unter uns, doch in Griffweite von uns wandelt. Einer, dem 90.000 Lebende in Sichtweite zurufen. Manch einer durchbricht den Zaun und läuft auf ihn zu, um ihm die Schuhe zu küssen. Kinder können ihr Glück nicht fassen, wenn er inne hält, sie wahrnimmt, auf sie zugeht und ihnen ein Autogramm aus seiner Hand schenkt. Manche weinen vor Glück. Manche sind tumorkrank, andere Waisenkinder. Manche laufen ihm zu wie Christus. Wahrlich, Lionel Messi ist der Messias auf Erden, und das ist gut so. Die Kinder weinen. Er hält inne. Er schenkt ihnen seine Zeit. Er wird nicht wütend. Es fehlt ihm das Großmannsgehabe. Nach einem Tor, das ihm gelungen ist, blickt er zum Himmel hinauf und schlägt ein Kreuz. Er wandelt unantastbar über die Schlachtfelder aller Weltkriege. Der endgültige Befrieder. Er besiegt Real Madrid, Ecuador und Brasilien im Alleingang. Selbst die ehemaligen Grössen des FC Barcelona, Ronaldinho, Ronaldo, Zidane u.a., huldigen ihm neidlos. Ein Gottgesandter. Einer, der das Spiel mit seiner Kunst heiligt. Einer, der englische Reporter in Ekstase versetzt, doch nicht nur sie. Fans, die die Augen verschließen, wenn sie ihn dribbeln sehen. Einer, der sich durchtankt wie einst Maradona, doch ohne „göttliche Hand“. Einer, der nicht im Kokain oder im Rotlichtmilieu verkommt. Ein Gottgeleiteter, der nicht überzieht. Einer, der alle, die ihn sehen – die Rivalen ausgenommen -, beglückt, sofern sie sich dieses Gefühl zugestehen möchten. Natürlich, es gibt immer welche, bei denen die Gier durchschlägt (bei wem tut sie es nicht?), so wie bei dem gewissen Brasilianer, der nach Paris gehen und sich dort mit einem Uruguayer zu messen müssen vermeinte. Sie meinen, sie könnten in seinem Glanz nicht wachsen. Sie irren. Im Glanz der Sonne wächst alles, erst recht, wenn der Nährboden fruchtbaren Humus der Inspiration bildet. So denken seine Kollegen des FC Barcelona. Sie genießen die Zeit mit ihm. Es ist bemessene Zeit. Lionel Messi wird nicht immer sein, so wie auch nicht Tenzin Gyatso und Jorge Mario Bergoglio, er seines Zeichens ebenfalls Argentinier.
Genießen wir die Zeit mit dem Gottbegnadeten, solange er auf dem Rasen des Camp Nou, der ja, wie in Wimbledon, kein heiliger sein muß, wandelt, magisch wandelt. Genießen wir seine „Geniestreiche“, und seien es einfach seine Elfmeter oder seine Freistöße. Das Publikum rast, die englischen Reporter überschlagen sich, die Katalanen weinen, und Christiano Ronaldo, wenn er seiner Auszeichnung gerecht werden will, darf sich als Gentleman beweisen und huldvoll Respekt erweisen. Das will erst noch gelernt sein. Einstweilen wirbelt der Messias auf Erden, ein bärtiger 28-Jähriger, standesgemäß verheiratet und gesegnet mit zwei Kindern, Liebhaber von Maserati und großen, gutmütigen Hunden, die ihm zuhause als Fußsofa dienen, in den Arenen der Moderne den Zuschauer schwindlig. Solange die Welt, und mit ihr die zu Recht fußballverrückte Jugend dieser Welt Lionel Messi hat, bleibt sie eine bessere Welt, und ich sehe, sofern ich die Gnade des Alters erlebe, jenen Werbemomenten entgegen, wo Lionel Messi so wie der portugiesische Weltfußballer in 11.000 Metern Höhe der Dusche im Airbus A 860 entsteigt und zur Bar schlendert, um dort auf Pelé zu treffen, Kollegen der Gegenwart und der Historie unter sich. Christus Salvator steht nicht in Buenos Aires, sondern in Río de Janeiro, doch das muß kein Hinderungsgrund sein, einmal einen Clip mit den beiden Erlösergestalten zu wagen. Lex Barker und Klaus Kinski wagten ja ähnliches. Lionel Messi, in seinem unnachahmlichen Charme, wird auch diese Szene hinkriegen, so wie die ungezählten anderen Werbeclips auch, wo die Jugend dieser Welt, die nicht weiß, welche Überraschung sie erwartet, mitten während der Dreharbeiten mit offenem Mund sprachlos zurückbleibt, der Ohnmacht nahe. Ja, so ist, wenn der Erlöser seinen Auftritt gibt, auch und erst recht den totgeweihten Kindern mit ihren kurzrasierten Schädeln. Totgeweihten Kindern. Das sind wir doch alle.
So möge er leben, unser Heros, 1.000 lange Jahre, Licht der Hoffnung, Freude dem Auge, Dank aus dem Herzen. Sie durchbrechen die Absperrung und laufen auf ihn zu. Sie küssen ihm die Schuhe. Tatsächlich. Und er läßt es geschehen. Denn wie der Nazarener weiß er, er ist nicht ewig mit uns.
Tauet, Himmel, den Gerechten
Der Vorgang der Innerlichkeit als weihnachtlicher Entschluß, gleichsam aus einem Impuls des Selbstschutzes geboren, findet alle paar Halbschritte bereits seine gedanklichen Feinde, die sich allenthalben und ganz selbstverständlich von Meldungen ernähren, die uns medial zufliegen. Auch von einer Welt aus den Fugen müssen wir erst Kenntnis nehmen. Der atmosphärenerfüllende Krach der peruanischen Kannibalen, denen „geweihte Nacht“ unbekannt ist, genügt da nicht. Die düstere Nachricht (ich hatte sie bereits erwartet) des Jahres, in Kehrtwendung zum Meistercoup der Kataris mit ihrem „Salvator Mundi“, sind die allein bis November 23.101 Ermordeten im sogenannten Drogenkrieg in Mexiko im heurigen Jahr, ein Spitzenwert der letzten 20 Jahre. Das ist die Realität, die der wahre Faschismus, wie er zu Weihnachten erst recht zu grassieren beliebt, verleugnet. Eine unvorstellbar hohe Zahl. 2.200 Menschen alleine im November. Das sind 70 Tote pro Tag. Weit überwiegend Männer. Ein Flächenbrand, der ein ganzes Land lahm legt. Das Leichentuch des Todes, in einem einzigen Land, Mexiko. Die anderen Staaten Zentralamerikas haben ebenfalls ihre Toten, doch nicht in dieser Vehemenz. Das ist die Realität, die jede Rede abtöten will. Und all dies nur wegen des „weißen Schnees“. Was, deshalb die Frage, die gestellt werden darf, wenn dieses Pulver legalisiert wird? Warum legalisieren sie nicht Kokain? Was kostet es die Regierungen der USA und Mexikos? Manche der Kollegen in der DEA denken ähnlich. Welcher Aufwand, welches Grauen, einen dermaßen unnötigen Krieg führen zu müssen. Und wer sind die Süchtigen?
Tagebucheintrag aus Leuven, 2015: „Tauet, Himmel, den Gerechten! Wolken, regnet ihn herab! Also rief’s in dunklen Nächten, als die Hoffnung ward gar zart.“ Christus Pankreator, der die Welt in einer Geste göttlicher Gesalbtheit umfaßt. Er alleine spendet Trost. Wie denn nicht. Doch das Vertrauen zu ihm muß ich mir erst erkämpfen.
Tot sind die 42 Besatzungsmitglieder des argentinischen U-Bootes, das von Ushuaia nach Mar del Plata unterwegs war. Manövrierunfähigkeit nach einem elektrischen Kurzschluß auf Grund von Wassereintritt ausgerechnet durch den Schnorchel. Die Agonie eines kollektiven Erstickungstodes. Auch bei ihnen, den Leichen, sollten sie eines Tages gefunden werden, werden sich Abschiedsbriefe finden, so wie damals, vor mehr als 70 Jahren, bei manchen erfrorenen Landsern in Stalingrad. Wahrhaftig, Ingeborg Bachmanns Liste der „Todesarten“ kennt kein Ende. Thomas Bernhard fing damit erst gar nicht an. Sie hätte sein Leben maßgeblich verkürzt. Es genügt, sich vor Augen zu halten: Auch der gestrige Heiligabend war ein weltweit mit Tollwut erfüllter. Die Tollwut, apropósito, ist epidemiologisch ein Phänomen mit hoher Dunkelziffer. Alleine die Anzahl der an Tollwut krepierenden Rinder in den südlichen Anden Perus geht in die 700. Überträger ist der Vampir, ein Geselle mit ausgedehnterem Verbreitungsgebiet, als man es ihm auf den ersten Blick hin zutrauen würde. Vampir, das ist ganz Süd- und Mittelamerika, und möglicherweise ein paar Bundesstaaten der USA noch dazu. Der Vampir ist der Überträger einer dahinschleichenden Epidemie, und wir tun gut daran, uns gegen die diversen Epidemien zu wappnen. Tollwut ist eine ernstzunehmende Gefahr. Sie kann mitten in deutschen Intercitys ausbrechen.
Ich danke an dieser Stelle – heute zum ersten Mal expressis verbis – der Queen für ihre Weihnachtsansprache an den britischen Commonwealth. Seit dem Tod ihrer ehemaligen Schwiegertochter und der schweren Krise ihres Enkelsohnes machte sie einen Läuterungsprozeß durch, der sie im Glauben bestärkte. Das empfinde ich als vorbildhaft und sogar tröstend. Die Queen, ein Vorbild an Disziplin. Alles andere klärt sich in der morgendlichen Innenschau. Vergelt’s Gott.
Wenn Vögel schweigen
Cecilio starb vergangenes Jahr um 11:00 Uhr. Es war der 28.Dezember. Er war der sympathische Bäcker des Dorfes, ein umtriebiger Familienvater und Unternehmer, immer auf seiner Yamaha auf Achse, immer unterwegs in Iquitos zum Einkaufen von Mehl und Backpulver. Er unterhielt seine Backmannschaft und hatte ständig für Feuerholz zu sorgen, das ihm in Paketen vor der Haustüre am Hauptplatz abgeladen wurde. Cecilio war nie ein Lächeln zu entlocken. Das lag, wie schon angesprochen, am tragischen Verlust seines Vaters, der mitten am Fluß während des frühmorgendlichen Fischens ermordet wurde. Niemand kannte die eigentliche Bürde, die Cecilio zu tragen hatte. Alle in seiner Umgebung wirkten auf sonderbare Weise wie Schlafmützen, auch seine beiden Kinder. Mag sein, er wollte, aus einem natürlichen väterlichen Instinkt heraus, sie die sogenannte Härte des Lebens nicht wirklich spüren lassen, weshalb er es vorzog, stets alles alleine zu erledigen. Cecilio starb aus heiterem Himmel an Nierenversagen, und das noch dazu zur Weihnachtszeit. Die Gedenkmesse vorgestern trug eigenes Gepräge: Meine Hunde wollten unbedingt in die Kirche, deren Eingangsflügel ja sowieso die ganz Zeit sperrangelweit offen stehen. Sie wanderten überall herum, auch vorne am Altar, und legten sich dann in den Mittelgang. Estrella, hochschwanger, mit, wer weiß, wievielen Welpen im Bauch, wie eine verspätete Maria. Padre Ivan verzog sowieso keinen Mucks, denn seine Messen laufen nach afrikanischem Vorbild ab, wie ein Plauderstündchen, praktisch ohne jeden Formalismus. Er hat ja kindliche Erwachsene in den Bänken. Das ganze Kirchenjahr läuft so ab: Greinende und spielende Kinder, schwitzende Erwachsene, unkalkulierbare Spontanaktionen, Aufstehen und Hinsetzen nach persönlichem Belieben. Nur eins, was sich als Konstante durchzieht, das ja: Die Besucher sind sonntags festlich gekleidet, und jeder nimmt vom Weihwasser für das Kreuzzeichen. Cecilios Fortgehen hat mir alles verändert. Praktisch ringe ich immer noch um Fassung, und eine leise Ahnung sagt mir, es wird nie mehr, wie es einmal war. Jedes Mal, wenn wir an Cecilios ausgehobenem, unvollendeten Fischteich, der mit Alu-Planken notdürftig gesichert ist, auf unserer Fahrt zum Baden vorbeirauschen, denke ich das gleiche. Keiner wird ihm nachfolgen. Sicher nicht der Sohn, Freddy, der, aus welchem Grund auch immer, halb verstörte. Doch vielleicht dreht der Wind der Zeit noch.
Padre Iván jedenfalls gibt den klassischen Missionar auf Außenposten. Solche Leute kann es nur hier geben. Was für ein Kontrast zu diesem von Franziskus zurecht anmonierten Klüngel an mafiös sich gebärdenden Würdenträgern im Vatikan, die sich durch intransparente Seilschaften bereits seit langem ihre Pfründe gesichert haben und es sich leisten können, den Argentinier gegen die Wände der behaupteten und eingeforderten Unveränderlichkeit anrennen zu lassen. Padre Iván, mein spindeldürres Männchen, das Sinnbild der Unkonventionalität schlechthin – er selbst noch ein im Gedächtnis auferstehender Kontrast zu Josémari Legarreta, meinem kurz nach der Pensionierung in seiner Heimat verstorbenen baskischen Hausbesucher -, zumal er aus Prinzip nur in kurzen Hosen herumläuft, auch in der Kirche, mein kanadischer Spätberufener also wird in die Kirchenchronologie unseres Dschungeldorfes eingehen als die mit dünnem Bleistiftstrich gezeichnete Karikatur eines Gläubigen, der bereits zu Lebzeiten zu einem unprätentiösen, sprechenden, mich ansprechenden Windhauch wurde, ohne jedes Gewicht, ohne jede Anmaßung, ohne jede Forderung an den, der ihm untertags zufällig begegnete. Padre Ivan, mein Heuschreck, durch dessen Blick und Gewisper die Ewigkeit mich anrührt. Der Argentinier hat in der Ewigen Stadt Feinde. Mein Kanadier hier hat nur Kinder. Welches Sinnbild der Bescheidenheit!
Praktisch der ganze Dezember hält sich bereits mit spärlichen Sonnentagen wie ein Geizkragen bedeckt. Das schlägt sich unvermeidbarerweise auf das Gemüt, sogar, wie mich zeitweise dünkt, auch auf jenes der Vögel, die, wie bereits beobachtet, heuer in Scharen zurückgekehrt sind. Vielleicht haben wir auch europäische und amerikanische Auswanderer darunter. Das Glück dieser Erde, zumindest momentan, so hat es den Anschein, hängt nicht am Rücken der Pferde, sondern am seelenerfrischenden Jauchzen der Vogelstimmen, deren Hochzeit die Regenzeit, also das Jetzt, bildet. Doch die Unwägbarkeit des Gezwitschergezetters wird mir in dieser grauen Zeit kein Unbill sein. Anderswo geschehen sowieso ohne Unterlaß Ungeheuerlichkeiten. Bleiben wir also in unserer Seelenstube. Wir stehen vor Jahresabschluß. Zeit, zurückzublicken, in Andacht.
Auslaufen
Wann, so fragte sich die kleine Frau Sternthaler, werde ich endlich sehen, was meinem Auge ein Leben lang hartnäckig verborgen blieb? Da müssen sie doch stehen, die Gebirgsstöcke, die transzendentalen, nach denen ich mich ein Leben lang gesehnt habe. Ich weiß, sie sind da, aber ich sehe sie nicht. Jene Bergstöcke des ungesehenen, unverletzten Paradieses, in reiner Luft, in völliger Stille.
Wann, so fragte sich Erwin Schmid, werde ich diesem System, das mich zwingt, jeden Tag aufs neue in eine ungeliebte Schule zu gehen, entkommen? Einem Mahlwerk, das mich nicht erkennt, ja nicht einmal erkennen will, sondern nur zermalmen. Wann endlich werde ich des Morgens aufstehen können bei liebevollem, anheimelndem Vogelgezwitscher, meinen Morgenkakao trinken können, um hernach hinauszuschreiten in die aufgeräumte Stille eines neuen Tages, der nichts von mir erwartet, außer, daß ich ihn begrüße, bevor ich mich zur Spielwiese im Wald trolle?
Wann endlich, so fragte sich Hermine Naglstrasser beim Niedersetzen auf der Toilette, werde ich nicht mehr „Gutes neues Jahr“ jedem Erstbesten, der mir über den Weg läuft, wünschen müssen, will ich mein Gesicht wahren? Dabei bin ich mürrisch bis über beide Ohren hinaus und möchte eigentlich schon gar keinen und überhaupt niemanden mehr wiedersehen. Alle können mir gestohlen bleiben in ihrer Verlogenheit. Nur von meinem Morgenbett aus dem Vogelgezwitscher lauschen und etwas Neues denken, etwas völlig Neues, das ich noch nie gedacht habe, und das noch dazu ohne Angst.
Wann endlich, so fragte sich Romina Winklehner, die Bäckerstochter, werde ich nicht mehr Sehnsucht hegen nach dem frischem Gebäck meines längst verstorbenen Vaters, ihm, der stets um 2:00 aufzustehen hatte für das Backen seiner Semmel? Mein Vater, der fuchsgesichtige, der immer ein spitzbübisches Lächeln für jedes Kind übrig hatte, erst recht für die meinen, seine Enkelkinder. Wie sehr hätte ich es ihm vergönnt, er hätte sie noch viel länger in seinen Armen schaukeln können.
Wann endlich werde ich ruhen und meine Frau wiedersehen können, um sie im himmlischen Garten, im ewigen Licht zu umarmen? Das fragte er sich, der Witwer, als er sich penibel den Sonntagsanzug anlegte, der ihm perfekt paßte, und den er selbst ausgesucht hatte. Mittlerweile ging er auf die 90 zu. „Dank sei Gott, dem Herrn, daß er mir meine Denkkraft belassen hat.“
Nicht möchte ich das Danken verlernen, sagte sich die junge Mutter, die am Ufer des Amazonas groß geworden war, an einem stillen Morgen, dem ersten Arbeitstag des neuen Jahres. Ich lebe mit allen in Frieden. Bis zu den drei Königen ist noch magische Zeit. Laßt uns den Frieden bewahren und Frieden schließen mit dem eigenen Tod, wie er irgendwann vor der Tür stehen kann. Doch bis dorthin, Friede dem Erdkreis!
Ich durfte an diesem denkwürdigen Tag, der Nacht der „Jugend anwesend sein. Alle Jugendlichen trinken ohne einen Laut von sich zu geben. Es ist der dritte Tag meiner Diät mit Chullachaqui Kaspi. Mein Trink besteht aus diesem Trank und ich nehme kein Ayahuasca. Die Kerzen werden ausgeblasen. Schon spüre ich wie sich Energien aufbauen und durch den Tempel fegen. Es raubt mir den Atem. Ein Bild erscheint, ich sehe mich durch den Dschungel laufen als junges Mädchen, langes dunkles Haar, barfuß, wie “ Jean “ in Tarzan. Wolfgang beginnt zu würgen er hat schlimmen Husten. Ein neues anderes Gesicht formt sich, daraus wachsen lange zarte Krallenfinger mit rotem Nagellack. Ich fühle hier ist schwarze Magie im Spiel. Wolfgang beginnt zu erbrechen, ich sehe feine weiße Fäden kaum sichtbar die sich hier versuchen zu lösen. Der zweite Satz lautet Vodoo ! Ich bitte die Madre diese Bilder zu stoppen, draußen beginnt ein Unwetter, Donner, Blitze erhellen den Tempel, Regen, ich denke die Schlacht beginnt. Der Sturm reißt die Tür auf, zu ,auf, zu, auf …eine Gänsehaut überrieselt mich und draußen höre ich das Brüllen des Jaguars, es hallt durch den Dschungel zweimal, ich habe noch nie derartiges brüllen gehört. Wieder reißt der Sturm die Tür auf und ich bitte inständig, bitte bleib wo du bist, komm ja nicht rein meine Phantasie schlägt “ Burzelbaum “ . Soll ich aufstehen und die Türe zuhalten ? bist du Lebensmüde flüstert eine Stimme ! meine Beine sind so wieso aus Gummi, es war nur ein Gedanke den ich sofort verwerfe. Hinter mir ist auch was,… Gott sei Dank hat wohl Wolfgang meinen Gedanken gehört er zündet eine Kerze an, er legt sich auf allen vieren auf den Sandboden und ich bete ein Vaterunser für uns alle in der Stille der Nacht.