Heiligabend 2019
Diese Weihnachten sind anders als früher. Schon das ganze Jahr war anders. Es war ein regenreiches, ein ausgesuchtes Jahr. Ein Jahr der Schlangen, vom ersten Tag an, und jetzt, im anhebenden Jahresausklang, ein dramatisch kulminierendes Jahr. Dieses Jahr 2019 hat für mich existentielle Bedeutung auf Grund der in den Diäten erlebten Entbehrungen und den darin fortgesetzt durchwanderten Schmerzen. Dieses Jahr 2019 trägt den Titel „Sehnsucht und Liebe“, ohne Zweifel. Das Jahr der fundamentalen, magen- und darmaufwühlenden Gefühle, alles eingebettet in Ayahuasca, das bereits zu Boden wirft.
Ich hatte unbeschreibliche Besucherinnen aus Sikkim und aus Palästina, – und aus Frankreich, dem Paris der alten Tage, was sonst nie vorkommt. Und alles Andere waren Besucher aus dem Totenreich und aus jener Heimat, die mir mehr als alles Andere am Herzen liegt. Dieses Jahr 2019 ist ein kulminierendes. 2020 wird noch über die 7000er-Grenze nahtlos hinaussteigen. 2021 erwartet mich vielleicht der Tod, ein furchtloser.
Dieses Jahr war das Jahr des David Lama und seiner Freunde Hansjörg Auer und Jess Roskelley. Wahre Märtyrer, die für ihren Glauben starben. Ein abzusehender Opfertod. Ein Wagnis auf Zeit. Es war das Jahr der Erstbesteigungen im Himalaya und ganz besonders war es das Jahr des Kangchendzönga. La Roumanie wird es bestätigen. Es war das Jahr der weltweit eineinhalb Millionen Menschen, die aus eigener Hand starben und noch sterben werden. Es war das Jahr des Papstes und des Wim Wenders. Es war das Jahr des Peter Handke und der Friederike Mayröcker, die vor kurzem 95 wurde. Beide haben das Weinen nicht verlernt. Vor all diesen titanischen Menschen, und dazu zählt auch der unvergleichliche Charles Bukowski, verneige ich mich zutiefst, aber am tiefsten verneige ich mich – und dies sogar unter Tränen – vor jenen Frauen, die in ihrer Stigmatisierung und ihren schamanischen Prüfungen Unsägliches durchleiden so wie die größten Mystikerinnen Spaniens. Ich denke hier an die Damen Richesse, Leocardie und Lacramiara. Und es ist immer noch das Jahr der Soledad Ruiz, die eine der größten ihrer Sippe war, so wie Doña Olivia Valera, die unvergleichliche Shipiba, die der Kanadier hinmordete. Und es ist das Jahr meines Lehrmeisters Agustin Rívas Vásqez, des Fadenziehers im Hintergrund, der mir immer noch ein Lichtjahr voraus ist. Der wahre Steher von Format.
Ich verneige mich vor allen toten Müttern. Ich verneige mich vor allen Opfern des Holocaust, den Opfern des Faschismus, den Opfern der beiden Weltkriege und überhaupt vor den Millionen und Abermillionen namenlosen Hingeschlachteten, so wie vor den Opfern der Amokläufe in den USA. Ich verneige mich vor den First People auf allen Kontinenten, auch vor jenen der Tierra Antártida. Ich grüße meine Freunde aus tiefstem Herzen, zuvorderst Dr.Dieter Katterle aus Nürnberg, den Schmerzensmann schlechthin, und dessen Kollegen, den unübertroffen generösen Dr.Alexander Pauser aus Wien 18. Und ich grüße den Herrn in Purpur im Stefansdom mit einem Anflug von Verschmitztheit. „Mögen Sie kräftig gesunden, lieber Herr Dr.Schönborn! Es gibt leider noch viel zu tun. Ahem.“ Ebenso Monsignore Schüller und Herrn Professor Holl. Unverdrossenheit ist doch eine der größten Zierden.
Wir schreiten auf komplexen Wegen voran. Etwas lebt uns. Wir haben zu leben, meinte mein Rektor Wucherer-Huldenfeld geradewegs heraus. Ein Befehl, sagt Don Juan Matus. Wohlan. Das ist die wahre Ehre. Ewige Ehre. Sei’s d’rum. Ich sage nicht, etwas träumt uns. David Lynch darf das sagen, und Frauen wie Sophia Loren, Claudia Cardinale oder jede andere Frau aus Rom, der ewigen Stadt, so auch Monica Bellucci. Kyle McLaghlan darf es auch sagen, und ob David Bowie, möchte ich nicht präjudizieren. Doch nicht jene, wie der ewige Springinsfeld Woody A., die vom Kältetod des Universums ausgehen und darüber unverhohlen bei einer Tasse Kaffee auf der Pressekonferenz in Cannes schwadronieren. So zu reden ist unzulässig. Merken Sie sich das, meine Damen und Herren. Von der Bedeutungslosigkeit des Kosmos zu reden, steht niemandem zu. Erst recht nicht heute, am Gedenktag der Geburt des Retters.