Immer noch Sturm (Eloge auf Peter Handke)

Gregor: "Was schreit auf den Bänken, und faßt mich an gegen meinen Willen, und rumpelt und kracht, und tobt und brüllt, und tost und lärmt, daß es schon lang nicht mehr schön ist?"

Ich: "?"

Gregor: "Die Menschheit."

Es ist Zeit, von einem Kampfgenossen zu sprechen. Einem unserer nobelsten, der stilgerecht nächst zu Paris sein Domizil aufgeschlagen hat, seit mehr als zwei Jahrzehnten. Ein Österreicher, der österreichische Nationaldichter schlechthin (so beliebe ich ihn ohne Zögern zu nennen), ein Mann, 1942 im kärtnerischen Griffen geboren, im sogennanten Jauntal, ehemals besiedelt von Slowenischsprechenden, jenen, die dem Reißteufel Jörg Haider (das ist jener Landeshauptmann aus dem oberösterreichischen Bad Goisern, der es so gern mit den Überlebenden der Kärntner Waffen-SS hielt) Zeit seines Lebens ein Dorn im Auge waren.

Peter Handke ist mein Wegbegleiter seit der Jugend. Er ist meine Weglaterne. Seine Dichtung eine Trösterin. Eines der frühen Werke Handkes trägt den bezeichnenden Titel “Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt“. Einen solchen Titel extrahiert nur jemand, der sich beider Welten, der Innenwelt wie der Außenwelt, und deren Ineinandergreifen in weiter Ausfassung bewußt ist. Handkes eigensinniges Werk – schlußendlich ist es ein widergespiegeltes Leben, ein Programm, eine Mission – ging nie in die Erfindung, in den Roman. Er meinte dazu, diese Dichtform erscheine ihm unvorstellbar, nicht sinnvoll, und außerdem sei er dazu nicht in der Lage. (Bezeichnenderweise zitierte er dabei seine Schwierigkeiten bei der Lektüre von Musils "Mann ohne Eigenschaften"). Handke beobachtet; sein Ringsum. Menschen und Natur. Ein wenig ähnelt er dabei van Gogh. Ein karger Mensch, den weder Luxus noch Bequemlichkeit verführen. Einer, der sich selbst bescheidet und die gerechte Sache ergreift. So wie zuletzt in seinem Werk „Immer noch Sturm“, ein zeitgerechter Kraftanhub aus der Zeit seiner Geburt, als Gedenken an seine Großeltern und deren Kinder, seine Onkeln (zwei davon im Krieg gefallen) und seine Tante (von den Nazis als Widerstandskämpferin in den letzten Kriegstagen zu Tode gefoltert). Vor allem aber ist dieses Buch eine Würdigung der Bauern-Kultur des Jaunfeldes, dessen Bevölkerung zweisprachig war.

Peter Handke ist ein Grenzüberschreiter. Die jugoslawische Sache lag ihm von Beginn an, weit vor dem Ausbruch des Bürgerkrieges, am Herzen. Handke ist ein Fußwanderer der Extraklasse, darin ähnelt er Werner Herzog. Doch nicht mit Herzog drehte er, sondern mit einem anderen Proponenten des deutschen Kinos, Wim Wenders. Einer der zauberhaftesten Filme des deutschen Kinos, „Der Himmel über Berlin“, entsprang seiner Assistenz. Handke wanderte durch weite Teile Jugoslawiens, aber insbesondere durch Slowenien. Die Slowenen sind seine Landsleute, den Österreichern ebenbürtig. Den Krieg versuchte er in mehreren Anläufen zu rekonstruieren. Srebrenica steht noch aus. Resteuropa hält, wie könnte es anders sein, seinen schwerfälligen Kopf immer noch ratlos und schuldbewußt abgewendet. Jugoslawien, das ist die Außenwelt. Das Mörderische die Innenwelt. Handke wandert mit gutem Schuhwerk, Jausenbrote im Ranzen. Ein Existentialist, wie er im Buche steht, einer, der sich mitten im Krieg ins Leben geworfen findet, der sich das karge Leben rechtschaffen erarbeitet, und diese Erarbeitung ist eben niemals Erfindung, sondern stete Beobachtung und dezente Einfühlung. Handke war immer, trotz aller langen Weg-Strecken und Besinnungsreisen, ein unkorrumpierbarer, ehrlicher Logiker des Gefühls. Einer, der trotz aller persönlicher Beobachtung von sich selbst abstrahierte. So findet man es in den Beschreibungen Frankreichs, der Pariser Vororte. Handke führt Tagebuch, scheinbar bis auf den heutigen Tag herauf. Auch das macht ihn so sympathisch. Diese Ungeschminktheit. Ein Klassiker durch und durch, einer, der auf Goethe Bezug nimmt, weil er ihn für sich neu entdeckt hat. Dieser Wahlpariser ist wohltuend korrekt. Er übertreibt nicht. Sensationsheische ist ihm fremd, ebenso Gewalt. Doch die Spannung zwischen Menschen kennt er allemal und beschreibt sie. In „Wunschloses Unglück“ beschreibt er den Weg zum Selbstmord seiner Mutter. Ein Drama sondergleichen, doch alle Worte der Beschreibung wohlabgewogen.

Es gäbe noch viel zu unserem Nationaldichter zu sagen, heute, am letzten Sonntag im März. Dieser gute Freund und Seelentröster verdient es, vom Komitee in Oslo ausgezeichnet zu werden, ja, es wäre an der Zeit. Seine Mitstreiterin aus Wien, diese ehrfurtchtgebietende Komilitonin in Ledermantel und Stiefel mit Namen Elfriede Jellinek, die ebenso wie er jedem Sturm (gerade der mexikanischen Kokainmafia) die Stirn bietet, wurde ihm vor drei Jahren vorgezogen. (Sie nahm den Preis nicht entgegen). Wir hatten eine gute Reihe von unersetzbaren Literaten – Thomas Bernhard und Ingeborg Bachmann als Fackelträger, und auch Christine Lavant seien unvergessen -, deren Lektüre das Leben authentisch machen. Passen wir auf, daß wir die wenigen, die wir noch haben, nicht zu Lebzeiten vergessen. Sie spenden uns Brosamen, die wir alle auf diesem kargen Weg in dieser bitteren Geistesnot so dringend nötig haben. Worte des Geistes, die uns, einen jeden von uns, für einen Moment, für einen Moment mehr, vor der Auslöschung, vor dem Verlöschen, dem bitteren, dem unwiderruflichen, dem stummen, dem ach so verzweifelt stummen, bewahren. Peter Handke ist mein Heros. Mit stolzer Brust heute, von hier aus, hinauf und hinüber ins Pariser Chaville: „Vergelt´s Gott, Herr Handke! Merci pour tous! Bleiben Sie uns noch lange erhalten! Für alles, was noch folgen soll und wird!“

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  1. Der Adlerfänger

    Er lebte am Rand des Marktes, ein Zugezogener. Ein Fremdartiger Zeit seines Lebens, obwohl nur knapp 50 Kilometer entfernt geboren. Mit seinem Herkommen verkörperte er durch seine stolze Haltung und seine Fähigkeit, sich nie ins kleinkrämerische Dorfleben zu mischen, die Autorität schlechthin. Gleichwohl kam niemand in sein idyllisches Forsthaus, um ihn zu befragen. Er war seit seinen frühen Tagen bei den Habsburgern der Oberförster, zuletzt, über 30 Jahre, in einem desillusionierenden Schacherwald der Steyrer Werke. Aus seiner Dienstwohnung wollte ihn der neue Eigentümer der Werke, ein dubioser, von ratlosen Politikern akklamierter Amerikaner, ein ehemaliger Österreicher und Rennpferdbesitzer, der als Großinvestor auftrat, delogieren. Doch dem war zum Glück der Mietvertrag vor. Wohnrecht auf Lebenszeit. Zum Glück. So blieb uns, den Jägern, die unschätzbare letzte Gelegenheit, diesem Mann beim Erzählen zuzuhören und auf diese Weise unausgesprochen Lebewohl zu sagen.

    „Ich wurde in Ybbs an der Donau geboren, in einer reichen Waldgegend. Seit Generationen haben meine Vorväter den Habsburgern gedient, alle als Förster. Es wurde mir so in die Wiege gelegt. Ich hatte dagegen nie etwas einzuwenden. Förster zu sein liegt uns Haigern im Blut. Von meinen ersten Lehrjahren habe ich in Erinnerung diese immensen Weiten des Waldes, sehr wohl anspruchsvolle Pfade, und den Blick von den granitenen, steil abfallenden Anhöhen nach Süden, über die Donau hinweg, zu den Alpen. An Wild gab es alles, sogar Bären und Elche. Der Elch ist ein verstohlener Gesell. Er geht weite Strecken, hunderte von Kilometern, aber keiner bekommt ihn zu Gesicht. Ich glaube, er steht mit den Bäumen direkt im Bunde. Ja, so was gibt es. Wer würde das heute vermuten? Doch so war es in der Zwischenkriegszeit. Und es gab auch Wilderer, vereinzelt. Für ein Gewehr langte es bei den Armen nicht, doch zum Fallenstellen war dem Einfallsreichtum keine Grenze gesetzt. Die Not lehrt erfinderisch zu sein, und das ist wahr. Wem will man es verdenken, erst recht damals, als die Welt der Monarchie untergegangen und Millionen nicht mehr heimgekommen waren? Millionen! Keiner redet mehr heute von diesen armen Gefallenen.

    Dann kam Hitler. Sie rekrutierten mich direkt aus dem Wald heraus und beförderten mich nach Kärnten. Dort diente ich bei der Berittenen. Ursprünglich sollte ich auch an die Ostfront, doch sie holten mich im letzten Moment aus dem Zug. Sie hatten erfahren, dass ich mich im Wald auskannte. Sie zeigten auf mich und der Kommandant befahl: „Du hast uns gefehlt! Wer, wenn nicht Du, den wir gegen die jugoslawischen Partisanen einsetzen können?“ So landete ich in Kärnten, in den Karawanken. Ich kenne die Karawanken wie kein zweites Gebirge. Von Norden wie von Süden. Vom Partisanenkrieg kann man nichts erzählen, die Zuhörer verstehen das nicht. Man muss es erlebt haben. Zu erklären gibt es da nichts. Ich war 29, Majorstellvertreter. Man kann heute nicht mehr darüber sprechen, auch, weil ja auch keiner mehr reden und auch keiner zuhören will. Was soll man da erklären, wenn Österreicher gegen Österreicher kämpfen, Deutsche gegen Slowenen, aber vor allem Österreicher gegen Slowenen, und gegen Kroaten? Der Partisanenkrieg ist kein Krieg. Es ist ein Kampf Mann gegen Mann mit unrühmlichem Ende. Standgericht. Man kann nur froh sein, wenn es endet.

    Aber der Landstrich ist danach nicht mehr der gleiche.

    Wir saßen im Wirtshaus, auf Rast, die ganze Kompanie. Draußen die Pferde. Eine Idylle. Wie wir hereinkommen, wird alles still. So war es immer. Alle blickten auf unsere Kappen und hatten den Blick der Furcht in den Augen. Zwei bärtige Männer stehen auf, zahlen und gehen hinaus. Holzfäller, denken die einen. Mir waren sie nicht geheuer. Ich hatte nie ein gutes Gefühl, wenn Männer aufstehen, sobald wir eintreten. Das ist bis heute so. Wir essen. Ich muss auf die kleine Seite und gehe aufs Klo. Da höre ich, wie draußen die Tür aufgeschlagen wird und eine Kalaschnikow losballert. Nur einer oder zwei von uns halten dagegen, mit ihren Pistolen. Sekunden später ist der Spuk vorbei. Ich gehe hinaus, alles im Pulvernebel. Keiner der unseren blieb ungeschoren. Den Major hatten sie als erstes im Visier. Er verröchelte in seinem Blut. Von dort weg wurde es drastisch. Ab da sicherten wir alles ab, bevor wir uns zum Essen niederließen. Ausweispflicht. Wir hatten freie Gewalt. Verstehen Sie, wir hatten freie Gewalt. Standrechtlich. Einfach so. Ein Gesicht, das uns nicht gefiel, der Mann hat keinen Ausweis bei sich, und aus war es mit ihm. Der deutsche Nachfolger hat so verfahren. Er hatte die Rachsucht in den Augen. Erst nach mehreren Dutzend war sein Blutdurst gestillt.

    Später wurde es ein Rückzugsgefecht. Die Truppen aus Griechenland schwappten herauf. Ab dort mussten wir auf der Hut vor den amerikanischen Kampffliegern sein. Wir überlebten auf den Höhen der Karawanken. Ich wurde nur ein Mal angeschossen, glatter Muskeldurchschuss im Oberarm, den ich mit Kräutern heilte. Wir ergaben uns den Engländern. Die brachten uns nach London, ja, nach London. Mich und den Truppenleiter, einen Berchtesgadener. Sie verhörten mich eine Woche, eine Woche, in der ich wenig zum Schlafen kam. Dann verwendeten sie mich als Dolmetsch. Ich verstand das Serbokroatische bereits leidlich. Slowenisch hatte ich ja schon von den Mädels gelernt, wie man so sagt. Nur meinen Kommandanten, dessen Namen mir wie auch immer nicht einfallen will, den sah ich nie mehr wieder. Ich habe zwei Jahre in London gearbeitet, beim Wiederaufbau. Tatsächlich. Auf der Insel. Die Engländer waren zufrieden. Sie nahmen mich die ganze Zeit an die enge Kette. Und da ich keine von den Ihrigen anrührte, ließen sie mich eines Tages frei. Und wisst ihr, was sie mir sagten? „Du hast dich genug geschunden, Soldat. Du gehörst mit deinem Bart in die Berge.“ Ich habe vergessen zu erwähnen, ich habe mir während des gesamten Krieges nie den Bart geschoren. So wie ich heute aussehe, habe ich schon imer ausgeschaut. Ja nicht einmal gestutzt habe ich ihn. Das hat den Deutschen nicht gefallen. Sie meinten, ich sei ein Verrückter, der ihnen des Nachts im Schlaf mit einem Rasiermesser die Gurgel durchschneiden würde. Karl, ich sag dir, ich hab mich nie im Leben geschlagen, und laut werden ist sowieso nicht meine Art. All diese Unarten haben uns die Habsburger seit Generationen ausgebrannt. Aber mordlüstern war ich als Junger schon, ich geb`s zu. Dann haben sie mich gefürchtet. Also, von wo denn, in Herrgotts Namen, sollte ich eine Schere hernehmen? Und mit dem Feitel über den Bart gehen war nie meine Art. Also, die Engländer ließen mich frei. Nach zwei Jahren. Der Generalmajor schmunzelte süffisant, wie ein englischer Snob, aber er war in Ordnung, er sagte, „Du hast keine von den unseren angerührt, also darfst du zwei von den euren anrühren.“ Und die Versammelten schlugen sich vor Lachen auf die Schenkel. Ich hab erst draußen kapiert, wie er es gemeint hatte.

    So bin ich nach Hause gefahren, gratis, mit dem Schiff nach Triest. Von Triest zu Fuß bis Klagenfurt, wieder über die Karawanken, ohne Proviant. Kein Problem. In Klagenfurt meldete ich mich mit dem Laufzettel beim zuständigen Engländer. Der schaut mich an, eingehend und tief, und sagt: „Hätten Sie nicht diesen widerlichen Bart, Sie könnten einer von uns werden. Passen Sie auf, dass die Russen Sie nicht erwischen. Nicht, dass sie Sie noch für einen Linzerkosaken halten. Einstweilen sind Sie unser Wildversorger und Alpenpolizist. Versprengte Kroaten, bitte melden. Versprengte Nazis, melden. Plünderer und Diebe, über den Haufen schießen. Ich bekam eine Binde, Britische Militärpolizei. So ging ich auf Streife, mutterseelenallein, ein Wald- und Gebirgsmensch, ohne Proviant. Eines Tages treffe ich auf Wilderer, das heißt, zuerst auf einen großen Käfig mit einem festgebundenen Kaninchen drin. Eine aufwendige, fachkundige Konstruktion. Mit einem Kaninchen. Luxus. Ich lege mich auf die Pirsch. Am Abend kommen sie zu zweit. Ich rufe: „Stoj!“ Der Schreck fährt ihnen in die Glieder und das Gewehr aus der Hand. Sie machen keinen Mucks, wie sie so mit erhobenen Armen vor mir stehen. „Gospodin“, sagen sie, „bitte nicht schießen!“ „Was habt ihr denn da Interessantes gebaut?“, frage ich. „Geht ihr etwa auf Bären?“ „Nein, Gospodin“, erhalte ich zur Antwort, „ … auf etwas viel Edleres: Den Greif!“ „Nicht wahr!“, antworte ich, „Das kenn‘ ich nur vom Hörensagen. Grad‘ recht, dass ich euch da treff‘.“ „Ja, und hättest Du nicht soviel Lärm gemacht, säße der Aar jetzt schon in der Klemme“, bekomme ich’s frech erklärt. „Wir sitzen ihm schon eine Woche auf. Er kreist schon, Gospodin, aber du musst dich auf einen Kilometer verzieh’n, und darfst nur Nachschauen kommen. Zum Glück ist der Hase noch am Leben! Ach, im übrigen, hast Du nicht einen Bissen, ich meine, für den Hasen, und eine trockene Kehle hat er auch. Du weißt, der Aar kann ganz schön wählerisch sein bei Aas. Gift und so. Kluges Tier!“ Also, wie geht’s weiter? Wir haben uns am nächsten Tag auf die Lauer gelegt, ich allein, die beiden Wildbeuter weiter weg. Meine Herren, es war zehn Uhr, sonnig, wie er herangeschossen kam, wie ein Blitz. Genau zwischen den Bäumen durch, ein goldschwarzbrauner Schatten. Mitten hinein in den Käfig, die Flügel angelegt. Er hat das Kaninchen mit seinen Greifern einfach durchbohrt. Rumms, die aufgespannte Tür fällt herunter. Der Aar blickt sich wütend um und beginnt zu geifern, wir kommen heran gestolpert und fangen an, hineinzugreifen, ohne Ahnung, was wir da tun. Ein Knäuel voller Rasierklingen hätte nicht schlimmer sein können. Ein Glück, dass er keinem die Pulsadern aufschnitt. Aber wir bluteten im Nu wie die Schweine. Die Slowenen ziehen die Hände zurück und richten sich auf, blutend, und beginnen zu lachen. „Gospodin, Gott ist groß. Er will nicht, dass sein Engel stirbt. Er hat ihn nur vorgezeigt, damit wir brav bleiben. Gott ist groß. Auf mit dir, Vogel, in die Freiheit. Du wirst nicht beim Zaren landen, sondern dort, wo du hingehörst, in die unermesslichen Höhen.“ Und so kam er heraus stolziert, nach einer Stunde Gefangenschaft, der Aar, hat uns von oben bis unten verärgert gemustert und ist weggeflogen. Ohne Hasen. Nur zwei Tage später habe ich meine Frau kennengelernt, die beste von allen. Eine, die schießen und klettern kann, wie eine Gämse. Wer weiß, was passiert wäre, hätte ich dem Aar ein Haar gekrümmt. Das war Kärnten.

    Dann kehrte ich wieder heim in den Granit oberhalb der Donau. Für meine Gattin ein schwerer Schritt, aber sie war mir immer treu. Kärntnerinnen gehen in der Fremde ein wie die Primel. Mit meiner Vergangenheit war es nicht leicht, aber keiner ist mich direkt angegangen. Dann war’s still. Wilderer gab es keine mehr, dafür die Tollwut. Mit der Tollwut ist nicht zu spaßen, vor allem, weil man ihr so schwer Herr wird. Wir haben den Habsburgern immer willfährig gedient, denn die Herrschaften sind ein zeitloses Geschlecht. So etwas versteht die Jugend heute nicht mehr. Zeitlosigkeit. „Und ewig singen die Wälder. Über allen Wipfeln ist Ruh‘.“ Wer liest heute noch Stifter? Oder Rosegger? Die Waldungen ober Persenbeug, reich an Wild. Übrigens, kennen Sie den Luchs? Und den Wolf? Noble Gesellen. Wieder angesiedelt. Seien wir stolz auf unser Volk. Hier möchte ich euch die Krucke einer Gämse zeigen, meine Rekordgämse in 60 Jahren. Eine 32 Jahre alte Gämse. Zählen Sie die Ringe, wenn Sie es nicht glauben. Schön, dass Du noch einmal mich besuchen gekommen bist, jetzt, zu Stefani, im frischen Schnee. Nächstes Jahr bin ich nicht mehr da. Ich will meine Frau nicht zu lange allein lassen."

    Franz Haiger, Oberförster, Neurubring an der Enns, zu Stefani 2002, *1914, + 2004, zum ehrenden Gedenken.

  2. Der geächtete Dichter

    Peter Handke ist kein Dummkopf, und er züchtet auch keine verqueren Krausbirnen. Im Wiener Akademietheater hatten sie ihn – ich glaube, es war 1998 – auf’s Gröbste beschimpft für sein Eintreten für Serbien. Er bekam einen roten Kopf, doch hielt sich zurück. Er gab retour, doch moderat. Er sagte, „Sie (der Anwerfer, ein Wiener Halbstarker) waren doch nicht drunten und sprechen auch nicht deren Sprache, oder etwa doch? Und haben Sie ein Herz in dieser Sache? Was wissen Sie überhaupt?“

    Ich lasse über Handke nichts kommen. Ein Mann, der so viel arbeitet wie er, verdient eine seriöse, ausgewogene Bedenkung. Es genügt bereits, daß sie ihm seit Jahren den Nobelpreis vorenthalten, eben wegen dieser Serbiengeschichte; seinem Eintreten für die Serben. Keiner hat so viel geschrieben wie er, und wir reden hier nicht von Konsalik oder Simmel oder Ken Follett oder Dan Brown, diese Vorreiter des geldbeutelorientierten Schwachsinns. Diese skrupellosen Hirnwichser. Wir reden von Bekenntnissen; realen, wahrheitsorientierten Gedanken; energetischen Tatsachen, nicht Fiktion. Widerspiegelungen der Wirklichkeit. Bekenntnissen des Innelebens; des Seelenlebens.

    Die Leute in Oslo jüngst sind ihn auch angegangen, mit Plakaten und Skandierungen. Er sollte den Ibsen-Preis abholen, wegen eines unerreichten Reflexionsniveaus, so das Kommittee; keine Kleinigkeit. Immerhin mit 300.000,- Euro dotiert. Handke steckt solche Preise, wie wir wissen, nicht in die eigene Tasche. Nein, er spendet, an die Verarmten unten, in seiner Wahlheimat. In seiner Fußmärschewahlheimat. Handke durchwandert Europa, vorzüglich Frankreich und das ehemalige Jugoslawien. Er redet mit den Leuten, egal ob verrückt oder nicht. Handke war in Srebrenica. Ich war es nocht nicht. Ein Unterschied. Und ich spreche auch nicht Serbokroatisch, aber ich mag die Leute, die Serben wie die Serbokroaten, aus verschiedenen Gründen; wegen des Schach-Informators, wegen Svetozar Gligoric, wegen Joŝip Bros Tito, der den österreichischen Partisanen Patriotismus gelehrt hat; wegen ihres Singens, wegen der Kirchen und wegen ihrer Arbeitsehrlichkeit. Nicht wegen der Zigretten und nicht wegen des Slivowitz.

    In Oslo nannten sie ihn einen Verleugner des Genozids, ja einen Faschisten. Wie sie sich da outrierten, die braven Norweger, meine Wahllandsleute. Gut, sie waren in Oslo zuhause, es war ihr Geld, und schlußendlich (dem sei Gott vor), es war in der Geruchssphäre des Nobelpreises. Da muß man doch wohl Vorbeugungsmaßnahmen ergreifen, oder etwa nicht? Handke, bettroffen, feinfühlig, wie er ist, wird darüber seine Zen-Praxis anwenden, denn das hat er insgeheim, ohne davon Wind zu machen, gelernt, natürlich beim Schwammerlsuchen.

    Das Projekt „Gerechtigkeit für Serbien“ war eine schwere Last, ein schweres Unterfangen, doch es kam aus seinem Gewissen. Das müssen wir würdigen. Das persönliche Gewissen ist heilig. Hier fängt die menschliche Würde an. Ich kann auch nicht den Schädel eines Massenmörders zu Mehl vermahlen und an die Fische verfüttern. Die menschliche Würde kommt von Gott und ist unantastbar, auch wenn derselbe Massenmörder darauf spuckt. Irgendwo müssen wir einen Punkt machen. Todesstrafe: Nein! Allgemeines Morden: Nein! Wer richtet? Den Haag? Handke war mehrmals in Den Haag, in Scheveningen. Er besuchte Miloŝeviç im Gefängnis und war bei dessen Begräbnis, wo er auch eine Grabrede hielt (die ich nicht kenne). Der Mann war beileibe nicht sein Freund, doch er war ihm die Grabrede schuldig. Hier erhebt ein Mann mit Zivilcourage sein Haupt. Es geht ihm um Gerechtigkeit. Miloŝeviç war nicht der, für den ihr ihn haltet. Habt ihr ihn im Gefängnis besucht, wie es der Herr in seiner Bergpredigt forderte? Habt ihr mit ihm geredet? Habt ihr seine Augen gesehen, seine Stimme gehört? Seid ihr Radovan Karadžiž gegenübergesessen, dem Verbrecher von Srebrenica?

    Was wissen wir von dem gegenseitigen Abschlachten? Was wissen wir davon, warum sich über eine Million Moslems gegenseitig in einem mehrjährigen Krieg abschlachten? Sunniten und Schiiten, erklärt man uns. Die einen Iraker, die anderen Iraner. Und? Sind wir jetzt gescheiter?

    Haben wir jemals mit einem ISIS-Freiwilligen gesprochen? Und diese gehen immerhin in die Tausende, aus 80 Ländern. Wollen wir allen ISIS-Sympathisanten in Europa präventiv die Giftspritze verpassen? „Deradikalisierungsbüro“ nennen sie die entsprechende Maßnahme. „Deradikalisierungshotline“. Da lachen doch die Mäuse! Schön und gut, sagt der sozialistisch liberale Block, doch Handke bleibt ein Faschist, auch wenn wir kein einziges seiner Bücher gelesen haben. Was geht uns dieser Schmarren an? Wir können nicht alles lesen.

    Handkes Sinnen geht sehr tief. Er macht sich über praktisch alles Gedanken und bringt es sofort zu Papier. Allein seine Tagebücher sind 14 Tage „Auszeit“ wert. Ja, schon alleine seine Tagebücher. Ansatzlose, messerscharfe Bekenntnisse. „Die Stunde der wahren Empfindungen“ nannte er eines seiner Werke. „Die Stunde, da wir nichts von einander wußten“, ein anderes. Das ist doch schon der Punkt in unserem absurden Theater, diesem Höllenschlund. Wir wissen von einander herzlich wenig. Herzlich wenig, wenn überhaupt. Wir wissen nichts von einander, und wir sind obendrein und grundsätzlich nicht fähig, miteinander zu leben. Wir leben bestenfalls nebeneinander. Bestenfalls. Die meiste Zeit wohl gegeneinander, und das subtil. Wir stellen „Selfies“ ins Netz, kommentarlos. Die anderen dürfen sich das anschauen, zwanghaft, wenn sie ihre Facebook-Seite durchscrollen. Die Botschaft dahinter wird schon nicht mehr kommuniziert. Symptome der Vereinsamung. Das ist doch der Bodensatz: Diese abgrundtiefe Vereinsamung. Man schießt uns mit Botschaften in Stücke. Ich darf mir keinen eingenen Gedanken mehr erlauben, keinen eigenen Lebensstil, keinen eigenen Blick. Das ist Faschismus pur. Doch das ist Realität. Die komplette Entmündigung. Deshalb die stummen Facebook-Selfies. Fotos von uns, kurz bevor wir uns umbringen.

    Handke ist nicht auf Facebook. Er hat Besseres zu tun. Er schreibt. Er schreibt sich die Finger wund. Literarische Bestseller, auch wenn Marcel Reich-Ranitzky meinte, sich über den Mann aus Chaville das Maul zerreißen zu dürfen. Reich-Ranitzky ist seit vorigem Jahr nicht mehr. Wird ihn Handke über dessen Tod hinaus noch hassen für die Schmach, die dieser ihm antat? Nein, das wird er nicht. Er wird das Gefühl der Totenrede in sein Werk einfließen lassen und mit uns teilen. Anders als Ingmar Bergman wird Peter Handke Marcel Reich-Ranitzky nicht über dessen Tod hinaus hassen, dazu ist er zu nobel. Kein selbstvoreingenommener Giftspucker eben; der Papst der Literaturkritik. Möchten Sie so sterben, werte Damen und Herren, liebe Leserinnen und Leser? Mit diesem Titel? Papst der deutschen Literaturkritik? Nein, diesen „Großen Fall“ möchte ich mir ersparen. „Der große Fall“, – vorvorletztes Werk des Griffeners, geschrieben in Great Falls, Wyoming.

    Um Peter Handke das Wasser reichen zu können, bedarf es guten Schuhwerks und guter Kondition. Sie wissen, was ich meine. Handke startet zu Peter-Handke-Wildschwein-Querfeldein-Querungen, und das nicht nur zur Pilz- und Trüffelsuche, nein, einfach so. Sprung ins Abseits! Sprung ins Abseits, spontan, als Selbstzweck. Rekordverdächtig. In jedem Buch aufs Neue geschildert. Weg vom Trampelpfad, das ist die Devise. Findet sich passagenweise immer wieder bei unserem Freund. Der Sprung ins Abseits. Der Sprung vom menschenleeren, sommerlichen Perron irgendwo im hitzebrütenden Zentralfrankreich auf die Schienen hinunter. Ein Enthemmter, doch kein Nudist. Kein Exhibitionist, doch ein Geständiger. Er gesteht seine Gedanken. Rückhaltlos. Wie vorbildlich! Wie ergötzlich! Ein Mann, der etwas zu vermelden hat. Wahrlich, er hat etwas zu vermelden. Einer, der nicht in Panik ausbricht. Was tut man, um nicht in apokalypseansichtiger Panik auszubrechen? Man geht jeden Tag viele Kilometer, am besten querfeldein, am besten im Neuland, quer durch Spanien, quer durch und über die Sierras, die Sierra de Gredos beispielsweise, quer durch Hokaido, quer durch Anchorage, quer über den Mount Neville (Schottland). Queren. Vorbildliche Lebensphilosophie. Queren. Offen. Herzensoffen, und damit unverwundbar. So ist Peter Handke. Er wird den Nobel noch überreicht bekommen, zu Recht und zu Lebzeiten, und ich wette standardmäßig um eine Kiste Original-Budweiser.

  3. Was bleibt? Zu Handke und Bernhard, immer in Sympathie

    Handke wird heuer 73. Sein Gesicht zeigt Charakter, auf allen Fotos, die man von ihm im “Netz” erhascht. Ein geradezu nobles Gesicht. Ein vergeistigtes Gesicht. Ein Mensch des Denkens, der Reflexion, des Schreibens und, wie er selbst immer wieder pointiert anbrachte, des “Lesens”. Mehr noch als als Schreiber sieht sich Peter Handke als Leser. Nur ein Bescheidener und Lernwilliger, ein Segler auf dem Meer des Geistes bringt so etwas an. Der Dichter als Leser. Handke lebt heute in Chaville, bei Paris, in einem romantischen Gartenanwesen, das eine ehemalige Pferdekutschenstation darstellt. Von dort bricht er zu ausgedehnten Wanderungen auf, ja geradezu zu Pilgerreisen, bin ich versucht es zu benennen. Jakobswege wohl ein Mal pro Jahr, über die Pyrenäen hinweg. Ein Pilz- und Landschaftspilgerer. Ein einzigartiger Naturhuldiger, der offenkundig in der Lage ist, das, was er sieht und beim Sehen sich denkt, zu beschreiben, oder nennen wir es hier: “festzuhalten”, in einem seiner zahllosen Notizbüchleins. Der Dichter, um es nicht zu vergessen, schreibt ausschließlich mit Bleistift. Er trägt kein Handy bei sich. Handke wandert weit. Die vier Jahreszeiten sind ihm kein Hindernis, doch, natürlich, mag er den Frühling, den Sommer und den Herbst. Er wandert hinunter nach Triest, hinauf zu seiner Heimat, dem Karst, dem See von Doberdob. Er wandert hinüber nach Laibach. Er wandert durch Griechenland, durch Schottland, durch Alaska, Hokkaido, durch halb Spanien, über die Sierra de Gredos hinweg. Hinunter in den Kosovo, quer durch Montenegro und hinüber ins blutgetränkte Bosnien. Er kreuzt nur selten Städte. Paris immer wieder; Salzburg früher. Er wandert durch Montana, und er wandert an Flüssen entlang, wo auch immer, und badet in ihnen, auch wenn sie sich beißend kalt geben. Sein weites, unablässiges Wandern macht den Anschein, als huldige er unentwegt der Natur, ihrer Schönheit. Handke blendet die Zerstörung nicht aus, doch behelligt er den Leser damit nicht. Er lebt, wie er selbst in einem viertägigen Interview 1986 auf dem Mönchsberg in Salzburg bekannte, “eigentlich von den Zwischenräumen”. Die Momente, die unwiederbringlichen Geschehnisse vor seinen Augen, die Perspektiven der immer in Licht getauchten Landschaften, sind ihm heilig. Dieses Schreiben Handkes ist geläutert. Man sollte sich die Mühe machen, sich auf sein Denken, sein Fühlen – so wie er es beschreibt – einzulassen. Seine Reflexionen, jede einzelne, gewissenhaft aus dem Moment gefischt, sind punktgenau; geradezu Edelsteine, bin ich versucht zu sagen.

    Hin und wieder polemisierte er in den 80er-Jahren gegen Bernhard. Seit dieser tot ist, nicht mehr. Die Pietät vor dem Toten gebietet es. In den Tagebüchern von 83 bis 87 finden sich drei kurze Ausritte gegen den Ohlsdorfer. Dessen Tiraden, leierhaft vorgetragen. Der fehlende Duft seiner Bücher. Das Abstossen der Menschen. Die Lieblosigkeit in den niedergeschriebenen Worten. Doch genauer besehen finden wir zwischen den beiden Ausnahmeschriftstellern eine Reihe von Parallelitäten: In den 80er Jahren wohnten die beiden nicht weiter als 50 Kilometer von einander entfernt; Bernhard in Ohlsdorf, oberhalb von Gmunden, und Handke, wie gesagt, am Mönchsberg. Beide litten an Österreich, diesem, bis heute herauf, vermunkelten faschistischen Resttorso. Beide schrieben auch für das Theater, beide stolperten über Claus Peymann, und es ist doch bezeichnend, wenn wir erfahren, daß sich Handke mit Peymann eindeutig schwerer tat als Bernhard mit diesem. Handke kann, bei Gelegenheit, ein ganz ordentlicher Sturschädel sein, der gegen die vermeintlichen Widerständler, die das, was sie grölend und rülpsend von sich geben, nicht bedenken, polternd und blitzend abzuweisen versteht. So war es zumindest bei der Serbien-Affaire in den späten 90er Jahren. Da wollten sie ihn öffentlich desavouieren. Ich erinnere mich an einen Anlaß im Wiener Akademietheater. Da mußte der Dichter doch zurückschießen. “Sie fühlen sich doch nur angestachelt, unter einem Vorwand anzugeben, weil Sie meinen, Sie seien im Recht. Aber waren Sie den überhaupt schon einmal in Serbien? Kennen Sie das serbische Volk? Waren Sie in Srebrenica? Wollen Sie Milosevic einfach so verurteilen, aus Ihrer bornierten Wiener Haltung heraus?” So und weiter zischte der angegriffene Dichter gegen die vermeintlich Siebengescheiten, die den Dichter geradewegs an die Wand zu stellen und mundtot zu machen versuchten. Ja, nichts weniger als mundtot zu machen. Das war ihr Ungeist, dem sie verfallen waren.

    Das wäre Bernhard nicht passiert. Der hielt sich immer auf seinem Hof verschanzt. Nur hin und wieder fuhr er nach Spanien, am liebsten auf Mallorca. Spanien: Noch eine Gemeinsamkeit. Barcelona. Die Liebe zu Spanien. Bernhard trieb sich auch in Paris herum, doch Spanien war ihm das liebste Land, auch wegen der Lunge. Die Eigenbrötelei ist noch etwas, was die beiden verbindet. Aber schon bei den Frauen zweigen sich die Wege der beiden Dichter. Bernhard lebte zeitlebens frauenlos. Er war ein keuscher Klosterbruder. Eine Notwendigkeit seiner chronischen Lungenschwäche. Das war gleichzeitig seine Stärke, die ihm erlaubte, seine Querfeldeinritte gegen die österreichische Verbiestertheit (ich kann dieses schmalztriefende, verfressene Übel der Pensionistendekadenz nicht anders nennen) ungestört vornehmen zu können. Handke hingegen teilte sein Bett mit einer Reihe nobler, kultivierter Damen, diese zumeist Schauspielerinnen, auch wenn er es bevorzugte, sich die Frauen über weite Strecken hinweg vom Leibe zu halten und er in den Salzburger Jahren noch phantasiert hatte, er werde einmal durch Frauenhand gewaltsam sterben. Weitere Gemeinsamkeit: Beide fuhren nicht Auto, ja ich weiß nicht einmal, ob die Herren einen Führerschein hatten. Und beide sahen nur höchst sporadisch fern. Nächster Bruderschritt: Sie kochten gern selbst; und, – sie widmeten sich einem höchst mysteriösen Traumleben. Handke wie Bernhard waren Meisterträumer. “Ein Jahr aus der Nacht gesprochen”, so ein Werkstitel des Herrn aus Chaville. Beide trieben sich, warum auch immer, in verrauchten Einheimischenlokalen herum und wurden von wirklich schrägen Außenseitern unserer ach so aufgeklärten, liberalen Sozietät immer wieder, bei praktisch jeder Gelegenheit, angesprochen.

    Bernhard litt an den Verhältnissen, und er starb frühzeitig. Eine Schockwelle durchwehte Österreich, als sein Tod in den Mittagsnachrichten eines Samstags vermeldet wurde. Nun liegt er bei Hedwig Stavianicek, seinem “Lebensmenschen”, seiner “Tante”, die ihm stets den Rücken stärkte, in Wien. Demnächst muß ich sein Grab besuchen; dringender Rat von “La Madre”. Ich verspüre keinen sonderlichen Drang, sein Werk durchzuackern. Ich kenne seinen Stil und meine zu wissen, worauf er hinaus will. Er spielt den Generalkahlschlag der Konvention. Er berührt mich hingegen auf andere Weise. Er meinte einmal gegenüber Christa Fleischmann in einem Fernsehinterview, das sie in einem Gasthaus des Salzkammerguts aufnahmen, “der Tod sei das Beste, was dem Menschen passieren könne.” Das war nicht lange vor dem eigenen Tod, und Canetti, Bernhards “Intimfeind”, für den der Tod nichts Anderes als der Todfeind des Individuums und der gesamten Menschheit war, Canetti war also damals bereits tot (er liegt oberhalb von Zürich, auf einem paradiesischen Flecken in einem stillen, baumreichen Totenacker, mit idyllischer Aussicht). Bernhard läßt also diesen unglaublichen Spruch los, nasse Augen, halb lässig hängt er auf seinem hölzernen Wirtshausstuhl, blättert mit der Linken desinteressiert durch die in einem Zeitungsreiter aufgespannten“Salzkammergut-Nachrichten”, deren Inhalt durch die gespielte mimische Verachtung gleichsam außer Kraft setzend; den Kaffee rührt er nicht an, und er blickt Christa Fleischmann mit seinen nassen Augen an, während er in seiner unnachahmlichen Art, die ihn eigentlich zu einem Alleinunterhalter, zu einem Schauspieler für Ein-Personen-Stücke prädestiniert hätte, seine verbal genuschelten, von dieser unnachahmlichen Stimme getragenen, Kanonenschüsse abfeuert, über die sich der selig-bittere, verbiesterte Marcel Reich Radnitzky eine ganze Stunde im Literarischen Quartett auslassen hätte können, wenn ihm jemand wirklich interessiert zugehört hätte. Ja, für diesen jüdischen Habicht Reich-Radnitzky, für den der eigene Tod ein vorgestelltes Gräuel war, weil er dann, eines Tages, am allwöchentlichen Montagmorgen nicht als erstes den “Spiegel” durchackern werde können, nein, sagte Reich-Radnitzky, das ist wirklich bitter, denn ich werde nicht mehr da sein, nein, auch Reich-Radnitzky ist mittlerweile fort, und das schon seit zwei Jahren, und keiner macht sich mehr lustig über einen toten Dichter, der “ein Vorbild an Mieselsucht” abgab, und keiner macht sich mehr lustig über einen Tempelpriester, für den “in einer stillen Nacht aus dem Haus zu treten einen Staatsakt darstelle, dem er als einziger selbst akklamieren müsse”, nein, heute lebt Peter Handke in Chaville, er ist 72, und ich hoffe doch wohl und inniglich, Oslo möge Format zeigen, und dann werden wir sehen, ob Heinz Fischer nach Chaville pilgert oder Handke zum zweiten Mal innerhalb weniger Jahre in der Hofburg sich blicken läßt. Dann aber werden WIR vom MI6 unsere Richtmikrophone bereits justiert haben, denn die kryptischen Mitteilungen eines Wahlfranzosen, der zu den Freunden von Richard Löwenherz zu zählen ist, gehören ins Geschichtsbuch der 100-jährigen Freundschaft zwischen England und Frankreich. So denkt jedenfalls die Queen.

    Und wir? Wir wandern weiter im Sturm, wettergerüstet, und lesen…

    Und wie zu dieser reinen Provokation Stellung beziehen? "Der Tod ist das Beste, was dem Menschen passieren kann." Unleugbar: Dieser Satz schafft sich seinen Nachhall. Und jetzt sehe ich: Wozu dazu eine Antwort schreiben? Dieser Satz zeigt das Format des Dichters. Thomas Bernhard ging aufs Ganze. Das wird doch aufs Erste daraus ersichtlich. Er meinte es ernst. Und er nahm es ernst und starb nur knappe zwei Jahre später. Erschütternd genug. Erschütternd. So etwas nötigt mir Respekt ab.

    Nachtrag 22.Jänner 2015, aus der Nacht: Die beiden Schriftsteller waren sich auch in ihrer Nähen zu Verrückten und Irren ähnlich. Bernhard hatte einen Doppelmörder, der seine Nähe suchte, sozusagen als Seelenbalsam. Handke wurde am laufenden Band von alten Menschen, eigenbrötlern und Verschrobenen, die Selbstgespräche führten, angegangen, und von Betrunkenen oft genug in die Zange genommen. An beiden wurde offenkundig, daß sie erst recht von Nichtlesern gesucht und gefunden wurden. Verständlich, hat man je die Strahlkraft dieser beiden Vorbildmenschen für einen Momment erhaschen können. Beide, auch der theatralische Poltergeist Bernhard, waren Seelentröster und durch und durch milde gestimmt. Daß es einem nicht erspart bleibt, mitten in der Hölle mitzugrimassieren, versteht sich von selbst. Beide Brüder, so ungleich sie angeblich waren, lebten im zwielichten Traumreich, in welchem sie zur Mitarbeit verdammt wurden. Und als brave Österreicher taten sie, wie ihnen geheißen. Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen.

  4. Michel Houellebecq: Unterwerfung

    Frankreich, zurecht "La Grande Nation". Das Land der Historie, der weit zurück reichenden. Das Land, das die Römer nie endgültig okkupieren konnten. Eine geschichts- und kulturbewußte Nation, darin vielleicht sogar die europäische Spitze. Das Land der Kulinarik: Des Weins, des Käses, der Spezereien. Das Land des TGV. Ein imperiales Land mit einer imperialen Hauptstadt, vielleicht der schönsten Europas in dieser Dimension. Ein Land mit eigenen Atomwaffen.

    Und nun einer, der Nummer-Eins-Autor gegenwärtig in Frankreich. Ein Aufreger. Einer, der ein Buch mit dem Titel „Soumission“, Unterwerfung, publiziert, und dem nur kurze Zeit später der Selbstmordanschlag auf „Charlie Hebdo“ folgt. Michel Houellebecq ist ein Aufreger, ein wahrlich provokanter, der in seinem typischen Stil eine unverhohlene Sexualsprache handhabt und über den Kampf der Geschlechter und deren Sexualleben desillusioniert schreibt, ganz anders als Henry Miller, dem die erotische Qualität nicht fehlte. Doch Houellebecq schreibt nicht erotisch. Er schreibt verstörend. Er schreibt mit brutaler Offenheit. Er schreibt, wie er denkt, und er denkt unverhohlen. Er schreibt ohne Zensur. Er ringt sich den Offenbarungseid ab, den er bereits in Vorzeiten sich selbst gegeben haben muß. Er beschreibt seine Sexualphantasien. Er nennt die Organe und das, was man gewöhnlich mit diesen Organen anstellt, beim Wort. Er schreibt offenherzig, wie er über Frauen denkt. Das alles macht ihn nicht unbedingt zu einem skandalfreien Autor, nein, das beabsichtigt Houellebecq ganz und gar nicht, denn er versteht sich – vorgeblich – als Nihilist, als kämpferischer, desillusionierter Nihilist, ein Patriot von einem Franzosen, ein Großstadtfranzose, ein Pariser, wie er leibt und lebt, ein Kettenraucher, ein Paradeintellektueller, der sich mit Bernard Henry-Levy ein korrespondenzielles Gefecht auf intellektueller, zeitgeschichtlicher Ebene liefert, ein geschichtsbewußter Literat, ein Paradeliterat, Gewinner des „Prix Concourt“ für „Karte und Gebiet“, seinem vorletzten Roman.

    Die Fotos von Houellebecq zeigen einen Kettenraucher, eine Großstadtkreatur, die im Reich des Wortes und des kritisch-politischen Geistes und ganz und gar nicht in jenem der sozialen Konvention zuhause ist. Ein Vorzeigefranzose, der Modeliterat schlechthin, noch um eine Spur besser als Humberto Eco zu seiner Zeit. Ein Freund Frédéric Beigbeders. Das sagt alles. Und daß Peter Handke aus Chaville niemals so schreiben würde wie Houellebecq, auch nicht annähernd über dessen Sujets, darüber brauchen wir nicht mutmaßen und es ist auch nicht zulässig und zudem jedermanns Recht. Jeder hat eben seinen Stil und seine Sujets. Ich finde, die Sujets sagen bisweilen noch mehr über den Autor aus als sein Stil. Bei Houellebecq finden wir beides nennenswert bewundernswert vereint, Stil und Sujet. Seine Sujets sind die menschliche Vereinsamung, die Animalität des Menschen, die Hoffnungslosigkeit, die gleichzeitig die Fortschrittslosigkeit der Humanität dokumentieren, die sporadischen oder zirkulären Lustgefühle, die Unhaltbarkeit der Modelle des Marktes, die auf Konsum basieren, und so auch des Sexualkonsums. Man könnte meinen, Houellebecq wäre in der Tat ein Nihilist, doch er selbst tritt zwei Schritte niedriger, er wäre nur „Agnostiker“, sagt er von sich selbst. In seinem jüngsten Roma „Unterwerfung“, findet sich eine Passage des Meditierens vor einer Madonnen-Statue mit Kind im Wallfahrtsort von Rocamadour im massif central.

    Hoellebecq schreibt auf Hochtouren. Fast könnte man meinen, er wäre ein politischer Romancier. Es geht ihm um das Zeitgefühl, die Bewegungen in der sozialen, in der politischen Landschaft. Er sieht das Sozialwesen als ein Schwirren von Elementarteilchen. Er spricht von der Möglichkeit einer Plattform, der Möglichkeit einer Insel. Er steuert das andere Ufer an, das Jenseits, die Metaphysik, vollkommen abgeklärt, soweit man das erkennen kann, oder besser: Voll darum kämpfend. Er stellt sich dem Anspruch der Überwindung seiner eigenen Triebhaftigkeit. Er nimmt das Klosterleben, wie es einem seiner Ikonen, Huysmans, einem geistesverwandten Literaten des 19.Jahrhundert, vorschwebte, in den Fokus. Der weibliche Orgasmus, der weibliche Körper, sosehr er ihn interessiert, will schlußendlich im Frieden beigelegt werden, so wie das Rauchen. Übrig bleiben die Liebe zum Vaterland, das Geschichtsbewußtsein, das Absterben, die Vergänglichkeit, die Nichtigkeit, das Vergessen. Sogar der Genuß beginnt wie eine Kerze zu flackern. Auch der Genuß verliert als Lebensmotiv nach und nach seinen Stand. In „Gestalt des letzten Ufers“ bezieht Houellebecq motivisch Stellung: „Die sich vor dem Tod fürchten, fürchten sich auch vor dem Leben.“ Und dann beginnt er zu ackern:

    „Ein Feld von konstanter Intensität

    Fegt die menschlichen Teile hinweg

    Die Nacht senkt sich, ganz Gleichgültigkeit;

    Die Trauer erobert die Ebene.

    Wo das unverdorbene Spiel wiederfinden?

    Wo und wie? Wie soll man leben?

    Und wozu soll es gut sein, Bücher zu schreiben

    In der achtlosen Wüste?

    Die Schlangen kriechen unterm Sand

    (Immer in Richtung Norden)

    Nichts im Leben ist wiedergutzumachen,

    Nichts bleibt übrig nach dem Tod.

    Jeder Winter hat seine Notwendigkeiten

    Und jede Nacht ihre Erlösung

    Und jedes Alter der Welt, jedes Alter hat sein Leiden

    Und schreibt sich der Generation ein.

    Und so trachten leidende Generationen,

    zusammengepfercht wie Wasserflöhe,

    Die Sensoren des abwesenden Lebens

    Für null und nichtig anzusehen.

    Und alle scheitern sie ohne großes Drama,

    die Nacht deckt bald all das gut zu

    So auch die monogame Erschöpfung

    Eines Körpers, der feststeckt im Morast.“

    So etwas ist doch Ehrlichkeit, nicht? Und Feinsinnigkeit. Dies ist ein veritabler Nachtangler, der auf dunklem See, einem spiegelglatten, ruhig steht, in seinem kleinen Boot.

    Michel Houellebecq gibt nicht auf. Ich harre gespannt seiner nächsten Werkes. Seine Kampfzone, wie er es selbst nennt, ist bereits ausgeweitet. Selbst um den Preis der Melancholie. Dem gebührt meine Hochachtung. Die Entrichtung dieses hohen Preises der Melancholie, und dem rastlosen Anstieren der Gestalt des anderen Ufers, das sich bei Houellebecq im Ringen um die wahre Sprache erkennen läßt.

    Warum schreiben? Das ist eine Grundsatzfrage, die nur mit einer grundsätzlichen, einer fundierenden Aussage beantwortet werden kann: All das, ob geschrieben oder nicht, schreibt sich in etwas ein, das kein Mensch wird je lesen dürfen (so ist es anzuerkennen): Das Buch des Lebens, das mit sieben Siegeln verschlossene, wird am Ende der Zeit von jenem geöffnet werden, der die Sprache ist. Ich habe ein Gefühl, daß Houellebecq darum weiß. Doch er liebt die Menschen dermaßen, daß er bereit ist, für sie zu leiden. Ja, so unverfroren das klingen mag: Eine messianische Attitüde. Der durch und durch gesuchte klare Blick.

  5. Mein weinender Schreiberling, der unvergessene

    Thomas Bernhard hatte wässrige Augen. Ich glaube, er war von seiner Anlage her tief traurig. Er rang früh mit dem Tod. Bernhard hatte unvergleichliche Gemütstiefe. Er war kein Hassender. Ganz im Gegenteil: Er liebte die Außenseiter, die Verlierer, die Niedergeschlagenen.

    Es tut mir ewig leid um ihn. Ja, ewig leid. Ich bin stolz, in seiner Zeit gelebt zu haben. Nicht vor ihm (noch schlimmer) und nicht hundert Jahre nach ihm. Zeitgenossen sind immer was Schönes. Umso trauriger, sie alle fortgehen zu sehen. Traurig, wahrlich.

    Er hatte also diesen Ministreit mit Elias Canetti zum Thema Tod. Das ist lapidar gesagt wie hingeschrieben. Was soll ich Anderes tun als es so zu formulieren? Ein Ministreit. Canetti, der Seltsame, der ganz und gar Unösterreichische, kam extra aus London zu ihm auf Besuch nach Ohlsdorf. Den anderen kleinen Streit, den Bernhard unterhielt, war jener mit seinem Salzburger Busenfreund Peter Handke, der oben am Mönchsberg hauste. Da ging es um Bernhards Stil. Handke sagte ihm (zu Lebzeiten) auf den Kopf zu, wie er, Bernhard, schreibe, sei ungebührlich. Dieses ewige Mosern. Nun gut. Es dünkt mich zeitweise schon seltsam, welche Dispute um welche Aspekte des Menschseins sich da entzünden.

    Das alles wird irgendwann lächerlich, denn diejenigen, die übrig bleiben, sind die für kurze Zeit Überlebenden. Wir. Canetti und Bernhard sind schon lange tot, leider, leider. Handke mittlerweile im 74. Er hat mit Bernhard abgeschlossen, soviel steht zweifelsohne fest.

    Ich muß jetzt über Bernhard nachdenken. Mein Botschafter hat es mir angeschafft. Also, genau genommen, über diesen Satz gegenüber einer sprachlosen Christa Fleischmann (verdiente ORF-Reporterin) in einem Gmundner Wirtshaus. Er sitzt so da bei einem großen Braunen, blättert provokant in einem im Rahmen aufgespannten Gmundner Lokalblatt, und beginnt in seiner typischen Art zu philosophieren. Die Kamera läuft. Christa Fleischmann unterbricht nicht. Sie hört zu. Sie mag Bernhard aus tiefstem Herzen. Sie fühlt sich geehrt und verstanden. Sie hat ihm nichts zu beweisen. Er ihr auch nicht, außer, daß er ihr irgendwie zeigen will, daß er sie mag in ihrer unaufdringlichen und doch interessierten Art. Es gibt ein Interesse zwischen den beiden. Und dann redet er in seiner typischen Art, in dieser leicht nasalen Art. Bernhard hatte ein chronisches Lungenproblem und eine in Mitleidenschaft gezogene Nase. Seine Atmung war lebenslang kompromittiert. Er konnte keinen Sport betreiben. Er hätte eigentlich in Spanien wohnen sollen, doch nein, er blieb bis zu seinem imminent bevorstehenden Tod am Rande des Salzkammerguts in seinem Vierkanter. Er grast herum, spricht aus, was er sich denkt, als geriete er langsam ins Delirium. Ja, ins Delirium. Sein Denken wird durchlässig. Er assoziiert. Sein Herz öffnet sich. Er maskiert es in seiner Art. Doch er hört nicht zu reden auf.

    "Der Tod ist das beste, was dem Menschen passieren kann…"

    Ein Satz für 100 Jahre. So wie Gabriel García Marquéz‘ Titel. "Hundert Jahre Einsamkeit". "Der Tod ist das beste, was dem Menschen passieren kann." Und er sieht Christa Fleischmann traurig an. Die weiß, er will sie provozieren. Wie soll ich diesen Hammerschlag erwidern, denkt sich Christa Fleischmann. Da gibt es nichts zu erwidern. Sie bleibt stumm. Bernhard prüft sie in seiner charakteristischen Larmoyanz. Sieh an, Christa Fleischmann bleibt stumm.

    "Sie fragen sich jetzt wohl, warum ich das so sage, nicht wahr?"

    "Ja, genau!"

    "Ja, weil es so ist!"

    "Wie meinen Sie das?"

    "Da gibt es kein Meinen. Es ist eben so!"

    Und er setzt an, über Verwesung zu sprechen.

    Das Beste, was dem Menschen passieren kann.

    Das Beste, was dem Menschen passieren kann.

    Was also, in Gottes Namen, wußte Bernhard vom Tod?

    Und jetzt ist er bereits tot. Seit dem 12.Februar 1989. Es war ein sonniger Frühlingssamstag, der 18.Februar, als ich in Wien 12., Nymphengasse, per Radio im ORF-Mittagsjournal die Meldung hörte. Ich konnte es nicht glauben. Ich verfiel in eine stundenlange Depression, mehr noch als meine damalige Begleiterin. Er liegt am Grinzinger Friedhof, bei seinem Lebensmenschen, Hedvig Stavianicek, und deren Gatten Franz. Der Grabstein wurde mehrmals beschädigt, von wem auch immer, und dann neu gesetzt. Grabschändung gehört zu den Geisteskrankheiten, die drüben angesprochen werden.

    Der Tod ist das Beste, was dem Menschen passieren kann.

    Ich habe lange darüber nachgedacht.

    Wer gibt uns das Recht, zu sagen, der Tod sei der größte Skandal? Wer gibt uns das Recht, zu sagen, der Tod sei das größte Verbrechen am Menschen?

    Nur am Menschen? Jede Kreatur stirbt. Über kurz oder lang. Zuerst fürchten sich die Besucher vor den Fangspinnen am Badeteichrand, dann, drei oder vier Tage später, sehen sie sie tot im Wasser treiben.

    Etwas lebt uns. Eine Macht. Ein Wille. Ein Wille, der sich ausgestaltet.

    Bernhard konnte schreiben, was er wollte, und reden, wie er wollte. Er war ein feiner Mensch. Ein liebender Mensch. Und er wußte, warum er so redete. Weil es ihn betraf. Es betraf ihn, es konsternierte ihn, es machte ihn traurig. Er wußte, er würde früher oder später resignieren.

    Die, die ihn liebten, wie Claus Peymann (der so hochgeschätzte Philanthrop Claus Peymann), die wußten, hier sitzt eine Lichtgestalt. Hier wandelt eine kurzlebige Lichtgestalt. Einer, der sich ganz und gar nicht um den Nobelpreis schert. Ein Mann, der unter Druck schreibt. In seiner Art. Einer, den es treibt, bevor er uns entzogen wird.

    Das Beste. Natürlich. Denn der Tod macht uns erst recht und im Eigentlichen zu Menschen.

    Ach Gott.

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